Burka-Verbot

Der Schleier der Fundamentalisten

Der muslimische Ganzkörperschleier ist nicht nur zutiefst menschenverachtend, sondern er bedeutet auch den
totalen Sieg des politisierten Islam. Burka, Nikab und Tschador gehören deshalb verboten - fordert Alice Schwarzer.

22. Juli 2010. Als das französische Parlament am Vorabend des 14. Juli das Verbot der Burka in der Öffentlichkeit beschloss, enthielten sich – bis auf zwanzig Abweichler – die Sozialisten, Kommunisten und Grünen der Stimme. In der Kopftuchdebatte scheint die politische Front in allen europäischen Ländern ähnlich zu verlaufen: Linke neigen zur Tolerierung, Konservative und Rechte zum Verbot. Und die Bevölkerung?

82% der Französinnen und Franzosen bejahten das Burka-Verbot. Und die Mehrheit der sechs Millionen Muslime in Frankreich ist ebenfalls dafür. Auch das entspricht der Stimmung in der Bevölkerung der westlichen Länder.

Wie auch in Belgien muss das Gesetz in Frankreich nun nur noch den Senat passieren. Dann wird in Zukunft eine Frau, die in Frankreich öffentlich vollverschleiert auftritt, mit einhundertfünfzig Euro Strafe und einem Kurs in Staatsbürgerkunde rechnen müssen. Männern, die ihre Frau unter die Burka „zwingen“, drohen ein Jahr Gefängnis und Geldstrafen von bis zu dreißigtausend Euro – was allerdings reine Theorie ist. Denn eine Frau, die so unterwürfig ist, in dem schwarzen Loch eines Vollschleiers zu verschwinden, wird wohl kaum die Aufsässigkeit haben, ihren Mann wegen Burka-Zwangs anzuzeigen.

Als die Burka-Debatte in Frankreich im Jahr 2009 begann, angestoßen von einem kommunistischen Bürgermeister, behaupteten die Burka-Tolerierer zunächst, im ganzen Land gebe es überhaupt nur einhundertsechsundfünfzig Burka-Trägerinnen, von daher sei ein Verbot irrelevant. Inzwischen ist ihre Anzahl in der offiziellen Statistik auf zweitausend angewachsen. Wobei bemerkenswert ist, dass mindestens jede dritte Verschleierte in Frankreich eine Konvertitin ist. In der Regel verdanken deren muslimische Ehemänner der Eheschließung mit ihnen die französische Staatsangehörigkeit.

So ist es auch im Fall des Algeriers Lies Habbadj, dessen vollverschleierte französische Ehefrau Anne die Burka-Debatte in Frankreich auslöste. Ein Polizist hatte ihr eine Geldstrafe aufgebrummt wegen Fahrens am Steuer im Nikab, dem Vollschleier, der nur für die Augen einen kleinen Schlitz im Gesicht frei lässt. Ihr Ehemann ist ein aktiver Anhänger der schriftgläubigen Missionarssekte Tabligh. Der Metzger in Nantes wurde schon länger vom französischen Geheimdienst beobachtet, weil er sich seit Jahren regelmäßig wochenlang in Pakistan aufhält.

Ein taktisch agierender Islamist

Habbadj hat übrigens noch drei weitere Ehefrauen, mit denen er jedoch nicht nach französischem, sondern nur nach islamischem Recht verheiratet ist. Als die Justiz ihn wegen Polygamie anklagen wollte, ging der offenbar gut Geschulte cool an die Öffentlichkeit und erklärte, dann müssten aber auch die vielen französischen Männer, die Geliebte haben, der Polygamie angeklagt werden. Lies Habbadj ist also keineswegs ein naiver Gläubiger, sondern ein taktisch agierender Islamist, für den das Strafmandat seiner Frau vermutlich ganz in seinem Sinne war, da er auf Provokation des Rechtsstaates aus zu sein scheint.

Ganz wie einst die Deutsch-Afghanin Fereshta Ludin, die für das Recht von Lehrerinnen auf das Kopftuch in der Schule über acht Jahre lang bis zum höchsten Gericht klagte. Oder wie im Fall der sogenannten "Kopftuchaffäre“, die im Jahr 1989 Frankreich beschäftigte. Da hatten politisch einschlägig aktive Väter und Onkel drei kleine Mädchen provokant mit Kopftuch in die laizistische Schule geschickt – und damit eine jahrelange Debatte ausgelöst, in der sich quasi die gesamte Linke für das Kopftuch aussprach.

Die Frage der Freiwilligkeit

Die Philosophin Elisabeth Badinter, die Ehefrau des früheren sozialistischen Justizministers, war damals eine der wenigen Stimmen aus der Linken, die gegen das – neunzehn Jahre später schließlich verbotene – Kopftuch in der Schule plädierte. Sie sprach von einem „verschleierten Verstand“. Auch jetzt erhob Badinter wieder ihre Stimme und schrieb einen offenen Brief an die Burka-Trägerinnen: „Sind wir in Ihren Augen so verachtenswert und unrein, dass Sie jeden Kontakt, jede Beziehung mit uns verweigern, bis hin zu einem kleinen Lächeln?“, fragte sie und fuhr fort: „In Wahrheit nutzen Sie die demokratischen Freiheiten, um die Freiheit abzuschaffen. Das ist eine Ohrfeige für alle Ihre unterdrückten Schwestern, denen für diese Freiheiten, die Sie so verachten, die Todesstrafe droht.“

Es ist in der Tat schwer nachvollziehbar, wie Frauen freiwillig eine Verhüllung anlegen können, die in den „Gottesstaaten“ und allen Ländern, in denen die Islamisten inzwischen die Macht haben, Frauen mit Todesdrohungen aufgezwungen wird. In diesen Ländern haben die Frauen keine andere Wahl. Und auch innerhalb der islamistisch beherrschten Communitys mitten in Europa ist es für die Musliminnen nicht immer einfach.

Die religiöse Begründung ist unerheblich

Aber was ist mit den Konvertitinnen, die in Ländern aufgewachsen sind, in denen ihre Vorfahrinnen die Gleichberechtigung – vom Wahlrecht bis zum Recht der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum – so mühsam erstritten haben? Ihre Motive scheinen Angst vor Freiheit und Selbstverantwortung sowie weiblicher Masochismus zu sein – als Folge einer langen realen Unterdrückung und Demütigung des weiblichen Geschlechts.

Doch die subjektiven Motive von Mädchen und Frauen, die sich in Demokratien „freiwillig“ unter ein Kopftuch oder den Ganzkörperschleier begeben, sind nur die eine Ebene und übrigens vielfältig und wechselnd – so diese Frauen überhaupt die innere und äußere Freiheit haben, die Meinung zu wechseln. Die zweite Ebene aber, die objektive Bedeutung des Schleiers, ist eindeutig: Kopftuch und Tschador waren auch in der muslimischen Welt Relikte der ländlichen, unaufgeklärten Bevölkerung – bis Chomeini in Iran den Gottesstaat ausrief. Seither ist das Kopftuch die Flagge des politisierten Islam und der Ganzkörperschleier sein totaler Sieg.

Die Mehrheit der Islamwissenschaftler scheint sich einig zu sein, dass weder das islamische Kopftuch, das die Haare ganz bedeckt, noch der Ganzkörperschleier religiös begründet sind. Doch, ehrlich gesagt, finde ich diese Frage für unsere Debatte eigentlich unerheblich. Denn es kann doch nicht sein, dass wir Texte, die aus religiösen oder machtpolitischen Interessen vor Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden geschrieben wurden, im Rechtsstaat als Realität anerkennen – selbst wenn sie gegen die elementarsten Menschenrechte verstoßen.

Menschenverachtend - auch für Männer

Mit den kopftuchtragenden Musliminnen in unseren Ländern haben wir selbstverständlich zu reden und ihnen nicht mit Verboten zu begegnen. In Kindergärten, Schulen und im öffentlichen Dienst allerdings hat dieses Kopftuch, das kein religiöses, sondern ein politisches Zeichen ist, nichts zu suchen. Hinzu kommt, dass es eine gewaltige Erleichterung für viele muslimische Mädchen aus orthodoxen oder fundamentalistischen Familien wäre, wenn das Kopftuch sie wenigstens in der Schule nicht als die „Anderen“ stigmatisierte, in ihrer Bewegungsfreiheit behinderte und sie von den Jungen wie Wesen von unterschiedlichen Sternen trennte. Wir würden den Mädchen mit dem Freiraum Schule überhaupt erst die Chance zu einer eines Tages wirklich freien Wahl geben.

Der Ganzkörperschleier aber hat in einer Demokratie nichts zu suchen. Er raubt den weiblichen Menschen jegliche Individualität und behindert sie aufs schwerste in ihrer Bewegungsfreiheit. Burka und Nikab sind zutiefst menschenverachtend. Nicht nur für die in ihren Stoffgefängnissen eingeschlossenen Frauen, sondern auch für die Männer, denen ja unterstellt wird, sie würden sich auf jede Frau, von der sie auch nur ein Haar oder ein Stück Haut erblicken, wie ein Tier stürzen.

Ein sehr pragmatisches, unsentimentales Verhältnis zur Integration

In Deutschland wurde in den vergangenen Monaten über die französische Burka-Debatte in fast allen Medien herablassend spöttisch berichtet. Haben die Franzosen eigentlich keine anderen Probleme? Wir jedenfalls haben diese Probleme nicht!, lautete der Tenor. Angeblich gibt es bei uns keine Burka- oder Nikab-tragenden Frauen. Mit Verlaub, da staune ich. Seit geraumer Zeit sehe ich bei jedem Gang durch die Kölner Innenstadt mindestens zwei, drei vollverschleierte Frauen, meist in Begleitung lässiger Männer in Jeans. Wie lange wollen wir eigentlich über einen solchen Sklavinnen-Auftritt noch hinwegsehen?

Als Frankreich im Herbst 2008 das Kopftuchverbot in der Schule für Lehrerinnen und Schülerinnen verabschiedete, drohte der Al-Qaida-Führer Abou Moussab Abdoul Wadoud: „Wir werden uns im Namen der Ehre unserer Töchter und Schwestern an Frankreich rächen. Heute ist es der Tschador, morgen ist es der Nikab.“ Wadoud und seine Gotteskrieger scheinen Ernst machen zu wollen.

Doch Präsident Sarkozy ließ sich nicht einschüchtern. Als Sohn eines emigrierten Ungarn und einer griechischen Jüdin, aufgewachsen bei den jüdischen, einst vor den Nazis geflüchteten Großeltern, hat er selbst einen „Migrationshintergrund“ und ein sehr pragmatisches, unsentimentales Verhältnis zur Integration. „Wir sind eine alte Nation, die sich einig ist in Bezug auf eine gewisse Vorstellung von der Würde des Menschen, insbesondere der Würde der Frau“, erklärte Sarkozy. „Der Vollschleier, der das Gesicht verbirgt, verletzt unsere fundamentalen republikanischen Werte.“

Eine Steigerung der Isolation?

Auch Sarkozys muslimische Staatssekretärin Fadela Amara erklärte, die Burka sei „ein sichtbarer Ausdruck der Fundamentalisten in unserem Land“. Die Franco-Senegalesin Rama Yade, ebenfalls Muslimin und Mitglied des Kabinetts, nannte sie „menschenverachtend und der reine Hohn“.

Ganz anders tönen hingegen europäische linke Menschenrechtsorganisationen. So warnte Human Rights Watch vor einer „Stigmatisierung“ der Burka-Trägerinnen durch ein Verbot; erklärte Amnesty International, ein Burka-Verbot verletze „die Grundrechte von Frauen“; und gab Sozialistenführerin Martine Aubry der Sorge Ausdruck, damit „isoliere“ man die Burka-Trägerinnen nur noch stärker. Ganz so, als sei eine Steigerung der Isolation einer Frau unter der Burka überhaupt möglich.

Sollen wir uns wieder einmal raushalten?

Dieser Paternalismus der Linken ist nicht neu. Auffallend ist, dass in ganz Europa die Linke den Kampf gegen die Islamisierung den Konservativen beziehungsweise Rechten überlässt. Mit dem Resultat, dass die Rechte dies zum Teil populistisch funktionalisiert und missbraucht. Und die Linke? Die relativiert mit einer solchen falschen Toleranz nicht nur mühsam errungene westliche Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung, sondern ignoriert auch die berechtigten Ängste der Bevölkerung. Vor allem aber lässt sie die Mehrheit der Musliminnen im Stich, die ja die ersten Opfer der fundamentalistischen Agitatoren sind.

Die Gründe für diese scheinbare „Fremdenliebe“, die eigentlich nur die Kehrseite des Fremdenhasses ist, scheinen vielfältig zu sein. Sie reichen von Gleichgültigkeit und schlechtem Gewissen bis hin zu einem sehr grundsätzlichen Differenzialismus dieser Söhne und Töchter von Michel Foucault und Claude Lévi-Strauss. Denn es waren diese Kreise, die die Offensive des Islamismus lange als „Revolution des Volkes“ gefeiert haben. Foucault etwa war einer der ersten und glühendsten Befürworter des iranischen Gottesstaates. Und die Liberalen und Konservativen? Die machten und machen fröhlich Geschäfte mit den Islamisten. Von den Menschenrechten, in dem Fall aller Frauen, redet da niemand.

Als die Feministinnen ab den späten 1970er Jahren die Genitalverstümmlung kritisierten, wurden sie von der Linken des "weißen, bürgerlichen Eurozentrismus“ beschuldigt und angewiesen sich rauszuhalten. In Bezug auf die grausame Genitalverstümmelung gibt es inzwischen einen allgemeinen Sinneswandel. Müssen wir die Gesellschaftsfähigkeit der Burka auch noch 20, 30 Jahre gewähren lassen – bis es zu spät ist? Sollen wir uns wieder einmal raushalten, wenn vor unser aller Augen mitten unter uns Frauen ihrer elementarsten Menschenrechte beraubt und unsichtbar gemacht werden? Wollen wir immer noch nicht begreifen, dass es sich hier nicht um Glaubensfragen, sondern um gezielte politische Provokationen handelt, die dank unserer falschen Toleranz die Grenzen des Rechtsstaates überschreiten könnten?

Symbolische Politik ist auch Politik

"Sollen wir die Burka verbieten?“, wurde ich jüngst bei einer öffentlichen Veranstaltung gefragt. Was für eine Frage! Selbstverständlich ja! Mit welchen spitzfindigen formaljuristischen Formulierungen auch immer. Denn es gibt Grenzen der "Religionsfreiheit“. Mit der wollen ja auch christliche Fundamentalisten zum Beispiel begründen, wenn sie ihre Kinder nicht in unsere Schulen schicken. Schon seit Papst Johannes Paul II. ist übrigens ein Schulterschluss zwischen den Konservativen und Fundamentalisten beider Religionen zu beobachten. Im Visier haben sie beide dabei ihre Privilegien und die Selbstbestimmung der Frauen. Das ist eine auch für die Christen gefährliche Strategie. Denn sie würden am Ende den Kürzeren ziehen.

Ein Burka-Verbot sei nur symbolische Politik und das Problem der Unterwanderung durch den schriftgläubigen Steinzeit-Islamismus damit nicht gelöst, argumentieren die ganz Schlauen. Das stimmt. Aber symbolische Politik ist auch Politik. Und ein Verbot wären ein erster Schritt und ein sichtbares Zeichen – nicht nur für die unsichtbaren Frauen. Nicht zufällig verabschiedete das französische Parlament das Burka-Verbot am Vorabend des 14. Juli, des Jahrestags der Französischen Revolution – am Nationalfeiertag selbst wird in Frankreich nicht gearbeitet, sondern gefeiert. Diese Französische Revolution proklamierte vor über 200 Jahren die "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ für alle Menschen. {Nur der guten Ordnung halber: Dieser Satz stammt erst aus der Revolution des Jahres 1830. In der Revolution von 1789 meinte "hommes" noch nicht "Menschen", sondern ausdrücklich nur "Männer", Anm. Dikigoros} Und wir Frauen fügten die "Schwesterlichkeit“, genauer: die "Geschwisterlichkeit“ hinzu. Dahinter wollen wir nicht mehr zurückfallen.


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