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Berliner Zeitung
, 18.04.02, 2 Artikel
   

Steinhagel im Klassenzimmer

Anbaden mit der Polizei

In Kreuzberg sind dieses Mal drei Demonstrationen angemeldet, bei denen die Polizei einen gewalttätigen Verlauf nicht ausschließt. Neu ist eine Demo autonomer und kommunistischer Gruppen. Sie beginnt am "Revolutionsdenkmal", der Ruine eines am 1. Mai 1987 von Autonomen angezündeten "Bolle"-Marktes. Für den Vormittag hat die NPD eine Demonstration geplant. Die Routen sind noch nicht endgültig bestätigt.
Zur "Deeskalation entwickelte die Polizei das AHA-Konzept, das sie 1999 erstmals anwendete. AHA" steht für "Aufmerksamkeit, Hilfe, Appell". Es gilt für die Walpurgisnacht am 30. April und den 1. Mai.


Ziel des Konzeptes ist es, mit massiver Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld und während der Einsätze positiv auf die Geschehnisse Einfluss zu nehmen. Ein "Konfliktteam" von 50 Beamten wird bei den Demonstrationen vor Ort sein und mit den Teilnehmern Gespräche führen. Die Beamten tragen gekennzeichnete Basecaps.

Von Krawallen sollen "erlebnisorientierte Jugendliche" weggelockt werden, indem die Polizei Feste veranstaltet. Dazu gehört unter anderem die "Straßensportmeile" in der Kreuzberger Bergmannstraße. Von 10 bis 20 Uhr gibt es Kistenklettern, Straßenfußball und BMX-Parcours. Mehr Tipps gibt es in den kommenden Tagen.

Im Katzbachstadion gibt es am 11 Uhr ein Fußballturnier, das die Polizei und die türkische Gemeinde zu Berlin organisieren. Eintritt frei.
Ab 14 Uhr gibt es am Neuköllner Mittelweg ein Fußballturnier des Kinder- und Jugendzentrums "Lessinghöhe".
Im Prinzenbad ist ab 10 Uhr "Anbaden mit der Polizei" angesagt.

Steinhagel im Klassenzimmer Die Berliner Polizei wirbt bei Schülern für Gewaltfreiheit am 1. Mai - es überzeugt nicht alle
Silke Stuck

Andreas Hanel weiß, dass viele, denen er am 1. Mai begegnen wird, so sind wie der 16-jährige Janosch, der vor ihm sitzt. Janosch weiß, dass er Leuten wie Hanel gegenüber stehen wird, wenn es losgeht in Kreuzberg. Janosch wird hingehen zur 1. Mai-Demo, er hat es nicht weit, er wohnt hier. Es geht ihm weniger ums Demonstrieren, sagt er. Es scheint, als hätten die letzten 45 Minuten bei ihm keine Spuren hinterlassen.
Polizeihauptkommissar Andreas Hanel ist 39 Jahre alt und arbeitet in der Direktion 5 in Neukölln. Normalerweise. Gerade aber hat er eine Schulstunde lang mit Zehntklässlern der Lina-Morgenstern-Oberschule in Kreuzberg über den 1. Mai diskutiert. Ziemlich viel geredet hat er dabei mit Janosch. Richtig verstanden haben sich die beiden nicht.

Die Berliner Polizei sucht kurz vor dem 1. Mai direkten Kontakt mit Jugendlichen. Die Schulbesuche finden im Rahmen des Gewaltpräventionsprojektes AHA statt, einem Deeskalationskonzept für den 1. Mai, Hanel und seine Kollegen absolvieren sie zusätzlich zum normalen Dienst. "Wir haben beobachtet, dass immer mehr Jugendliche an den Ausschreitungen um den 1. Mai beteiligt sind", sagt er. "Manche wollen auch nur dabei sein, so bieten sie aber Randalierern den Schutz der Masse. Wir wollen denen klar machen, worauf sie sich bei allem strafrechtlich gesehen einlassen." In diesem Jahr haben sie acht Kreuzberger Schulen angeschrieben und waren überrascht von der positiven Resonanz. 30 Klassen werden sie am Ende besucht haben. "Wir wollen in den Kernbereich", sagt Hanel. "Bei den meisten hier findet der 1. Mai doch vor der Haustür statt." Hanel und Kollegen wollen aufklären und auch um Verständnis werben für die Polizei. Das ist kompliziert. Denn bei Schülern wie Janosch trifft er auf heftige Vorurteile.

"Jedes Jahr artet die Mai-Demo leider in Gewalt aus." So leitet Hanel das Gespräch ein. "Das ist ein Ritual", sagt er. "Jeder wartet mittlerweile darauf." Er nennt diejenigen, die darauf warten "erlebnisorientierte Jugendliche". Einige von denen, die vor ihm sitzen, scheinen sich angesprochen zu fühlen. Sie knibbeln an dem Flaum, den sie ihr Kinn entlang wachsen lassen, ziehen ihre unglaublich weiten Hosen hoch, lehnen sich lässig zurück. Grinsen. Sie wollen ausdrücken, dass es sie nicht überzeugt, was "der Bulle" da erzählt. So wird es Janosch später sagen.

Hanel jongliert derweil mit den Pauschalurteilen der Schüler. Er macht das recht souverän. Aufrecht steht der Dunkelhaarige mit den klaren blauen Augen in seiner Uniform zwischen den Schülern und redet. Er versucht ihre Sprache zu treffen. Und er hört zu. Ernsthaft, mit Respekt. Dass er manche der stereotypen Argumente in- und auswendig kennt und wohl auch nicht mehr hören kann, lässt er sich nicht anmerken.

"Dass es Stress gibt am 1. Mai, das liegt doch auch an der Polizei", sagt Janosch. "Das werden wir noch klären", antwortet Hanel kurz. "Wisst ihr, ihr könnt von mir aus gegen die politischen Verhältnisse in Nepal demonstrieren, gegen Sparmaßnahmen an Schulen oder den Schweinestaat schlechthin, aber ihr müsst wissen, dass ihr dabei bestimmte Regeln einhalten müsst." Die gebe das Grundgesetz nun einmal vor. Der Polizist zeigt ein Video, das während einer Mai-Demo von einem Mannschaftswagen aus aufgenommen wurde. Auf das Auto prasselt ein bedrohlicher Steinhagel, der Lärm ist ohrenbetäubend. Hanel versucht, das Video zu übertönen. "Was ihr da seht, sind übrigens alles schwere Straftaten", brüllt er. "Stellt euch vor, wie sich jemand fühlt, der da jetzt gleich raus muss." Janosch und sein Freund Justus starren auf den Bildschirm, Justus knetet sich die Lippe. "Wir Polizisten sehen beim Einsatz zwar aus wie ein Mittelding zwischen Michelin-Männchen und einem Alien, manche empfinden das auch als martialisch, aber darunter steckt ein Mensch, das dürft ihr nicht vergessen", sagt Hanel. - "Wenn vor mir aber 80 Mann eine Kette bilden, dann denk ich, die wollen Stress machen", sagt Justus. - "Genau", sagt Hanel ironisch, "Bullenprovo." Die Schüler grinsen. "Dass es aber dahinter gleich abgeht, das siehst du nicht. Leute, ihr müsst bedenken: Es kommt auf beiden Seiten zu Stress. Manche Polizisten, die vor euch stehen, sind seit 18 Stunden im Einsatz." - "Wenn die Polizei anfängt zu knüppeln, haut sie auf jeden ein", sagt Janosch.- "Gut, sagt Hanel ruhig, "spielen wir mal nach, wie sich ein Polizist fühlt." Celal aus der ersten Reihe darf sich einen Helm aufsetzen, und Hanel haut mit einem Pflasterstein erst oben auf den Helm, dann vorne aufs Visier. Nicht doll, aber der Junge zuckt zurück, kneift die Augen zusammen, hält die Hände an den Kopf. Nachdem er den Helm abgesetzt hat, reibt er sich die Ohren. "Vielleicht kannst du dir vorstellen wie man sich fühlt, wenn viele Steine aus zwanzig Meter Entfernung geflogen kommen", sagt Hanel.

Dann kommt seine Moral. "Wenn sich was zusammenbraut, geht an den Rand. Macht deutlich, dass ihr nicht dazugehört." Die Randalierer würden sich stets wieder zurückziehen in die Menge. "Verpasst nicht den Zeitpunkt, an dem ihr euch noch abgrenzen könnt. Und zeigt auch Polizisten an, von denen ihr glaubt, dass sie sich nicht rechtmäßig verhalten."

Die Stunde ist zu Ende. Janosch ist nach wie vor überzeugt, dass "die Gewalt am 1. Mai von den Bullen ausgeht". Er geht also auch dieses Jahr hin. "Wegen der Randale", sagt er. Justus wird nicht hingehen. Er hatte Hanel am Anfang noch provozierend angegrinst.   

   






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