BLICK NACH SÜDEN, BLICK NACH NORDEN

Ich hatte mich eines Nachts in Johannesburg verfahren und geriet am Ende in eine wilde Verfolgungsjagd mit ein paar verrückten weißen Typen, von denen der eine gerade versucht hatte, mit der Faust mein Wagenfenster einzuschlagen.

Ich war für zwei Wochen nach Johannesburg gekommen, als Vertretung für unseren Korrespondenten Paul Taylor, der in Urlaub gefahren war. Ich war mit einem Freund essen gewesen und versuchte mich durch Johannesburgs Straßen durchzuschleusen und die Straße zu finden, die mich wieder zum Highway zurückbringen würde. Ich entdeckte sie ein paar Sekunden zu spät und mußte deshalb schnell die Fahrspur wechseln. Dabei hatte ich offenbar zwei weiße Typen in einem dunkelfarbenen Sedan geschnitten, die alles andere als erfreut waren, von einem feinen schwarzen Pinkel in einem nagelneuen Sportwagen so dreist behandelt zu werden.

Sie verfolgten mich ein paar Straßen weit, wild hupend und mit aufgeblendeten Scheinwerfern. Als ich an der nächsten roten Ampel anhalten mußte, stellte sich der dunkle Wagen vor mich und blockierte die Fahrbahn. Scheiße, dachte ich, auch das noch. Das ist genau das, was du jetzt brauchst! Es war ein paar Monate vor Südafrikas erster Wahl, bei der alle Rassen zugelassen waren, und das Land schien zeitenweise am Rande eines Bürgerkriegs zu stehen. Du hast gute Chancen, daß die Jungs Waffen bei sich haben, dachte ich.

Während ich noch überlegte, was wohl als nächstes kommen würde, sprang einer der Typen aus dem Wagen, rannte zu meinem Seitenfenster und hämmerte wie ein Verrückter mit der Faust darauf los. Er riß meinen Seitenspiegel ab und verbog die Antenne. Er schrie wie wahnsinnig, aber ich konnte nichts verstehen. Die Scheibe war hochgedreht, und ich war zu sehr damit beschäftigt, mir etwas einfallen zu lassen, wie ich verdammt noch mal hier wieder rauskommen sollte.

Ich rammte den Rückwärtsgang ein und zog den Wagen ganz schön scharf und, wie ich dachte, eindrucksvoll nach hinten, achtete darauf, den Burschen, der an mein Fenster schlug, nicht zu überfahren, schaltete dann blitzschnell in den ersten Gang und raste, so schnell ich konnte, an dem anderen Wagen vorbei davon. Im Rückspiegel sah ich, daß sie die Verfolgung wieder aufgenommen hatten, vermutlich noch wütender als zuvor, weil ich ihnen entwischt war. Fahr nach Alex, dachte ich.

"Alex" ist die Abkürzung für die dicht zusammengepferchte, schmutzige schwarze Township Alexandria, ein Quadratkilometer menschliches Leid, auf dem vierhunderttausend schwarze Männer, Frauen und Kinder im Schatten der schimmernden Bürohäuser, der Einkaufszentren und der gepflegten Rasenflächen des weißen Vororts Sandton jenseits eines vierspurigen Highways wohnen. "Alex" wurde bereits 1912 zum Schwarzenviertel erklärt, aber 1958 erkannten die Architekten der südafrikanischen Apartheidspolitik, daß diese konzentrierte Ansammlung von Schwarzen zu nah an der Stadt lag, um sich sicher zu fühlen, und so entstand der Plan, die Bewohner von Alex in die sicheren Grenzen des fernen Soweto zu evakuieren. Als sich die Bewohner von Alex dagegen wehrten, begannen die Behörden 1966 sie mit Gewalt umzusiedeln, solange bis Alex zwölf Jahre später einen Aufschub erwirkte. Als dann die verhaßten Passierscheingesetze, die die Bewegungsfreiheit der Schwarzen eingeschränkt hatten, verschwunden waren und die Schwarzen überall in der Stadt wohnen durften, begann die Bevölkerung von Alex wieder zu wachsen - hauptsächlich infolge seiner günstigen Lage, besonders für die schwarzen Putzfrauen, die nur über den Highway mußten, um in ein Minivan-Taxi zu steigen, oder sogar zu Fuß die Häuser erreichen konnten, die sie für ihre wohlwollenden weißen Arbeitgeber putzen durften.

Ich war an diesem Morgen für ein paar Interviews nach Alex gefahren und hatte mir von einem örtlichen Gemeindeverwalter und Friedenskämpfer namens Linda Twala den Stadtteil zeigen lassen. Ich wußte im Prinzip, wie ich da hinkommen würde, und war ziemlich zuversichtlich, daß solche weißen Typen, die mit ihrem Wagen hinter einem Schwarzen her waren, ihm höchstwahrscheinlich nicht in ein geschlossenes schwarzes Township folgen würden. So war das eben in Südafrika. Schwarze und Weiße lebten getrennte Leben, und vor allem Weiße hatten Angst, sich in einen Stadtteil zu wagen, in dem viele arme Schwarze wohnten. Eigentlich wie in Detroit, dachte ich amüsiert.

Es zeigte sich, daß ich recht hatte. Der Wagen hinter mir blieb mir die ganze Fahrt über auf dem Highway auf den Fersen, bis klar wurde, daß ich Richtung Alex fuhr. Ich sah im Rückspiegel, wie die Scheinwerfer schwächer wurden und der Wagen zurückblieb, bis er schließlich verschwand.

Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und war überrascht, wie stark mein Herz klopfte. Bei der ersten Gelegenheit machte ich einen U-Turn und fuhr in die "Sicherheit" der weißen Vororte zurück. Die weißen Burschen, die mich verfolgt hatten, konnten es nicht wissen, aber auch ich hatte kein sonderliches Interesse daran, bei Nacht nach Alex hineinzufahren. Die Wahrheit ist, daß ich ebenfalls Angst hatte.

Ist das nicht eine Ironie? Hier bin ich, ein Schwarzer in Südafrika, und beim ersten Anzeichen einer "weißen" Gefahr suche ich Sicherheit bei Typen meiner Art, in Alex. Ich rechnete einfach damit, daß die Bewohner des Townships, wenn sie einen Schwarzen sehen, der offensichtlich in der Klemme saß und von ein paar weißen Rabauken verfolgt wurde, mir schon allein aus schwarzer Solidarität zu Hilfe gekommen wären. Und diese weißen Burschen hätten von Glück sagen können, wenn sie da lebend rausgekommen wären.

Aber ich allein nachts nach Alex fahren? Sorry, auf keinen Fall. Solidarität? In diesem Fall keine, da war ich mir sicher. Dieselben Schwarzen, die mir vielleicht gegen den gemeinsamen weißen Feind geholfen hätten, hätten mir genauso schnell einen Stein an den Kopf werfen können und mich in einem Graben liegengelassen, um an meine Autoschlüssel und meine Brieftasche zu kommen.

Komischer Ort, dieses Südafrika. Seine krankhaften Verrücktheiten zwingen die Menschen zu dieser Art rassischen Gruppendenkens. Da ich immer nur kurze Zeit dort war, verbrachte ich schließlich die meiste Zeit in den angenehmen klimatisierten Einkaufszentren, in den Restaurants der nördlichen Vororte, die gerade "in" waren, und auf Dinnerparties weißer Freunde und Kollegen, auf denen darüber diskutiert wurde, ob das Land unter Nelson Mandela, seinem ersten schwarzen Präsidenten, zur Hölle fahren würde oder nicht. Die Situation ähnelte der, in der ich mich befunden hatte, als ich in Kenia ankam. Und es hatte nicht lange gedauert, bis auch ich in diese Art rassischen Gruppendenkens verfiel und mich, kaum daß ich mich bedroht fühlte, nach Alex flüchtete, in den Schutz meiner schwarzen Sippe.

Ich dachte noch ziemlich lange über diesen kleinen Zwischenfall nach, nicht weil das Schauspiel an sich so wichtig oder dramatisch gewesen wäre - ich bin sicher, daß so etwas in Südafrika jeden Tag passiert -, sondern dessentwegen, wofür er stand. Mein ganzes Leben lang habe ich - als schwarzes Kind, das in einem weißen Land aufwuchs - mich dagegen gewehrt und es verabscheut, mich für die eine oder die andere Seite entscheiden zu müssen. Ich hatte immer vermeiden wollen, über meine Hautfarbe definiert zu werden; vermutlich erinnerte ich mich an Martin Luther Kings Vision, daß es dein Charakter ist, der zählt. Deshalb ärgerte mich auch die Forderung so sehr, ich hätte ein "schwarzer Reporter" zu sein statt einfach ein guter Reporter. Und in Afrika war es genau aus diesem Grund, daß ich mich weigerte, den verschiedenen afrikanischen Despoten und ihren Sprechern auf den Leim zu gehen, wenn sie mir irgendwie zu verstehen gaben, daß man von mir als schwarzem Journalist eine wohlwollendere Berichterstattung und mehr Verständnis erwartete. Ich wollte in keine Schublade gesteckt oder von irgendeiner Seite vereinnahmt werden.

Aber Südafrika schaffte es, alle meine Vorsätze auf den Kopf zu stellen. Hier führt nichts an der Tatsache vorbei, daß jeder - auch ich - aufgrund seiner Hautfarbe definiert und kategorisiert wird.

In diesen Monaten vor der Wahl stand Südafrika vor dem Abgrund. Obwohl die Entscheidung, die weiße Herrschaft zu beenden und die erste schwarze Regierung zu wählen, bereits gefallen war, bestand die große Gefahr, daß das Land in einen ausgewachsenen Bürgerkrieg abrutschte. Glücklicherweise passierte das nicht. Aber während dieser unsicheren Monate fragte ich mich oft: Wenn ich in Johannesburg leben und ein Rassenkrieg ausbrechen würde, auf welcher Seite würde ich dann stehen? Von uns Journalisten wurde natürlich erwartet, daß wir neutral blieben, um über alle Aspekte eines Konflikts berichten zu können. Aber ein Rassenkrieg? Wäre ein schwarzer amerikanischer Journalist bei einem solchen Konflikt zur Neutralität fähig? Konnte ich überhaupt erwarten, daß man mich als Außenstehenden, als bloßen Beobachter akzeptieren würde? Oder würde ich mich womöglich wieder gezwungen sehen, mich in die "Sicherheit" von Alex zurückzuziehen? Gab es überhaupt irgendeinen Zweifel daran, auf welcher Seite ich stünde?

Ich reiste viermal nach Südafrika - zweimal vor den Wahlen von 1994, die Nelson Mandela und den ANC an die Macht brachten, und zweimal danach. Ich hatte viel zu wenig Zeit, um mehr als einen oberflächlichen Eindruck zu gewinnen und die Komplexität dieses riesigen und schwierigen Landes in allen Schichten zu begreifen. Aber bei jedem Aufenthalt faszinierte und erstaunte es mich mehr. In gewisser Hinsicht war Südafrika jenes Land auf dem Kontinent, das am meisten wie Zuhause, wie Amerika, aussah und roch. Von dem Moment an, wo du auf dem modernen Jan Smuts International Airport landest und fröhlich beschwingt die erfrischend effizienten Zoll- und Einwanderungsprozeduren passierst, bis hin zu dem Augenblick, wo du auf einem der supermodernen Highways entlangrast, in der Ferne die Skyline Johannesburgs im Blick, hast du auch schon den Eindruck, daß dies leicht eine mittelgroße amerikanische Stadt im mittleren Westen Amerikas sein könnte. Die Einkaufszentren - und Johannesburg ist wahrlich eine Stadt der Einkaufszentren - sehen alle genauso aus wie die von Washington bis Detroit und Dallas. In einer der besseren Einkaufspassagen Johannesburgs erinnert den Besucher tatsächlich nichts daran, daß er sich in Afrika befindet, mit Ausnahme der paar Läden hie und da, die afrikanisches Kunsthandwerk und Souvenirs zu horrenden Preisen verkaufen. Doch obwohl dies eine westliche amerikanisierte Stadt ist, wurde sie mitten in ein schwarzes Land auf einem schwarzen Kontinent verpflanzt, und an diese entscheidende Tatsache kann man unter Umständen sehr schnell wieder erinnert werden. So sehr das weiße Südafrika auch versucht hat, sich abzugrenzen, Afrika brauchte nicht lange, um solche Grenzen zu überwinden. Dies ist ein Ort auf dem Globus, an dem die entwickelte und die sich entwickelnde Welt im wahrsten Sinn des Wortes dicht auf dicht, Wange an Wange beieinander leben, und diese explosive Mischung ist ebenso komisch wie oft auch bizarr.

An meinem ersten Arbeitstag in der südafrikanischen Redaktion der Post kam eine dringende Nachricht von der South African Press Association über den Ticker: Ein unidentifizierter Bewaffneter oder mehrere Bewaffnete mit zumindest einer AK-47 habe gerade auf eine Gruppe schwarzer Arbeiter geschossen, die an ihrem freien Tag ein Sonntagstreffen ihrer Beerdigungsgesellschaft abhielten, einer Art Versicherungsfond für Arbeitnehmer, der für die Beerdigungskosten der Angehörigen ihrer Familien aufkommt. Es war in den östlichen Vororten passiert, in Germiston, in der Nähe des Scaw Metals Stahlwerks, in dem sandigen Industriegebiet, das etwa 14 Kilometer außerhalb der Stadt liegt. Einige der Opfer hatten außerhalb des Stahlwerks gesessen, ihren Lunch gegessen und getrunken. Eine erste Zählung ergab mindestens zwölf Menschen, die auf der Stelle tot gewesen waren, und zwölf Verwundete, und eine Stunde nach der Schießerei konnte man die Körper noch immer auf dem Betonboden vor der Fabrik liegen sehen.

Der Überfall selbst schien mir nichts Besonderes zu sein - zu dieser Zeit hatte er nicht einmal Nachrichtenwert, da diese Art von Gewalttaten in Südafrika in den Monaten vor der Wahl an der Tagesordnung war. Das meiste Blutvergießen wurde verursacht durch die andauernden politischen Kämpfe zwischen den Anhängern von Mandelas African National Congress und der rivalisierenden Inkatha Freedom Party oder IFP, der größtenteils aus Zulus bestehenden Partei von Häuptling Mangosuthu Buthelezi. Es sollte sich erst sehr viel später herausstellen - obwohl der ANC es bereits zu dieser Zeit behauptete -, daß ein großer Teil der gewalttätigen Aktionen hinter den Kulissen von einer "dritten Macht" organisiert wurde, von Hardlinern der weißen südafrikanischen Sicherheitspolizei und des Geheimdienstes. Inkatha war in dieser Zeit noch gegen die geplanten Wahlen - +Buthelezi gab seinen Boykott erst in letzter Minute auf -, und Schießereien und Massaker wie die vor dem Scaw Metals Stahlwerk waren fast an der Tagesordnung. Tatsächlich hatte sich die Schießerei an diesem Sonntag nur einen Kilometer weit von dem Platz entfernt ereignet, an dem vor ungefähr einem Monat sieben Zulu-sprechende IFP-Anhänger aus einem Minibus gezerrt und von unbekannten schwarzen Bewaffneten erschossen worden waren.

Vielleicht war ich schon zu lange auf dem Kontinent, aber diese Art von Gewalt war für mich fester Bestandteil einer afrikanischen Wahl. Und zwölf Tote schienen nach hiesigem Maßstab nichts Weltbewegendes zu sein. Es waren auf jeden Fall weniger als bei irgendeinem Ausbruch von Stammesabschlachtungen, wie sie von der kenianischen Regierung im Rift-Valley inszeniert wurden. Ein Dutzend Tote klang eher nach dem Preis, der für eine Wochenendschlägerei in einer der Kneipen von Bujumbura zu zahlen war.

Nein, was mich überraschte, war nicht das Verbrechen selbst, sondern die Reaktion der Polizei. Die Polizisten - meist übertrieben diensteifrig aussehende weiße Beamte mit geröteten Gesichtern - kamen und taten, was man von der Polizei auch in jeder amerikanischen Stadt erwartet hätte, wenn ein Verbrechen begangen wurde. Sie sperrten den Bereich ab. Sie kennzeichneten die Stellen auf dem Boden, an denen die Opfer lagen. Sie kämmten die Gegend nach Fingerabdrücken durch oder wonach immer eine Spurensicherung in Südafrika Ausschau hält. Und ein übereifrig aussehender älterer Kommissar stellte sich den Fernsehkameras, blickte düster aber entschlossen drein und versprach eine "gründliche Untersuchung", um die Verbrecher zu finden, die einen so brutalen abscheulichen Überfall begangen hatten.

Ich mußte fast lachen, so komisch war die Szene, so absurd in vielerlei Hinsicht. Erstens war es durchaus möglich - ja sogar wahrscheinlich - daß dieselben Polizisten in ihren weißen Hemden die Killer mit Waffen und Fluchtautos versorgt hatten. Darüber hinaus war allgemein bekannt, daß die südafrikanische Polizei, die SAP, eine der inkompetentesten Polizeiorganisationen der Welt war, wenn es um Detektivarbeit oder auch nur um die Aufklärung primitivster Kriminalfälle ging. Seit Jahren war die SAP hauptsächlich ein Instrument zur Unterdrückung der Schwarzen, mit dem Ergebnis, daß die Polizeioffiziere und Polizeianwärter in den grundlegendsten Dingen der Polizeiarbeit kaum Erfahrung besaßen. In den alten Tagen der Passierscheingesetze und Personalkontrollen unter der Apartheid bedeutete "ein Verbrechen aufklären", daß man einen Schwarzen, den man nach Sonnenuntergang auf der Straße antraf, ins Gefängnis warf. Nachdem diese Gesetze mit dem Zusammenbruch der "harmlosen Apartheid" abgeschafft worden waren, stand die SAP auf verlorenem Posten.

Was mich aber wirklich erstaunte, war der Wahnsinn dieser Heuchelei. Dieses Verbrechen würde nie aufgeklärt werden! Wir waren hier schließlich in Afrika, und Verbrechen wie dieses geschahen jeden Tag - noch mehr namenlose, gesichtslose Opfer für die Buchführung.

Es erinnerte mich an einen Satz aus dem Film Apocalypse Now - ein Film, der auf dem Roman von Joseph Conrad, Heart of Darkness, basiert -, in dem es hieß, das Übel lauere im geheimnisvollen Belgisch-Kongo. Martin Sheen, der im Film einen amerikanischen Geheimagenten spielt, fährt flußaufwärts nach Kambodscha, um den abtrünnigen Colonel Kurtz umzubringen, der überlief, nachdem er angeklagt worden war, der Spionage verdächtige Vietcongs gefoltert und getötet zu haben. Sheen, als Erzähler, sagt trocken, daß einen Mann an einem solchen Ort des Mordes anzuklagen ungefähr dasselbe sei, wie wenn man auf der Rennstrecke von Indianapolis Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verteile. Und genau so kam es mir vor, als ich diesen weißen Polizisten zusah, wie sie eifrig ihre "Untersuchung" von etwas durchführten, was im Grunde nur eine weitere afrikanische Schlachterei war - und dazu noch eine, für die die Polizei vermutlich selbst verantwortlich war. Man zieht in Afrika nicht los und fängt Jungs mit AK-47ern und Skimasken - man begräbt die Toten und geht weiter.

Aber das war es, was in diesem Land, Südafrika, so anders war. Die Weißen hier lebten in einer völlig anderen Welt, einer Welt, in der man sich wirklich an die Arbeit machte, Tatorte absperrte und die Umrisse der Körper mit Kreide markierte, wo man die Opfer identifizierte, bevor man sie in ein Massengrab warf, und wo man sogar Untersuchungen durchführte und das rechtschaffene Versprechen abgab - egal, wie verlogen es auch war -, die Täter vor Gericht zu bringen. Ich sah zu, wie zwei Wertesysteme miteinander kollidierten, das "westliche" mit dem "afrikanischen". Das "wirkliche" Afrika, das Afrika, das ich weiter nördlich gesehen hatte, brach immer schneller in ihre abgeschirmte kleine Welt herein - sie waren nur nicht bereit, es zuzugeben. In Südafrika versuchte man immer noch, den Schein von westlichen Tugenden und Feingefühl zu wahren. In Südafrika zählte man die Körper noch.

Natürlich gab es neben der Entwicklung der materiellen Infrastruktur noch eine ganze Reihe weiterer Gründe, warum Afrika in jenen Tagen Amerika sehr ähnlich sah. Der vielleicht wichtigste ist, daß die beiden Länder eine ähnliche Geschichte weißer Unterdrückung und gesetzlicher Diskriminierung von Schwarzen haben, allerdings mit einem grundlegenden Unterschied - in den USA sind die Schwarzen eine kleine Minderheit, während in Südafrika Schwarze bei weitem die Mehrheit bilden. Dieser Unterschied ist aus einem einzigen Grund zentral: In Amerika konnte die weiße Mehrheit der Forderung der Schwarzen nach Wahlrecht und Gleichheit vor dem Gesetz nachgeben - was sie schließlich auch tat -, ohne wirklich Angst zu haben, ihre Macht zu verlieren. In Südafrika sah es genau umgekehrt aus: Den Schwarzen das Wahlrecht zu geben bedeutete das Ende der weißen Herrschaft, und das war etwas, was viele Weiße, wie sehr sie auch ihre Betroffenheit über die Situation der Schwarzen betonten, nur ungern akzeptieren wollten.

Die Haltung der Weißen zu verstehen, die Wurzeln des Rassismus wirklich zu begreifen - vielleicht Parallelen zu den Vereinigten Staaten zu finden - wurde für mich zu einem Thema, das mich brennend interessierte. Vielleicht fand ich es deshalb so spannend, weil es, oberflächlich betrachtet, wie ein Oxymoron wirkte. Wie konnte ein Weißer, der in Afrika lebte, die Schwarzen hassen? Und wenn er Schwarze haßte, warum zum Teufel lebte er auf einem schwarzen Kontinent, umgeben von vierhundert Millionen Schwarzen? Rassistische Haltungen an einem Ort wie Südafrika schienen mir zu kompliziert zu sein, um sie mit vereinfachenden abweisenden Phrasen wie "weißer Rassismus" abzutun. Mir erschien das eher als das Symptom des Problems, nicht aber als die Ursache selbst.

Dennoch wollte ich die einfache "Alle Weißen in Südafrika sind Rassisten"-Erklärung glauben, als ich das erste Mal nach Südafrika kam. Die Situation dort wäre so viel leichter zu verstehen, wenn allein blinder Rassismus die weiße Minorität dazu getrieben hätte, den schwarzen Afrikanern ein so brutales System wie die Apartheid aufzuerlegen. Als ich ankam, ging ich mit einer Art emotionalem Chip im Kopf herum. Ich war nervös gewesen, aber nach meiner kleinen Autoverfolgungsjagd fühlte ich mich etwas mutiger. Außerdem freute ich mich auf die Gelegenheit, einen weißen Rassisten von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen, vielleicht in einem dieser modischen Einkaufscenter-Restaurants in den nördlichen Vororten oder während ich in einer der Yuppie-Bars in der Innenstadt darauf wartete, bedient zu werden. Meine Ohren waren gespitzt, um jede nur mögliche gewisperte Beleidigung wahrzunehmen, und ich achtete genau auf eventuell hochgezogene Augenbrauen oder alarmierte Blicke, wann immer ich eine Bank betrat, um Geld zu wechseln, oder einen Kuriositätenladen, um mich nach Postkarten umzusehen.

Wenn ich ängstlich und auf der Hut war - und ich war nach der Autojagd immer noch ziemlich nervös -, so rührte das daher, daß ich mit einer ganzen Litanei von Geschichten versehen hier ankam, alle über Rechtsbeugung und Gewalt, die mir bestimmend zu sein schienen für die Art, wie die weißen Südafrikaner die schwarze Mehrheit betrachteten. Wie zum Beispiel die Geschichte des weißen Paares, das wütend darüber war, daß sein reinrassiger Hund von dem Hund eines Schwarzen gedeckt wurde, und das den Schwarzen daraufhin umbrachte und tatsächlich von einem verständnisvollen weißen Richter und einem von Weißen beherrschten Rechtsprechungssystem zu einer milden Strafe verurteilt wurde. Die weißen Mörder waren Umsiedler aus Rhodesien gewesen, die in diesen letzten Stützpunkt des weißen Rassismus gezogen waren, als ihr eigenes Land sich den Reihen der schwarzen Staaten anschloß. Südafrika war zur letzten Bastion sämtlicher weißen Rassisten in der Welt geworden, eines vorherrschaftsbesessenen Abschaums, der aus dem Norden in den Süden gekommen war, nachdem ein Land nach dem anderen den Wechsel von der weißen Kolonialherrschaft zu einer schwarzen Herrschaft vollzogen hatte. Einige Weiße wie die in Kenia hatten sich entschlossen zu bleiben, hatten die kenianische Staatsbürgerschaft angenommen und waren es zufrieden, ruhig vor sich hinzumurren, wie viel besser das Leben in den "alten" Tagen gewesen sei. Aber andere hatten ihre Sachen gepackt und waren nachts über die Grenze von Tansania nach Sambia geflohen und von dort schließlich nach Rhodesien. So war Rhodesien zum letzten Außenposten der weißen Vorherrschaft in Afrika geworden. Aber auch das änderte sich 1980 mit der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung, die den Weg für die erste demokratische Wahl ebnete, an der alle Rassen teilnehmen durften und die Rhodesien zur unabhängigen schwarzen Nation Zimbabwe machte. Wieder entschieden sich viele Weiße zu fliehen, einige nach Australien und Neuseeland, aber viele in Richtung Süden, nach Südafrika, wo sie nun mit dem Rücken zum Meer standen und beschlossen, dieses Land als die wahrhaft letzte Bastion des weißen Mannes in Afrika zu verteidigen. Dort schloß sich ihnen eine höchst zwielichtige Ansammlung osteuropäischer Faschisten, Rassisten, Nazis und Skinheads an, alle zusammengedrängt an der südlichsten Spitze des schwarzen Kontinents, konfrontiert mit einem Afrika, das Tag für Tag mehr in ihr geschütztes weißes Universum vordrang.

Das ging mir durch den Kopf, als ich durch Südafrika reiste - ein schwarzer Amerikaner in der letzten Bastion weißer Vorherrschaft. Dies sind die verrücktesten Weißen der Welt, dachte ich, und sie müssen mich feinen schwarzen Pinkel aus Amerika einfach hassen, weil ich die Zukunft verkörpere, die sie fürchten.

Zum größten Teil war wohl ich derjenige, der eines besseren belehrt wurde. Von meiner Verfolgungsjagd einmal abgesehen, fand ich nicht die Konfrontation, derentwegen ich eigentlich gekommen war. In Wirklichkeit erlebte ich die weißen Südafrikaner, die ich kennenlernte, als ziemlich zuvorkommend und höflich, was mich vielleicht mehr enttäuschte und verwirrte, als wenn es umgekehrt gewesen wäre. Meistens erkannten sie sofort an meinem Akzent, daß ich nicht von hier war, und fingen an, mir Fragen zu stellen. Wo kommen Sie her? Wie lange sind Sie schon hier? Und dann wollten sie unweigerlich wissen, wie die Amerikaner die Lage in Südafrika einschätzten und was ich dächte, wie die Sache ausgehen würde. Es war fast so, als ob sie eine Art Rückversicherung suchten.

An meinem ersten Tag in Johannesburg begann mich ein bohrender Schmerz in meinem Kiefer zu plagen, der vom Unterkiefer bis in mein Ohr ausstrahlte. Nach einigen Tagen wurde der Schmerz stärker, und als ich es nicht mehr aushielt, ging ich zu einem Arzt. Ein weißer Arzt im Vorort Richmond untersuchte mich flüchtig und sagte mir dann, die Ursache dafür sei eine Infektion an der Stelle, an der früher einmal ein Weisheitszahn gewesen sei. Er überwies mich sofort an einen Spezialisten für Wurzelbehandlungen.

Die Praxis des Zahnarztes lag über einem Kino in einer malerischen Flachbausiedlung in einem Vorort namens Norwood, nicht weit von meiner Wohnung entfernt. Und ganz ehrlich, ich hatte wahnsinnige Angst. Was, wenn dieser Typ ein weißer Vorherrschaftsbesessener war? Was, wenn er noch nie zuvor einen schwarzen Patienten behandelt hatte und seine weißen Finger nicht in meinen schwarzen Mund stecken wollte? Was, wenn er einer der Weißen war, die den Gedanken nicht ertragen konnten, daß der weiße Mann in Afrika seine Macht an die schwarze Mehrheit abgeben soll, und in mir - einem gut gekleideten Schwarzen aus Amerika - alle seine innersten Ängste vor den politischen Zielen der Schwarzen verkörpert sah? Ich dachte an den Film Marathon Man, in dem der böse Zahnarzt bei Dustin Hoffman den Bohrer ansetzt, eine der schrecklichsten Folterszenen auf der Leinwand, die ich mir vorstellen kann. Ich fand, daß ich mit meiner Zahnarztentscheidung noch keineswegs durch war. Ich parkte meinen Wagen und ging mehrere Male um den Block, bis schließlich der Schmerz in meinem Kiefer die Angst in meiner Magengrube überwand. Ich ging hinein.

Der Zahnarzt war in der Tat kein böser weißer Suprematist, sondern ein freundlicher Mann mit einem silbergrauen Bart, der aussah wie der Nikolaus. Außerdem trug er eine kleine gelbe Schleife an der Brusttasche seines weißen Kittels - ein Abzeichen, das besagte, daß er zu der schweigenden Mehrheit der Südafrikaner gehörte, die für den Frieden sind. Während er sich in meinem Mund zu schaffen machte, gab er mir einen Überblick über die hiesige politische Szene, die ich erstaunlich einleuchtend fand. Die Gefahr, sagte er, gehe von den Extremisten auf beiden Seiten aus, die die bevorstehenden Wahlen sabotieren wollten. Die Mehrheit der Weißen hätte schon lange die Notwendigkeit von Veränderungen akzeptiert und die Reformen Präsident F. W. de Klerks in einem früheren weißen Referendum unterstützt. Aber jetzt drohten die bewaffneten weißen Revisionisten in ihren Kampfanzügen und Skimasken und die bewaffneten schwarzen Milizen, die in dem anhaltenden Streit zwischen ANC und Inkatha mitmischten, durch ihre Gewalttaten die Pläne des Landes für eine friedliche Entwicklung aus dem Gleis zu heben. Nach einer Weile sah der Zahnarzt mich an und sagte: " Aber als Ausländer glauben Sie bestimmt, daß wir hier alle verrückt sind."

Ja, ich dachte wirklich, daß die Südafrikaner verrückt waren. Da hatten sie das modernste, höchstentwickelte Land des Kontinents aufgebaut, und jetzt schienen seine weißen Extremisten ziemlich versessen darauf zu sein, das ganze Ding zu zerstören, und das nur, weil sie in ihrem blinden Rassismus die Unvermeidbarkeit einer schwarzen Mehrheitsregierung nicht ertragen konnten. Sie hatten sich auf die altbewährte Praxis des "Teile und herrsche" verlassen, hatten zuerst die schwarze Mehrheit nach ethnischen und Stammeszugehörigkeiten auf die zehn sogenannten Homelands verteilt und dann heimlich einen zehn Jahre andauernden schmutzigen Krieg zwischen Inkatha und dem ANC inszeniert. Und jetzt deuteten dieselben einfältigen Rassisten selbstgefällig auf die Gewalt von Schwarzen gegen Schwarze als eindeutigen Beweis ihrer Self-fullfilling prophecy, daß schwarze Herrschaft nur ein Abgleiten in Gewalt und Anarchie bedeuten könne. Die südafrikanische Presse hatte den Gipfel der Inszenierung mit dem Skandal von 1991, dem sogenannten "Inkathagate", bereits entlarvt - Hunderte Millionen von Dollar waren heimlich über polizeiliche Schmiergeldfonds an die Inkatha und eine ihr eng verbundene Gewerkschaft geflossen. Und obwohl das ganze Ausmaß des Betrugs erst später herauskommen sollte, gab es doch bereits zahlreiche Beweise, daß die Polizei tiefer drinsteckte als nur durch Schmiergelder. So war sie zum Beispiel sogar an der Planung von Überfällen beteiligt, besorgte die Waffen und fuhr die IFP-Banditen in Dienstfahrzeugen zum Ort ihrer Überfälle. Tausende wurden bei dieser gewalttätigen Kampagne getötet, und es schien eine Zeitlang so, als würde das Land in einen Bürgerkrieg abgleiten - und all das wegen verrückter weißer Extremisten, die es lieber gesehen hätten, daß das Land vor die Hunde ging, als Nelson Mandela die Macht zu überlassen.

Ich fand auch, daß die Schwarzen ebenso verrückt waren zuzulassen, daß sie in die Falle tappten. Wenn es mich schon erboste, daß die Weißen ihre Zuflucht zu der "Teile und herrsche"-Strategie nahmen, so machte mich erst recht wütend, wie leicht es für sie war, schwarze Emotionen anzufachen, quasi auf den Schalter zu drücken und damit eine Orgie des Blutvergießens zu entfesseln. Die Ausschreitungen verwandelten sich bald in eine Serie von "Wie du mir, so ich dir"-Überfällen und Mordanschlägen, die beide Seiten besudelte, die Inkatha genauso wie den ANC, der in den Townships seine eigenen Vergeltungsschläge veranstaltete. Der Krieg hatte keine ethnischen Gründe, es ging um Macht und um die Furcht Buthelezis, daß seine Machtposition in KwaZulu/Natal unter einer ANC-Regierungsmehrheit geschwächt würde. Aber für mich war die beunruhigende Frage die: Warum ließ die schwarze Mehrheit so etwas zu? Begriffen sie nicht, daß ihre gewalttätigen Auseinandersetzungen unmittelbar dem weißen rechten Flügel in die Hände spielten? Konnten sie sich nicht gegen einen gemeinsamen Feind verbünden und ihre Differenzen zumindest kurzfristig begraben, bis das endgültige Ziel - das Ende der weißen Minderheitsherrschaft - ganz erreicht war?

Vielleicht erwuchs ein Großteil meines Ärgers aus der Perspektive, von der aus ich das Ganze betrachtete; denn ich sah den Kampf gegen die Apartheid nicht nur als Kampf der schwarzen Bevölkerung Südafrikas, sondern als Kampf für die Würde der Schwarzen auf der ganzen Welt. Ich erinnere mich an die Leitartikel, die ich für die Studentenzeitung der University of Michigan geschrieben hatte, wo ich das rassistische Regime in Prätoria angeklagt und die Universität aufgefordert hatte, sich nicht an Konzernen zu beteiligen, die die "Sullivan Principles" mißachteten. Seit der Zeit, als ich ein politisches Bewußtsein entwickelt hatte, schwebte Südafrika wie das letzte große Tugendspiel der Welt über mir, ein edler Kampf zwischen gut und böse, schwarz und weiß - in meinem Kopf gab es keine Doppeldeutigkeiten, nur Gewißheiten. Aber jetzt war ich hier, und ich sah mit Bestürzung, wie der Kampf - mein Kampf - vom Blutvergießen eskalierender Gewalt befleckt wurde. Die Wirklichkeit war nicht so einfach wie ich wollte, sie war zum Verzweifeln komplex. Die bösen Buben waren böse, so viel war klar - aber die Guten waren nicht alle gut -, und manchmal war es schwer, sich daran zu erinnern, wer einstmals eigentlich die Guten gewesen waren. Einige Zeit später besuchte ich ein Business-Seminar, wo sich an die hundert vorwiegend weiße leitende Angestellte und Manager versammelt hatten, um den Vortrag eines schwarzen amerikanischen Psychiaters und Wissenschaftlers namens Price Cobb zu hören, Co-Autor eines Buches mit dem Titel Black Rage. Cobbs Thema lautete Affirmative Action in Amerika , und er war nach Südafrika gekommen, um den weißen Führungskräften zu helfen, mit Themen wie Ungleichheit am Arbeitsplatz und Multikulturalismus umzugehen. Die entscheidende Frage war, wie Cobb sagte, ob Südafrikaner imstande waren, mit der "explosiven Nahtstelle zwischen schwarzer Wut und weißer Furcht" richtig umzugehen. Schwarze Wut war verständlich genug - es war die Wut, im eigenen Land in demütigender Weise unterdrückt zu werden, eine Wut, die sich während eines jahrzehntelangen Erduldens eines kodifizierten, legalisierten Systems von Rassentrennung aufgebaut hatte. Und weiße Angst? "Die Leute fürchten, daß ihr Gärtner am nächsten Montag ihr Banker sein könnte", formulierte es Cobb.

Ich dachte lange und intensiv über dieses Konzept nach: schwarze Wut und weiße Angst. Natürlich war die schwarze Wut evident - sie zeigte sich in den Aufständen der Townships, die schließlich den ehemaligen Präsidenten P. W. Botha dazu zwangen, seine weißen Landsleute zu warnen, "sich anzupassen oder zu sterben". Und ich interpretierte auch die steigende schwarze Kriminalität als einen Ausdruck von Wut, eine "Wiedergutmachung" für die Ungerechtigkeiten der Apartheid. Was ich im Grunde nicht verstehen konnte, war, wie eine so gerechtfertigte Wut so lange unterdrückt werden konnte, warum nicht Horden von Schwarzen über die nördlichen Vororte herfielen und an jeder weißen Familie mit Swimmingpool und elektrischem Zaun blutig Rache nahmen.

Als ich in Alex gewesen war und Linda Twala mir das Township gezeigt hatte, waren wir durch ein schmutziges Squatter- Lager an den Ufern eines kleinen Flusses gegangen, der mit Abfall und Schmutz verstopft war. Ich fragte ihn, warum die schwarzen Bewohner von Alex nicht einfach alle über diesen vierspurigen Highway gingen, weg von all dem Elend, um diese Einkaufszentren und die geräumigen Häuser für sich zu beanspruchen. Er antwortete mir nur, daß das eines Tages tatsächlich passieren könne, wenn die Weißen nicht anfangen würden, sich mit den Problemen dieser Townships zu beschäftigen. "Dort über dem Highway gibt es Tausende von Weißen, die keine Ahnung haben, wie wir hier leben", sagte Twala. "Eines Tages könnten, wenn ein Feuer ausbricht, viele Schwarze anfangen, Weiße zu töten. Eines Tages könnten, wenn die Leute sagen: ,Jetzt ist es genug, dort ist unser Feind’, viele unschuldige Menschen getötet werden.

Um in das Gebiet der Weißen zu kommen, braucht man kein Auto", bemerkte Twala und deutete auf das hohe Hotelgebäude und die Kaufhäuser über dem Highway. "Man kann zu Fuß gehen - und seine AK-47 mitnehmen. Was könnten sie schon tun? Nichts. Viele unschuldige Menschen würden sterben, sogar diejenigen, die versucht hatten, uns Essen zu geben, weil sie dieselbe Hautfarbe haben."

Schwarze Wut und weiße Angst. Nun begann ich es langsam zu verstehen.
Die schwarze Wut hatte mehr Aufsehen in der Welt erregt, aber ich fand die weiße Angst das interessantere Konzept. Vielleicht war es dieses Grundgefühl, das ich gesucht hatte, um den Rassismus in Südafrika zu erklären. Es war Angst. Angst vor den Schwarzen. Angst davor, als winzige und privilegierte Minorität auf einem Kontinent mit vierhundert Millionen Schwarzen zu leben, die sie dreieinhalb Jahrhunderte lang unterdrückt hatten. Und jetzt Angst davor, in einem Land zu leben, das von Schwarzen regiert würde. Angst vor der Rache der Schwarzen für vergangenes Unrecht. Angst davor, daß Südafrika den Weg der anderen afrikanischen Länder einschlagen würde. Angst vor der Zukunft.

In seinem unglaublich starken autobiographischen Buch My Traitor’s Heart beschreibt der weiße südafrikanische Journalist Rian Malan in eindringlicher Prosa, wie ihm allmählich die Erkenntnis dämmerte, daß trotz eines nagenden Gefühls von Abscheu vor den Ungerechtigkeiten, die seine Gesellschaft beging, seine Angst - die Angst vor Schwarzen - der dunkle Mittelpunkt seiner eigenen rassischen Einstellung war. "Manchmal denke ich, daß diese Angst mich schon immer begleitet hat, sogar als Kind, als ich alle Eingeborenen ohne Unterschied liebte", schreibt Malan. "Alle Kinder werden von unbestimmten Ängsten und nächtlichen Schrecken heimgesucht, von dem Gefühl, daß da draußen im Dunkeln etwas ist, etwas Bedrohliches. Das ist wahrscheinlich überall so, aber in den weißen südafrikanischen Vororten hat dieses Bedrohliche immer ein schwarzes Gesicht. Du krochst bis zum Kopf unter die Decke, starr vor Angst, hörtest den Wind an den Fenstern rütteln und wußtest, daß dort draußen ein Schwarzer war."

An einer anderen Stelle im Buch beschreibt Malan, wie er Angst hatte, nach einer Sauftour mit schwarzen Freunden in Soweto zu seinem Wagen zu gehen, und wie eine Panik ihn erfaßte - wild, irrational -, als er an einer Gruppe junger Schwarzer vorbeikam, die am Straßenrand herumhingen. "Ich hatte meine Angst erkannt", schreibt er, "und sie wurde zu einem ständigen Begleiter. Sie überkam mich, wenn die Schwarzen bei meinem Anblick die Faust in den Himmel reckten, wenn ihre Steine auf das Verdeck meines Wagens schlugen, wenn ich nicht verstand, was Schwarze über mich sagten, wenn ich die Augen eines schwarzen Trampers suchte, sogar wenn ich eine Zeitung aufschlug. Es hilft nichts, mir zu sagen, die Angst sei irrational, ja psychotisch. Man ist, was man denkt, und Weiße, die denken, daß Schwarze eine Gefahr für ihr Leben sind, sind in Lebensgefahr. Nach dieser Nacht wußte ich, daß es keine Möglichkeit gab, die schwarze Angst aus meinem weißen Herzen zu vertreiben. Wenn ich das nicht tat - wenn wir alle das nicht taten -, gab es für keinen von uns Hoffnung. Weiße und Schwarze würden sich wie kämpfende Hunde zerreißen, und der Sieger stünde in einer Landschaft von Gräbern und Ruinen."

Starke Worte. Sie halfen mir, zumindest die beginnende Angst der südafrikanischen weißen Bevölkerung ein wenig zu verstehen.

Kriminalität - gewaltsame willkürliche Verbrechen - gehörte schon seit langem zum Alltag der südafrikanischen schwarzen Mehrheit. Schwarze lebten in den gesetzlosen Townships Tag für Tag mit Verbrechen - und zwar nicht nur mit den politischen Morden, sondern mit den bewaffneten Raubüberfällen, den Morden, den Überfällen auf die Vorortzüge, den bewaffneten Auseinandersetzungen der rivalisierenden Taxiunternehmen, die sich um die lukrativsten Strecken stritten, um schwarze Arbeiter nach Johannesburg und wieder zurück zu bringen. Unter der weißen Minderheitsherrschaft wurden Verbrechen, die in den schwarzen Townships geschahen, selten, wenn überhaupt, untersucht - aus den Augen, aus dem Sinn. Und da es oft schwierig war, die politischen Verbrechen von der andauernden Gewalt in den Townships zu unterscheiden, wurden die Statistiken häufig in einen Topf geworfen und malten so ein ernüchterndes Bild von Südafrika als einem der gefährlichsten Länder der Welt, mit einigen zwanzigtausend Mordfällen pro Jahr oder täglich über fünfundfünfzig Morden. Mehrere Übersichten, die anhand von Dienstbüchern der Polizei erstellt wurden, plazierten bezüglich der Zahl der Morde pro hunderttausend Einwohner Johannesburg noch vor New York, Los Angeles und Rio de Janeiro. Zwischen 1990 und Herbst 1993 waren 52 800 Südafrikaner gewaltsam ums Leben gekommen - mehr als doppelt so viel Südafrikaner wie in den beiden Weltkriegen gefallen waren, und nur ein paar hundert weniger als die Gesamtzahl der Verluste im Burenkrieg um die Jahrhundertwende.

Neu war allerdings, daß die Gewalt in Südafrika auch die weißen Gemeinden erfaßte, vor allem die wohlhabenden Vororte im Norden Johannesburgs. Die Angst, mit der die Schwarzen Tag für Tag lebten, drang jetzt auch in die ehemals abgeschottete privilegierte Welt der Weißen ein. Die psychologischen Sandsäcke, die die Weißen aufgeschichtet hatten, um sich vor der Epidemie der Gewalt zu schützen, wurden ziemlich schnell von einer Welle schwarzer Wut weggespült, und die einstmals angeblich starke Polizei, die mehr dazu gedient hatte, Schwarze zu unterdrücken, als sich mit so alltäglichen Dingen wie Verhütung von Kriminalität zu beschäftigen, schien der Sache nicht gewachsen zu sein. Verbrechen wurden zu einer Obsession der Weißen, Thema fast jeden Dinnergesprächs, jeder gesellschaftlichen Veranstaltung - fast wie in Nairobi, als ich zum ersten Mal dort ankam und eine ähnlich bedrängte Ausländergemeinde antraf, die mit gedämpfter und ängstlicher Stimme über die neuesten Gräßlichkeiten sprach, die die wimmelnden Massen jenseits der Mauern begangen hatten. Daß es sich dabei um schwarze Verbrechen handelte, blieb unausgesprochen. Aber es wurde immer verstanden.

Es gab natürlich viele Gründe für dieses plötzliche Anschwellen der Kriminalität in den weißen Gemeinden, und die meisten wurzelten im Erbe der Apartheid und in den Folgen des Zusammenbruchs dieses bösartigen Systems. Durch die neue Bewegungsfreiheit konnten die Schwarzen jetzt überall hingehen, und in Gebieten, die ihnen früher verboten waren, wimmelte es jetzt von Schwarzen. Je größer die Bewegungsfreiheit wurde, desto himmelschreiender wurde die gähnende Ungleichheit zwischen den weißen "Habenden" und den schwarzen "Nichts-Habenden". Der Befreiungskampf, die "Totalangriff"-Kampagne seitens der Regierung gegen Anti-Apartheids-Gruppen und der von den Weißen inszenierte schmutzige Krieg zwischen dem ANC und Inkatha hatten das Land mit Waffen überschwemmt. Und Jahre des Streits, des Kampfs und des Schulboykotts hatten in den Townships eine Generation arbeitsloser, zorniger, verbitterter junger Männer heranwachsen lassen, für die Verbrechen gegen Weiße lediglich eine Art Vergeltung waren. Die Horden überquerten noch nicht den Highway mit ihrer AK-47, wie Linda Twala in Alex gewarnt hatte. Aber einzelne überquerten ihn hin und wieder, um sich das zu nehmen, was ihnen ihrer Meinung nach gehörte.

Und inzwischen reichen die reinen Verbrechensstatistiken nicht aus, um ein volles Bild der weißen Angst zu zeichnen. Es waren die Geschichten, die das Fernsehen täglich zeigte und die einem in jedem Gespräch erzählt wurden, die die weiße Angst vor dem schwarzen Angriff nährten. Wie die Geschichte von dem älteren weißen Ehepaar, das man gefesselt und erdrosselt in seinem ausgeraubten Vororthaus fand. Oder die Geschichte der amerikanischen Fulbright-Stipendiatin Amy Biehl, einer Kalifornierin, die als glühende Kritikerin der Apartheid nach Südafrika kam und in einem Township in den Außenbezirken von Capetown von einem schwarzen Mob, der den Slogan des militanten Pan-Africanist-Congress, "Ein Siedler, eine Kugel" schrie, verfolgt, erstochen und totgeschlagen wurde.

Natürlich fällt Amy Biehls Tod nicht in die Kategorie der willkürlichen Gewalttaten. Sie wurde getötet, weil sie weiß war. Und vielleicht war das der Grund, weshalb ihr Tod die weißen Südafrikaner mehr ängstigte als die täglichen Gewalttaten oder Zerstörungen. Ein schwarzer Mob hatte sich eine weiße Austauschstudentin gegriffen - eine Amerikanerin - und sie getötet, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, ein Vorfall, der den Kern der weißen Angst traf - der Angst vor schwarzen Vergeltungsmaßnahmen für die Jahrzehnte der Unterdrückung und der Angst, daß Weiße allein wegen ihrer Hautfarbe zur willkürlichen Zielscheibe würden. Es ist eine Angst, hinter der natürlich ein Schuldgefühl steckt. Sogar die Weißen, die die Apartheid nicht unterstützt hatten, leiden noch immer unter einem bohrenden Schuldgefühl, daß sie es nicht aktiver zu verhindern suchten, daß sie dieses schlimme System so lange gewähren ließen. Ich dachte, es sei ein lohnendes Thema, etwas über weiße Schuldgefühle und die erhöhte Belastung während der Übergangsphase in Südafrika zu schreiben. Ich rief deshalb Merle Friedman an, die Direktorin des psychologischen Fachbereichs an der Universität von Witwatersrand. Sie lud mich zu sich nach Hause ein, in ein ziemlich großes und weiträumiges Gebäude hinter einem riesigen Zaun und am Ende einer langen engen Auffahrt. Wir saßen auf der Terrasse bei einigen Drinks, als sie mir ihre Theorie über die Angst der Weißen im schwarzen Südafrika erklärte. "Wir haben alle Angst um unsere persönliche Sicherheit", sagte sie mir. "Ich gehe nirgendwo zu Fuß mehr hin."

Sie fuhr fort: "Ich glaube, die Weißen fürchten im Grunde um ihre wirtschaftliche Zukunft und um das, was man ihnen nehmen wird." Dann machte sie eine Pause und fügte hinzu: "Für die meisten unter uns ist es ein unaufhörliches Schuldgefühl. Nach dem Holocaust sagten die Leute, sie verstünden es nicht. Auch wir sagen irgendwie, wir hätten nichts gewußt. Aber wir wußten viel. Man mußte es verleugnen oder so tun, als sehe man nicht, was vor sich ging. Und die Regierung leistete sehr gute Arbeit dabei, das zu unterstützen, weil die Presse zensiert wurde."

Wir saßen lange zusammen, tranken kalte Getränke aus hohen Gläsern, und sie erzählte mir weitere Horrorgeschichten, Geschichten über Verbrechen von Schwarzen an Weißen, Schwarzen an Schwarzen, Weißen an Schwarzen, von Asiaten, die angegriffen wurden, von Gewalt gegen oder von gemischtrassigen "Farbigen" - Südafrika war wahrlich ein rassischer Mischmasch. Sie erzählte von Weißen, die in ihren Häusern von Schwarzen umgebracht worden waren, von Autoentführungen am hellichten Tag, von den Kriegen zwischen den Taxiunternehmen in den schwarzen Townships, zwischen den rivalisierenden Minibusunternehmen, von waghalsigen Banküberfällen - so vielen Banküberfällen, daß die Banken damit begonnen hatten, regelmäßige Beratungssitzungen für ihre Angestellten einzurichten. Friedman selbst hielt wöchentliche "Trauma-Sprechstunden" in den schwarzen Townships ab, um den schwarzen Gewaltopfern zu helfen, die sich die teuren Psychiater und Beratungen nicht leisten konnten, die die Weißen in den Vororten routinemäßig aufsuchen mochten. Sie erinnerte sich besonders an eine Frau, einzige Überlebende eines Township-Massakers, die man für tot hielt und zusammen mit den Leichen ihrer Freunde und Nachbarn in eine Grube warf, aus der sie herausgeklettert war. Als die Frau ihre Geschichte in Friedmans Traumasprechstunde erzählte, wand sie sich vor Schmerzen durch die Erinnerung auf dem Boden.

Der Streß, den die anwachsende Kriminalität und die Unsicherheit verursachten, forderte seinen Preis. Selbstmorde nahmen zu, Alkoholismus nahm zu, Scheidungen nahmen zu. Es gab eine ganze Serie von Familienmorden: weiße Farmer, die am Ende des Tages heimgingen und ihre gesamte Familie umbrachten, bevor sie sich selbst erschossen. Der Arzt in dem nördlichen Vorort, der, zu dem ich zuerst gegangen war, als ich Probleme mit meinem Zahn hatte, sagte mir, daß er mehr Antidepressiva verschreibe denn je. Als Friedman und ich im kühlen Schatten ihrer Terrasse saßen und über eine sich spaltende Gesellschaft sprachen, störte mich vor allem die Unstimmigkeit. Wir redeten über ziemlich schreckliche Dinge und saßen dabei an diesem friedlichen idyllischen Ort, auf der Terrasse der Psychologin, umgeben von Büschen und hohen Bäumen, weit weg von dem "Afrika", das direkt jenseits des hohen Zauns von irgendwoher immer tiefer eindrang. Ich spürte ein eigenartiges Gefühl in mir aufsteigen und wußte sofort, es war Mitleid. Es war nicht das, was ich erwartet hatte. Es war nicht das Gefühl, das ich haben wollte, nicht hier, nicht in Südafrika, der letzten Hochburg der weißen Vorherrschaft. Nein, ich sollte diesen Ort eigentlich verachten und alle Weißen als Rassisten abtun. Aber hier war ich nun, saß an einem friedlichen Nachmittag auf dieser Terrasse, und diese weiße Frau und ihre Familie taten mir leid, denn ich weiß, daß alles, was sie haben - das Haus, der Garten, der hohe Zaun - in Wirklichkeit nur eine Illusion ist. Es ist eine Illusion, weil sie, egal wie "westlich" ihr Leben scheint, in Afrika leben, und ich weiß, welches Dunkel sich dort draußen, jenseits des Zauns, verbirgt, jenseits der Grenzen, weiter nördlich, im "wirklichen Afrika". Meine Gedanken kehrten zu all den Szenen von Elend und Verzweiflung zurück, zu den Gesichtern der verhungernden Menschen entlang der Straßen Somalias, zu den weit geöffneten flehenden Augen der jungen Frau, die tot auf einem Leichenhaufen in dem ruandischen Flüchtlingslager in Goma lag. Ich sehe das Foto von Kibassa Malibas Sohn vor mir, verkohlt von den Flammen, die seinen Körper verschlungen und ihn getötet hatten. Die Gefängniszellen in Kigali, gefüllt mit leblosen Gestalten. Und dann denke ich an den Krieg zwischen dem ANC und Inkatha und daß es den Anschein hat, als gingen die Südafrikaner in ihrem Land den gleichen blutigen Weg. Aber dann fange ich wieder an, mich selbst zu hassen. Ein Schwarzer kann es sicher nicht zulassen, auch nur die geringste Spur von Mitleid für die Verbrecher der Apartheid zu empfinden, eines der größten Verbrechen in der Geschichte. Ich wollte keine Sympathie für diese Leute empfinden, ich wollte ihre Position nicht verstehen. Es wäre sehr viel einfacher, wenn Südafrika nicht ein so verwirrendes rassisches und ethnisches Rätsel wäre, sondern nur ein simpler Fall von schwarz und weiß, gut und böse, und die gerechte und rechtschaffene Sache triumphiert angesichts der historischen Ungerechtigkeit. Anders zu denken, sich auch nur Fragen zu stellen, hieße, die Würde des Kampfes gegen rassische Unterdrückung zu schmälern. Nach soviel Desillusionierung, soviel Enttäuschung durch die schwarzen Regierungen Afrikas, hatte ich mich so auf die Gelegenheit gefreut, nach Südafrika zu kommen und zur Abwechslung einmal auf eine Geschichte zu stoßen mit einer gewissen moralischen Eindeutigkeit. Ich hatte die Journalisten, die hierher versetzt worden waren, immer beneidet, weil sie sich nie mit dem weit lästigeren emotionalen und moralischen Dilemma des schwarzen Afrikas auseinandersetzen mußten, wo man die Verbrecher oft nicht von den Opfern unterscheiden konnte. Diese Schrecken gab es hier natürlich auch, die allgegenwärtigen "Verbrechen Schwarzer gegen Schwarze", wie es in der Presse so häufig hieß. Aber in Südafrika wurde die Tatsache, daß Schwarze Schwarze töteten, zum Beiprogramm des Hauptereignisses: des heldenhaften Kampfes des Guten gegen das Böse. Weiter im Norden, in Somalia, Ruanda, Liberia und Zaire, gab es kein solches Hauptereignis - nur die Morde, die Brutalität, das Beiprogramm als Realität. Das dachte ich, als ich hierher kam. Südafrika würde mir endlich die Chance geben, etwas Klarheit zu finden, meine eigenen Überzeugungen zu prüfen. Und jetzt saß ich wieder hier, fühlte Verwirrung und war wütend auf mich, daß ich so fühlte. Ich haßte diese Schwarzen, die in andauernde Gewalttätigkeiten verwickelt waren, weil sie meine langgehegte Vorstellung ihres heldenhaften Kampfes beschmutzten. Ich haßte die Inkatha-Partei und ihren Vorsitzenden Buthelezi, weil er es zuließ, zum willigen Werkzeug des bösen Regimes zu werden. Ich haßte den ANC, weil er keine saubere Weste besaß, sondern in seinen Reihen junge Militanten hatte, die ihren Gegnern brennende Autoreifen um den Hals hängten und die gleichen blutigen Überfälle verübten wie die andere Seite. Und ich haßte die Weißen - die Psychiaterin, den Zahnarzt, all die Ladenbesitzer, die mich zuvorkommend bedienten - dafür, daß sie mich nicht haßten, daß sie mir keinen Vorwand lieferten, sie zu hassen. Südafrika mochte vielleicht "westlich" gewesen sein, aber es war, wie ich feststellte, im Kern komplexer, verwirrender - afrikanischer. Nicht weniger als Somalia oder Ruanda forderte Südafrika alle meine vorgefaßten Meinungen und Überzeugungen heraus, verwirrte mein Denken mit all diesen irritierenden Paradoxien, und bevor ich es noch erkannte, bevor ich es stoppen konnte, bemerkte ich, daß ich Dinge dachte, die ich eigentlich nicht denken sollte, und Gefühle hatte, von denen ich wußte, daß ich sie nicht haben durfte. "Die Dekadenz, die Korruption, der Niedergang der Werte - die Dinge stehen nicht gut." Ich bin jetzt in Zimbabwe, sitze auf der Wohnzimmercouch im Hause Ian Smiths, des Premierministers aus den Tagen, als das Land noch Rhodesien hieß und eine abtrünnige britische Kolonie war, die von einer trotzigen weißen Siedlerminderheit regiert wurde. Smith ist ein sehr verbitterter Mann, soviel ist klar. Und er hat wenig Positives über den Mann zu sagen, der ihn ersetzte, Robert Mugabe, den Smith noch immer für einen Kommunisten, Diktator und Schlimmeres hält. Was für eine eigenartige Welt das ist. [Es ist in der Tat eine merkwürdige Welt, in der jemand etwas Positives über Mugabe schreiben kann! Na ja, ist wohl vom selben Stamm... Anm. Dikigoros.] Als ich 1970 Redakteur einer Studentenzeitung an der University of Michigan war, schrieb ich schrille Leitartikel gegen Jan Smith und bezeichnete ihn als Verkörperung knochenharter weißer rassistischer Unbeugsamkeit. Ich erinnere mich an die Euphorie, die in unserer Redaktion auf dem Campus herrschte, als die Lancaster-House-Vereinbarungen verkündet wurden, die den Weg für den Übergang von Smiths übler Regierung in die unabhängige, von Schwarzen regierte Nation Zimbabwe freimachte. Und jetzt sitze ich, ein Schwarzer, hier im Wohnzimmer dieser verhaßten Ikone der Unterdrückung, trinke seinen Kaffee und mache mir Notizen, während er über all die Probleme herzieht, die die schwarze Regierung geschaffen hat. Mein Besuch schien mir eine wichtige Station in meinem Bemühen zu sein, Afrika, besonders Südafrika, zu verstehen. Während meines kurzen Aufenthalts in Johannesburg hörte ich eine Menge über die Probleme, die "dort oben im Norden", wie das übrige Afrika genannt wurde, herrschten, und man sprach darüber stets im leisen Ton der Beklommenheit, die fast schon an nackte Angst grenzte. Von all den angeblichen Höllenlöchern "dort oben" wurde Zimbabwe am häufigsten erwähnt, und zwar als ein Land, das den Weißen einmal versprochen hatte, ihr Lebensstil und ihr Lebensstandard würden unter einer schwarzen Regierung nicht leiden. Zimbabwe galt inzwischen als Beispiel für all das, was Südafrika zu befürchten hatte - ein Land, in dem alles zusammengebrochen war, was den Weißen lieb und teuer war. Die Diktatur war auf dem Vormarsch, weißes Land wurde nach und nach von den kommunistischen Ex-Guerilleros, die an die Macht gekommen waren, konfisziert, die Kriminalität in der größten Stadt, Harare, nahm überhand. Zimbabwe war, kurz gesagt, zum schlimmsten Alptraum Südafrikas geworden. Natürlich hatte das wirkliche Zimbabwe, das ich vorfand, nicht die geringste Ähnlichkeit mit diesen düsteren Beschreibungen. In den ersten zehn Jahren seiner Unabhängigkeit, von 1980 bis 1991, wies Zimbabwe ein Wirtschaftswachstum von jährlich 3,6% auf - was auf einem Kontinent, dessen Wirtschaftswachstum in vielen Ländern zurückging, an ein Wunder grenzte. Die Analphabetenrate unter den Erwachsenen lag unter einem Drittel. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf betrug 570 Dollar und war damit mehr als doppelt so hoch wie in vielen anderen afrikanischen Ländern. Zimbabwe litt immer noch unter den Nachwirkungen von Natur-Katastrophen, darunter einer vernichtenden Dürreperiode im Jahr 1991, aber es hatte immer noch eine ganze Menge, worauf es stolz sein konnte. Am beeindruckendsten war vielleicht, daß es eines der wenigen Länder war, in dem Frieden herrschte und das ein bemerkenswertes Maß an Aussöhnung zwischen den Rassen zeigte. Besonders beeindruckt war ich von der Selbstverständlichkeit, mit der weiße und schwarze Jugendliche jeglichen Alters in den Diskos und Bars, die ich in Harare besuchte, miteinander umgingen. Es schien mir ein Modell dafür zu sein, wie man die Vergangenheit hinter sich lassen und wirklich eine multirassische Gesellschaft errichten kann. Natürlich nicht für Jan Smith. Er spulte weiter seine Leier über "Maßstäbe" ab. Er sagte mir, daß dies die große Angst der weißen Minderheitsregierung gewesen sei, und der Hauptgrund, weshalb sie in dem fünfzehn Jahre dauernden Guerillakrieg so hart gekämpft hätten, sei gewesen, das Eindringen "Afrikas" in ihre geschützte weiße Welt zu verhindern. "Wir hatten immer schon sehr hohe Maßstäbe hier", sagte er. "Wir wollten diese Maßstäbe erhalten." Ich unterbrach ihn. "Ich war in Zaire, Liberia, Somalia und Ruanda. Sie wollen doch nicht sagen, daß es um Zimbabwe so schlecht steht wie um andere Länder Afrikas." Zu meiner Verblüffung stimmte Smith mir zu. "Verglichen mit all diesen anderen schrecklichen Ländern haben wir es hier gut", sagte er. "Wenn Sie aus einem dieser Länder im Norden kommen, ist dieses Land hier im Vergleich dazu effizienter und besser organisiert." Die Gefahr, sagte er, bestehe darin, daß man abrutsche. Ruanda, Somalia, Liberia und Zaire waren immer nah, wenn man die Dinge schleifen ließ. Afrika war immer um die Ecke. Nach unserem Interview bot Smith an, mich in die Stadt zurückzufahren. Als ich in der Auffahrt stand und auf ihn wartete, fuhr ein Freund von ihm, ein Weißer, in einem Lastwagen vor, um dem ehemaligen Premierminister kurz einmal Hallo zu sagen. Der Freund und ich gaben uns die Hand, und ich erzählte ihm, daß ich ein Journalist sei, der gerade auf Besuch aus Kenia gekommen sei. "Kenia?" sagte der Weiße. "Nun ja, dann wissen Sie, worüber wir uns hier Sorgen machen. Kenia! Das Land fällt wirklich auseinander, finden Sie nicht? Und der Bursche dort oben, Moi, ist wirklich ein Übler - schlimmer noch als der Typ, den wir hier haben. Er läßt das Land einfach zusammenbrechen. Es ist eine Schande. Na ja, wir werden aufpassen, daß uns das hier nicht passiert." Ich wollte diesen Kerl hassen, ihn einen Rassisten nennen, ihn darauf hinweisen, daß es immer noch besser ist, wenn ein schwarzes Land unter einer schwarzen Regierung zusammenbricht, als wenn Schwarze in Afrika unter weißer Unterdrückung leben müssen. Aber gleichzeitig wollte ich ihm auch zustimmen, wollte ihm sagen: Ja, Sie haben recht, Moi ruiniert Kenia und es ist eine Schande, und ja, passen Sie bloß auf, es könnte auch hier passieren, denn in all den anderen Ländern hat kein Mensch jemals damit gerechnet, daß geschehen würde, was jetzt geschieht. Aber genau das ist es, was Afrika so verwirrend macht: Ich wollte beides sagen. Aber ich wußte nicht, was. Also sagte ich nichts - und hoffte, daß er nicht bemerkte, wie ich zustimmend nickte. Ich weiß, das klingt verwirrend - aber nur deshalb, weil es auch für mich verwirrend ist. So war Afrika, es hörte nicht auf, mir das Gehirn zu zerreißen.

Eines der schmutzigen kleinen Geheimnisse, die hinter Zimbabwes Unabhängigkeit als schwarze Nation stehen, ist etwas, was die meisten Schwarzen - Amerikaner oder Afrikaner - vermutlich am liebsten nicht hören wollen. Es hat etwas mit dem Rat zu tun, den Mosambiks Präsident Samora Machel Robert Mugabe noch vor der Unabhängigkeit gab. Machel sagte ihm einfach: "Behaltet eure Weißen."

Machel hatte diese Lektion auf die harte Tour gelernt, denn als sein Land 1975 die Unabhängigkeit von Portugal erhielt, packten die Weißen ihre Koffer und gingen. Von ungefähr zweihunderttausend ehemaligen portugiesischen Siedlern blieben nur etwa zwanzigtausend. Und die Weißen, die gingen, nahmen so ziemlich alles, was noch irgendwie von Wert war, mit und hinterließen ein verwüstetes, geplündertes Land praktisch ohne Infrastruktur und mit nur einer Handvoll gebildeter Schwarzer. Es ist nicht so, daß Machel nicht versucht hätte, die portugiesischen Siedler zum Bleiben zu bewegen. Der Korrespondent der Los Angeles Times, David Lamb, zitiert Machel in seinem Buch The Africans, wie er den Europäern nach der Unabhängigkeit sagte: "Wir wollen Harmonie zwischen den Rassen. Um die Nation aufzubauen, brauchen wir die Unterstützung der Menschen aller Kontinente und Rassen." Aber diese Bitte stieß auf taube Ohren. Die Portugiesen glaubten nicht, daß es für den weißen Mann in einem unabhängigen schwarzen Afrika eine Zukunft geben könne. Also verließen sie das Land, und Mosambik wurde dadurch stark geschädigt.

Mugabe, ein Protégé Machels, der während seines Guerilla-Kriegs in Mosambik Unterschlupf fand, lernte die Lektion gut. Als Zimbabwe unabhängig wurde, sorgte Mugabe dafür, daß die Weißen blieben - viele zumindest -, und das Land schaffte es, das beliebteste Tanzritual des Kontinents zu vermeiden, den afrikanischen Abwärtstanz.

Mitte der neunziger Jahre lebten in Zimbabwe innerhalb einer Gesamtbevölkerung von 11,2 Millionen immer noch ungefähr hunderttausend Weiße - zwar weniger als die Hälfte während der Zeit vor der Unabhängigkeit, aber immer noch eine beträchtliche Anzahl. Zur gleichen Zeit waren rund 60 Prozent des fruchtbarsten Ackerlandes noch immer in den Händen von ungefähr 4500 weißen Farmern. Die Lancaster-House-Verträge hatten der Regierung eine zehnjährige, verfassungsmäßig festgelegte Beschränkung bei der Neuaufteilung des Landes auferlegt, womit diese stark von Emotionen belastete Streitfrage für das erste Jahrzehnt praktisch erst einmal vom Tisch war. Aber Anfang der neunziger Jahre, als die Frist auslief, wurden die schwarzen Zimbabwer ungeduldig. Land war schließlich eine der Schlüsselfragen gewesen, die hinter dem über fünfzehn Jahre dauernden Guerilla-Krieg steckte, und die Sieger warteten bereits seit vierzehn Jahren auf ihre Beute. Die Regierung hatte schon früh einige zögerliche Schritte unternommen, weißes Land zu konfiszieren und neu zu verteilen, aber die meisten dieser Versuche wurden vor Gericht erfolgreich abgewehrt. Eine Landbesitzkommission wurde zusammengestellt, um das Problem auszudiskutieren. Aber die ganze Zeit über verhielt sich Mugabe der Sache gegenüber ambivalent, weil er offensichtlich erkannt hatte, daß trotz der Popularität von Konfiszierungen die weißen kommerziellen Farmer noch immer das Rückgrat von Zimbabwes Wirtschaft bildeten.

Die Büros der Zimbabwe Farmers Union befinden sich im obersten Stockwerk eines Gebäudes, das mitten in dem überfüllten belebten Geschäftsviertel von Harare liegt. Die ZFU vertritt die kleinen schwarzen Farmer des Landes und ist das afrikanische Gegenstück zu der mächtigeren, überwiegend weißen Commercial Farmers Union, die die weißen Farmer repräsentiert. Es ist schon komisch, nach fünfzehn Jahren schwarzer Herrschaft gibt es immer noch zwei verschiedene Farmergewerkschaften, eine schwarze und eine weiße.

Emerson Zhou ist Volkswirtschaftler und arbeitet für die schwarze Gewerkschaft. Als ich die Treppen zu den ZFU-Büros hinaufstieg, streiften mich höchstens ein paar neugierige Blicke, ansonsten sagte man mir, daß die Gewerkschaftsführer, die ich sprechen wollte, entweder nicht da seien oder zu viel zu tun hätten. Zhou war abgeordnet worden, den amerikanischen Journalisten mit allem Wissenswerten zu versorgen, und so gingen wir in ein winziges, vollgestopftes und schlecht beleuchtetes Hinterzimmer.

Zhou war vorsichtig, als er mir die Situation der schwarzen Farmer während der vierzehn Jahre der Unabhängigkeit beschrieb - sie hatte sich stark verbessert, aber vieles mußte noch getan werden. Das Wichtigste war, sagte er, daß Zimbabwe die Rassenversöhnung erreicht hatte. "Das rassische Umfeld ist anders geworden", meinte er. Doch das größte, noch immer ungelöste Problem bestehe darin, daß die Schwarzen unter einer schwarzen Regierung noch immer nicht ihren Anteil am wirtschaftlichen Kuchen hätten. "Im Unternehmenssektor gibt es zwar inzwischen sehr viel mehr Schwarze in hohen Positionen", sagte er, "aber was Grundbesitz anbelangt, spielen Schwarze immer noch eine marginale Rolle."

Zhou ratterte die bekannte Litanei von Zimbabwes Problemen herunter - die immer noch vorhandene Ungleichheit zwischen der privilegierten weißen Minderheit und der ungeduldigen schwarzen Mehrheit, vor allem aber die Unzufriedenheit darüber, daß nicht mehr Land an Schwarze zurückgegeben würde. Aber wünschte er es sich wirklich anders angesichts des Chaos, das in so vielen anderen unabhängigen Staaten ausgebrochen war? "Wenn man liest, was in anderen Ländern passiert", sagte er, "scheint hier die Situation nahezu perfekt zu sein."

Man muß nicht weit gehen, um ein ziemlich deutliches Beispiel für die noch immer vorhandene Macht des weißen Establishments in Zimbabwe zu finden. Nur ein paar Straßen weiter nämlich befindet sich die Zentrale der konkurrierenden weißen Commercial Farmers Union, die mehrere Stockwerke eines schicken Hochhauses einnimmt. Hier konnte man nicht einfach hereinspazieren, man mußte sich anmelden. Als ich anrief, gab mir eine forsche, kurz angebundene und tüchtige Sekretärin einen Termin. Mein Interviewpartner war Jerry Grant, der Bezirksdirektor, ein sehr umgänglicher Typ, der meinen Akzent sofort bemerkte und sagte: "Sie kommen offenbar nicht von hier." Dann fuhr er fort, ziemlich offen zu sprechen - sehr viel offener vermutlich, als wenn statt eines schwarzen Amerikaners ein schwarzer Afrikaner das Interview mit ihm geführt hätte.

Grant beschrieb mir den langen Exodus weißer Farmer während des Guerillakriegs und in den Jahren unmittelbar nach der Unabhängigkeit, als Mugabes politischer Gegenspieler, Joshua Nkomo, sich weigerte, das Wahlergebnis von 1980 anzuerkennen, und seine Anhänger vom Ndebele-Stamm sich in ihre Festung Matabeleland zurückzogen und eine kleine Terrorkampagne starteten. Die "Dissidenten", wie Mugabe die Ndebele-Guerilleros nannte, wollten die Regierung unterlaufen, indem sie gezielt gegen das Herz der verwundbaren Wirtschaft des neuen Staates vorgingen: die im Land verbliebene weiße Bevölkerung. Weiße Farmer wurden in ihren Häusern überfallen. Weiße Familien wurden in ihren Autos oder im Bus attackiert. Grant schätzt, daß in dem Stammeskrieg im Matabeleland mehr Weiße getötet wurden als in den fünfzehn Jahren des Unabhängigkeitskriegs. Die Gewerkschaft der Farmer führte eine ziemlich genaue Liste der Überfälle - Zeit, Ort, Name der Weißen, die getötet wurden. Es war inzwischen ein schwarzes Afrika, aber die Weißen zählten ihre Toten noch immer.

Mugabe schlug schließlich den Aufstand nieder, und er tat es auf altmodische Weise - durch brutale Gewalt. 1983 befahl er seiner Elitetruppe, der in Nordkorea ausgebildeten Fünften Brigade, Matabeleland zu verwüsten und die Rebellen zu vernichten. Zwischen fünftausend und dreißigtausend Menschen wurden in Afrikas brutalstem und erfolgreichstem Antirebellenkampf getötet. Niemand kennt die genaue Zahl, denn Zimbabwe war in den Rang eines unabhängigen afrikanischen Landes aufgestiegen, und eine der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im Club ist, daß man aufhört, die Leichen zu zählen.

In jenen frühen Tagen der Unabhängigkeit sah es so aus, als werde Zimbabwe in den gleichen Abgrund von Blutvergießen, Chaos und Instabilität stürzen, der das übrige Afrika südlich der Sahara verschlang. Wenn man sich an diesen Krieg nicht mehr erinnert, so vermutlich deshalb, weil die westlichen Zeitungen nicht viel darüber berichtet hatten. Viele Leute feierten Zimbabwe als eine afrikanische "Erfolgsstory". Sein Befreiungskampf war besonders populär, zumal auf einem Collegecampus wie dem meinen, weil es einer der wenigen klaren Fälle von schwarz und weiß, gut und böse war. Und Robert Mugabe stand in hohem Ansehen in Afrikanisten-Kreisen im Ausland, er galt als einer der brillantesten Unabhängigkeitsführer. Warum also sollte man das Bild durch einen schmutzigen Guerillakrieg und eine brutale Niedermetzelung der Rebellen verderben?

"Wir dachten alle, daß es so kommen würde wie in Zaire", sagte Grant, als er über diese turbulenten Tage sprach. "Es hätte ganz leicht passieren können." Und warum war es nicht passiert? fragte ich ihn. Er antwortete: "Unsere Schwarzen hier waren sehr pragmatisch. Die Zukunft des Landes lag den Schwarzen genauso am Herzen wie den Weißen. Es hätte schief gehen können, aber es ging gut, und ich glaube, jetzt kann es nicht mehr schief gehen." Es schien, als hätte ich einen der wenigen Punkte gefunden, über die Schwarze und Weiße, sogar Jan Smith, sich einig waren: Sie hatten gesehen, welche Greuel "dort oben" passiert waren, und es hatte ihnen solche Schrecken eingejagt, daß sie zur Vernunft kamen. Inzwischen waren sie dankbar, daß Zimbabwe, trotz aller Fehler, nicht in diesen Abgrund gefallen war. Afrika war da, kurz, klopfte an die Türen, aber in Zimbabwe hatte man es geschafft, den Kontinent in Schach zu halten.

Nelson Mandela verbrachte siebenundzwanzig Jahre im Gefängnis, aber er ist einer jener Führer, die die Lektionen, die Afrikas traurige Geschichte erteilt, gut zu verstehen scheinen. Er ist nicht nur der Held der südafrikanischen schwarzen Mehrheit, seine Gegenwart beruhigt auch die zitternden Weißen, denn er überzeugt sie, daß auch sie Anteil an dem neuen Südafrika haben werden.

Ein unbedeutenderer Politiker wäre vermutlich nicht imstande, diesen Balanceakt durchzuziehen zwischen den zornigen jungen Schwarzen in den Townships, die eine schnelle Veränderung wollen - diese Art von Kids, von denen Linda Twala in Alex sagte, daß sie bereit sein könnten, über den Highway zu gehen und die weißen Vororte zu überfallen -, und der weißen Bevölkerung, die nach jedem Vorwand greift, um behaupten zu können, es gehe mit dem Land bergab. Für die Schwarzen erwächst Mandelas Glaubwürdigkeit aus seiner moralischen Autorität, gezeichnet von seinen siebenundzwanzig Jahren in einem Apartheid-Gefängnis. Nur Mandela kann vor einer wütenden schwarzen Menge stehen und sie beruhigen, indem er fragt, ob irgend jemand unter ihnen soviel gelitten habe wie er. Und für die Weißen ist er eine freundliche, sanfte, heilende Gestalt. Wie mir eine weiße südafrikanische Frau nach den Wahlen sagte: "Ich bin so stolz, aus einem Land zu kommen mit einem Präsidenten, den jeder gerne hätte."

Ich habe nur einmal einen kurzen Blick auf Mandelas Zauber erhaschen können; es war noch, bevor er Präsident wurde, während er eine Pressekonferenz in der ANC-Zentrale im Shell House abhielt. Das Thema war peinlich für den ANC, die Veröffentlichung eines Berichts über Folterungen und sogar Hinrichtungen in einigen der Guerilla-Lager des ANC, als die Partei noch im Exil war. Der "Clou" bei den ANC-Enthüllungen war zu fordern, daß jede Strafaktion gegen ANC-Mitglieder an eine ähnliche Strafaktion gegen Weiße gekoppelt werden sollte, die während des Apartheidregimes gegen die Menschenrechte verstoßen hätten. Es war eine Streitfrage, die dem moralischen Ansehen des ANC leicht hätte schaden - und damit zu meiner eigenen Verzweiflung beitragen können, ob dies nun wirklich die Guten waren -, aber Mandela wurde geschickt damit fertig.

"Sie sollten sich bewußt sein, daß die angeblichen Mißhandlungen in einem Zustand der Belagerung stattgefunden haben", sagte Mandela den Reportern, die sich im Konferenzraum des Shell House drängten. "Wir glauben nicht, daß es für uns im Sinne der Gerechtigkeit ist, wenn wir nur ein paar einzelne bestrafen", sagte er, "wo doch sehr viel größere Verbrechen gegen die Menschenrechte begangen wurden als Teil einer systematischen Politik seitens der Regierung dieses Landes."

"Wir sehen diese Sache in einem größeren Zusammenhang", fuhr Mandela in einem Ton fort, in dem ein Lehrer zu seinen Schülern spricht. Er sagte, daß der ANC eine Kommission einberufen wolle, die alle Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit untersuchen und den Opfern, wenn nötig, Entschädigungen anbieten solle. Dann, in einer Anspielung auf seine siebenundzwanzig Jahre als Gefangener, fügte er ruhig hinzu: "Ich sollte vielleicht einen Antrag stellen!"

Eine brillante Vorstellung, dachte ich. Er war kein großer Redner, aber er wußte auf jeden Fall, wie man eine Zuhörerschaft fesselt, selbst einen Haufen zynischer Schreiberlinge. Seine bloße Gegenwart reichte schließlich aus, mich davon zu überzeugen, daß, wenn auch die Guten keine völlig reine Weste hatten, sie doch noch von allen die Besten waren. Trotz all seiner Fehler, mit Mandela an der Spitze war der ANC den anderen haushoch überlegen - und zumindest willens, seine Fehler zuzugeben. Und ich dachte damals, daß der Kontinent um vieles besser dran wäre, wenn mehr afrikanische Länder Führer wie Mandela hätten, statt all dieser Hanswurste und Außenseiter, mit denen sie geschlagen waren.

Ich fragte mich oft, während ich den Kontinent bereiste: Kann Südafrika es schaffen, ein Abgleiten in Wirtschaftsverfall, schleichenden Totalitarismus, gesellschaftlichen Zusammenbruch und gewaltsame Anarchie zu verhindern? Solange Mandela an der Macht ist, schafft es das zweifellos. Aber er hat wiederholt angekündigt, nach seiner Amtszeit, die 1999 endet, zurückzutreten, und ohne ihn sieht Südafrikas Zukunft wesentlich unsicherer aus. Die von der Regierung inszenierten politischen Gewalttätigkeiten gingen nach den Wahlen stark zurück, aber KwaZulu/Natal blieb ein Kriegsgebiet, ohne daß es je auf den Titelseiten erscheint. Das Verbrechen wütete weiter, was sogar Mandela später zu dem Zugeständnis veranlaßte, die Situation sei "außer Kontrolle".

Optimisten waren schnell bereit, Südafrika als die seltene afrikanische Ausnahme zu sehen - ein modernes industrialisiertes Land mit einer breitgefächerten Wirtschaft und einem starken privaten Sektor, etwas, was den meisten anderen afrikanischen Ländern fehlt. Es gibt eine lebendige und freie Presse und ein starkes Gefühl für die Wichtigkeit der Verfassung und eine unabhängige Rechtsprechung. Vielleicht noch bedeutsamer ist, daß die ANC-Regierung bis jetzt nicht auf die radikaleren Forderungen einiger ihrer Anhänger eingegangen ist, zu denen auch die Art von wirtschaftlicher Konfiskationspolitik gehört, die nur eine Kapitalflucht auslösen und die Rassenversöhnung erschweren würde. Außerdem hat Südafrika den Vorteil dessen, der später kommt und die traurige Geschichte des übrigen Kontinents gesehen hat und deshalb nicht dazu verdammt ist, sie zu wiederholen.

Aber wenn es eine Sache gibt, die meinen Optimismus dämpft, dann ist das die unglückliche geographische Lage Südafrikas. Da ich immer nur kurz hierher kam vom "Rest des Kontinents" - von Kenia, von Ruanda, von Somalia und von Zaire aus -, gelang es mir kaum, das Land anders als durch die Brille meiner eigenen Desillusion zu sehen. Ebenso war ich auch zur falschen Zeit und von der falschen Richtung her auf die Goree-Insel gekommen, und so war alles, was ich sehen konnte, die Brutalität und Gewalt, die vor meiner Zeit lag. Mit Südafrika war es genauso. Wenn ich als erstes hierher gekommen wäre, wären meine Gefühle vielleicht andere gewesen. Aber ich war von "dort oben" hierhergekommen und hatte bereits zu viel gesehen. Ich wußte bereits, daß Afrika eine Art hatte, auf brutale Weise fast alle optimistischen Voraussagen und Szenarien unter sich zu begraben.

Ich wollte nach Süden schauen und Hoffnung sehen. Aber statt dessen ging mein Blick immer nur nach Norden.

Als ich einige Wochen nach den südafrikanischen Wahlen wieder in Ruanda war, fuhr ich in einem kleinen Lastwagen auf dem Highway von der Stadt Gikongoro in den Südwesten. Mein Reisegefährte war Sam Msibi, ein schwarzer südafrikanischer Kameramann, der für Worldwide Television News arbeitete. Ich war in Gikongoro hängengeblieben und brauchte eine Mitfahrgelegenheit zurück nach Bukavu, das auf der zairischen Seite der Grenze liegt. Sam fuhr mit seinem Wagen, in dem er seine WTN-Fernsehausrüstung transportierte, in diese Richtung. Dankbar für die Mitfahrgelegenheit quetschte ich mich mit Sams Kamera auf dem Schoß auf den Vordersitz.

Sam konnte einiges darüber erzählen, was es hieß, ein schwarzer Reporter in Afrika zu sein. Aber im Gegensatz zu mir ist er Afrikaner, Südafrikaner, und er hatte sich seine Sporen als Journalist verdient, indem er über die blutigen Kämpfe zwischen den Anhängern der Inkatha und des ANC in den Townships seines Landes berichtete. Eine seiner Geschichten enthüllte Inkathas heimliche Unterstützung durch Südafrikas Polizei und Geheimdienst, ein heißes Thema, da die weiße Minderheitsregierung zu jener Zeit jede Art von Einmischung in die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen bestritt. Aufgrund seines Berichts wurde er in Tokoza, einem der blutigsten Schlachtfelder der Townships, fünfmal angeschossen. Das war kein Zufall. Die Bewaffneten waren ihm gefolgt und hatten gezielt auf ihn geschossen. Aber er lebte, um die Narben auf seinem Körper zu zeigen. "Früher war es toll, in den Townships zu arbeiten", erinnerte sich Sam. "Aber als die Wahl näherrückte, waren alle der Meinung, daß die Presse für den ANC arbeite. Also wurde es gefährlich."

"Das ist ein Problem in Afrika", fuhr er fort, während er den Wagen über die kurvenreiche Bergstraße lenkte. "Wenn du ein Schwarzer bist, mußt du dir Sorgen machen wegen der Gewalt der Schwarzen gegen Schwarze."

Während er sprach, fuhren wir an einer ziemlich deprimierenden Szene vorbei. Ruandische Flüchtlinge waren auf dem Weg nach Zaire, flohen, wohin sie sich sicher glaubten, und schleppten ihre zusammengerollten Schlafsäcke und ihre Wasserkanister aus Plastik mit sich, trugen ihr ganzes Hab und Gut auf dem Rücken oder balancierten es auf dem Kopf. Einige trieben Herde von Kühen und Ziegen vor sich her, und immer trotteten barfüßige kleine Kinder hinterher.

Sie brechen dir das Herz, diese Kinder. Die meisten hinkten auf blasenübersäten blutenden kleinen Füßen. Sie stützten sich auf Stöcke wie alte Männer, ihre winzigen Beine krümmten sich vor Schmerz. Bei jedem Schritt verzogen sie das Gesicht. Aber sie wagten es nicht anzuhalten, da sie sonst vermutlich zurückgelassen worden wären.

"Manchmal würde ich gerne anhalten und fotografieren", sagte Sam und starrte traurig auf die Szene. "Aber ich weiß nicht, wie diese Leute reagieren würden." Ich erwähnte etwas naiv, daß ich vor ungefähr einer Woche mit einem belgischen Fernsehteam auf derselben Straße hier vorbeigekommen sei und daß sie keine Probleme gehabt hätten, auf dem Highway zu filmen. "Ja, aber das waren Weiße", erklärte mir Sam geduldig. "Mich könnten sie für einen Hutu oder sonstwas halten."

Lange Zeit fuhren wir schweigend weiter und sahen hinaus in die Landschaft auf das Elend, das vor unseren Wagenfenstern dahinzog. "Mein Gott", sagte Sam irgendwann leise, mehr zu sich als zu mir. "Würdest du gerne deine Mutter oder deinen Vater oder dein Kind achtundneunzig Kilometer laufen sehen, nur um wegzukommen vom Krieg? Hör mal - ein Kind, das weint! Das ist das Leben, Mann. Eine Menge Schmerz da drin."

Es war eine lange Fahrt, fast vier Stunden, aber es machte mir nichts aus, weil ich Sams Gesellschaft genoß. Ich genoß sogar unser langes Schweigen, denn ich wußte, daß er als schwarzer Südafrikaner und ich als schwarzer Amerikaner oft ähnliche Gedanken hatten. Diese afrikanische Tragödie war so verschieden von der City von Johannesburg, wie sie es von Washington oder Detroit war.

"Afrika ist der schlimmste Ort - Somalia, Zaire", sagte Sam schließlich, als er sein Schweigen brach und aussprach, was auch ich dachte. "Wenn du so etwas siehst, betest du nur, daß es mit deinem eigenen Land nie soweit kommt. Wer möchte schon Kinder so laufen sehen? Ich fühle mich diesen Menschen verbunden. Sie sind für mich wie mein eigenes Volk. Ich habe Mitleid mit ihnen - nicht nur hier. Auch in Kenia, in Sambia, in Angola. Es tut mir immer weh, wenn ich so was sehe."

"Ich liebe mein Land", fuhr er fort. "Ich liebe es heute mehr denn je." Und er zeigte seinen Patriotismus offen in Form einer kleinen südafrikanischen Fahne auf seinem T-Shirt. "Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert - und mehr schwarze Menschen leiden als je zuvor. In Südafrika hörst du im Radio, daß eine Million Menschen irgendwo in Afrika umgebracht wurden, und daneben putzt du deine Zähne und scherst dich den Teufel drum. Es ist wie in Amerika." Genau wie in Amerika. Und da wußte ich, daß ich nicht hierhergehörte. Auf dieser langen Fahrt neben einem Südafrikaner wurde mir klar, daß ich mich in Amerika zwar manchmal fremd fühlte, aber wirklich wie ein Fremder fühlte ich mich hier, im Land meiner Väter. Dies war eine andere Welt für mich, genau wie für Sam. Ich wußte, daß ich nicht hierhergehörte. amerikanisches Programm, das die Diskriminierung von Minderheitsgruppen bekämpft, A. d. Ü.


heim zu Reisen durch die Vergangenheit