LIMA SEHEN UND IN DIE LUFT GEHEN

(oder: Die hässliche Wahrheit will niemand sehen)

Skandalfilm an Bord chilenischer Flugzeuge präsentierte
die hässlichsten Seiten der peruanischen Hauptstadt

von Wolfgang Kunath (FR, 01.02.2006)

(mit einer Anmerkung von N. Dikigoros)

[Straße in Lima. Ausweislich der Straßenbeleuchtung handelt es sich nicht etwa
um irgendein illegalies Slum in den Outskirts - dorthin dürfte sich kein Fotograf mit Kamera trauen -, sondern um eine ganz 'reguläre' Wohngegend außerhalb des Touristenzentrums]


Eine Million Dollar Entschädigung zahlt die chilenische Luftlinie LAN dafür, dass sie auf ihren Flügen einen "herabwürdigenden" Film über die peruanische Hauptstadt Lima vorführte. Das Video zeigte Jugendbanden, Müllberge, überfüllte Busse, schmuddelige Garküchen und einen urinierenden Mann.

Die meisten Luftlinien präsentieren auf ihren Flügen kurze Filme über den Zielort - unkritische Werbestreifen, die die Sehenswürdigkeiten und die schicksten Läden ins rechte Licht rücken. Was jedoch LAN über die Monitore an der Kabinendecke flimmern ließ, war nicht das Lima, das einkaufslustige Touristen schätzen: Abwasserkanäle, die mit Müllbergen zugeschüttet sind, Trauben von Kindern, die sich an überfüllte Busse klammern, Straßen, die mit Schmutz übersäht sind, Garküchen, die unter unhygienischen Bedingungen arbeiten, und schließlich ein Mann, der in aller Öffentlichkeit uriniert. Das steht in krassem Gegensatz zu Inka-Mysterien, kolonialem Glanz und moderner Shopping-Seligkeit - nicht das Bild von Lima, der ehemaligen "Stadt der Könige", das die Peruaner im Ausland verbreitet haben wollen.

Nun hat sich LAN mit den Peruanern auf eine Million Dollar Schadenersatz geeinigt. Die chilenische Luftlinie will künftig neue Peru-Videos zeigen, und damit die Passagiere garantiert nicht wieder verschreckt werden, darf die staatliche Tourismusbehörde Perus die Filme absegnen. Außerdem wird LAN als tätige Reue monatlich 300 Kilo Propaganda-Material der peruanischen Tourismusförderung gratis transportieren und die Ausbildungskosten von zehn Peruanern übernehmen, die Piloten werden wollen - und damit, so erklärte das peruanische Außenministerium jetzt, ist der Konflikt beigelegt.

Als im März 2005 bekannt wurde, was LAN auf den Flügen zwischen Santiago de Chile und Lima für Filme zeigt, schlug die öffentliche Erregung Wellen: Vor der LAN-Vertretung in Peru kam es zu Protesten, in Lima und anderen Städten gingen Tausende auf die Straße. Parlamentarier sprachen von "nationaler Schande" und forderten, den Chilenen die Landerechte zu entziehen und eine staatliche, nationale Luftlinie zu gründen. Die Peruaner beschwerten sich bei der Unesco, ihre Luftfahrtbehörde forderte Sanktionen, sogar der Kongress tagte wegen des Falls. Die Chilenen entschuldigten sich kleinlaut und feuerten, als erste Buße, drei ihrer in Peru stationierten Führungsleute.

Dass ein zwar ärgerlicher, aber am Ende nicht allzu schlimmer Vorfall derartige nationale Entrüstung auslösen kann, liegt am Verhältnis zwischen beiden Völkern, das spätestens seit dem Salpeterkrieg im 19. Jahrhundert grundsätzlich gereizt ist. Die schwelenden Aversionen erhalten stets neue Nahrung dadurch, dass Chile wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich ist, was Peru von sich nicht behaupten kann. Beispiel LAN: Die Fluglinie, bei der der gerade unterlegene Präsidentschaftskandidat Sebastián Piñera Mehrheitsaktionär ist, expandiert unentwegt - auch nach Peru, wo sie eine monopolartige Marktstellung hat. Das Wohlstandsgefälle führt dazu, dass peruanische Immigranten in Chile als billige Arbeitskräfte gelten - oft auch als Menschen zweiter Klasse.

Äußerst verschnupft reagierte Peru kürzlich, als sich herausstellte, dass Chile 1995 den Ecuadorianern Waffen verkauft hatte - während eines Grenzkonflikts zwischen Ecuador und Peru. Wochenlangen Zank verursachten zwei chilenische Graffiti-Sprüher, die ausgerechnet eine historische Inka-Mauer als Untergrund gewählt hatten.

Selbst um Schnaps gibt es Streit: Die erfolgreichen Weinbauern Chiles vermarkten ihren Weinbrand unter dem Namen "Pisco" - zum Ärger der peruanischen Pisco-Brenner, denn Pisco, sagen sie, ist peruanisch: So heißen ein Tal, ein Fluss, eine Provinz und eine Stadt in Peru.


Anmerkung: Das ist fürwahr ein Skandal - allerdings anders, als die peruanische Regierung ihn versteht. Potentielle Touristen werden von je her belogen und betrogen, was die Schönheit eines "Reiselandes" im allgemeinen und seiner "Sehenswürdigkeiten" im besonderen angeht. Aber diese Verlogenheit ist besonders perfide: Hier wird den Leuten "heile Welt"vorgegaukelt, um zu vertuschen, daß die eigene verbrecherische Regierung - hier die von Perú, aber das ist kein Einzelfall - derart abgewirtschaftet hat, daß nicht unbeträchtliche Teile der Bevölkerung in Armut und Elend dahin vegetieren, einige hart an der Grenze zum Verhungern. Skandalös ist dieser Tatbestand an sich, nicht der Umstand, daß eine Luftfahrtgesellschaft ihren Fluggästen einen Film zeigt, der diesen wahrheitsgemäß wiedergibt. Nicht die böse chilenische Fluggesellschaft macht die Peruaner zu "Menschen zweiter Klasse", sondern ihre eigene Regierung. Wenn die Hungerleider wenigstens noch etwas davon hätten, daß Touristen unter Vorspiegelung falscher - bzw. Unterdrückung wahrer - Tatsachen ins Land gelockt werden! Aber die werden schon brav in den Luxushotels bleiben, an denen nur die Regierenden verdienen; und wer glaubt, daß sich daran irgendetwas ändert, wenn die Criollos oder Mestizen durch Indios an der Regierung abgelöst werden, der werfe mal einen Blick auf die Nachbarländer von Venezuela bis Bolivien: Die Indios, die dort die Macht ergriffen haben, sind um keinen Deut besser, sondern treiben es eher noch schlimmer! N.D.


zurück zu Peru, Pattaya, Posemuckel

heim zu Reisen durch die Vergangenheit