Wenn es Nacht wird in Pretoria...

Südafrikas multikulturelle Realität nach der Apartheid

von Peter Scholl-Latour (Welt am Sonntag, 3.6.2001)

(Links, Anmerkungen und Nachbemerkung von Dikigoros)

Kein Land des Schwarzen Erdteils gibt heute so viele Rätsel auf wie Südafrika, kein Staat ist irreführender. Der erste Eindruck täuscht total.

Da findet der Einreisende einen perfekt funktionierenden Flugplatz von Johannesburg vor, wo die Einreise-Formalitäten auf ein Minimum beschränkt sind. Irgendein Reisebüro hat ihm einen klimatisierten Wagen mit einem verlässlichen schwarzen Fahrer bereitgestellt, der ihn über eine vorzügliche Autobahn nach Pretoria fährt. Im Hotel Sheraton erwartet ihn nicht nur Luxus, sondern eine gemischt-rassige, freundliche Bedienung, welche die gelungene Verwirklichung der "Regenbogen-Gesellschaft" zu symbolisieren scheint. In der Hauptstadt werden die Rasenflächen ständig gepflegt. An den Ampeln befleißigen sich die Verkehrsteilnehmer einer Disziplin, die in Paris oder gar Rom unvorstellbar wäre.

Von befreundeten Südafrika-Reisenden ist man eingestimmt worden. Die Safaris im Krüger-Park böten weiterhin herrliche Wildlife-Erlebnisse, und in der Umgebung des Kaps der Guten Hoffnung sei die Sicherheit der Weißen weitgehend garantiert. Es lohne sich sogar, eine jener herrlichen Villen mit Schwimmbad zu erwerben, die dort zu Schleuderpreisen angeboten werden, was eigentlich nachdenklich stimmen sollte.

Sogar in die Afrikaner-Siedlung Soweto am Rande von Johannesburg werden Touristen-Besuche organisiert, ja es ist chic, in dieser früheren Brutstelle des Rassenkampfes bei "Eingeborenen" zu übernachten. Tatsächlich erschien auch mir Soweto - bei Tage zumindest - weit weniger bedrohlich als in den Jahren der Apartheid, als dort die Schulen brannten und die Polizeistationen sich in belagerte Festungen verwandelt hatten.

Stößt man auf deutsche Wirtschaftsvertreter, so loben sie in höchsten Tönen das hervorragende Investitionsklima und die hohen Renditen, die sie sich errechnen. Über der Rassenharmonie in Südafrika, die auf so wunderbare Weise nach der Unabhängigkeit gewahrt blieb, ruhe weiterhin der Segen des großartigen Friedensstifters Nelson Mandela, auch wenn er inzwischen aus seinem Präsidentenamt ausgeschieden sei.

Für die westlichen Medien ist Südafrika offenbar eine "heilige Kuh". Nirgendwo aber hat sich unsere Informationsgesellschaft so gründlich blamiert wie bei der Schilderung der dortigen angeblich idyllischen Verhältnisse.

Wenn die Nacht sich über Pretoria senkt, stellt sich die Angst ein, offenbart sich eine unheimliche Wirklichkeit. In der ehemaligen Buren-Hochburg lebt heute eine ausschließlich schwarze Bevölkerung, soweit die Bantu, die vor der Anonymität der großen verlassenen Gebäude zurück schrecken, überhaupt bereit sind, sich dort einzuquartieren. Auch die riesige Geschäftsmetropole Johannesburg ist längst von fast allen Weißen verlassen worden.

Die Weißen von Johannesburg und Pretoria haben sich in eine neue Form von "Laager"-Mentalität zurückgezogen. Weit weg von den Stadtkernen haben sie so genannte "Compounds" gebaut mit eigenen Geschäften, Schulen, Kirchen und Clubs. Das Ganze ist durch perfektionierte Elektronik abgeschirmt.

Selbst die ausländischen Diplomaten bangen jede Nacht, ob sich nicht doch eine Rotte schwarzer Gewalttäter ihrem Anwesen nähert. "Wenn die einmal im Haus sind", so wurde mir übereinstimmend berichtet, "gibt es keine Rettung mehr; dann wird jeder Europäer erschlagen, jede weiße Frau - vom zweijährigen Kleinkind bis zur achtzigjährigen Greisin - vergewaltigt." Es gehe diesen Gangs vor allem um den Geschlechtsverkehr mit Jungfrauen, der - den Aussagen ihrer Medizinmänner zufolge - Schutz und Immunität gegen die mörderisch um sich greifende Aids-Pandemie bieten soll.

Dieser schreckliche Aberglaube ist landesweit verbreitet. Er fordert vor allem auch in den schwarzen "Townships" eine wachsende Zahl von Opfern. Bei diesen Horrorszenen handelt es sich nicht um räuberische Plünderungen - nicht einmal die wertvollen elektronischen Geräte werden gestohlen [die Neger sind zu dumm, um sie zu bedienen, Anm. Dikigoros] -, sondern um sinnlose Brutalität, und es bleibt nicht bei Einzelfällen.

Sowohl bei den Regierungsbehörden als auch bei den ausländischen Vertretungen habe ich mir die präzisen Statistiken verschafft. Seit dem Zusammenbruch des Apartheid-Regimes wurden in Südafrika - überwiegend in isolierten Farmen - etwa 1100 Weiße umgebracht; 5500 Überfälle fanden statt.

Genaue Angaben über die schwarzen Opfer der blutigen Anarchie, die sich bei Dunkelheit der südafrikanischen Stadtviertel bemächtigt, liegen nicht vor. Die gemischt-rassigen Polizei-Patrouillen haben dort längst vor den bewaffneten Banden kapituliert oder ein Auskommen mit ihnen gesucht.

Im Zentralpark von Pretoria ist die Bronze-Statue des Ohm Krüger intakt geblieben. Aber ringsum auf dem sauber gemähten Rasen lagert die schwarze Freizeitgesellschaft. Ein ähnliches Bild bietet sich im Umkreis des mächtigen Union-Buildings, dessen Turm-Konstruktion einmal die Macht des britischen Empire symbolisieren sollte.

Die wenigen Weißen, die aus beruflichen Gründen die ehemaligen Geschäftszentren noch aufsuchen müssen, wirken wie flüchtiges Wild, verharren - wo immer es geht - im relativen Schutz ihrer Auto- Karosserie. Gewiss, mit dieser kollektiven Unsicherheit, der permanenten Befürchtung, am helllichten Tag beraubt zu werden, stehen die Städte Südafrikas nicht allein. In Lagos, Kinshasa, Nairobi ist die Gefährdung für Fremde durchaus vergleichbar. Aber zwischen Transvaal und dem Kap gewinnt die latente Bedrohung eine ganz andere Dimension, wirkt besonders unheimlich, vielleicht auch weil sie systematisch verheimlicht oder schöngeredet wird.

Der große Exodus der alteingesessenen Europäer hat ja längst begonnen. Wer über einen britischen oder deutschen Pass verfügt, hat seine Ausreise zumindest organisiert. Die weißen Fachkräfte - Ingenieure, Ärzte, Elektroniker - haben keine große Schwierigkeit, in Nordamerika, Australien, Neuseeland eine Niederlassungs-Genehmigung zu erhalten. Aber die Masse der Buren hat weder eine doppelte Staatsangehörigkeit noch berufliche Qualifikation vorzuweisen. Vor allem die so genannten "arme Blanke", jene Buren, deren Bildungsstand dem des durchschnittlichen Schwarzen entspricht und die früher der Apartheid eine rassisch bedingte Vorzugsstellung verdankten, stehen am Rande des Abgrundes und des Elends. Es dürfte etwa eine Million "arme Blanke" geben.

Die Deutschen, die in Südafrika leben, verweisen stolz darauf, daß die Bundesrepublik in diesem Jahr als führender Handelspartner Pretorias Großbritannien überrundet hat. Aber den forschen deutschen Unternehmern sollte zu denken geben, daß die großen internationalen Konzerne - an ihrer Spitze Anglo-American und de Beers - ihre Hauptsitze aus Johannesburg weg nach Montreal oder London verlagert haben.

Um mir einen persönlichen Eindruck über die Lage in Transvaal zu verschaffen, das ich seit 1961 in regelmäßigen Abständen aufgesucht habe, bin ich zu den deutschen Farmern des Bezirks Rustenburg gefahren. Es handelt sich bei diesen Siedlern nicht um "Kaffern-Schinder", sondern um fromme evangelische Christen, die ihr schwarzes Personal auch schon zur Zeit der obligatorischen Rassentrennung wohlwollend behandelten. Auch diese redlichen Landsleute, die sich in mühsamer Eigenarbeit ein wunderschönes Heim geschaffen haben, leben in ständiger Furcht vor dem Grauen, das jede Nacht über sie hereinbrechen kann, waren meist auch schon Zielscheibe verfehlter Anschläge. "Ich selbst und meine Frau werden hier ausharren, solange es geht", sagte mir einer der Kolonisten; "aber meine Kinder sollen sich ihre Zukunft in Deutschland aufbauen."

Die krampfhafte Euphorie, die parlamentarische Besuchsdelegationen aus Berlin gern an den Tag legen, wenn sie das angeblich gelungene Experiment multikulturellen Zusammenlebens in Südafrika besichtigen, wird von den schwarzen Intellektuellen des Landes in keiner Weise geteilt. Selbst die schwarzen Redakteure der ziemlich regierungsfrommen Tageszeitung "The Star" beobachten mit Sorge die zunehmende Verwahrlosung der Massen, die sich um die Früchte der "black power" betrogen fühlen.

Vor allem bei einer Gruppe hoch renommierter schwarzer Professoren der University of South Africa von Johannesburg - die Namen verschweige ich wohlweislich - überraschten mich die zutiefst pessimistischen Prognosen. Hier herrschte keinerlei Bewunderung mehr für die versöhnliche Staatskunst Nelson Mandelas vor. Dieser "Nationalheld" habe die Chancen einer wirklichen Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen Südafrikas versäumt, ja für die Zukunft blockiert.

Bei der afrikanischen Bevölkerung mehrten sich angeblich die Vorwürfe, Mandela sei im Gefängnis Opfer einer "Gehirnwäsche" geworden und habe sich in seiner Nachgiebigkeit gegenüber den Weißen, die weiterhin auf den Entscheidungsposten der Republik das Sagen hätten, wie ein "Uncle Tom" verhalten. Nicht einmal die diskriminierende Schaffung der "Homelands" sei rückgängig gemacht worden. Welcher Grubenarbeiter aus Transkai könne es sich denn leisten, seine Familie nach Soweto oder Alexandra nachkommen zu lassen? Die Familien würden dabei ihres bescheidenen Landbesitzes in der angestammten Heimat verlustig gehen. Im Übrigen wisse niemand, was sich wirklich in den Minen- Schächten rund um Johannesburg abspiele, und die dortigen Men's Hostels für Junggesellen seien Herde für die unaufhaltsame Ausbreitung von HIV- Infektionen.

"Wissen Sie, wer bei uns, aber auch bei weiten Teilen der Bevölkerung zurzeit der populärste afrikanische Politiker ist?", fragt mich ein Akademiker. Und er nennt Robert Mugabe, Präsident des nördlichen Nachbarn Simbabwe, der endlich die weißen Siedler enteignet und gegen den Willen Amerikas seine Soldaten in die reichsten Diamantengruben des Kongo entsandt habe.

Überaus zögerlich, auch bei den erfahrenen britischen Beobachtern, fällt das Urteil über Thabo Mbeki, den Nachfolger Mandelas an der Spitze des African National Congress und der Republik Südafrika aus. Diesem Politiker aus dem Xhosa-Volk mangele es im Gegensatz zu seinem berühmten Vorgänger an Charisma und rednerischer Begabung. Insgeheim, so fürchten die Weißen, habe er sich Mugabe zum Vorbild genommen, und mit seinem Willen zum politischen Pluralismus sei es wohl auch nicht weit her. Sonst hätte Mbeki nicht versucht, drei seiner begabtesten Rivalen innerhalb der ANC durch ein absurdes Gerücht über ein mörderisches Komplott gegen ihn zu verleumden.

In ihrem altmodischen schönen Haus, dessen Fenster sich auf die Weite Transvaals öffnen, habe ich die Schriftstellerin und Nobelpreis-Trägerin Nadine Gordimer aufgesucht. Von dieser kleinen, schmächtigen Frau geht immer noch unbändige Kraft und heitere Gelassenheit aus. Aus einer jüdischen Familie stammend, hatte sie einen wackeren Kampf gegen die menschenverachtende Gesetzgebung des Apartheid-Regimes geführt und ließ sich nicht einschüchtern.

Ob Nadine Gordimer mit der neuen Entwicklung Südafrikas glücklich ist, möchte ich jedoch bezweifeln. Sie hat sicherlich die Zeichen schwarz-afrikanischer Despotie, die im Schatten des Macht-Monopols des African National Congress und des Xhosa-Stammes erkennbar werden, klarsichtig erkannt, wurde doch unlängst ihr bedeutendstes Buch "July's People" von den neuen Behörden aus dem Lehrplan der Schulen gestrichen. Diese Zensur ist zwar sofort rückgängig gemacht worden, aber ihr Roman "July's Leute", die Geschichte einer weißen, extrem liberalen Familie aus Johannesburg, die vor dem Wüten eines imaginären Bürgerkrieges zwischen Schwarz und Weiß in das Dorf, in den Kraal ihres Haus-Boys, flüchtet und dort in tiefer Depression die schier unüberbrückbare Kluft zwischen den Rassen erlebt, klingt wie ein unheilvolles Omen für die Zukunft Südafrikas.

Das Buch wurde 1980 geschrieben, ging noch von der Spannung des Ost-West-Konfliktes und einer möglichen Konfrontation zwischen Schwarz und Weiß aus, die - dank Mandela - vorerst vermieden wurde. Doch fast schien es mir, während ich bei Tee und Gebäck im Wohnzimmer dieser tapferen Autorin saß, als stimme sie mit jenen afrikanischen Universitätsprofessoren überein, die mir beteuerten, der wirkliche Befreiungskampf Südafrikas, die reale Verwirklichung von "black power" stehe erst noch bevor.


Nachbemerkung: Dikigoros will nicht in Abrede stellen, was P.S.-L. da aus Südafrika berichtet; aber er ist auf mindestens einem Auge blind - oder vielleicht auf seine alten Tage zu wenig durch Europa gereist. Denn was er über die einst rein weißen Städte Pretoria und Johannesburg schreibt, die jetzt rein schwarz bevölkert sind, könnte man inzwischen ebenso gut - oder schlecht - über Städte wie (oder zumindest einige Stadtteile von) Amsterdam, Antwerpen, Berlin, Brüssel, Genua, Göteborg, Hamburg, London, Marseille und Paris schreiben, wo die Polizei auch längst vor den aus Afrika immigrierten Gewalttätern kapituliert hat. Vielleicht liegt darin auch die Antwort auf die Frage, warum die Zustände in Südafrika von den staatlich kontrollierten Monopolmedien in Europa so krampfhaft totgeschwiegen bzw. schöngeredetschrieben werden: Die herrschenden Politerkasten wollen davon ablenken, daß sie "ihre" Länder durch ihre verbrecherische Asyl- und Flüchtlings-Politik in eine fast ausweglose Situation manövriert haben, und sie wollen um jeden Preis verhindern, daß der unmündige Bürger sich womöglich fragt, ob es nicht bei uns genau so kommen wird wie in Südafrika, wenn wir die Entwicklung so weiter laufen lassen wie in den letzten Jahrzehnten. (Und, nota bene, ob die Verantwortlichen für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden müßten - z.B. durch Deportation nach Südafrika :-)
Nachbemerkung zur Nachbemerkung (auf Leseranfrage, posthum): Auf welchem Auge soll P.S.-L. denn noch blind gewesen sein? Eigentlich auf allen! Er war ein Dummschwätzer und Verallgemeinerer, wie er im Buche steht, genauer gesagt in all seinen Büchern (Dikigoros' Vater hatte sie alle gekauft, und er selber hat sie alle gelesen)! Er maßte sich an, nach ein paar Jahren als Fremdenlegionär über "die" Fremdenlegion zu schwadronieren (und über "den" Vietnamkrieg), nach ein paar Semester Studium im (damals noch toleranten, da überwiegend christlichen) Libanon über "den" Islam - mit dem er mehr als nur sympathisierte - und vor allem, nach ein paar Wochen oberflächlicher Durchreise Indien als "das gräßlichste Land der Welt" zu bezeichnen, "dessen Kastensystem schlimmer ist als es einst die Apartheid in Südafrika war". Das zeigt, daß er von beidem keine Ahnung hatte und einfach nur daher schwafelte bzw. schrieb. Wie gesagt, Dikigoros will seinen Bericht über Pretoria und Johannesburg nicht anzweifeln (er selber hätte sich dort anno 2001 nicht mehr hin getraut), aber er erlaubt sich - was sagt man gleich, da relativieren in der BRDDR ja strafbar ist? - ihn in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Und der weist ihn als einen derer aus, die Jahrzehnte lang gegen die Apartheid gehetzt haben und sich nun wundern, daß das, was danach gekommen ist, um ein Vielfaches schlimmer ist.

[Am Grabe Scholl-Latours]


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