Der Rebell und die Nonne

Perú nach Fujimori

von Harald Irnberger (Freitag 1999)

Bei der Präsidentenwahl hat sich Vorzeige-Indio Alejandro Toledo nicht nur einer bigotten Rivalin, sondern auch einer Vaterschaftsklage zu erwehren

Wer erwartet hatte, nach dem traumatischen Ende des Fujimori-Regimes würden nun mit der am 8. April angesetzten Abstimmung über einen neuen Präsidenten überzeugende Alternativen zur eben überwundenen Ära aufgeboten, wird enttäuscht. Wenn an diesem Votum überhaupt etwas bemerkenswert zu werden verspricht, so ist das einzig der Umstand, dass ein offenes Rennen angesetzt scheint. Bis vor wenigen Wochen gab es kaum Zweifel am glatten Durchmarsch von Alejandro Toledo (und dessen Wahlverein Perú Posible). "Cholo", der den wenigen schmeichelhaften Ausdruck für einen Indiobauern zu seinem Kosenamen erhob, hatte sich im Mai 2000 kurz vor der anrüchigen dritten Wiederwahl des inzwischen in die japanische Heimat seiner Vorfahren geflüchteten Alberto Fujimori selbst aus dem Rennen genommen (s. Übersicht). Von da an wartete der Bewerber darauf, - getragen von internationalem Druck - binnen weniger Monate den Präsidentenpalast von Lima erobern zu können. Der Vorzeige-Indígena mit US-Studium und einer Musterschüler-Karriere in diversen internationalen Organisationen schien nach Fujimoris vorzeitiger Abdankung im November tatsächlich konkurrenzlos auf den von ihm begehrten Posten zuzusteuern, obwohl er in Lateinamerika weithin als substanzloser Schaumschläger und vor allem als gehorsame Marionette Washingtons gilt. "Ich bin ein Indio, starrköpfig, ein Rebell mit einem Ziel, und ich ergebe mich nie - verdammt noch mal ...", ruft Toledo seinem Publikum in den andinen Regionen gern zu.

Doch plötzlich tauchte ein Widerpart von der Art auf, wie es ihn in dieser Spielklasse der peruanischen Politik überhaupt noch nicht gegeben hat - eine Frau. Lourdes Flores Nano ist von ihrer Ausbildung her Anwältin, doch faktisch seit jeher Berufspolitikerin. Zehn Jahre lang saß sie für den konservativen Partido Popular Cristiano im Parlament, ohne besonders aufzufallen. Doch seit sie verkündet hat, an der Spitze einer eigens geschaffenen Liste namens Unidad Nacional für das Präsidentenamt ins Rennen zu gehen, steigen ihre Umfragewerte geradezu sprunghaft. Lag Lourdes im Januar landesweit noch bei acht Prozent, waren es im Februar bereits 27. In der Hauptstadt sehen die Demoskopen die ultra-fromme Ex-Klosterschülerin, die großen Wert auf ihren Ruf legt, niemals einem Mann zu nahe gekommen zu sein, mit knapp über 30 Prozent bereits mit Toledo gleichauf.

Was sie als Programm verkündet, lässt sich in etwa als gleichrangige Verteidigung von Bank- und Beichtgeheimnis definieren. Sie kolportiert neoliberale Gemeinplätze und wertet es als Zeugnis ihrer Pluralität, dass an ihrer Seite Jesuiten ebenso stehen wie Opus Dei-Leute. Lourdes Flores möchte als eine Art Kreuzung aus Margret Thatcher und Hillary Clinton gesehen werden - aber ganz gewiss nicht als Feministin, denn "das wäre gegen die Männer". Dabei gilt die Juristin als Busenfreundin und Hätschelkind der wohl situierten Machtelite Perús. Und die lässt sich die Kampagne "ihres Mädchens" einiges kosten. Vor diesem Hintergrund ist auch schon die reale Alternative markiert: Dort Toledo, der gleichfalls mit flaumigen Worten jedem alles glaubt versprechen zu können und als Protegé der USA und somit als Ministrant des multinationalen Kapitals gesehen wird - hier mit Lourdes ein Widerpart der nationalen Bourgeoisie, um beim Griff in die Staatskassen nicht mit Ausländern teilen zu müssen. Dass die dünkelhafte Kreolen-Oberschicht von Lima am Parvenu Toledo dessen Indígena-Herkunft nicht gerade schätzt, kommt fraglos hinzu.

Folglich stehen hier zwei finanzkräftige Gruppierungen vor der Frage, wie es gelingen kann, die Mehrheit der Wähler, um deren tatsächliche Interessen sich niemand schert, in das jeweils eigene Lager zu ziehen. Das hat eine Schlammschlacht zu Folge, wie sie von Fujimoris einstigem Rasputin - Geheimdienstchef Montesinos - nicht übler hätte ersonnen werden können. Auch in dem Punkt setzt die Lourdes-Fraktion auf ein Mädchen: Es zählt 13 Jahre, heißt Zarai, lebt mit seiner allein erziehenden Mutter in der Provinzstadt Piura - und ist möglicherweise Toledos illegitime Tochter. Das behauptet jedenfalls die Kindesmutter Lucrecia Orozco, die seit 1989 auf dem Rechtsweg vom nunmehrigen Politiker Unterhaltszahlungen zu erstreiten sucht. Bislang konnte Toledo die Sache gelassen ignorieren. In Lateinamerika brauchen Männer mit Einfluss gewöhnlich erst gar nicht zu behaupten, Opfer einer heimtückischen Intrige geworden zu sein, um sich ihrer Vaterpflicht entschlagen zu können. Doch in einer fiebriggen Wahlkampfzeit ist das anders. Nun wird vom Bewerber Toledo nachdrücklich verlangt, sich noch vor dem Tag der Abstimmung einem Vaterschaftstest zu stellen. Sollte der Kandidat dieser Forderung nicht nachkommen, könnte ihn das - laut Umfragen - bis zu zehn Prozent der vorhergesagten Stimmen kosten.

Nicht nur deshalb wird aller Voraussicht nach am 8. April niemand eine absolute Mehrheit erreichen - und somit die Stichwahl folgen. Bei der könnte es besonders darauf ankommen, für wen die Anhänger der sich sozialdemokratisch gebenden APRA des Ex-Präsidenten Alan García stimmen. Der war von seinen Gegnern der Korruption bezichtigt worden und hatte unter Fujimori ins Exil fliehen müssen. Tatsächlich bestand Garcias Hauptvergehen wohl eher darin, in der Frage der Auslandsschulden der Weltbank und dem IWF widersprochen zu haben. Das ist jetzt alles vergessen, García konnte heimkehren. Nun könnte er zudem noch zum Zünglein an der Waage werden.


zurück zu Peru, Pattaya, Posemuckel

heim zu Reisen durch die Vergangenheit