Frau Thatcher und der Rinderwahn


Das Versagen der Europäischen Kommission

Wir wissen nicht genau, warum Rinder an BSE erkranken und ob sie sich wirklich über das Tiermehl infizieren. Eines aber läßt sich mit Sicherheit sagen: Ohne die Lockerung staatlicher Bestimmungen für die Herstellung von Tiermehl durch die britische Regierung Thatcher hätte sich die Rinderseuche nicht dermaßen katastrophal verbreiten, und ohne die gnadenlose Ausrichtung der Agrarpolitik an der "ultrafreien Marktwirtschaft" hätte der Erreger nicht solch günstige Voraussetzungen finden können.

Mit dem Amtsantritt Margaret Thatchers im Jahre 1979 begann für England eine Ära des wirtschaftlichen Ultraliberalismus und des sozialen Kannibalismus. Der "Markt" wurde zur heiligen Kuh, der alle rationalen Überlegungen geopfert wurden. Die Gewinnmaximierung großer Unternehmen wurde zum Totempfahl der Konservativen. An diesem Totempfahl wurde unbedenklich der wirtschaftliche Mittelstand ebenso geopfert wie der Lebensstandard der breiten Bevölkerung.

Was sich hinter dem berüchtigten Begriff "Thatcher Economics" verbirgt, läßt sich treffend an der Geschichte des Rinderwahnsinns demonstrieren. Nicht einmal ein Jahr nach dem Amtsantritt der "Eisernen Lady" drängte die Regierung darauf, daß die Bestimmungen für die Herstellung von Tierkörpermehl dereguliert würden. Das wissenschaftliche Beratergremium der Regierung lief Sturm dagegen und warnte dringend, solch ein Schritt berge "die Gefahr, daß Krankheitserreger auf Tierherden und von dort auf den Menschen übertragen werden könnten". 1978 hatte dieses Gremium bei der Regierung eine "strenge Lizenzvergabe für die Verarbeitung von tierischem Eiweiß" angemahnt. Die Sorge der Wissenschaftler galt damals nicht dem Rinderwahn, der erstmals Mitte der 1980er Jahre auftrat, sondern Erregern wie Salmonellen und anderen Keimen.

Solche Überlegungen waren für die Regierung Thatcher jedoch "nicht zeitgemäß", sie "paßten nicht mehr in das wirtschaftliche Klima"; es sei "an der Zeit, die Industrie selbst entscheiden zu lassen, wie man am besten ein Produkt hoher Qualität herstelle", hieß es. 1981 unterzeichneten drei Minister eine Anweisung, die die Verfütterung von Tierkörpermehl an Rinder gestattete. Gleichzeitig wurde das Produktionsverfahren von Fleisch und Knochenmehl liberalisiert. Die Temperaturen konnten nun von mindestens 137 auf 80 Grad Celsius gesenkt werden, und die Hersteller durften auf die chemische Entfettung der Ausgangsmaterialien verzichten. Das war sehr viel billiger, zumindest für den Moment. Daß dieses Vorgehen der Menschheit mit größter Wahrscheinlichkeit den todbringenden BSE-Erreger bescherte, gehört zu den notwendigen Folgen einer solchen Politik.

Dank dieser Maßnahmen zur Kostensenkung wurde der gefährliche Scrapie-Erreger, der eine BSE-ähnliche Krankheit beim Schaf auslöst und seit zwei Jahrhunderten vor allem in England grassiert, beim Verarbeitungsprozeß nicht mehr genügend inaktiviert und im Tierfutter möglicherweise auf die Rinder übertragen. Es wird jedoch auch diskutiert, daß BSE bereits unerkannt bei Rindern vorkam und durch die die mangelhaften Verarbeitungsmethoden massiv verbreitet wurde. Vier Jahre nach dieser Deregulierung brach BSE aus.

Doch nun sollte der Wahnsinn erst richtig losgehen. Nun wurden die Tiere, die an BSE verendet waren, auch noch zu Knochenmehl verarbeitet und an andere Rinder verfüttert! So wurde wider besseres Wissen und entgegen eindringlicher Warnungen von der Regierung Thatcher eine Zeitbombe gezündet. In den zehn Jahren darauf wurden allein in England offiziell 180000 BSE-Fälle gezählt (mit hoher Dunkelziffer), ohne daß die Konservativen irgendetwas unternommen hätten, um die Ausbreitung dieser tückischen Seuche einzudämmen, im Gegenteil. Sämtliche Versuche in der Europäischen Union, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wurden von London hintertrieben. Über den Export von Zuchtvieh und Tiermehlprodukten wurde BSE in zahlreiche andere Länder verschleppt.

Nach langen Kämpfen setzten einige Mitgliedsländer der EU im Jahre 1989 endlich durch, daß kein Tierkörpermehl an Rinder mehr verfüttert und daß Organe geschlachteter Rinder, in denen der Erreger in großer Zahl gefunden wurde, wie das Gehirn, nicht mehr verwertet werden durften. Das war wenig genug, denn es gab längst Warnungen von Wissenschaftlern, daß BSE nicht nur auf andere Tierarten, wie bereits geschehen, sondern unter Umständen auch auf den Menschen übertragen werden könnte. Doch selbst diese minimalen Auflagen wurden offenbar von den Schlachthöfen und den Knochenmehlfabriken nur schlampig eingehalten, da sie von der Regierung kaum überwacht wurden.

Das Versagen der Europäischen Kommission

BSE ist auch ein Produkt der Globalisierung. Die Europäische Union war vollkommen unfähig, ja unwillig, ihre Bevölkerung vor einer solch eminenten Gefahr zu schützen. Jahrelang wurden in der EU selbst die offensichtlichsten Maßnahmen zum Schutz von Mensch und Tier unterlassen, bis das Europaparlament sich endlich dieses Problems annahm. Ein Bericht des BSE-Untersuchungsausschusses im Europaparlament, der am 7. Februar 1997 der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, spricht schon in der Überschrift von "fahrlässigen und schuldhaften Verhaltensweisen und mutmaßlichen Mißständen" in der Verwaltung der EU. In diesem Bericht wurden ein Verwaltungs- und Kompetenzwirrwarr und ein Maß von politischer Beeinflussung und Erpressung deutlich, das selbst eingefleischte Kritiker überraschte.

Das Thema BSE fällt in der EU-Bürokratie gleich unter vier verschiedene Zuständigkeiten: Rat, Kommission, Ständiger Veterinärausschuß und Wissenschaftlicher Veterinärausschuß tragen die politische Verantwortung. Zusätzlich sind vier verschiedene Dienststellen mit dem Thema befaßt: die Generaldirektionen Landwirtschaft, Industrie, Verbraucherschutz sowie Gesundheit und Sicherheit. Zwischen diesen Abteilungen wurde das Problem hin- und hergeschoben. Der Rat, eigentlich das höchste beschlußfassende Gremium der Union, überwies BSE an den Ständigen Veterinärausschuß mit dem Argument, es handele sich um ein medizinisch/wissenschaftliches Problem; dieser wiederum wies es als politisch bedeutsame Frage an den Rat zurück.

Eine besondere Rolle spielte der Ständige Veterinärausschuß, dessen Aktivitäten "sich nur sehr schwer bewerten" lassen, heißt es in dem Bericht. So wurden z.B. keine Protokolle über die Sitzungen angefertigt, sondern nur kurze Zusammenfassungen, die dem Untersuchungsausschuß nicht einmal zur Verfügung gestellt wurden. Der Ständige Veterinärausschuß wiederum stützte sich auf die Berichte des Wissenschaftlichen Veterinärausschusses, des wichtigsten beratenden Gremiums der Kommission, "in dem die Briten sehr großen Einfluß auf das Thema BSE nahmen". In der Untergruppe BSE "führte fast immer ein Brite den Vorsitz... Außerdem gehörten dem Ausschuß zahlreiche Wissenschaftler britischer Staatsangehörigkeit an." An den Sitzungen nahmen neun oder zehn Wissenschaftler teil, davon waren vier bis fünf Briten. Wissenschaftler, die als kritisch galten, wurden in ihrer Arbeit behindert oder von Sitzungen ausgeschlossen.

In dem Kapitel "Schuldhafte und fahrlässige Verhaltensweisen der Kommission" wird das Gremium beschuldigt, immer versucht zu haben, "das Problem herunter zu spielen, was... auf eine Politik der Desinformation hinausgelaufen ist". Ray MacSharry, der damalige Agrarkommissar und britischer Staatsbürger, hat offenbar mit rabiaten Mitteln verstanden, seinem Mutterland Schwierigkeiten wegen BSE zu ersparen. So wurde ihm während der Sondertagung des Rates am 6. und 7. Juni 1990 ein Vorschlag unterbreitet, wie man die Schwierigkeiten, die bei der Kontrolle des Handels mit entbeintem Fleisch und lebenden Tieren aus Großbritannien aufgetreten waren, beheben könnte. Der stellvertretende Generaldirektor für Landwirtschaft, Mansito und ein Mitarbeiter unterbreiteten ihm den Plan: "Die Reaktion fiel ziemlich grob aus, und wir verfügten nicht mehr über die Möglichkeit, darüber zu diskutieren, weil wir aus dem Sitzungssaal ausgeschlossen waren", berichtete der Zeuge. Beamte, die wie Mansito auf Maßnahmen gegen BSE drängten, wurden von da an bis Ende 1993 "bewußt von der Behandlung des Themas BSE ferngehalten".

Inspektionen in britischen Schlachthäusern, die Politiker in der Öffentlichkeit so groß heraus kehren, wurden von der Kommission halbherzig angeordnet und deren Ergebnisse nicht weiterverfolgt. Die britische Regierung ließ diese Inspektionen zwar zu, doch Nachforschungen über BSE waren den Inspektoren untersagt. Erst von Mai 1994 an durften die Prüfer auch nach BSE, ihrem eigentlichen Auftrag, forschen!

Die Kommission hat sich dem Druck der britischen Regierung ständig gebeugt, wobei man sich die Frage stellen muß, was sie dazu bewogen hat. Der Generaldirektor für Landwirtschaft in der EU, Legras, legte der Kommission bereits am 13. Februar 1990 einen Entwurf vor, die Ausfuhr von Fleisch und Knochenmehl aus Großbritannien zu untersagen. Sechs Jahre später, am 26. März 1996, wurde der Entwurf endlich angenommen, weil der Druck der Öffentlichkeit zu groß geworden war. Doch auch danach bemühte sich die Kommission, "einen für die Aufhebung des Ausfuhrverbots günstigen Bericht zu erhalten", z.B. vom Wissenschaftlichen Veterinärausschuß, der diesem Wunsch bereits Ende April nachkam. Auch bei der Erforschung der Seuche zeigte die Kommission keinerlei Interesse. Sie stellte erstens keine finanziellen Mittel zur Verfügung und versuchte darüber hinaus, "die Forschungstätigkeit in der Gemeinschaft den in Großbritannien durchgeführten Forschungsmaßnahmen unterzuordnen".

Der Untersuchungsbericht stellt ausdrücklich fest, daß der Umgang mit BSE bei der Kommission immer den unmittelbaren Anweisungen des jeweiligen Agrarkommissars unterlag, also bei den Herren MacSharry, Steichen und jetzt Fischler, da "das Thema immer einen bedeutenden politischen Aspekt" hatte. "Die von den zuständigen Kommissionsmitgliedern ausgeübte politische Kontrolle" war so groß, daß man ihnen die Versäumnisse anlasten müsse, nicht den Beamten. Sie müßten deshalb politisch zur Rechenschaft gezogen werden. Soviel aus dem Bericht des BSE-Untersuchungsausschusses.

In der EU-Kommission hat man das alles längst vergessen. In der Zwischenzeit müssen wir uns sogar gefallen lassen, daß der Kommissar für Verbraucherschutz, David Byrne, ausgerechnet Großbritannien als leuchtendes Beispiel für Maßnahmen gegen BSE, die man dort schließlich ergriffen hat, hinstellt. Von der unrühmlichen Vergangenheit, die der Welt erst dieses Problem bescherte, will er nichts mehr wissen, statt dessen greift er die Kontinentaleuropäer an, so als hätten sie die Krise heraufbeschworen. Auch Agrarkommissar Fischler spielt sich plötzlich als Anwalt der Menschheit auf, dabei trägt sein Gremium und er ganz persönlich eine Hauptschuld an dieser Katastrophe.

Rosa Tennenbaum (Neue Solidarität 7/2001)


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