DAS VERLEUMDETE VOLK

Die Vandalen hausten gar nicht so, wie gerne gesagt wird. Archäologen korrigieren ein Klischee
(Na endlich - bei Dikigoros hätten die das schon vor Jahren nachlesen können :-)

von Sven Felix Kellerhoff (WELT.de, 03.09.2003)

Bevern - Die Geschichte ist ungerecht. Aus den größten Verbrechern macht sie mitunter Helden und aus Kulturvölkern Vandalen. Zum Beispiel aus den Vandalen, jenem germanischen Stamm, der in der Völkerwanderungszeit von Schlesien über Spanien bis nach Nordafrika zog und dort ein Jahrhundert später von den Oströmern aufgerieben wurde. [Da kennt Dikigoros noch andere Beispiele - wer hat gleich aus den Germanen "Hunnen" gemacht?]

Zwei wortmächtige Ankläger haben das Bild der Vandalen geprägt, im Abstand von rund 1200 Jahren: Der römische Historiker Prokop beschrieb die angeblich besonders verheerenden Raubzüge des Vandalenkönigs Geiserich. Und der Bischof von Blois während der Französischen Revolution, Henri-Baptiste Grégoire, prägte den Begriff Vandalismus, um die Kulturzerstörung durch aufgehetzte Sansculotten zu geißeln.

Dieses Klischee zu korrigieren ist Anspruch einer großen Ausstellung, die derzeit im Renaissanceschloss Bevern gezeigt wird. Nach "Balten" 1988 und "Schätzen der Ostgoten" 1995 ist es die dritte Schau, in der man im Weserbergland osteuropäische Frühzeit in den Blick nimmt. "Die Vandalen. Die Könige, die Eliten, die Krieger" umfasst 1700 teilweise noch nie zuvor gezeigte Funde aus vandalischer Frühzeit.

Dass die Vandalen zum Objekt der Verleumdung werden konnten, hängt mit der Dürftigkeit der Quellen über sie zusammen. Selbstdarstellungen haben sie - anders als Goten, Franken und Langobarden - nicht hinterlassen. Zwar erwähnen etliche römische einen Germanenstamm Vandilii. Doch geben sie offenkundig nur sehr unvollkommene Berichte wieder, die in sich widersprüchlich sind.

Jetzt präsentieren polnische Archäologen und Althistoriker erstmals die reichen Funde der vandalischen Kultur aus der Zeit vor 406, dem Jahr ihres Auszuges in die Welt. Zwischen Oder, Weichsel und Donau lag demnach das Kerngebiet der vandalischen Kultur, aus dem sie, wie anderthalb Jahrtausende später die deutschen Schlesier, binnen kurzer Zeit vertrieben wurden. Sie hinterließen Felder mit tausenden Gräbern und die Überreste einer hoch entwickelten Eisenproduktion.

Als "schlesische Altertümer" sind Teile dieser Relikte bereits im 19. Jahrhundert ausgegraben worden und bis 1945 in Breslau sogar in einem eigenen Museum ausgestellt gewesen. Doch richtete sich das Interesse der damaligen Archäologen mehr auf spektakuläre Schatzfunde als auf die Rekonstruktion des Lebens in vergangenen Zeiten. In der kommunistischen Ära schließlich wurden diese Funde - wider alle Evidenz - als frühslawisch gedeutet. Erst seit 1990 kann offen über die Vandalen in Südpolen, der Slowakei und Ungarn geforscht werden.

So lange behalfen sich vor allem polnische Wissenschaftler mit der Untersuchung der Przeworsk-Kultur, wie das Völkergemisch in Südostmitteleuropa nach dem Fundort eines besonders reichen Gräberfeldes genannt wurde. Ganz typisch für ihre Gräber sind handgeformte Keramiken mit einer an Graphit erinnernden Oberfläche und eingeritzten Verzierungen. Vasenmalerei hat es bei den Vandalen offenbar nicht gegeben, und auch der Schmuck der Keramik ist eher unbeholfen: Die Figuren erinnern an neolithische Höhlenmalereien.

Die Stärke der Vandalen war offenbar weniger die Kunst um der Kunst willen und auch nicht die Architektur. Hoch entwickelt war dafür ihre Eisenproduktion; Bronze oder sonstige Metalle fanden offensichtlich kaum Verwendung. Die Eisenfunde in den Brandgräbern sind sehr reichhaltig. Dutzende Fibeln in importierten, aber auch in abgewandelten und eigenen Stilen haben sich erhalten. Auch Waffen und vor allem Scheren finden sich in vielen Bestattungen. Schwerter und Lanzenspitzen wurden gewöhnlich zusammengefaltet - ob sie so zum Schutz vor Grabräuber unbrauchbar gemacht werden sollten, ob sie in die Urnen passen sollten oder ob es sich um ein religiöses Ritual handelte, ist ungeklärt.

Die Vandalen waren offensichtlich am intensiven Handel beteiligt, der sich in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten auf der so genannten Bernsteinstraße ungefähr vom heutigen Triest bis an die Ostseeküste abspielte. Möglicherweise hat die Aussicht, von diesem Handelsweg zu profitieren, sogar zur Bildung der Vandalen als Volksverband geführt: Um den reisenden Kaufleute Schutz zu gewähren, war ein Zusammenschluss zahlreicher Stämme entlang der Straße von Vorteil.

Auf zunehmende politische Spannungen weisen dagegen mehrere Münzhorte außerhalb der Friedhöfe hin. Im 4. Jahrhundert nehmen sie zu; in dieser Zeit wuchs der Druck der asiatischen Nomadenvölker auf Ostmitteleuropa immer mehr. Nach den Goten brachen schließlich auch die Vandalen mehrheitlich auf in Richtung Westen, nur um dort in hoch zivilisierte Regionen einzufallen und bei den Bewohnern für (oft unberechtigten) Schrecken zu sorgen.

Manche Vandalengruppen blieben aber auch in ihrer Heimat. Zu den prächtigsten Funden gehört der Schatz von Swilcza, der aufgrund von Münzen um das Jahr 433 n. Chr. datiert werden kann.

Über das weitere Schicksal der ostmitteleuropäischen Vandalen ist wenig bekannt. Wahrscheinlich wurden sie von nachrückenden Volksgruppen assimiliert. Den nach Nordafrika ausgewanderten Vandalen erging es schlechter. Belisar vernichtete sie im Namen des oströmischen Kaisers Justinian. Für ihn waren die vandalischen Stämme nichts als mordende, kulturlose Barbaren: Vandalen im ebenso modernen wie ungerechten Sinne des Wortes eben.

Schloss Bevern, bis 26. Oktober; Katalog 24,80 Euro


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