Die Rückkehr des römischen Grußes

In Italien sind faschistische Symbole Teil der Alltagskultur

von Paul Badde (DIE WELT, 25. Januar 2005)

mit einer Nachbemerkung von N. Dikigoros

Rom - Silvio Berlusconi strahlte: das war sein Tag! Die Unterzeichnung der Europäischen Verfassung am 29. Oktober 2004, der er als Gastgeber auf Roms Kapitolhügel vorstand, war ein Höhepunkt der einmaligen Karriere von Italiens Premier. Champagner vorher, Champagner nachher! Aus aller Welt drängten sich Beobachter und Journalisten um die Buffets und das Ereignis. Als die Unterschriften trocken waren, verließ "Il Cavaliere" Berlusconi den Festsaal der Horatier und Curatier über das Kopfende und schlenderte lässig auf den seitlichen Balkon des Palastes. Zuschauer jubelten unter ihm, Kameras zoomten sein Bild heran. Er lächelte wohlig, als er ihnen allen den römischen Gruß entbot, entspannt und ausgiebig: mit dem gleichen ausgestreckten rechten Arm, mit dem schon "Il Duce" Mussolini immer die Huldigungen seiner Anhänger entgegen genommen hatte (bevor dieselbe Geste jenseits der Alpen auch noch als "deutscher Gruß" Karriere machte). Merkte es keiner der vielen Fernsehredakteure, die nach Rom geeilt waren? Es regte sich jedenfalls keiner auf.

Das war ganz anders am 8. Januar, als Paolo di Canio, der torgefährliche Kapitän von Lazio Roma, seinen ersten Siegtreffer (zu einem vernichtenden 3:1 über den verhaßten AS Roma) im Flutlicht vor der "Lazio-Kurve" mit ausgestrecktem rechten Arm und aggressiv vorgeschobenem Kinnladen feierte. Es war ein Skandal. Im kochenden Stadion war die gleiche Geste plötzlich so etwas wie ein ausgestreckter politischer Mittelfinger - vor allem natürlich nach Meinung der Anhänger und Direktoren des unterlegenen AS-Roma. Das sah Di Canio jedoch überhaupt nicht so. Er sei Profi und halte Politik prinzipiell aus dem Stadion fern, beteuerte der Stürmer als Verteidiger vor den vielen Mikrophonen, die ihm da plötzlich entgegen gestreckt wurden. Das auf seinen Arm tätowierte lateinische DUX (für "Duce" oder "Führer") sei seine Privatsache. Dürfe er deshalb nun vielleicht seinen Arm nicht mehr ausstrecken? "Ich habe mein Tor gefeiert. Das war alles. Das war keine politische Geste." Das hingegen konnte und mochte eine seiner Verehrerinnen wiederum nicht glauben. "Wie schön dieser römische Gruß doch war", schwärmte Alessandra Mussolini. Die wasserstoffblonde Enkelin Benito Mussolinis, die als attraktive Parlamentarierin mit einer kleinen rechten Splitterpartei durch die Politik surft, war "gerührt" vom Gruß des Kapitäns.

Wenn zwei das Gleiche tun, sei es noch längst nicht das Gleiche, weiß der deutsche Volksmund und das trifft wohl auch Italien zu. Das merkwürdige Phänomen aber, daß der exakt gleiche Akt zwei prominenter Zeitgenossen in aller Öffentlichkeit zwei so vollkommen verschiedene Folgen hat - genauer: einmal gar keine und einmal einen gewaltigen Sturm (im Wasserglas der Medien) -, kann auch diese Weisheit aber nur ungenügend erklären. Gibt die Weisheit des alten Rom eine bessere Antwort? "Quod licet jovi non licet bovi" (Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt). Ja und nein. Denn erstens ist Italiens Premier ja kein Gott und Paolo di Canio kein Ochs (und natürlich ist es auch nicht umgekehrt). Zweitens aber scheint die Geschichte in Italien komplexer. Auf dem höchsten Punkt des Latium zum Beispiel, in dem Städtchen Guadagnolo, sieht in meinem Lieblingslokal zwischen den Amaro-Flaschen vom Regal hinter der Kasse eine gar nicht so kleine Figur des Duce der Wirtin über die Schulter. Bisher scheint es noch keinem Kunden eingefallen, deshalb die herrlichen Würste des Lokals zu boykottieren. Denn auch im tiefer gelegenen Rom hängt im Palazzo Chigi, dem Sitz des Premiers, bis heute noch ein Bildnis Mussolinis, das kein späterer Regierungschef in Italien je entfernt und verboten hat; und dazu wird es auch in Zukunft so schnell nicht kommen. Die neue Initiative Franco Frattinis, "alle Nazi-Symbole in Europa zu bannen und zu ächten", ist davon völlig unberührt. Damit zeigt Italiens geschmeidiger Ex-Außenminister als Kommissar vielmehr nur, wie schnell er die Regeln der Brüsseler Correctness begriffen hat, die sein Vorgänger Buttoglione davor so flagrant verletzte. "Kein Hakenkreuz weniger!" werde es durch solch eine "unsinnige Verfügung" an den Mauern Roms, Londons oder Berlins geben, weiß unser politisierender Barmann, als er die Zeitung wieder weglegt. Da mag er Recht haben. Die faschistischen Liktorenbündel Roms aber waren - ganz anders als die fremden Hakenkreuze - schon immer auch ein Emblem der altrömischen Republik. Obgleich mit einem gewaltigen Satz, knüpften sie doch an die römische Geschichte an.

Der faschistische Sündenfall wird deshalb bis jetzt allgemein nicht als Bruch, sondern als Teil der Geschichte verstanden - und keineswegs als Zivilisationsbruch. Was viele Deutsche einmal als "Verrat" sahen, ist deshalb längst zum politischen Glück Italiens geworden. Der "Große Faschistische Rat" hat den großen Führer schon 1943 aus dem Amt gejagt. Der Stolz darüber läßt unseren Barmann noch heute nicht los. Benito Mussolini war nicht Adolf Hitler - und die Italiener sind keine Deutschen. Die Nazis waren keine Faschisten und die Faschisten waren keine Nazis. Darum muß sich Italien bis heute auch nicht immer neu von seinem Duce befreien. Das hat es in Wirklichkeit lange hinter sich - auch wenn der Gedanke für Deutsche so fremd bleiben mag wie die Vorstellung, Deutsche und nicht Russen hätten Auschwitz befreit. Welch ein Gedanke!


Nachbemerkung: Und wenn die Nazis voreinander den Hut gezogen und "guten Tag" gesagt hätten, dann wäre heute beides bei uns verboten? Was soll denn dieser Schwachsinn, einen Gruß zu ächten, bloß weil ihn auch politisch mißliebige Personen in der Vergangenheit gebraucht haben? Der römische "Caesarengruß" ist viel älter als Mussolini und Hitler zusammen, und niemand sonst auf der Welt geniert sich, ihn weiterhin zu verwenden: "Schalom" bedeutet "[Sieg]Heil", ebenso "Salam", "Jay", "Salut", "Salud", "Salute" usw. Ihr glaubt das nicht? Dann schaut Euch mal die folgende zweisprachige Proklamation des belgischen Königs von anno dunnemals an: Wie wird da "Salut" übersetzt? Eben - mit "Heil"!

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