Eine Chronologie des Konflikts auf
den Nord-Molukken / Indonesien

von Christine Grötzinger

Die Gewalt auf den Molukken schien während der ersten Jahreshälfte 1999 auf Ambon und die Südmolukken beschränkt zu bleiben. Im August brach aber auch auf Halmahera, der größten Insel der Nordmolukken ein Konflikt aus, der am 2. Weihnachtsfeiertag in einen großen Gewaltausbruch und eine Flüchtlingswelle mündete. Über diesen Konflikt dringen kaum Meldungen nach außen, und die wenigen Berichte in den Medien sprechen von "religiös motivierten Unruhen". Diese Bezeichnung geht jedoch an den Ursachen des Konflikts vorbei. Die Berichte unserer Partner und Mitarbeiter in der Region, die jenseits der Mediensperre zu uns gelangen, erhellen Hintergründe und Stationen der Auseinandersetzung.

Die Konflikte auf den Molukken sind viel eher ethnischer als religiöser Art. [Anm.: Das wagt Dikigoros zu bezweifeln; aber das eine schließt ja das andere nicht aus!] Ihre Ursachen liegen in der Politik der "Transmigration", die der ehemalige Präsident Suharto über drei Jahrzehnte hinweg betrieb. Die überwiegend von christianisierten Stämmen bewohnten Molukken wurden stark mit Stämmen landloser Bauern von anderen Inseln besiedelt, die Moslems waren. Das Programm hatte einen politischen Hintergrund: Suharto wollte die Anbindung der Inseln an Indonesien stärken, auf denen immer wieder Unabhängigkeits-bestrebungen laut wurden. Die Einwanderer stiegen mit staatlicher Hilfe in entscheidende Positionen der Wirtschaft wie der Verwaltung auf, wodurch sich die Einheimischen mehr und mehr zurückgedrängt fühlten. Das labile Gleichgewicht zwischen den Ethnien, das in allen Regionen Indonesiens eine große Rolle spielt, geriet in Gefahr.

Verschärfend kam in den letzten Jahren hinzu, daß einige der führenden muslimischen Organisationen nach Einschätzung kirchlicher Beobachter sich zur Aufgabe machten, ihren Einfluß auf den Molukken auszuweiten. Strenggläubige Moslems besetzten mehr und mehr Verwaltungsposten, und muslimische Dörfer begannen, sich von ihren Nachbarn abzugrenzen. Dieses "Projekt" muß als Teil der Machtkämpfe innerhalb der politischen Gruppen in Jakarta begriffen werden. Eine weitere dieser Gruppen steht inzwischen ebenfalls im Verdacht, die Molukken als Vehikel in ihrem Machtkampf zu benutzen: Das Militär. Die Armee ergriff von Beginn der Gewaltausbrüche an die Partei der Moslems und tat im übrigen wenig, um die Kämpfe zu beruhigen. In asiatischen Zeitungen wird deshalb zunehmend der Verdacht laut, das Militär nutze die Unruhen, um Präsident Wahid zu schwächen und seine eigene Unentbehrlichkeit zu demonstrieren.

Auf Halmahera entzündete sich der Konflikt zwischen zwei ethnischen Gruppen. Nach einem Vulkanausbruch auf der Insel Makian 1975 wurde ein Großteil der dortigen Bevölkerung bei Malifut auf Halmahera angesiedelt, kleinere Gruppen auch auf der Insel Ternate. Die Makianer gelangten in der Folgezeit an wichtige Stellen in der politischen Verwaltung der Provinz. Den Beginn des Konflikts markiert die Entscheidung in Jakarta im Frühjahr 1999, die Nord-Molukken zu einer eigenständigen Provinz zu erklären. Dies eröffnete eine Diskussion darüber, welche Städte Bezirkshauptstädte werden sollten.

Ende Juni 1999

Auf der Insel Ternate bei Halmahera demonstrieren makianische Studenten und stellen für ihre Volksgruppe Gebietsansprüche: Sie fordern, daß auf dem Gebiet um Malifut ein neuer Bezirk namens Makian-Land geschaffen wird, mit Malifut als Hauptstadt.

Anfang August 1999

Das Innenministerium erläßt einen Befehl (PP No. 42/99) zur Schaffung des Bezirks Makian-Land mit der Hauptstadt Malifut. Das Gebiet dieses Bezirks gehört zum Besitz der einheimischen Stämme Pagu, Boeng und Modole, die den makianischen Flüchtlingen dort Land zur Verfügung gestellt hatten. Bisher zählt das Gebiet größtenteils zum Bezirk Kao.

Es regt sich Widerstand seitens der einheimischen Stämme wie auch der Bezirksregierung von Kao gegen das Vorhaben. Bereits als die Makianer zuwanderten, gab es Bedenken, sie könnten die Herrschaft über das Gebiet übernehmen wollen; nun fürchtet man, daß in einem neugeschaffenen Bezirk der gesamte Einfluß der einheimischen Bevölkerung schwinden wird.

Von besonderem Interesse ist das Gebiet, weil dort seit 1997 Gold abgebaut wird, und zwar auf dem Land der Pagu. Die fünf betroffenen Pagu-Dörfer und die Bezirksregierung von Kao lehnen deshalb den Regierungsbefehl ab.

18. August 1999

In Malifut und Ternate rufen Makianer einen neuen Bezirk Makian-Land aus, erklären Malifut zu dessen Hauptstadt und ernennen einen der Ihren, Husen Koda, zum Bezirksbürgermeister. Die Provinzregierung in Ternate lehnt die Ausrufung ab, weil der Bezirk Kao ihr nicht zugestimmt hatte; sie schreitet jedoch nicht weiter ein. Husen Koda verkündet, daß alle Gegner des neuen Bezirks aus der Gegend verschwinden sollen, und ruft dazu auf, deren Häuser anzuzünden. Makianische Studenten verkünden über das Radio Ternate, sie betrachteten jeden, der die Um-setzung des Befehls 42/99 zu behindern versuche, als Feind. Noch am selben Abend kommt es zu Übergriffen zwischen der Bevölkerung von Kao (Christen und Muslimen) und Makianern.

19. August 1999

Die fünf widerständigen Dörfer werden von makianischen Gruppen angegriffen. Dabei zeigt sich zum ersten Mal ein bestimmtes Muster der Überfälle: Die Angreifer tragen weiße Stirnbänder und folgen Befehlen von Anführern. Außerdem richten sich die Makianer zum ersten Mal speziell gegen die christliche Dorfbevölkerung, vier Kirchen werden zerstört. Drei Dorfbewohner werden getötet, viele fliehen nach Kao-Stadt.

27./28. August 1999

Ein Team aus Kommunalpolitikern wird mit der Erledigung des Konflikts beauftragt. Es trifft sich zweimal mit der Provinzregierung in Ternate, erzielt jedoch keine Einigung. Den Angreifern vom 19. August wird nicht der Prozeß gemacht, was die Spannungen noch verschärft.

In den folgenden Wochen eskaliert die Auseinandersetzung mit großer Geschwindigkeit; die einheimische Bevölkerung aus ganz Kao beteiligt sich daran. Beide Seiten bewaffnen sich mit archaisch anmutender Ausrüstung: Bambusspeeren, Pfeil und Bogen, Macheten, Schleudern und selbst gebastelten Bomben. Wie die Makianer ein weißes, tragen die Kao nun ein rotes Stirnband. Beide Seiten verüben Überfälle, Anschläge und Brandstiftungen.

9. Oktober 1999

Auch bei einem dritten Treffen zwischen der Provinzregierung und Kommunalpolitikern wird keine Lösung für das Problem erzielt.

24. Oktober 1999 (Sonntag)

Eine Gruppe von ca. 200 Makianern marschiert zur Gottesdienst-Zeit von Malifut nach Kao-Stadt. Sie greift die Kirche in Kao-Stadt an, die jedoch von muslimischer Bevölkerung verteidigt wird. Nach dem Gottesdienst gelingt es der einheimischen Bevölkerung gemeinsam, die Makianer zu vertreiben. In dieser Zeit besteht ein Abkommen unter den Einheimischen, daß die christliche Bevölkerung die Moscheen während des Freitagsgebets schützt, während die muslimische zu den Gottesdienst-Zeiten die Kirchen sichert. Der Konflikt ist also zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht religiös besetzt!

25. Oktober 1999

Die einheimische Bevölkerung übernimmt, verstärkt durch Bewohner anderer Bezirke, die Offensive und greift Malifut an: Sämtliche Gebäude bis auf die Moscheen werden dem Erdboden gleichgemacht. Auch das weist wiederum nach, daß hier muslimische und christliche Einheimische gegen Zuwanderer kämpfen, und nicht Moslems gegen Christen.

Mehrere hundert Makianer werden getötet, die restlichen (ca. 17.000 Einwohner) fliehen nach Ternate. Malifut ist seither eine Geisterstadt; die wenigen noch stehenden Mauern sind mit Parolen bemalt, die den Sieg der Kao feiern.

Auf Ternate erscheint eine große Gruppe Makianer im Hafen und ruft dazu auf, "die Christen" anzugreifen. Als sie eine Fähre nach Halmahera besteigen wollen, verweigert ihnen der zuständige Hafenangestellte den Zutritt. Daraufhin zerstören sie die Fähre und greifen anschließend Häuser, Läden und Hotels in Ternate an, die Christen gehören.

Dies ist das erste Anzeichen dafür, daß der Konflikt von muslimischen Kräften außerhalb Halmaheras religiös aufgeladen und neu organisiert wird. Ab jetzt wird unter allen Moslems (Makianern wie Kao) gezielt antichristliche Propaganda betrieben, und bei den künftigen Zusammenstößen zeichnen sich die muslimischen Gruppen durch einen hohen Organisierungsgrad aus, der bei den Christen fehlt.

27. Oktober 1999

Unter den makianischen Flüchtlingen auf Ternate werden verschiedene Gerüchte gestreut, die dazu angetan sind, dem Konflikt einen religiösen Stempel aufzudrücken. Eines davon besagt, die Moscheen in Malifut seien nicht deshalb verschont worden, weil unter den Angreifern auch Moslems waren, sondern weil die (angeblich rein christlichen) Angreifer sie in Kirchen umwandeln wollten. Ein anderes behauptet, daß ein Fahrzeug der GMIH, unserer evange-lischen Partnerkirche auf Halmahera, bei dem Überfall benutzt worden sei.

30. Oktober 1999

Unter der muslimischen Bevölkerung (Makianern wie Einheimischen) wird ein Brief gestreut, der angeblich von zwei Kirchenvorsitzenden unterzeichnet ist. Darin wird zum Angriff auf die Muslime aufgerufen. Der Brief ist leicht als Fälschung erkennbar; er enthält weder Briefkopf noch Siegel der Kirchen. Dennoch wird er zum Auslöser für eine Christenverfolgung.

3. November 1999

Auf der kleinen Insel Tidore bei Ternate, wo viele muslimische Flüchtlinge aus Ambon untergebracht sind, setzt eine organisierte Verfolgung der Christen ein. Neun Menschen werden gefoltert und umgebracht, darunter der Pastor der protestantischen Gemeinde, als er sich weigert, ein muslimisches Bekenntnis zu sprechen. 260 Häuser und drei Kirchen werden geplündert und zerstört. Ungefähr 300 christliche Familien fliehen in die zentrale Polizeistation. Nach einer Woche Aufenthalt dort werden sie wieder weggeschickt; anschließend wird der (christliche) Polizeichef durch einen Moslem ersetzt.

5. – 11. November 1999

Dieselbe Verfolgung und Vertreibung der christlichen Bevölkerung findet auf Ternate statt, wo sich die muslimischen Flüchtlinge aus Malifut befinden; nur in weit größerem Ausmaß, weil die christliche Gemeinde auf Ternate größer ist. Bis dahin leben ca. 7.500 Christen auf der Insel; acht Tage später sind bereits 5.000 von ihnen nach Manado auf die Nachbarinsel Sulawesi ausgeschifft worden Viele fliehen auch nach Tobelo, der Hauptstadt Halmaheras. 31 Christen werden ermordet, über 1.000 christliche Häuser und Kirchen werden zerstört. Bis zum 28. November 1999 werden in Manado 10.400 Flüchtlinge aus Ternate und Tidore gemeldet.

ab 10. November 1999

Muslimische Gruppen greifen von Tidore und Ternate aus Dörfer auf Halmahera an. Die Bevölkerung flüchtet in die Wälder, viele gehen nach Tobelo. Dort bilden die christlichen Flüchtlingsströme zunehmend ein Gewaltpotential, weil die Menschen von Rache beseelt sind. Sie haben Grauenhaftes erlebt: Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Demütigungen, tagelange Fußmärsche durch den Urwald. Augenzeugen berichten, Kleinkinder seien vor den Augen ihrer Mütter in Säcke gesteckt und ins Meer geworfen worden. Die christliche Bevölkerung Tobelos beginnt nun ebenfalls, Waffen herzustellen; die Kampfbereitschaft unter ihnen steigt. Kirchenleitungen und Pfarrer rufen zum Frieden auf und bemühen sich um Gespräche zwischen beiden Seiten; gemischtreligiöse "Entspannungsteams" gehen an Orte, wo sich Streitigkeiten entzünden und versuchen zu schlichten.

26. Dezember 1999

Die Friedensbemühungen scheitern: Nachdem sich den Tag über die Spannungen zwischen Moslems und Christen in Gosoma, einem Stadtteil Tobelos, immer mehr zuspitzten, setzen Moslems am Abend ein christliches Wohnhaus und ein Altenheim in Brand. Zugleich wird von allen Moscheen Tobelos das "Allahu Akbar" ausgerufen, was die christliche Bevölkerung in Furcht versetzt, es könnte eine konzertierte Aktion gegen sie geplant sein. Wenig später brennen die Häuser vieler Moslems in Gosoma.

27.-29. Dezember 1999

Die Gesamtheit der Moslems in Tobelo wird von den Christen angegriffen. Obwohl viele Moslems getötet werden, bringt die christliche Maiorität die Stadt am ersten Tag nicht unter ihre Kontrolle. Die muslimische Bevölkerung reagiert mit Plünderungen und Brandstiftungen. In den folgenden Tagen verfolgt die christliche Bevölkerung Tobelos das Ziel, die Stadt von Moslems zu "säubern"; viele hundert Moslems werden ermordet, die anderen vertrieben. Die christliche Seite geht dabei nicht weniger archaisch und grausam vor als die muslimische auf Ternate und Tidore; ein Theologieprofessor schreibt: "400 Jahre muslimische und 300 Jahre christliche Unterweisung scheinen wie weggewischt".

Ebenfalls am 27. Dezember explodiert die zuvor schon angespannte Situation in Gorua, einem Dorf in der Region Tobelo. Auch hier geht die Gewalt zunächst von einer muslimischen Gruppe aus: Sie überfällt das örtliche Gefängnis, tötet einen Beamten und erbeutet Feuerwaffen. Mit diesen greift sie die christliche Bevölkerung an und zerstört die Kirche, in der sich nach einigen Berichten noch Menschen befanden. Die Christen rächen sich, indem sie Moslems in der Moschee töten und diese abbrennen. Die Kämpfe ziehen sich zwei Tage hin; am Ende gewinnen wie in Tobelo die "roten Truppen", also die Christen. (Das rote Stirnband ist zum Signum der Christen geworden, das weiße zu dem der Moslems.) Alle Moslems werden aus Gorua vertrieben und mehr als 300 Häuser und Geschäfte niedergebrannt. Einige Muslime wollen sich schwimmend auf die Gorua vorgelagerte Insel Tolonuo in Sicherheit bringen; die christliche Bevölkerung wirft ihnen jedoch selbstgefertigte Bomben nach. Es gibt viele Tote.

Ziel der Christen ist es nun, ihr Gebiet "muslimenfrei" zu halten; d.h. in der Region Tobelo werden aus allen Dörfern die Moslems vertrieben oder umgebracht. Dabei spielen sich besonders in Dörfern, in denen die Verbindungen zwischen Moslems und Christen traditionell gut waren, erschütternde Szenen ab. Häufig versuchen kleine christliche Gruppen oder Pastoren, die andere Seite zu schützen, werden aber von der Masse der wütenden christlichen Angreifer daran gehindert. In Togoliua im Süden Tobelos kommt es zu einem Blutbad, da die christliche Stammesbevölkerung dort sich nicht mit der Vertreibung der Moslems begnügt; man findet später mehrere hundert Leichen.

Bereits am 27. Dezember veröffentlicht die PGI ein Statement, in dem sie um die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe in die Region bittet. Am 29. Dezember übernimmt das Militär die Polizeigewalt auf den Molukken. Die Armee will auch den zivilen Notstand ausrufen, eine Vorstufe zum Kriegsrecht, was Präsident Wahid jedoch ablehnt.

2. Januar 2000

Zu diesem Zeitpunkt sind die Kontrollen über das Gebiet Nord-Halmaheras wie folgt verteilt: Die Christen "halten" die Region Tobelo, den gesamten Küstenstreifen bis Kao im Süden und die Region Galela im Norden. Die Moslems halten noch zwei Häfen: Soasio in Galela und den Fährhafen Sidangoli gegenüber von Ternate. Es wird vermutet, daß sie dort auf Verstärkung aus Ternate und Tidore warten. Bereits Ende Dezember wird in Ternate ein Dampfer der staatlichen Schiffahrtsgesellschaft PELNI nach Soasio entführt. Die Kaperer sind Moslems; offiziell wird verlautbart, mit dem Schiff sollten Flüchtlinge aus Galela in Sicherheit gebracht werden. Tatsächlich gibt es aber Anzeichen dafür, daß mit dem Dampfer muslimische Kämpfer nach Soasio kamen.

Bis zu diesem Tag sind allein in Ternate ca. 15.000 muslimische Flüchtlinge eingetroffen; die muslimischen Bewegungen von Ternate und Tidore und die makianische Führung haben sich inzwischen verbündet. Da mit einem Gegenschlag der vereinten Moslems auf Tobelo gerechnet wird, fliehen auch viele Christen jetzt aus der Region nach Manado/Sulawesi, wobei Tobelo nur noch mit dem Flugzeug verlassen werden kann.

Die Armee schätzt die Toten aus den Kämpfen der vergangenen Woche auf über 600, andere Berichte sprechen von ca. 2.000 Opfern.

6. Januar 2000

In den Gebieten, die viele Flüchtlinge aufnehmen, wächst die Anspannung. Auf Ternate und Tidore, wo die muslimischen Flüchtlinge untergekommen sind, wie auch auf Sulawesi, wohin sowohl Moslems als auch Christen fliehen, droht eine Verknappung an Lebensmitteln und ärztlicher Versorgung. Unsere Partnerkirche GMIM in Manado/Sulawesi richtet ein Krisenzentrum ein, um den Flüchtlingen, aber auch den Christen in Tobelo Hilfestellung zu leisten. In Manado und in Makassar steigen außerdem die Spannungen zwischen christlichen und muslimischen Flüchtlingen bzw. zwischen letzteren und der ansässigen christlichen Bevölkerung. Beide Seiten fordern Solidarität ein, und die Befürchtungen steigen, daß sich der Konflikt auf Sulawesi ausweitet. In Makassar führen muslimische Flüchtlinge aus Ambon Razzien durch, bei denen sie sich Personalausweise zeigen lassen (die die Religionszuge-hörigkeit ausweisen). Sind die Betroffenen Christen, werden sie schikaniert oder verprügelt.

Muslimische Gruppen beginnen damit, von Ternate und Tidore aus christliche Dörfer auf Halmahera zu überfallen. Ein Angriff auf Tobelo wird aber noch nicht gewagt.

7. Januar 2000

In Jakarta demonstrieren etwa 100.000 Moslems und rufen zu einem Jihad, einem heiligen Kampf gegen die Christen der Molukken auf. Amien Rais, der Sprecher der indonesischen Volksversammlung, bezieht als Redner Position für die muslimische Seite. Er wirft den Christen eine Verschwörung vor (obwohl alle Anzeichen für das Gegenteil sprechen) und bezichtigt die Regierung der Unfähigkeit, den Konflikt zu beenden. Die Führer aller muslimischen Parteien mit Ausnahme der PKB (der Partei des Präsidenten) fordern den Zusammenschluß der muslimischen Kräfte zu einer einzigen Moslempartei.

In christlichen Kreisen, aber auch in asiatischen Medien wird dadurch der Eindruck bestärkt, daß die Wahid-Regierung zur eigentlichen Zielscheibe des Konflikts geworden ist. Militär wie fundamentalistische muslimische Kräfte scheinen mit dem "Angebot", ein Problem zu lösen, das sie mit schüren, einen Führungsanspruch untermauern zu wollen.

9. Januar 2000

Präsident Wahid betont, er werde einen Jihad nicht zulassen.

10. Januar 2000

Der Präsident der GMIH, A. Aesh und eine Gruppe protestantischer Kirchenführer der Nordmolukken trifft sich mit Wahid, um ihn zu strengeren Sicherheitsmaßnahmen in der Region zu drängen. Gleichzeitig veröffentlicht die PGI eine Untersuchung, nach der in den letzten sechs Monaten 3.027 Menschen in den Nordmolukken getötet wurden. Sie gibt außerdem bekannt, daß sie mit anderen muslimischen und christlichen Gruppierungen ein Aussöhnungsteam gebildet hat, das zur Lösung des Konflikts beitragen soll.

11. Januar 2000

Die Situation der Flüchtlinge spitzt sich zu. Auf Ternate und Tidore werden Lebensmittel bereits strikt rationiert, die Reisvorräte gehen zu Ende. Auch in Tobelo nehmen die Versorgungs-probleme zu, da fast kein Zugang zu der Insel mehr möglich ist. Aus Manado wird gemeldet, daß die Mittel zur medizinischen Versorgung knapp sind und vermutlich in einem Monat die Flüchtlinge auch Lebensmittellieferungen benötigen werden.

Die größte Gefahr bleibt jedoch, daß sich der Konflikt auf andere Regionen Indonesiens ausweitet, wenn er weiterhin religiös aufgeheizt wird. Damit könnte sich dieser Konflikt als weitaus brisanter erweisen als alle regionalen Unabhängigkeitsbewegungen.


Quellen:
Berichte der EMS-Mitarbeiter in Indonesien, Berichte unserer Partnerkirchen auf Halmahera und Sulawesi, Informationen der Gemeinschaft christlicher Kirchen Indonesiens (PGI), div. Ausgaben von ASIANOW, KOMPAS und der Jakarta Post


[aus: EMS, Informationsbrief Indonesien 1/2000, S. 37-43]


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