" Thatcher hat dieses Land ruiniert"

(DER SPIEGEL, 14. April 2001)

Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Der Historiker Norman Davies* über Katastrophen und Identitätskrise im Vereinigten Königreich, über das Versagen bei der Modernisierung des Landes und den Zerfall der Monarchie

SPIEGEL: Sind die Briten wirklich, wie ein irischer Minister unlängst sagte, die "Aussätzigen Europas?"

Davies: Es ist äußerst schockierend zu sehen, dass so hässliche Krankheiten wie BSE und die Maul- und Klauenseuche hier ihren Ausgang genommen haben. Wir wurden in England mit der Vorstellung groß, dass hässliche Krankheiten aus anderen Ländern kommen. Als ich 1955 zum ersten Mal allein nach Frankreich fuhr, gab mir meine Mutter enorme Vorräte an Lebensmitteln und sauberem Wasser mit. Damals waren es die Franzosen, die als unhygienisch angesehen wurden. Aber das hat sich mittlerweile wohl ins Gegenteil verkehrt.

SPIEGEL: Haben die Briten aus der BSE-Katastrophe nichts gelernt?

Davies: In diesem Land herrscht eine allgemeine Selbstgefälligkeit: Uns kann so etwas nicht passieren. Einer der schlimmsten Aspekte des britischen Inselbewusstseins ist der weit verbreitete Glaube, dass alles Böse jenseits des Kanals zu Hause ist.

SPIEGEL: Ist die Insellage schuld an der Selbstgefälligkeit?

Davies: In unseren Zeiten des Flugverkehrs und des Kanaltunnels ist Großbritannien nur dem Namen nach noch eine Insel. Geschichte hat immer zwei Aspekte: Raum und Zeit. Räumlich existiert der Wehrgraben Ärmelkanal längst nicht mehr, aber wir haben noch nicht nachvollzogen, dass wir wirklich ein Teil Europas sind. Der Zeitfaktor zeigt sich daran, dass die Briten seit dem Zweiten Weltkrieg glauben, sie hätten ihn gewonnen. Dabei waren wir nur dank Gottes Gnade - und der Macht der Verbündeten - auf der Gewinnerseite.

SPIEGEL: Und anschließend haben die Briten dann den Frieden verloren?

Davies: Viele andere europäische Länder, besonders Deutschland, waren zerstört und mussten ganz von vorn beginnen. Wir Briten dagegen dachten nicht über notwendige Reformen nach, bis es zu spät war.

SPIEGEL: Ist Britanniens "feinste Stunde", wie Winston Churchill den Widerstand gegen Nazi-Deutschland nannte, mitverantwortlich für die heutigen Probleme?

Davies: 1940 war kein Sieg, sondern ein wunderbares Überleben. Wir müssen uns endlich eingestehen, dass unser Empire verschwunden ist, dass wir nunmehr ein mittelgroßes Land sind. Wir sind zwar noch nicht ganz Albanien, aber es fällt sehr schwer, ins Mittelfeld abzusteigen, wenn man mal ganz oben stand.

SPIEGEL: Wir glauben kaum, dass Ihre Landsleute diese Diagnose teilen.

Davies: Wie alle Premierminister vor ihm versucht auch Tony Blair, so zu tun, als seien wir nach den USA noch immer Nummer zwei in der Welt. Das ist Unsinn, wir sind ein europäisches Land unter vielen.

SPIEGEL: Und dazu offenbar ein Katastrophenland. Warum eigentlich?

Davies: Am Ende des Zweiten Weltkriegs war dieses Land praktisch bankrott. Wir haben uns niemals klar gemacht, dass es großer, kontinuierlicher Investitionen bedarf, um soziale und andere staatliche Dienstleistungen zu verbessern. Außerdem ist die Infrastruktur hier zu Lande größtenteils älter als anderswo, sie entstand während des 19. Jahrhunderts im viktorianischen England. Es wäre besser, wenn sie 1943 zusammengebombt worden wäre. (Hört hört, Anm. Dikigoros :-)

SPIEGEL: Sie wurde zwar nicht zusammengebombt, aber hat nicht Margaret Thatcher sie durch konsequente Vernachlässigung endgültig ruiniert?

Davies: Sie hat dieses Land in vieler Hinsicht zerstört. Sie war eine sehr extreme Politikerin.

SPIEGEL: Thatcher musste 1990 zurücktreten, vor elf Jahren. Kann man sie noch immer dafür verantwortlich machen, dass vieles in Großbritannien auseinander fällt?

Davies: Sie hat das Land nicht ganz allein demontiert, aber sie war sehr, sehr entschlossen und schlagkräftig. Sie schaffte größere Veränderungen in ihren 11 Jahren als andere Politiker in 20 oder 30.

SPIEGEL: Als Blair vor vier Jahren Premierminister wurde, sprachen nicht nur die Briten, sondern Sozialdemokraten in ganz Europa von einem Neubeginn.

Davies: Mir erscheint Tony Blair als ein geschickter PR-Mann. Dabei ist er ein Opfer von Langzeittrends wie jeder andere auch. Er scheint keine klare Vorstellung davon zu haben, worauf er eigentlich hinaus will. Er verkündet immer diese Slogans wie "Bildung, Bildung, Bildung". Aber wenn er etwas gegen die Bildungskrise tun wollte, müsste er die tiefe Kluft zwischen staatlichen und privaten Schulen und Universitäten verringern. Das Gleiche gilt für das Gesundheitssystem.

"Das unvermeidliche Ende der Monarchie wird für die Engländer eine kalte Dusche sein"

SPIEGEL: Immerhin hat die Blair-Regierung doch ein paar wirkliche Veränderungen eingeleitet. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten haben die Waliser und die Schotten eigene Parlamente. Ist das nur eine längst überfällige Dezentralisierung, oder führt es dazu, dass Großbritannien auseinander brechen könnte?

Davies: Es wird auseinander brechen, aber es ist schwer vorher zu sagen, wann. In Wahrheit leiden wir schon länger unter dem Verlust unseres Selbstbewusstseins und unseres Selbstverständnisses als Briten, wobei es erstaunlich ist, dass sich diese starke Identität seit Churchill in nur ein, zwei Generationen in Luft aufgelöst hat. Das Empire war der Zement des Britentums, und als es zerbröselte, ging der Sinn für das Britentum verloren. Gleichzeitig fühlen sich die Briten heute mehr als Schotten, Waliser, Iren oder Engländer. Ich habe schon einmal geschrieben, dass der letzte britische Premier Tony Blair heißt.

SPIEGEL: Sollten die Engländer also auch ein eigenes Parlament bekommen?

Davies: Die Engländer sind den Schotten und Walisern zahlenmäßig deutlich überlegen. Deshalb würde ein Parlament für England die englische Dominanz nur fortschreiben. Mehrere Parlamente für die verschiedenen Regionen in England wären sinnvoller.

SPIEGEL: Würde das zu einem Föderalismus nach deutschem Muster führen?

Davies: Ich denke, die Bundesrepublik Deutschland ist ein gutes Modell, aber dafür interessiert sich in England niemand. (Da scheint der Setzer vor dem "ein" ein "k" geschlabbert haben, Anm. Dikigoros :-)

SPIEGEL: Warum verhalten sich die Engländer heute aggressiver gegenüber der EU und Brüssel als je zuvor?

Davies: Die Engländer verweigern sich der Realität. Dass man aus der Mitgliedschaft in der EU einen Nutzen ziehen könnte, erscheint ihnen als ausländische Propaganda.

SPIEGEL: Ist die Angst davor, von den Europäern kolonisiert zu werden, ein Zeichen mangelnder Selbstsicherheit?

Davies: Auf jeden Fall. Psychologisch betrachtet leiden die Briten, und besonders die Engländer, derzeit an einem aggressiven Verteidigungskomplex. Wenn Menschen ihre Identität verlieren, werden sie aggressiv. (Anm. Dikigoros: Das merkwürdigste daran ist, daß die Briten ihre Aggressionen nicht gegen ihre Kolonisierung durch Millionen und Abermillionen parasitärer muslimischer Afrikaner und Asiaten richten, sondern gegen ein paar tausend harmlose, dank der EU-Freizügigkeit ins Land gekommene christliche Gastarbeiter aus Osteuropa - ohne die z.B. das marode britische Gesundheitssystem längst ganz zusammen gebrochen wäre!)

SPIEGEL: Hat der englische Nationalismus die britische Identität verdrängt?

Davies: Die Engländer haben ein immer ausgeprägteres Gefühl, englisch zu sein. Aber der Kollaps des Vereinigten Königreichs und das unvermeidliche Ende der Monarchie werden sie aufwecken. Das wird eine kalte Dusche sein, und sie werden endlich den Glauben an all die englischen Mythen verlieren. Aber so weit ist es noch nicht. (Dikigoros würde mal vermuten, daß die britische Monarchie den SPIEGEL überleben wird - wenigstens auf dem Papier :-)

SPIEGEL: Wann wird denn die Monarchie zusammenbrechen?

Davies: Sie ist ein Anachronismus. Aber historische Ereignisse entwickeln sich langsam. Ein Gebäude kann bis in seine Grundfesten verrottet sein, aber es steht noch - bis es dann plötzlich zusammen stürzt.

SPIEGEL: Ist sie schon schwächer geworden?

Davies: Die Royals tun immer gerade nur so viel, um zu überleben.

SPIEGEL: Ohne Monarchie würde Großbritannien den USA vielleicht noch ähnlicher. (Das wird es auch mit Monarchie, Anm. Dikigoros)

Davies: Ich bin überzeugt, dass die Zukunft der Briten - einerlei, ob als Vereinigtes Königreich oder getrennt als Engländer, Schotten oder Waliser - in der EU liegt. Aber vielleicht müssen wir doch eines Tages Asyl in den USA beantragen - wenn wir wegen fortgesetzten schlechten Betragens aus der EU ausgeschlossen werden. (So kann man sich täuschen, Anm. Dikigoros :-)

INTERVIEW: HANS HOYNG, MICHAEL SONTHEIMER


*Davies, 61, lehrte zuletzt an der University of London


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