China in Südostasien

von Peter Franke (südostasien informationen 1/97)

leicht gekürzt von Nikolas Dikigoros

Betrachtet man die Karte vom Südostasien, so wird deutlich, daß es für die Region keine klare Grenzziehung durch geographische "Barrieren" zu China gibt. Einmal abgesehen von der großen chinesischen Insel Hainan im Golf von Tonkin vor Vietnam sowie den von China als chinesisches Territorium beanspruchten Paracel und Spratly Inseln (Xisha-, Zhongsha- und Nansha Quondao) im Südchinesischen Meer zwischen Vietnam und den Philippinen, sind es im Nordwesten Teile der chinesischen Provinzen Guangxi und Yunnan. Sie grenzen an Vietnam, Laos und vor allem Burma, was weit nach Norden hineinragt. Drei der größten Flüsse Südostasiens, der Rote Fluß im Norden Vietnams, der Mekong Burma, Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam durchfließend und in Burma der Salween (in China heißen sie Yuan, Lancang und Nu) haben ihren Ursprung in China. Diese Flüsse bilden natürliche Verbindungen zwischen den Regionen, die in vorkolonialer Zeit nicht durch Staatsgrenzen voneinander getrennt waren.

In den beiden Grenzprovinzen Yunnan und Guangxi zusammen leben etwa 85 Mio. Menschen, davon 40 Mio. in Yunnan. Gut ein Drittel der Bevölkerung sind keine Han-Chinesen. Sie werden von chinesischer Seite als nationale Minderheiten bezeichnet und genießen in kultureller Hinsicht als autonome Bezirke oder Kreise einen Sonderstatus. Allein in Yunnan sind es 26 verschiedene Volksgruppen, darunter viele wie die Dais (Tais), Bai, Miao (Hmong), Ching-po (Kachin), Shan und andere, die mit entsprechenden Volksgruppen in den Nachbarstaaten Vietnam, Laos, Thailand und Burma verwandt sind. Sie sprechen ähnliche Sprachen und haben zum Teil ihr eigenständiges, kulturelles Erbe bewahren können, was sich sowohl hinsichtlich der Religion als auch des Brauchtums deutlich von der chinesischen Han-Kultur unterscheidet. Andere Volksgruppen wie die 14,6 Mio. Zhuang in Guangxi - die größte "Minderheitengruppe" in China mit eigener Sprache und Schrift - sind inzwischen weitgehend an die chinesische Kultur angepaßt. Beide Provinzen zeichnen sich durch einen hohen Anteil (83% in Guangxi, 87% in Yunnan; Landesdurchschnitt 60%) an Landbevölkerung aus.

Historisches

Vor dem 13. Jahrhundert gab es im Südwesten des heutigen Chinas das Nanzhao Reich, welches Gebiete des heutigen Laos, Thailand und Burma miteinbezog. Erst der Mongolen-Kaiser Khublai Khan eroberte Nanzhao, gliederte es in das chinesische Kaiserreich ein und machte die kleineren, benachbarten Königreiche zu Tributstaaten Chinas (vgl. Beitrag auf S. 9. Lange Zeit gab es einen "Historiker-Streit" zwischen Thailand und China: In Thailand galt nach Theorien einiger europäischer Wissenschaftler vom Ende des 19. Jahrhunderts bis vor einigen Jahren die Lehrmeinung, daß die Ethnie der Thais ursprünglich in West-Asien ansässig war, im 7. Jahrhundert das Nanzhao-Reich gegründet hatte und mit dessen Auflösung nach Süden in das heutige Thailand abgedrängt wurde. In China wurde diese Theorie bestritten und der Ursprung der Thais im Festland Südostasien verortet. Inzwischen ist die alte Theorie wohl von Historikern aus beiden Ländern endgültig verworfen worden. Was dieser Streit jedoch kennzeichnet, ist der enge Zusammenhang zwischen der historischen Entwicklung Südwestchinas und Festland Südostasiens.

Diese Entwicklung hat sich auch in diesem Jahrhundert fortgesetzt. Während des 2. Weltkrieges zog sich die chinesische Nationalregierung nach dem erfolgreichen Vormarsch der Japaner nach Sichuan (Chengdu) und Yunnan im Südwesten zurück. Abgeschnitten vom Zugang zum Meer wurde der Kontakt zur Außenwelt und die Versorgung ab 1939 von den Alliierten aus Indien über die Burma-Straße durch Yunnan nach Kunming organisiert. Mit der Ausdehnung des Krieges 1942 und der Eroberung Burmas durch die Japaner, war auch diese Verbindung unterbrochen. Eine kostspielige Luftbrücke über die Bergregion Burmas nach Kunming konnte erst 1944 die gleiche Menge an Nachschubgütern einfliegen, die einst über die Straße transportiert wurden.

Einige Truppenteile der chinesischen, nationalistischen Armee haben sich nach der Machtübernahme der KP Chinas im Grenzgebiet von Burma, Thailand und Laos, dem sogenannten Goldenen Dreieck, niedergelassen, praktisch einen eigenen kleinen Staat gebildet und von Mohnanbau und Drogenproduktion gelebt. Sie wollten von dort aus die Macht in China zurückerobern. Der bekannteste General von ihnen war Khun Sa, dessen gut ausgerüstete, 15.000 Mann starke Mong-Tai-Armee erst 1996 Frieden mit der burmesischen Militärjunta, SLORC, geschlossen und ihre Waffen abgegeben hat.

Von Yunnan aus wurden die kommunistisch orientierten Pathet Lao im Bürgerkrieg gegen die von den USA unterstützte königliche Regierung unterstützt. China baute Straßen in Nordlaos, bildete die Befreiungskämpfer aus, gab ihnen auf chinesischem Territorium Rückzugsmöglichkeiten und nahm Flüchtlinge in ihrem Grenzgebiet auf. Ganz zu schweigen von der materiellen Unterstützung, welche China Vietnam während des Krieges gegen die USA zukommen ließ. Nicht zuletzt machte China Anfang 1979 durch den Truppeneinmarsch im Norden Vietnams und einen 16 Tage andauernden Krieg aufgrund des vorangegangenen Einmarschs der Vietnamesen in Kambodscha deutlich, daß es beim Mächtegleichgewicht in Festland Südostasien mitzureden hat.

Ebenso unterstützte China massiv die Kommunistische Partei Burmas (KPB), die in den 70er Jahren zeitweilig über eine bis zu 20.000 Mann starke Volksarmee in befreiten Gebieten entlang der chinesisch-burmesischen Grenze verfügte.

Südwestchina - ein Teil Südostasiens

Teile Chinas sind ein Teil Südostasiens, nicht nur aus geschichtlicher Perspektive, sondern auch in aktueller Sicht. Die fünf SÜdwestprovinzen, neben Yunnan und Guangxi auch Guizhou, Sichuan und Tibet wurden 1992 von der Zentralregierung zur verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit untereinander und zum gemeinsamen Ausbau der Infrastruktur sowie zur Aufnahme engerer Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern Südostasiens aufgefordert. Vertreter der Provinzregierung führen eigenständige Verhandlungen mit Regierungsvertretern der Nachbarländer, ein für ein zentralistisches Land wie China ungewöhnlicher Vorgang.

Eine enge Zusammenarbeit mit der Militärjunta Burmas, SLORC, zeichnete sich bereits seit Ende 1989 ab, als die KPB sich auflöste. Seitdem sind in einer Reihe von Verhandlungen mit der Provinzregierung Yunnans sowie der chinesischen Zentralregierung mit dem SLORC eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbart worden, welche China zum wichtigsten Außenhandelspartner Burmas machte. Angesichts der weltweiten politischen Isolierung der SLORC waren die Beziehungen zu China für ihn eine wichtige Stütze, die vor allem auch den Nachschub an Waffen gewährleistete, den das Militär zur Bekämpfung der sogenannten Minderheiten in den Bergregionen dringend brauchte. Bereits Anfang der 90er Jahre sollen Waffen im Wert von 1,5 Mrd. US$ aus China geliefert worden sein. Der Wert, der über die 2800 km lange Landesgrenze gehandelten Güter wurde für den selben Zeitraum auf jährlich 1,5 Mrd. US$ geschätzt. China exportierte vor allem einfache Konsumgüter, die z.T. eigens neu errichteten Warenhäuser verkauft werden, während Burma Holz bzw. Holzprodukte, Edelsteine und Jade nach China exportiert. Angesichts solch großer Ausgaben für Waffen, gibt es reichlich Spekulationen, mit welchen Gelder sie bezahlt werden, denn allein die ausländischen Währungsreserven Burmas reichen zur Bezahlung nicht aus. So gibt es ein Reihe von Anzeichen dafür, daß mit Drogengeldern bezahlt bzw. chinesische Stellen unmittelbar in den Drogenhandel involviert sind. Immerhin ist Burma der größte Heroinproduzent der Welt und eine der wichtigsten Handelsrouten geht über Kunming durch China nach Hongkong. Seit der politische Öffnung ASEANs gegenüber Burma in den letzten Jahren hat sich die Abhängigkeit Burmas von China vermindert.

Ausbau der Verkehranbindung nach Südostasien

Yunnan und Guangxi werden zunehmend zum Tor Chinas nach Südostasien. Angeblich beschränken die Transportkapazitäten zur Zeit auch die Produktion, da die Waren nicht schnell genug abtransportiert werden können. Entsprechend wird in den Ausbau der Verkehrswege und die Anbindung an das übrige China über die Nachbarprovinzen Sichuan und Guizhou investiert. Bis zum Ende des Jahrtausends sollen weitere 5000 km Straßen geschaffen werden. Eine vierspurige Autobahn in Yunnan von Kunming Richtung Westen nach Dali ist in Bau. Bereits in den vorangegangenen Jahren haben Firmen aus China in Burmas Grenzregionen Brücken errichtet und Straßen gebaut, um den Zugang von China nach Burma zu verbessern. Dahinter steht mittelfristig die Vorstellung, daß für den internationalen Handel Yunnans birmanische Häfen wie Rangoon am Indischen Ozean gut auf dem Landweg zu erreichen sein werden und damit ein Standortvorteil gegenüber den anderen Küstenprovinzen Chinas erreicht werden kann, denn der Seeweg nach Europa würde dadurch erheblich verkürzt.

Der Ausbau der Straßen Richtung Süden von Kunming über Jinghong nach Laos ist ebenfalls im Gange. In Nord-Laos müssen allerdings noch die alten, Anfang der 1970er Jahre von Chinesen in den befreiten Gebieten der Pathet Lao gebauten und seitdem nicht reparierten Straßen für den normalen Verkehr wiederhergestellt und ausgebaut werden. So wird unter anderem bereits eine Teilstrecke nördlich von Luang Prabang von der chinesischen 1. Eisenbahngesellschaft in Jinghong als Subunternehmen für ein koreanisches Konsortium ausgebaut.

Da der weitaus größte Teil des Gütertransportes über die Schiene läuft, kommt diesem eine erhebliche Bedeutung zu. Das bestehende Schienennetz verbindet Kunming mit 13 Mio. Menschen Metropole Chengdu in der Provinz Sichuan im Norden, mit Guiyang in der Provinz Guizhou im Osten und über die Grenzstadt, Hekou, mit Hanoi. Allerdings gibt es noch keine Verbindung nach Südosten zur Hauptstadt Guangxis, Nanning, und weiter ans Meer nach Qinzhou und Beihai. Der Ausbau und die Verbesserung dieses Netzes sind im vollen Gange. Strecken wie die nach Chengdu sollen elektrifiziert werden. An einer 870 km Strecke von Kunming nach Nanning wird gebaut, ebenso an einer westlich von Kunming nach Dali, als erstes Teilstück nach Lashio in Burma, von wo aus bereits eine Schienenverbindung über Mandalay nach Rangoon besteht. Als Zukunftsvision gibt es die Vorstellung von einer Bahnverbindung nach Vientiane in Laos, womit dann eine Schienenverbindung über Laos nach Bangkok hergestellt wäre.

Für den internationalen Flugverkehr aus Südostasien nach China spielt Kunming eine wachsende Rolle Kunming. Es gibt täglich Flugverbindungen nach Bangkok und Rangoon, ebenso Direktverbindungen nach Singapur, Hanoi, Vientiane und Chiang Mai sowie Hongkong.

Lancang - Mekong, das Verbindungsband

Das wohl wichtigstes Verbindungsband zwischen China und allen Ländern Festland-Südostasiens ist der Mekong oder Lancang, wie er in China heißt. Das Wasser kann von allen Ländern zu Bewässerungszwecken, zur Gewinnung von Elektrizität, als Verkehrsweg und Fischfanggrund genutzt werden. Aber gerade diese Nutzungsmöglichkeiten können bei den heutigen Großtechnologien zu schwerwiegenden Interessenkollisionen zwischen den Anrainerländer führen. Dem bereits 1957 auf Initiative der Vereinten Nationen gegründeten Mekong-Komitee, welches solche potentiellen Konflikte im Vorfeld vermeiden helfen soll, sind bisher alle Staaten bis auf China beigetreten. China ist aber trotzdem seit einigen Jahren in die Verhandlungen über die Nutzung des Mekongs mit einbezogen und ihre Mitgliedschaft ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Konfliktstoff mit den anderen Anrainern könnte der weitere Bau von Wasserkraftwerken und entsprechenden Stauseen am Oberlauf des Lancang bieten. Sie würden den Wasserstand am Unterlauf beeinflussen. Kambodschas und (Süd-) Vietnams Landwirtschaft ist stark vom Wasser des Mekong abhängig. Allerdings ist wohl umstritten, welches Ausmaß Stauungen am Oberlauf in China tatsächlich haben. Chinesische Experten behaupten, daß die Menge des Wassers aus China lediglich 20% am Unterlauf ausmacht und China im Unterschied zu anderen Staaten - damit ist Thailand gemeint1) - kein Wasser ableitet.

Einigkeit hingegen herrscht darüber, den Mekong als Wasserstraße auszubauen und so die Länder für den Gütertransport zu verbinden. Dazu sind als erste Schritte die Schiffbarmachung des Flußlaufs durch Sprengungen einiger Stromschnellen und der Ausbau von Flußhäfen am Oberlauf in China, Burma und Laos notwendig. Das könnte allerdings zu Konflikten zwischen übergeordneten staatlichen Stellen und der am Flußlauf ansässigen Bevölkerung sowie Umweltschutzorganisationen führen, weil bei solchen Eingriffen mit ökologischen Folgen zu rechnen ist.

Die aufgezeigten Anstrengungen der Provinzen Südwestchinas, sich nach Südostasien hin zu öffnen spiegeln den wirtschaftlichen Pragmatismus wider, welcher sich seit den 80er Jahren im boomenden China durchgesetzt hat. Die bisher vorrangige Orientierung bei der Wirtschaftsentwicklung auf den chinesischen Binnenmarkt hat bereits zu hohen Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts (1994=11%) geführt. Sie liegen allerdings noch unter der von 11,8% für ganz China. Davon hat bisher am meisten die städtische Bevölkerung (12,6% in Yunnan) profitiert, die 1994 über ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von 3109 Yuan (nach heutigem Umrechnungskurs etwa DM 600) verfügte, während die Landbevölkerung im selben Jahr sich mit lediglich 803 Yuan zufrieden geben mußte. Im Vergleich zu Vietnam, Laos und Burma erscheinen die Lebensbedingungen in Yunnan trotz einer großen regionalen Disparität günstiger. Für Yunnan ist die Öffnung nach Südwesten der günstigste Weg, um über das sich rasch entwickelnde Südostasien, insbesondere Thailand, am Weltmarkt teilzunehmen. Es wird mit seinen Wirtschaftspotentialen nach Süden drängen und als Zugang nach China für die anderen südostasiatischen Länder eine bedeutende Rolle spielen. Noch steht die Kooperation in der euphemistisch als "Wachstumsviereck" bezeichneten Grenzregion Burma, China, Laos und Thailand am Anfang. Alle Anzeichen sprechen aber dafür, daß sich hier in den nächsten 10 Jahren ein wirtschaftlicher Wandel vollziehen wird, der sich mit den erfolgreichen anderen grenzüberschreitenden Wachstumsregionen in Südostasien vergleichen läßt.

Dabei werden aber auch die negativen Seiten einer solchen Entwicklung immer deutlicher werden: klaffendere Einkommensunterschiede, "moderne" Urbanisierung einhergehend mit der Zerstörung traditioneller Stadt- und Ortsstrukturen, Umweltzerstörung und Arbeitsmigration vor allem auch aus den ärmeren Regionen Zentralchinas in den Süden einschließlich der Variante des Frauenhandels. Die Globalisierung dieser bisher "rückständigen" Region steht nichts mehr im Wege.


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