Schlitzohren, Schlitzaugen und geschlitzter Mohn

Drogenpolitik am Beispiel Hong Kongs und der Opium-Kriege

von WERNER PIEPER (HANF!-Medien GmbH, 1997)

(mit Links, Bildern u. Anmerkungen von N. Dikigoros)

Alle Medien berichten dieser Tage von der Rückkehr Hong Kongs heim ins chinesische Reich. Wie, wann und warum aber kam England ursprünglich an diese Schatzinsel? Durch gnadenlose Dope-Dealerei in größtem Stil. Opium ohn' Ende. Das britische Empire führte die 'Opium-Kriege' (Kriege für Rauschgift), um den Chinesen gegen deren Willen ihr in Indien er zeugtes Opium aufzudrängen. [Nun, so ganz gegen den Willen der Chinesen geschah das wohl nicht, denn die konsumierten das Zeug schon seit jeher mit großer Begeisterung; richtig ist, daß es gegen den Willen der chinesischen Regierung geschah, Anm. Dikigoros] Dieses perfide Spiel gelang: Das Empire wurde zur beherrschenden Weltmacht und ein Drittel der Chinesen süchtig. Die Festland-Chinesen sind sich dieser größten Demütigung in ihrer Geschichte bis heute sehr bewußt. Nun können die Opium-Kriege endlich für beendet erklärt werden. Seit dem 1. Juli steht fest: Nach 156 Jahren dürfen sich die Chinesen endlich als Gewinner dieser Kriege fühlen.

Die Chinesen rauchen sich kaputt, Victoria macht Kasse

Offiziell blieb Opium nach dem 1. Opiumkrieg verboten, doch auch Kaiser Daoguang gelang es nicht, seine Opiumpolitik durchzusetzen. Zu viele Beamte seines Hofes waren am illegalen Handel beteiligt, viele sogar selber süchtig. Vor allem einige Provinzfürsten vergoldeten sich durch diesen Handel ihr Leben. Außerdem bauten sie vermehrt Mohn in China selber an. Geschmuggelt wurde auf Teufel komm raus, wie der folgende Bericht des Sekretärs der Opiumfaktorei Hong Kong, Mr. Chan Sai Ming, beweist: "Der gewöhnliche Chinese schmuggelt Opium in seiner Mütze, unter jedem Arm hat er einen damit angefüllten Beutel, ebenso auf der Hinterseite der Schenkel, die Waden werden damit verstärkt, um den Leib trägt er einen damit gefüllten Gürtel, zwischen den Beinen ein kleines Netz mit Opiumbüchsen. In der einen Hand hat er einen Schirm, der Opium birgt, in der anderen einen Korb mit der Teekanne. Zwischen dem Futter des Korbes und dem Geflecht liegt Opium. Die Frauen - die man nicht körperlich durchsucht - sind die ärgsten Schmuggler: falsche Brüste und ein großer mit Opium gefüllter Beutel, der eine Schwangerschaft vortäuscht, sind bei ihnen besonders beliebt. Aus der Taschenuhr wird das Werk heraus genommen, die Litchi-Früchte völlig ausgehöhlt und beides mit Opium nachgefüllt. Auf den Schiffen versteckt man es unter den Planken und hinter der Täfelung. Oder man wirft es in möglichst unscheinbaren Verpackungen über Bord, um es nachher wieder aufzufischen. Am raffiniertesten sind Behälter, in denen man es über Bord wirft, worauf sie untersinken, aber nach 2-3 Tagen wieder emporsteigen."

1856-60 kam es zu einem zweiten Opium-Krieg. Diesesmal hatten die Engländer die Unterstützung der Franzosen und Amerikaner, während zeitgleich die Russen von Norden China attackierten. Der britische Premier Lord Palmerston wurde seinerzeit schon von Karl Marx als Kriegstreiber geoutet: "Er steht zwischen dem Kirchenmann auf der einen und dem Opium-Schmuggler auf der anderen Seite. Zu diesen beiden gesellt sich noch der große Teehändler, der seine Finger auch mehr oder weniger direkt im Opiumhandel hat, und zusammen sind sie alle an modifizierten Handels-Verträgen mit China interessiert."

1858 besetzte England die Halbinsel Kowloon. 1860 wollten sie sie ursprünglich pachten, aber die Regierung in London entschied sich für die brutale Tour: Englische Truppen plünderten und fackelten den alten Sommerpalast zu Peking, mit all seinen unersätzlichen Kunstschätzen und der riesigen Bibliothek, ab. So manches Prunkstück im zauberhaften Royal Pavillion in Brighton wird noch aus jener Zeit stammen.

China mußte kapitulieren.

Diesmal regelte der Friedensvertrag auch die Opiumeinfuhr. Das alte Verbot wurde offiziell aufgehoben und die unbeschränkte Einfuhr gestattet. Sehr günstig für das britische Königshaus, denn die East-India Company war 1857 aufgelöst worden, und das Opiummonopol war ans Königsreich übergegangen - High Britannia! Auch Kowloon mußte 'auf ewig' an die Briten abgetreten werden (die hier ihr staatliches Opiummonopol errichteten, das bis nach dem 2. Weltkrieg bestand!) Das Zollsystem wurde sehr fremdenfreundlich, die Engländer konnten mitbestimmen (und kassieren). Chinesische Arbeiter durften geködert und in überseeischen Kolonien quasi als Sklaven eingesetzt werden [u.a. für den Bau der US-Eisenbahnlinien über die Rocky Mountains, der so gefährlich und schlecht bezahlt war, daß sich dafür nicht mal Iren hergegeben hätten, Anm. Dikigoros].

Zusätzlich erhielten christliche Missionare das Recht zugesprochen, an Orten ihrer Wahl Missionsstationen zu errichten. Aus Sicht der britischen Opiumhändler ein schwerer Fehler, wie sich im Laufe der Jahrzehnte heraus stellen sollte. Denn als sie das Elend der Opiumsucht bemerkten, wurden britische und US-amerikanische Missionare sehr bald zu engagierten Gegnern der britischen Opiumpolitik. Lange Zeit jedoch überfluteten die Westler das Land gleichermaßen mit Religion und Opium fürs Volk. Die Manieren der Herrenmenschen waren aus heutiger Sicht unmöglich rassistisch. "Man kann keine zwei Minuten die Straße entlanggehen, ohne zusehen zu müssen, wie ein Europäer Arbeiter mit dem Regenschirm oder mit Peitschen schlägt. Oder, in den Worten Lenins: "Die europäischen Regierungen haben begonnen, China so auszurauben, wie Dämonen mit Leichen umgehen."

Lange Zeit bestand eine totale Trennung zwischen den Weißen und den Chinesen. Der heutige Präsident der britischen Royal Asiatic Society hat dafür eine plausibele Erklärung: der Suez-Kanal war schuld. Dieser "erlaubte es englischen Ehefrauen, nach HongKong zu ziehen, und das war natürlich das Ende gewisser, rassenüberschreitender Begegnungen".

Die Briten beherrschten nun sieben Achtel des chinesischen Außenhandels, und fast alles lief über HongKong. Dabei gab es ja eigentlich nur ein relevantes westliches Produkt: Opium. In den 20 Jahren zwischen 1860 und 1880 stieg der Opiumhandel von circa 60.000 Kisten auf über 100.000 Kisten. Als Folge des 2. Opium-Krieges gründeten britische Geschäftsbanken und Handelsgesellschaften 1864 die Hongkong and Shanghai Banking Company, die schon im Jahr drauf eine Niederlassung in Shanghai eröffnete.

In England war HongKong nicht sehr beliebt, Reisende waren entsetzt über die sanitären Anlagen, die Hitze, den Gestank. Kolonien wie Indien, ja selbst Singapur, waren unter den Kolonialherren beliebt, HongKong war (ohne Opiumgenuß) nur wegen der zu erwartenden Gewinne zu ertragen.

In der Zeit von 1850 bis 1878 nahm die Zahl der süchtigen Chinesen um 1000 % zu. Königin Victoria, die Opium-Queen, dealte als 'Königin von Indien' im Jahr 1879 mit Opiummengen, die etwa der vierfachen Menge der Opiumweltproduktion des Jahres 1979 entsprach: fast 7000 t. Um diese Zeit waren fast ein Drittel aller Chinesen und 70% der Bevölkerung HongKongs opiumsüchtig.

Von der Erfindung der Injektionsspritze zur 'Soldatenkrankheit'

"In alten Zeiten", so ein Persischer Gelehrter, "pflegte man die Leiden derer, die durch Schwert oder Lanze verwundet worden waren, mit Opium zu stillen. Damals hielten die Menschen den Schmerz für das Gift und das Beruhigungsmittel Opium für sein Gegengift." Bei Rudolf Gelpke heißt es: "Das Opium ist durch und durch unkriegerisch. Friede, Klarheit und Entrüstung, das sind seine immer wiederkehrenden Geschenke. Ich erinnere mich, in Persien eine Karikatur aus der Kriegszeit gesehen zu haben, auf welcher der Nüchternheits-Fanatiker Hitler neben dem Whisky trinkenden Churchill abgebildet war, und darunter stand der Text: 'Ach, wären sie doch opiumsüchtig - wie manches bliebe uns da erspart!"

Vielen Soldaten verschiedenster Heere blieben in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts größere Schmerzen erspart, weil zweierlei eintrat: Anfang des Jahrhunderts wurde das stärkste Alkaloid der Mohnpflanze, das Morphium, entdeckt und kommerziell hergestellt, und genau zur Mitte jenes Jahrhunderts wurde die Injektionsspritze erfunden. So kam es bei Kriegen wie dem türkisch-russischen Krim-Krieg (1853-56), dem amerikanischen Bürgerkrieg (61-65) und dem deutsch-französischen 70-71er zu einem schmerzstillenden Geschieße in den Lazaretten. Zu häufig wurde, wenn die Schmerzen vorbei waren, weiter gespritzt, so daß Morphinismus 'Soldatenkrankheit' genannt wurde. Die verbreitete sich nach den Kriegen in der jeweiligen Heimat. Eine ähnliche Drogenwelle gab es ja auch zu Zeiten des Vietnamkrieges in den USA wieder. Kein Zufall.

In England nahm derweil Opiumverbrauch und die Anzahl der Süchtigen zu. Um die Jahrhundertwende war von rund 200 Opiumtoten pro Jahr die Rede. Eine Überdosis nannte man schlicht und korrekt Selbstmord. Die Amerikaner schmuggelten schon früh mit, wenn auch nicht im britischen Ausmaß. Während es in England die 'besseren' Leute waren, die dem Opium fröhnten, holte sich die USA ihre Süchtigen durch die Hintertür ins Land. Zum einen waren es die schon erwähnten Hausfrauen, die Laudanum genossen. Ein dauerhafteres Problem wurden aber die chinesischen Zwangsarbeiter, die man als billige Arbeitskräfte ins Land gelockt hatte, damit sie in Bergwerken und der Landwirtschaft arbeiteten und die transkontinentalen Eisenbahnen bauten. Viele dieser Arbeiter brachten ihre Angewohnheit und ihre Opiumconnection mit. Die gedopeten Chinesen waren bald als Billigarbeiter von den Gewerkschaften auf dem Arbeitsmarkt gefürchtet. Auf deren Druck wurde chinesischen Arbeitern 1887 die Einfuhr ihres Stoffes verboten. Ohne großen Erfolg, nun kam das Opium via Kanada. Inzwischen zählte man offiziell über 120.000 nicht-chinesische Süchtige im Lande.

Der Widerstand regt sich

Vor allem in den USA bildeten sich zunehmend Initiativen für ein Opiumverbot. Auch in England, Indien und China entwickelte sich, in Asien meist von Missionaren getragen, der Widerstand. Der Handel erwies sich jedoch als überaus geldsüchtig, der auf diesen Schuß der Opium-Profite in den Geschäftsarm nicht mehr verzichten konnte. Oder wollte. Wie das bei Süchtigen halt so ist. Man warnte, daß auch die gesamte indische Wirtschaft zusammenbrechen würde, falls plötzlich alle Mohnbauern arbeitslos würden.

Es war schließlich ein ehemaliger amerikanischer Missionar in China, Bischof Charles Brent, dessen Anti-Opium Kampagne 1909, mit der 1. Internationalen Opium Konferenz, an der 13 Staaten, unter ihnen auch das Deutsche Reich, teilnahmen, erste Erfolge hatte. Die Konferenz hatte als einziges Thema 'die Unterdrückung des Opiumgebrauchs' im Programm. Treibende Kräfte waren in der Tat die schon erwähnten Missionare gewesen, die das Leid der Süchtigen hautnah erlebt hatten, wie auch anglo-amerikanische, puritanische Sittlichkeits-Verbände.

In den 1930er Jahren dominierten chinesische Arbeiter in Mexiko den amerikanischen Opiumhandel. Anti-chinesische Pogrome, Aufstände und Beschlagnahmungen führten jedoch dazu, daß die Dealerei innerhalb weniger Jahre in mexikanische Hände überging. Der Brückenkopf des Drogenhandels von Süd- nach Nordamerika war damit gebaut.

In China herrschten zwischen 1909-49 Revolution und Bürgerkrieg. Mächtige GanovenZirkel, auch Triaden genannt, übernahmen die Opiumgeschäfte - weltweit. Mal im Verbund mit der Mafia, mal mit anderen Kollegen. Auch in HongKong hatten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts anti-kolonialistische Geheimbünde gebildet. Unter ihnen das 14 K, das noch heute zu den führenden Syndikaten Hong Kongs gehören.

Den Landsleuten in der Volksrepublik China war es nach der Proklamation 1949, gelungen, die Opiumsucht als Volksphänomen weitgehenst zu unterbinden. Schon zur Revolutionszeit war Opiumanbau und Verkauf wieder mit der Todesstrafe bedroht worden - wie es noch heute gang und gäbe ist. 1949 schätzte man die Zahl der Süchtigen in China auf 40 Millionen. Es folgte eine Zeit der großen Anti-Opium-Kampagnen, der Drogenmassenvernichtungen, der exemplarischen Strafen und der Umerziehung. Obwohl Opium auch in Volks-China nie völlig ausgerottet wurde, ist es gelungen, die Sucht epidemischer Größenordnungen sichtlich einzudämmen. Es scheint kein Opiumproblem mehr zu existieren.

Ungedopete Maden aus Germany

Nicht nur die Portugiesen und Engländer nahmen sich Teile Chinas zur Kolonie, auch die Russen, Franzosen und Deutschen mischten mit. [Im Gegensatz zu allen anderen Staaten pachteten die Deutschen chinesische Gebiete aufgrund nicht erzwungener, sondern freiwilliger Verträge, gegen Bezahlung, Anm. Dikigoros] Wie andersorten bestimmten Missionare und Kaufleute (Kolonialwarenhändler) die Kriegsroute. Deutsche Offiziere wirkten schon ab 1885 als Militärberater in China. Sie waren den Chinesen im Frankreichkrieg 1870/71 positiv aufgefallen. Noch heute heißt der Paradeschritt auf chinesisch 'deutscher Schritt'. Ein gutes Image hatten auch die Kanonen von Krupp, für die der chinesische Kaiser geradezu schwärmte.

Anfang 1896 überzeugten die Engländer China, daß das Land Eisenbahnen brauchte. Logisch. Das nötige Know How und entsprechende Kredite wurden gleich mit angeboten. Für letztere taten sich unsere alten Bekannten der Shanghai & HongKong Bank mit unseren Landsleuten der Deutsch-Asiatischen Bank zusammen. Als im November 1897 zwei deutsche Missionare getötet wurden, erdealte sich Kaiser Wilhelm der Letzte in Absprache mit dem Zar von Russland die Provinz Kiautschou (Jiaozhou) als 'Schutzzone'. Dieser Begriff hatte bis zum 1. Weltkrieg bestand, heute sagt man schlicht Kolonie dazu. Wie die Engländer HongKong, so pachtete man die Schutzzone auf 99 Jahre. In Shandong ließ man Bergwerke anlegen, missionierte und machte sich rundum imperialistisch unbeliebt. [Blödsinn, man legte auch eine Bierbrauerei an - die bis heute besteht - und machte sich damit rundum beliebt, zumal Bier viel billiger und ungefährlicher war als Opium, Anm. Dikigoros]

[Die deutsche Germania-Brauerei in Tsingtau]

Kein Wunder also, daß die berühmten anti-imperialistischen Boxer-Aufstände in Shandong losgingen. In den ersten achtzehn Monaten deutscher Besatzung kam es auf über 1000 Aktionen gegen deutsche Missionare und Händler.

Die geplanten englischen Eisenbahnen führten auch durch die deutsche Kolonie. Im Tausch dagegen (und einer anglophilen Haltung bei der Aufteilung Afrikas in Berlin) durfte sich die Deutsche Asien Bank als Kreditgeber einbringen. Im Mai 1899 wurde schließlich ein Vertrag abgeschlossen. Bis zur Rückzahlung 1932 betrug die Zinszahlung über 150% des geliehenen Geldes: 150 Millionen Silbermünzen. [Das entspricht ca. 4% pro Jahr, wahrlich kein exorbitanter Zinssatz, zumal angesichts der "Bonität" des Kreditnehmers, Anm. Dikigoros] Ein weiterer, ähnlicher Großkredit hatte eine Laufzeit bis 1943. All dies wurde zu Makulatur, als 'Deutsch-China', inklusive ausstehender Zinsen, als Folge des 1. Weltkrieges 1920 an Japan fiel. Immerhin ist historisch gesehen das Verhältnis China zu Deutschland nicht so belastet wie das zu den klassischen Kolonialmächten England, Frankreich, Rußland und Japan.

Dieses deutsch-chinesische Kapitel entbehrt eines jeden direkten Opium-Bezuges, 'schuldigung. In Kiautschou wurde kaum Opium genossen, so blieben auch die Deutschen clean. Ganz im Gegenteil: als Trinker Kohl kurz vor der Übergabe HongKong besuchte, genoß er dort Tsingtao Bier; gebraut in einer ehemaligen deutschen Schutzzonen-Brauerei. Kohlonialismus?

Der Opium-Rausch - das unendliche Entzücken

"Ich nehme Abschied von der Stadt. Nochmal zum Tempel der Literatur, Dank für die erfolgreiche Recherche in Räucherstäbchen umsetzen. Ein Opiumdöschen erstehen. Und wer sitzt dort? Loni Lip Chen. Er faßt mich an der Hand und führt mich durch verwegene Gassen, Blade Runner Style, in ein, muß man wohl sagen, Kabuff. Viel Rauch um was. Ruhe. Angenehme Stimmung. Liegende Reisende. Mir werden Spielregeln verklickert, die teilweise wie Hippie-Kiffer-Brauchtum anmuten:.

- Man raucht nicht allein, denn wer allein raucht, dem könnten die Dämonen Gesellschaft leisten.

- Nicht unter Fremden und Nichtrauchern rauchen, am besten in einem geschlossenen Freundeskreis.

- Während des Rauchens, vor allem wenn das Opium in der Pfeife zischt, wird nicht geredet.

- Wenn man zu Gast ist, bringt man sein eigenes Opium mit; es sei denn, man sei ausdrücklich dazu eingeladen, die Hausmarke zu verköstigen. Ausnahme: bedürftige oder in Not geratene Raucher, die selbstredend von den anderen unterstützt werden.

- Wichtig ist eine gepflegte Rauchkultur. Gepflegtes Rauchbesteck. Ein angemessenes Set & Setting.

Rauchen, Tee trinken, zurück lehnen, die Augen halb schließen & another smoke dream starts. Dafür fehlen mir die Worte, bin hier schließlich Reporter und kein Schriftsteller. Da zitiere ich lieber einen Fachmann mit poetischen Gaben: "Mir schien, das Gesetz der Schwere gelte für mich nicht mehr, und frei flog ich hinter meinen Gedanken her, die reich und weit und überdeutlich klar waren. Eine tiefe, unaussprechliche Wolllust erfüllte mich. Ich war frei von der Last meines Leibes. Mein ganzes Sein fühlte sich der still dahintreibenden Welt der Pflanzen zugehörig, einem beruhigten Dasein und doch voll zauberisch lieblicher Formen und Farben. Mein Leib dachte, mein Leib träumte, er glitt dahin, als sei er befreit von der Dichte und der 1 Schwere irdischer Luft, und flatterte durch eine fremde Welt. Das Opium hatte mir seine Pflanzenseele mit kaum wahrnehmbar trägen Bewegungen eingehaucht, und ich lebte und bewegte mich inmitten der Welt der Pflanzen; ich war selber eine Pflanze geworden. Der Zusammenhalt meiner Gedanken löste sich, und sie mischten sich mit den Farben und Formen einer unbekannten Welt. Ich war in Wellen getaucht von sanftester Zärtlichkeit. Ich konnte das Schlagen meines Herzens hören, das Pochen meines Pulses spüren. Und all dies war voll tiefer Bedeutsamkeit und erfüllte mich zugleich mit einem unendlichen Entzücken."

Ernst Jünger hat einen seiner literarischen Helden, Antonio Peri in Heliopolis, den Unterschied zwischen Hanf- und Opiumgenuß erklären lassen. Dazu sollte man vielleicht dem Durchschnittskiffer erklären, daß die Jünger die Drogenforschung wirklich ernst nahm und mitunter Dosierungen verdrückte, die einen wirklich eher stockstoned als nur sanft bekifft machten. "Der Auszug des Hanfes ist ein altbekannter Schlüssel zur Bilderwelt, doch öffnet er andere Säle, als der Mohnsaft, als dessen männliche Entsprechung man ihn bezeichnen kann. Der Geist des Opiumessers wird empfänglich; die Bilder ziehen in ihn ein, sie zeichnen ihre Charaktere wie auf ein jungfräuliches Blatt. Dagegen führt das Extrakt des Hanfes den Geist aus sich heraus und läßt ihn in die Bilderreiche eintreten. Aus dieser aktiven Potenz erklärt sich, daß, wenn die maximale Dosis überschritten wird, Tobsuchtsanfälle und Wahnsinn drohen, indes das Opium einschläfert."

Ewigkeiten später taumle ich wieder, wenn auch leicht benommen, durch die engen Gassen. Meister Chen führt mich geradewegs zum Hafen. Ich sehe eine Uhr: höchste Eisenbahn das Schiff zum Flughafen zu nehmen. Augenzwinkernd reicht mir der Alte zum Abschied einen Stapel Zeitungsausschnitte der letzten Tage aus der South China Morning Post.

Immer wieder neue Realitäten

Eine letzte Überfahrt mit der Star Ferry nach Kowloon. Sehnsüchtige Gedanken, während die Skyline HongKongs im Dunst verschwindet. Der Turm der Hongkong & Shanghai Banking Co., wie alle wichtigen Häuser Hong Kongs streng geomantisch ausgerichtet, schlägt alle Rekorde. Er ist mit 1,5 Milliarden Baukosten bei Fertigstellung 1986 das teuerste Gebäude der Welt. [Lang lang ist's her, Anm. Dikigoros, der zu diesem Thema an anderer Stelle mehr schreibt.] Er sieht aus wie ein futuristisches Schlachtschiff. Man kann unter ihm hindurchgehen und sich von der wohltuenden Kühle, die das Gebäude abgibt, erfrischen lassen. Die beiden großen Drachen/Löwen vor dem Eingang scheinen alles Mißliche von der Bank fernzuhalten. Business boomt. Ihr aktueller Werbespruch: "Your future is our future". You bet!

Das Bankhaus Jardine-Matheson & Co. mit seinen Bullaugenfenstern ist ein prominenter Bestandteil der Skyline von HongKong. Auf den Badges der neuen Polizei von Hong Kong ist seit dem 1. Juli die Skyline abgebildet. Jardine-Matheson hat man jedoch wohlweislich weg retuschiert. Man kennt seine Pappenheimer. Wir Europäer haben im Laufe der Jahrzehnte viel verdrängt und vergessen. Die Chinesen nicht.

Das Studium Chens Zeitungsausschnitte beweist, daß HongKong immer noch ein Drogenhandelsplatz ist:

- In Shenzhen, auf chinesischer Seite, wurden zwei Bürger Hong Kongs mit 45 kg Heroin gebustet. Man vermutet eine ähnliche Bande wie die, die man im vergangenen April verurteilt hat. Damals wurden 8 von 40 Angeklagten hingerichtet.

- In Vietnam begann der bislang größte Heroinprozeß der Geschichte des Landes. Vietnamesen wurden erwischt, wie sie Heroin nach China schmuggeln wollten. Eine Umkehrung des traditionellen Drogenhandels. Vietnam hatte 1975, als die Amerikaner abzogen, 130.000 Süchtige, denen ihre Sucht aber innerhalb weniger Jahre sozialistisch rigoros ausgetrieben wurde. Inzwischen führte man einen Sanftkapitalismus ein, und die Zahl der Süchtigen hat wieder 130.000 erreicht. Im größten Drogenprozeß der neuen Geschichte des Landes wurde hart geurteilt: 8 mal lebenslänglich und 8 mal Tod durch Kopfschuß.

- z.B. kommt 3/4 des Wassers für ganz HongKong durch eine dicke Pipeline aus China. Also 'schenken' die Engländer Kowloon und HongKong den Chinesen zurück und heben die Pacht für die New Territories auf. Wie es damals im Juni 1898 so ausgemacht worden war.

- 1994 wurden in HongKong ganze 78,6 kg Heroin als Schmuggelgut aufgegriffen.

- Die erste, offiziell von China gesponsorte Website im Internet, hat die Opiumkriege als Thema. Unter http://www.-hk1997 kann man dort mehr über die chinesische Seite der Opiumkriege erfahren. Dort werden die Briten wohl als jene Blutsauger dargestellt, die sie damals, zu unser aller Wohl, waren.

Das Ende der Schmach

Vor allem die in den vergangenen zwanzig Jahren zugereisten potentiell neureichen Anwälte und Banker werden verächtlich FILTH (Dreck) tituliert. Diese Abkürzung steht für 'Failed in London, Try HongKong' (In London gescheitert, versuch es in HongKong).

Wie die Chinesen nun mit den kapitalistischen Strukturen HongKongs umgehen werden, läßt sich heute noch nicht abschätzen. Karmisch angesagt wäre es wohl, wenn sie HongKongs historische Rolle als Drogenumschlagplatz Nr. 1 nutzen würden, wenn auch in umgekehrter Zielrichtung. Die großen Banken haben das Know-how, notfalls im Archiv. Und man muß ja nicht bei Opium bleiben, das man ja allemal erst einführen müßte. Wieso gibt es in HongKong bislang fast nur Ecstasy Tabletten aus Holland? Gerade wurde ein ganzes Schiff voll ähnlicher Tabletten aus Korea in Japan gebustet. Der Drogenrubel rollt überall. Und wenn man schon einmal das KnowHow hat.

Im Dezember 1984 einigten sich Margaret Thatcher und Deng Xiaoping auf einen Ablauf der Rückgabe. Die Chinesen werden das kapitalistische System in HongKong für weitere 50 Jahren fortsetzen. Das Motto: Ein Land, zwei Systeme. Der scheidende britische Gouverneur HongKongs (witzigerweise ein Studienkollege des größten Haschisch-Dealers aller Zeiten, Howard Marks) räumt ein: "Es wäre ignorant und vermessen, wenn wir nicht verstehen würden, warum wir keinen Dank erwarten können. Jeder Chinese, auch die absoluten Anti-Kommunisten, werden angesichts des Endes der für viele Chinesen erniedrigendsten Episode aus dem vergangenen Jahrhundert, rechtmäßig stolz sein. Viele Chinesen werden sich an die kleineren Diskriminationen der Vergangenheit erinnern, oder daran, daß unterqualifizierte Europäer eher Jobs bekamen als qualifizierte Chinesen. All das ist unausweichlich und nachvollziehbar." Viele Chinesen haben auch nicht vergessen, daß es erst vor sechs Jahren, d. h. nach 149 Jahren Kolonialgesetzen, unter dem Druck der Übergabe, erste Wahlen mit einem demokratischen Hauch gab. Peking ist so gesehen erbost darüber, daß die Engländer, kurz bevor sie HongKong verlassen, dort plötzlich eine Art Demokratie einführen, die von den Chinesen laut Vertrag übernommen werden muß. Im Jahr 2007 soll über eine Verfassung abgestimmt werden. Ein wahres Kuckucksei, das die Briten den Chinesen da ins Nest gelegt haben. Aber wer kümmert sich schon um demokratische Stolpersteine, wenn es um das Geschäft geht? Als Kanzler Kohl im Mai in HongKong vorsprach, traf er sich nicht mit den demokratische ge wählten Volksvertretern, sondern mit dem von den Chinesen eingesetzten Chef der 'neuen Pro vinz', Tung Chee-Hwa. "Kohl hat ver mieden, hier überhaupt jemanden zu treffen", berichtete die taz.. Das wäre wohl schlecht für künftige Geschäfte mit ganz China.

Für alle Chinesen bleiben die Opiumkriege die größte Demütigung, die sie jeh in ihrer langen Geschichte erlitten haben. Entsprechend groß die aktuelle Medienoffensive. Natürlich war HongKong immer chinesisch, es war nur kurz verliehen und kommt nun veredelt und angereichert zurück. Im Sommer kommt der aufwendigste und teuerste Film, der je in China gedreht wurde, in die Kinos. Hoffentlich auch in unsere, damit wir diese Fußnote der Geschichte auch durch die Augen jener sehen können, die, lange unterdrückt, sich nun als Kriegsgewinnler sehen. "Die Kolonialisten, Opiumhändler und westlichen Imperialisten gehen jetzt alle nach Hause,"heißt es da naiv propagandistisch geschichtsfälschend, "und Hong Kong wird wieder der Stolz Chinas."

Nur: Während wir voraussichtlich auch weiterhin gerne als Geschäftsleute und Touristen in HongKong empfangen werden, bleibt 1,2 Milliarden Landsleuten der Zugang zur "Blume der kapitalistischen Zivilisation" verwehrt. Anderseits haben Hundertausende, wenn nicht gar Millionen Chinesen, die im Laufe der Jahre aus China geflohen waren, Pech. Die Zeit wird zeigen, wie China nun HongKong verändert. Tung Chee-Hwa formuliert es so: "Wir, die 6,5 Millionen Menschen von HongKong, sind endlich Herr im eigenen Haus."

Der Autor rauchte und genoß in den 1970er Jahren dreimal Opium und würde dies bis über sein Lebensende hinaus gerne einmal jährlich stilvoll wiederholen. Wenige Wochen vor der Rückgabe des ehemaligen Kriegsgutes an China fuhr er nach HongKong und Vietnam und schnüffelte dort keine Drogen, aber rum. Eine ausführlichere Fassung dieses Textes Der größte DrogenDeal aller Zeiten, mit mehr Illustrationen und Literaturhinweisen, erscheint voraussichtlich im Sommer 97 in der Edition RauschKunde. Ask your local dealer.


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