DIE FÜNFTE KOLONNE

Gennadij Udowenko, Vorsitzender der
Nationalbewegung Ruch,über die rus-
sische Seite der ukrainischen Krise

Freitag, die Ost-West-Wochenzeitung (09.03.2001)

Gennadij Udowenko (69) steht mit Narodnij Ruch einem Flügel der ukrainischen Nationalbewegung vor, die mit 17 Abgeordneten in der Werchownaja Rada, dem Kiewer Parlament, vertreten ist und bisher noch auf Distanz zu den Straßenprotesten gegen Präsident Kutschma geht. Udowenko übernahm den Ruch-Vorsitz, als Wjatscheslaw Tschornowil - Vorsitzender und Gründer der Nationalbewegung - vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen tödlich verunglückte. Ruch bildet zusammen mit dem Kongress der Ukrainischen Nationalisten und der Partei Reform und Ordnung einen rechtszentristischen Block in der Rada. Udowenko selbst vertrat von 1985 bis 1992 die Ukraine in den Vereinten Nationen und war von 1994 bis 1998 Außenminister.

FREITAG: Warum unterstützt Ihre Fraktion den Präsidenten?

GENNADIJ UDOWENKO: Wenn der Präsident etwas mit dem Skandal zu tun hat, soll man es klar beweisen. Die Lage, in der wir uns jetzt befinden, ist vor allem Resultat der Inkompetenz der Sicherheitsorgane. Kein einziger großer Skandal in der Ukraine wurde bisher aufgeklärt. Dennoch haben wir uns entschlossen, nicht an den Demonstrationen gegen den Präsidenten teilzunehmen, da diese Aktionen von der äußersten Linken und äußersten Rechten ausgehen. Wir fordern aber, den Innenminister und den Generalstaatsanwalt endlich zu entlassen.

Wie stabil ist die Position von Leonid Kutschma?

Das entscheidet nicht die Straße - es gibt ein Parlament, und die Ukraine ist ein stabiler Staat. Als Garant unserer Verfassung gilt der Präsident. Ich glaube nicht, dass es im Parlament eine Mehrheit für ein Impeachment-Verfahren gibt.

Wie gefährdet ist die Freiheit des Wortes in der Ukraine?

Sehen Sie sich an, wie Alexander Moros (Vorsitzender der Sozialisten, der die Tonbänder, auf denen Kutschma angeblich die Beseitigung des Journalisten Gongadse fordert, im Parlament vorspielen ließ - d. Red.) auftritt. Das zeigt doch, es gibt das freie Wort. Eine andere Sache ist es, dass unsere Medien von bestimmten Eigentümern finanziert werden, die den Kurs bestimmen. Der Journalist Gongadse ist tot - es gibt Angriffe auf andere Journalisten, aber nicht nur bei uns verschwinden Angehörige dieser Berufsgruppe. Sehen Sie sich die entsprechende Liste der UNO an. Man sollte die Ukraine nicht als dummen Jungen behandeln, den man abstrafen muss. Ich habe im Parlament aber auch erklärt, wir sollten die Empfehlungen des Europarates achten.

Wie beurteilen Sie generell die Politik Ihrer Regierung?

Wir unterstützten sie, denn Viktor Juschenko ist als erstem Premier seit zehn Jahren ein Durchbruch gelungen. Die Ukraine beginnt die ökonomische Krise, die dem Zerfall der sowjetischen Ökonomie folgte, zu überwinden. Der Staat zahlt die Schulden gegenüber Rentnern und seinen Angestellten ab. Die Lebenshaltungskosten erhöhen sich nicht, sondern sind stabil. Das Bruttoinlandsprodukt stieg um sechs Prozent, die Industrieproduktion um elf, die Agrarerzeugung um 2,5 Prozent.

Im Westen heißt es, die Ukraine sei bei marktwirtschaftlichen Reformen zu träge.

Wir handeln nach unseren Möglichkeiten, aber leider werden wir nicht ohne Grund kritisiert. Andererseits wird versucht, unserer Wirtschaft Bedingungen zu diktieren, was vor allem den Interessen der Produzenten widerspricht. Aber sie haben Recht, unsere Industrie ist zweifellos zurückgeblieben. Für eine Restrukturierung bräuchten wir Investitionen von 40 bis 50 Milliarden Dollar.

Wie kommen in der jetzigen Krise die Interessen anderer Staaten zum Tragen?

Wenn Sie Russland meinen ... - die Politik Moskaus gegenüber der Ukraine war immer imperial. Russland möchte eine Supermacht sein, doch ohne die Ukraine ist das unmöglich. Unsere ökonomische Abhängigkeit von Russland führt zu verstärkter politischer Abhängigkeit. Deshalb müssen wir die Wirtschaftskrise überwinden. Doch auch der Westen hat Angst vor einer mächtigen, unabhängigen Ukraine, so werden wir von allen Seiten bedrängt. In der Ukraine gibt es außerdem eine Fünfte Kolonne in Gestalt des russischen Kapitals, das eine strategische Position bei uns einnehmen möchte. Und wenn kein westliches Kapital fließt, treibt uns der Westen in diese Umarmung.

Inwiefern?

Weil es bis heute keine klare Aussage zum EU-Mitgliedswunsch der Ukraine gibt. Sehen Sie, jährlich besuchen beispielsweise fünf Millionen ukrainische Bürger den Nachbarn Polen. Wenn dieses Land jedoch in die EU aufgenommen ist - 2003 oder 2004 -, wird es einen Cordon geben - und der Westen wird daran beteiligt sein.

Wie könnten derartige Auswirkungen der Osterweiterung abgeschwächt werden?

Indem uns die EU als assoziiertes Mitglied aufnimmt.

Das Gespräch führte Ulrich Heyden.

Die Ökonomie der Ukraine 1999 - 2001 (in Prozent)

 

1999

2000

2001

 

 

 

(Prognose)

Bruttoinlandsprodukt/BIP (Vergleich zum Vorjahr)

- 0,4

+ 6,0

+ 3,9

Arbeitslosenquote (Jahresdurchschnitt)

22,7

28,2

21,0 - 22,0

Leistungsbilanzdefizit (in Prozent des BIP)

2,7

5,0

1,4 - 1,5

                                                                                           Quelle: WIIW, Eurostat


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