t e x t e  |  d i s k u s s i o n       
            von:   D. Schumann, Carsten Becker, Hakan Doganay
   
Austrittserklärung aus dem Berliner 1.Mai-Personenbündnis
Am 18.3. schlugen wir auf der Sitzung des Personenbündnisses 1. Mai vor, das Konzept zur Gestaltung des 1. Mais in Kreuzberg für gescheitert zu erklären und das Bündnis in seiner bisherigen Form, Ausrichtung und geplanten Aktivitäten aufzulösen. Dieser Vorschlag wurde von der überwiegenden Mehrheit der Anwesenden abgelehnt, so dass uns nichts anderes übrig blieb als auszutreten. Da wir von Anfang an in dieses Bündnis viel Zeit und Energie investiert und damit auch politische Verantwortung übernommen haben, können wir nicht umhin, diesen Schritt öffentlich zu erklären.

1.) Spätestens seit dem Kriegseintritt Deutschlands an der Seite der USA im Namen der Terrorbekämpfung ist klar, dass "nichts mehr so bleiben kann wie es war". Die rotgrüne Bundesregierung beteiligt sich aktiv und an führender Stelle an einer imperialistischen Politik, die nun zunehmend zur gewaltsamen Niederschlagung von Aufstandsbewegungen weltweit greift. Nach dem Afghanistan-Feldzug markieren der geplante Angriffskrieg gegen Irak, die versuchte Niederwerfung der palästinensischen Intifada, die von den USA geförderte Kriegserklärung der kolumbianischen Regierung gegen die FARC usw. drastisch die kriminelle Bedeutung des von Bush proklamierten "Feldzugs gegen den Terror". Die von der Bundesregierung nach dem 11. September verkündete "bedingungslose Solidarität" mit den USA im Kampf gegen die "Achse des Bösen" mit weltweit 60 Zielen findet nach Innen in einem drastischen Abbau demokratischer Rechte, sozialer Errungenschaften und verstärktem Rassismus seine logische Ergänzung. Gleichzeitig verstärken die Unternehmer gemeinsam mit der Bundesregierung ihre Anstrengungen, die Kosten der von ihnen verursachten Krise und des wirtschaftlich-sozialen Niedergangs der arbeitenden Bevölkerung, der Jugend, den ImmigrantInnen usw. aufzubürden, um so ihre Profite zu sichern.

2.) Andererseits stoßen diese Angriffe auf wachsende Ablehnung und Widerstand in breiten Teilen der Bevölkerung. Obwohl nach dem offenen Schwenk von SPD und der ex-pazifistischen Grünen in das Kriegslager organisatorisch äußerst schwach hat die Antikriegsbewegung zehntausende UnterstützerInnen auf die Beine gebracht. Weder konnten die Polizeirepression und Reiseverbote nach Göteborg und Genua noch der Schock über den 11. September die Antiglobalisierungsbewegung wirklich schwächen. Im Gegenteil haben nach dem Weltsozialforum in Porto Alegre mit 50000 TeilnehmerInnen in Barcelona 500000 und zuletzt in Rom 2 Millionen DemonstrantInnen deutlich gemacht, daß der Widerstand gegen das Diktat einer Handvoll Konzerne und ihnen dienender Regierungen eine neue Stufe erreicht. Am spektakulärsten haben wohl der argentinische Aufstand und die dort geschaffenen neuen Organisationsformen bewiesen, dass die Geduld der Bevölkerung mit von IWF und Konzernen verordneten Sparhaushalten, Privatisierungen, Massenentlassungen und Ausplünderung im Interesse der Reichen nicht grenzenlos ist.

3.) In Deutschland drückt sich die wachsende Unzufriedenheit und Kampfbereitschaft auch in dem faktischen Scheitern des "Bündnisses für Arbeit" und der anstehenden harten Tarifauseinandersetzung aus. In Berlin hatte zudem die Empörung über den - nicht nur von der CDU - organisierten Raubfeldzug bei der Berliner Bankgesellschaft zum Platzen der SPD/CDU-Koalition und dem vorläufigen Scheitern ihrer Sparhaushalte geführt. Dass die neue SPD/PDS-Koalitionsregierung nun versucht, noch wesentlich brutalere Sparhaushalte, Massenentlassungen, Privatisierungen, Lohnsenkungen und Schließungen von öffentlichen Einrichtungen wie Schwimmbädern durchzuführen, macht deutlich, dass der Widerstand wesentlich verbreitert werden und eine neue Stufe erreichen muß.

4.) Es ist höchste Zeit, dass die verschiedenen Bevölkerungsteile, die gegen die antidemokratische und arbeitnehmerfeindliche Politik von Unternehmern, Bundesregierung und Senat kämpfen wollen, zusammenkommen und darüber beraten, wie dieser Kampf am besten organisiert werden kann. Hierzu hätte das Personenbündnis zum 1. Mai trotz aller anfänglicher inhaltlicher Mängel und Unterschiede ein geeigneter und konkreter erster Schritt in die richtige Richtung werden können. Dies auch deshalb, weil die Gewerkschaften im DGB trotz einiger positiver Entwicklungen auch dieses Jahr wieder nicht ihr Potential zur Verfügung gestellt haben, um den Rahmen für einen kämpferischen 1. Mai und Veranstaltungen zu schaffen, der zum Ausgangspunkt für breiten und wirksamen politischen, gewerkschaftlichen und sozialen Widerstand auch über den 1. Mai hinaus werden könnte.

5.) Unbestreitbar ist dieses Personenbündnis heterogen und widersprüchlich, aber dies hätte auch gemeinsame neue Erfahrungen ermöglichen können. Obwohl wir viele Vorstellungen wie z.B. von Peter Grotian nicht teilen, muß doch seine positive Rolle im Kampf besonders für die Verteidigung demokratischer Freiheiten anerkannt werden; sein "Reformismus" unterscheidet sich fundamental von dem eines Gysis, Wowereits oder Schröders, da er nicht nur gegen die mit dem Sparhaushalt begründete Zerschlagung der Universitäten und die Beschneidung demokratischer Freiheiten kämpft, sondern auch z.B. an Streikvorbereitungen gegen den BRD-Kriegseintritt beteiligt war.
Das Bündnis hätte konkret vor Ort eine der positivsten Erfahrungen der weltweiten Antiglobalisierungsbewegung aufgreifen und umsetzen können und müssen. Diese bezieht einen großen Teil ihrer Überzeugungskraft daher, dass in ihr bewußt ein Spektrum von Kräften zusammenarbeitet, das von SozialistInnen, die die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung des Kapitalismus sehen, bis hin zu AnhängerInnen der Vorstellung der Möglichkeit seiner "Humanisierung" reicht.
Um mit unseren bescheidenen Kräften einen Beitrag zur Überwindung der Spaltung der kämpferischen Linken und der Schaffung neuer Organisationsformen zu leisten, haben wir uns im Personenbündnis 1. Mai besonders für das Zustandekommen zweier Veranstaltungsschwerpunkte eingesetzt - auch wenn diese keineswegs alle sinnvollen Aktionen umfassen:

a) Ein Forum der kämpferischen betrieblichen und gewerkschaftlichen Kräfte. Sowohl in der Metallindustrie als auch im öffentlichen Dienst und besonders den Krankenhäusern besteht ein großer Bedarf, an die Öffentlichkeit zu treten und über konkrete Schritte zu diskutieren, wie auch über den 1. Mai hinaus der Kampf für eine Politik organisiert werden kann, die sich nicht den Interessen von Unternehmern, Senat und willfährigen Bürokraten unterordnet. Dies gewinnt im Rahmen des notwendigen Widerstands gegen den SPD/PDS-Sparhaushalt eine unverzichtbare Bedeutung. Aber nicht minder wichtig ist die Verbindung mit Kämpfen, wie sie besonders in der Metallindustrie für substantielle Lohnerhöhungen und die Beendigung von Stillhalteabkommen wie dem Bündnis für Arbeit zum Ausdruck kommen.

b) Die Solidarität mit dem Aufstand des palästinensischen Volkes. Die vom Solidaritätsbündnis für Palästina organisierte Demonstration von 5000 Personen am 16.3 und die bundesweite Demonstration am 13.4. sind erste Schritte für den Aufbau einer breiten Bewegung, ohne die es sehr schwer sein wird, erfolgreich gegen die deutsche Kriegsbeteiligung, Rassismus und den Abbau demokratischer Rechte und für das Selbstbestimmungsrecht einzutreten. Am 1. Mai in Berlin aktiven PalästinenserInnen die Möglichkeit zu bieten, ihre Sicht der Dinge auch einem breiteren Publikum darzustellen, kann helfen, die politische Isolierung und Verteufelung dieses wichtigen Widerstandes gegen die herrschende Weltordnung zu durchbrechen.

5.) Leider hat aber die bisherige Entwicklung gezeigt, dass das Personenbündnis nicht in der Lage ist, tatsächlich bessere Bedingungen für die notwendige Organisierung und Koordinierung der Kämpfe und programmatischen Debatten zu schaffen. Im Gegenteil, die Spaltung hat sich zunächst vertieft, und dazu haben unvermeidliche Schwächen, aber auch Fehler wichtiger Teile des Bündnisses beigetragen. Erstens wurde nicht hinreichend versucht, die Aktionen für einen kämpferischen 1. Mai und entsprechende Veranstaltungen mit den seit langem vor Ort aktiven Kräften gemeinsam zu diskutieren, zu planen und zu koordinieren und so tatsächlich eine neue politische Qualität zu schaffen. Zweitens wurde es mit dem Konzept des polizeifreien 1. Mais in die Hände von Körting & Co gelegt, darüber zu entscheiden, ob und welche Aktivitäten und unter welchen Bedingungen stattfinden. Unterdessen ist offensichtlich, dass sie jede mißliebige Demonstration und Aktionsform zu verbieten trachten und damit die Linie des totalen Demonstrationsverbots vom 1.Mai letzten Jahres in abgewandelter Form fortsetzen, mit der sie aber dank des Widerstands großer Teile der Bevölkerung schon damals gescheitert waren. Jeder, der das brutale Abräumen des Marianenplatzfestes durch die Polizei letztes Jahr erlebt hat, konnte sich ein eigenes Bild über die wirklichen Organisatoren "ritualisierter Gewalt" machen.
Trotz eindeutiger Abstimmungen im Bündnis, die von Anfang an klare Stellungsnahmen gegen jegliche polizeiliche Repressionsmaßnahme in den Vordergrund stellten, entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, die Forderung nach einen gewaltfreien 1.Mai richte sich in erster Linie an die BewohnerInnen Kreuzbergs, ihren Widerstand aufzugeben. Angesichts der brutalen Sparhaushalte und des wiederholten Bruchs von Wahlversprechen durch den SPD/PDS-Senat kann dies aber nur als eine Unterstützung von Befriedungskonzepten von Kommunalpolitikern verstanden werden, die lediglich ungestört ihre Politik im Interesse der Reichen und Spekulanten fortsetzen wollen.
Wer tatsächlich möchte, dass sich die Empörung gegen diese Politik nicht in verzweifelten Aktionen lediglich am 1. Mai Bahn bricht, muß dazu beitragen, dass in den Stadtteilen, Betrieben, Schulen und Universitäten tatsächlich gemeinsamer Widerstand organisiert wird. Wir müssen dafür sorgen, dass die Opfer der Angriffe sich wehren, organisieren, koordinieren und darüber diskutieren können, wie dies am besten angegangen werden kann.

Es ist keine Schande zuzugeben, dass das Konzept des Personenbündnisses sich dafür nicht als geeignet erwies und wir andere Wege finden müssen. Angesichts der großen Herausforderungen und Veränderungen sind Fehler von uns allen unvermeidlich. Unverzeihlich wäre lediglich die Weigerung, daraus zu lernen und miteinander für die Erarbeitung eines Programmes zu diskutieren, um gemeinsam handeln zu können.
Wir plädieren dafür, zu versuchen, am 1. Mai trotz aller Schwierigkeiten doch noch einige Veranstaltungen hinzubekommen, sich neben den Demonstrationen des DGB´s und eventuell erforderlicher Maßnahmen gegen Naziaufmärsche auch an der Demonstration um 16 Uhr zu beteiligen und - falls diese ebenfalls verboten werden sollte - breit für die Verteidigung des Demonstrationsrechts zu mobilisieren.

D. Schumann (Sozialistische Initiative/Sozialistische Liga - was tun!)
Carsten Becker (ver.di, Berliner Charite*)
Hakan Doganay (IG Metall Ortsvorstand Berlin*)


* Funktionsangaben dienen lediglich zur Kennzeichnung der Personen

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