Kriegstrommeln in "Südwest"

In Namibia gibt es keine Zukunft mehr

von Thilo Thielke (DER SPIEGEL, 05.07.2004)

Die Regierung in Windhuk beginnt mit den Enteignungen weißer Farmer, die ersten Deutschen verlassen das Land. Nach dem Vorbild Simbabwes will Präsident Sam Nujoma eine Landreform durchsetzen. Er schürt Ressentiments gegen Weiße und droht mit Gewalt.

Der Landwirt Andreas Wiese hat seine Heimat verloren, wozu es lediglich eines Formschreibens bedurfte. "Lieber Herr Wiese", lautete die höflich-korrekte Anrede, darunter wurde dem Empfänger mitgeteilt, er möge doch bitte binnen zwei Wochen dem Staat ein Angebot zum Kauf seiner Farm machen nebst diversen landwirtschaftlichen Geräten. Sein Eigentum werde nämlich vom Volk gebraucht, Gesetz soundso, vor Jahren verabschiedet, jetzt umgesetzt.

Wenn er nicht pariere, hieß es weiter, dann werde er eben zwangsenteignet, es gebe noch zu viele landlose Menschen in Namibia. Mit freundlichem Gruß. Eine unleserliche Unterschrift, ein Stempel: Ministerium für Land, Umsiedlung und Entschädigung, Windhuk.

Diesen Brief hat Wiese vor drei Wochen bekommen, er hat in der Zwischenzeit das geforderte "Angebot" eingereicht und wartet seitdem auf die Reaktion seiner Regierung. Noch immer ist er wie benommen: So schnell kann es also gehen.

Wiese, 30, ist auf der Farm, um die es geht, aufgewachsen. Er lebt hier mit seiner Mutter Hilde Renate und Vater Heinz. Der bäuerliche Betrieb ist die Lebensgrundlage der Familie: 3603 Hektar, was nicht viel ist für einen Rinderfarmer in Namibia, wo der Boden knochentrocken ist und Wasser oder Futterpflanzen Mangelware sind. Die Wieses beschäftigen 15 Angestellte und besitzen 350 bis 400 Rinder.

Seit Jahren schlagen sie sich mit der Fleischproduktion mehr schlecht als recht durch. Nebenbei züchtet Wiese deshalb noch Blumen für den Export. Seine Zimmerkallas werden nach Europa verschifft, hauptsächlich nach Deutschland.

Der junge Farmer ist Namibier und von weißer Hautfarbe. Er spricht die einheimische Sprache der Nama und Damara wie die der Buren (Afrikaans) und die seiner Vorfahren (Deutsch). Er besitzt den namibischen Pass seines afrikanischen Geburtslandes und den deutschen aus der fernen Heimat seiner Vorfahren.

Bisher, so sagt Wiese, hätten sie hier in Frieden gelebt, den Wandel des Landes, das bis 1990 von südafrikanischen Truppen besetzt war, unterstützt. Namibia war längst zur Heimat geworden, und auch nachdem die früheren Rebellentruppen der South West Africa People''s Organisation, der Swapo, die Regierung übernommen hatten, schien es, als seien die Weißen weiterhin willkommen. Schließlich leben viele hier in dritter und vierter Generation.

Die Armut hatte Wieses Urgroßvater, den Goldschmied Theodor Mayer, 1896 aus Ulm nach Südwestafrika getrieben. Überall in der Heimat hatten sich damals Kolonialvereine gebildet, in denen die tollsten Geschichten über den Schwarzen Kontinent die Runde machten. Schließlich gab sogar Reichskanzler Otto von Bismarck, kolonialen Abenteuern eher abhold, dem Drängen von Kaiser und Wirtschaft nach Übersee-Besitz nach. Kanonenboote und Schutztruppen wurden entsandt und Siedler angeworben, die sich auf dem von den anderen Kolonialmächten bislang verschmähten Hochplateau niederließen. Rund 50 Kilometer vom Verwaltungssitz Windhuk entfernt kaufte Mayer Land und Rinder und baute eine Farm auf: Ongombo West. Er heiratete und zeugte Kinder, während um ihn herum die blutigen Aufstände der Herero und Witbooi-Nama tobten und das ferne Europa in den Ersten Weltkrieg schlitterte. Mayer ruht lange schon auf dem Familienfriedhof, keine 20 Meter von Wieses Wohnhaus entfernt.

Der Zeitpunkt, an dem sich das politische Klima in Namibia änderte, lässt sich nicht mehr so genau bestimmen. Dass in den zunehmend ungehobelteren Reden des seit Februar 1990 amtierenden Präsidenten Samuel Nujoma, 75, immer häufiger das "leuchtende Vorbild" Simbabwe gepriesen wurde und hinter jedem Dornbusch

"Kolonialisten und Imperialisten" ausgemacht wurden, nahm anfangs niemand richtig ernst. Schließlich gibt es in namibischen Städten schon seit langem jede Menge Straßen, die nach Robert Mugabe, Fidel Castro und anderen Helden aus der Zeit sozialistischer Volkskriege benannt sind.

Als im August 2002 vor den Toren der Hauptstadt ein Obelisk eingeweiht wurde, den nordkoreanische Baubrigaden errichtet hatten, nahm die Mehrheit auch das als eine Schrulle des betagten Führers. Der zu ehrende Unbekannte Soldat, ein Sturmgewehr in der Linken, in der Rechten eine Handgranate, trägt unverkennbar die Züge des Landesvaters. "Nujomas letzte Erektion", spotten die Namibier über den Gedenkphallus.

Doch der Staatschef drohte immer häufiger. "Wenn ihr Weißen weiter so arrogant seid, dann werden wir euch ganz sicher einen Schlag versetzen", tönte er im Fernsehen. Das wurde als eher harmloser Rückfall in die Rotfront-Rhetorik eines einstigen Buschkriegers abgetan, dessen militärische Aktivitäten früher von Angolanern, Kubanern und Russen unterstützt worden waren. Kaum jemand wollte wahrhaben, dass sich der alte Partisan Nujoma mit seinem struppigen Revoluzzerbart wieder auf dem Kriegspfad befand.

Immerhin gilt Namibia als stabil und ausgesprochen beliebt bei Afrika-Urlaubern. Kaum ein Land südlich der Sahara verfügt über ein derart gut ausgebautes Straßennetz. Während Metropolen wie Lagos, Johannesburg oder Nairobi unter hoher Kriminalität leiden, dämmert das beschauliche Windhuk friedvoll vor sich hin.

Nicht zuletzt dank deutscher Entwicklungshilfe und Reiselust zählt Namibia zu den wenigen afrikanischen Staaten mit einer eher erfreulichen Wirtschaftsbilanz. Wer hier landet, muss nicht einmal auf Leberkäse, Trachtengruppe oder ZDF verzichten. Es gibt zwei deutsche Zeitungen, eine deutsche Buchhandlung und sogar eine Weinkönigin. Die Geldautomaten funktionieren ebenso wie die Ampeln.

Anfänglich war auch Wiese davon überzeugt, dass sich Nujomas kämpferische Parolen in Wohlgefallen auflösen würden. Was jetzt zu seiner Vertreibung führt, begann als ziemlich banaler Zwischenfall: Im Stall war ein Gänseküken zwischen zwei Plastikkisten eingeklemmt worden und verendet. Wieses Mutter forderte daraufhin die Angestellte Cornelia Roonasie auf, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein. Die Gescholtene lief fort und rief den Küchenarbeiter Elias Hoebeb zu Hilfe. Der erschien mit einem Messer in der Hand und verkündete, wenn man ihn vom Hof jagen wolle, solle man es ihm ins Gesicht sagen.

Zu anderen Zeiten wäre die Bagatelle schnell beigelegt gewesen. Doch in Namibia sind bald Wahlen, und seit Monaten verspricht die Regierung deshalb ihrer landlosen Bevölkerung die Umverteilung des Bodens. Nujoma flucht auf "rassistische Weiße", und die Landarbeitergewerkschaft droht mit Farmbesetzungen.

Der Fall Wiese kam vor Gericht. "Kriminelle Farmer", tobte der Held des Unabhängigkeitskriegs, Sam Nujoma, würden "den vollen Zorn des Gesetzes" erfahren. Seitdem herrscht Unruhe im sonst so gemächlichen Staat, in dem auf einer Fläche von Deutschland und Spanien zusammengenommen ungefähr so viele Menschen leben wie in der Hansestadt Hamburg, 1,9 Millionen Einwohner.

Als kürzlich in Simbabwe eine Handelsmesse eröffnet wurde, prahlte Namibias Präsident damit, er werde Robert Mugabes heruntergewirtschaftete Diktatur auch militärisch jederzeit unterstützen, "ob die Imperialisten dies mögen oder nicht". Feierlich gelobte er: "Wir wollen die kolonialen Kräfte wissen lassen, dass die namibischen Streitkräfte innerhalb von 24 Stunden in Simbabwe wären, sollten die Kolonialisten Simbabwe angreifen."

Das harmonische Einverständnis mit dem Paria Mugabe lässt Schlimmes befürchten, denn Simbabwe steht bereits vor dem Zusammenbruch. Die Inflationsrate beträgt 500 Prozent, Kinder werden in Foltercamps zu willenlosen Parteigängern gedrillt, Zeitungen verboten, Oppositionelle verhaftet, Farmer aus dem Land gejagt. Fünf Millionen Menschen hungern.

Dennoch scheint Nujoma gewillt, dem Vorbild Mugabes ("Ich bin der Hitler dieser Zeit") nachzueifern, bevor er im November die Macht an seinen Nachfolger und Vasallen, Landminister Hifikepunye Pohamba, abtreten wird. Mindestens 15

Enteignungsschreiben hat Pohambas Ministerium bereits verschickt, nach völlig unklaren Kriterien. Immerhin: Anders als in Simbabwe können die Empfänger dagegen Rechtsmittel einlegen.

Die Aufteilung des Agrarlands in kleine Schollen, die den Arbeitern zur Bewirtschaftung überlassen werden sollen, gilt unter Experten als nicht praktikabel. "Einen größeren Unsinn kann die Regierung kaum machen", sagt etwa Wolfgang Werner, Berater für landwirtschaftliche Entwicklung. "Das Land ist trocken, das Vieh braucht unverhältnismäßig viel Raum, mitunter hat eine große Farm nur eine einzige Wasserstelle." In Zukunft müssten viele kleine Parzellen künstlich mit Wasser versorgt werden, was sehr kostspielig sei. Werner, 49, war Mitglied der Regierungspartei Swapo und von 1990 bis 1995 Direktor im Ministerium für Landfragen.

Für den Ackerbau sind die Böden, die die Regierung sich derzeit aneignet, zudem gar nicht geeignet. Viel zu selten regnet es in Zentral- und Südnamibia, wo allerhöchstens Viehzucht möglich ist. Und das Land im tropischen Norden ist bereits im Besitz schwarzer Namibier.

Eine Studie des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung führt einen weiteren Grund dafür an, dass die Enteignungen unsinnig sind: "Das Angebot an Farmen ist seit langem größer als die Nachfrage." Warum die auf Krawall gebürstete Swapo-Regierung diese Höfe nicht zuerst erwirbt, bleibt ihr Geheimnis.

Namibia steht vor einer Zerreißprobe. "Die Gesellschaft kommt vom Weg der Versöhnung ab", glaubt die in Windhuk erscheinende "Allgemeine Zeitung". "Bald haben wir Zustände wie in Simbabwe", befürchtet auch Rudolph Kamburona von

der Oppositionspartei "Demokratische Turnhallenallianz". Kamburona ist ein Herero, während die Swapo von Angehörigen des nordnamibischen Ovambo-Stammes dominiert wird. Die Ovambo stellen etwa 50 Prozent der Bevölkerung und nehmen fast alle wichtigen Positionen in Staat und Verwaltung ein. Seit langem fühlen sich die Herero von ihrer Regierung betrogen.

Mit Vorliebe begründen radikale Enteignungsprediger die Zwangsmaßnahmen damit, das Land sei einst von den Weißen gestohlen worden, da könne man es ihnen jetzt getrost auch wieder abnehmen. Aber gerade davon wollen die Herero wenig wissen. "Wir wollen die Weißen nicht enteignen", sagt Kamburona, "sondern in Frieden miteinander leben."

Dabei hätten die Herero am ehesten Anlass, Wiedergutmachung zu verlangen, denn sie waren die Leidtragenden der frühen deutschen Expansionsgelüste. Wieses Vorfahr Mayer war gerade neun Jahre in Deutsch-Südwest, da metzelten Kolonialsoldaten Zehntausende aufständischer Herero am Waterberg dahin. Die Überlebenden flüchteten in die Halbwüste der Omaheke.

Am 2. Oktober 1904 verfasste "der große General der deutschen Soldaten", Lothar von Trotha, einen "Brief an das Volk der Herero", in dem mitgeteilt wurde, diese seien fortan nicht mehr "Deutsche Untertanen" und hätten das Land zu verlassen. "Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen." Drei Viertel des Herero-Volks verloren damals ihr Leben.

Oppositionspolitiker Kamburona empfindet trotzdem keine Genugtuung, wenn er sieht, wie nun deutschstämmige Farmer vertrieben werden. Mit Sorge beobachtet er, dass "Farmarbeiter aufgehetzt werden und die Produktivität des Landes sinkt". Was die Regierung derzeit treibe, sei zutiefst irrational, sagt er. Insbesondere im heutigen Siedlungsraum der Herero, in der dürren Omaheke-Region, gebe es noch genügend Brache, die urbar gemacht werden könne, bevor man einen Rassenkonflikt schüre.

Wie in Simbabwe sollen auch in Namibia verdiente Helden des Befreiungskampfes mit dem enteigneten Land belohnt werden, und die gehören fast alle dem Ovambo-Stamm an. Der Guerillakrieg gegen die südafrikanischen Besatzer wurde von Angola aus gesteuert und hauptsächlich im Ovamboland geführt.

Nur eine Minderheit der weißen Farmer will den Enteignungen gewaltsam Widerstand entgegensetzen. Auf einer Versammlung aufgebrachter Viehzüchter im ostnamibischen Gobabis ertönten Parolen, wie sie sonst nur bei separatistischen Buren in Südafrika zu vernehmen sind: "Ons soek nou blankeland", wir fordern Land für Weiße.

Alle anderen wissen nicht so recht, wie sie dem revolutionären Zorn begegnen sollen, der über sie herein bricht. Das Büro der Namibischen Landwirtschaftlichen Union liegt ausgerechnet an der Robert Mugabe Avenue von Windhuk, und ihr Vorsitzender Jan de Wet ist ziemlich niedergeschlagen. Gerade hat Nujoma weiße Farmer wieder mal als Schlangen beschimpft. "Der Staatschef hat doch sonst immer seine schützende Hand über uns gehalten", jammert de Wet, und sein Blick drückt alles andere als Zuversicht aus. Er hofft, dass sich in Verhandlungen das Schicksal noch einmal abwenden lässt.

"Es geht um unsere Existenz", gibt sich dagegen Sigi Eimbeck, der Vorsitzende der Selbsthilfegruppe Namibia Farmers Support Initiative, kämpferisch. Er will vor Gericht ziehen und das "selbstherrliche Gebaren einer radikalen Clique" bloßlegen. Doch viel Hoffnung hat auch Eimbeck nicht. "In 20 Jahren", sagt er, "wird es hier wohl keine weißen Farmer mehr geben."

Andreas Wiese hingegen hat sich mit dem Zwangsverkauf abgefunden. Wenn er aus dem Fenster blickt, sieht er seine Angestellten unten auf dem Farmland campieren. Sie warten, dass er endlich geht. Sie haben Zeit.

Wo er sich eine neue Existenz aufbauen soll, weiß Wiese nicht. Deutschland braucht keine Landwirte. Nigeria könnte eine Alternative sein; Präsident Olusegun Obasanjo umwirbt gerade die aus Simbabwe verjagten Bauern. Vielleicht auch Mosambik. Nur eines ist sicher: In Namibia gibt es keine Zukunft mehr.


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