Der Krieg, ein "abgenötigt Ding"

"Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen"
Teil VII der ZEIT-Serie über die Bergpredigt

von Robert Leicht (DIE ZEIT 20/1999)

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. - So jedenfalls lautet eine wichtige Unterrichtseinheit der Frankfurter Schule (Th. W. Adorno, Minima Moralia, I,18). Wieder eine totalisierende Behauptung, die Radikalität mit Absolutheit gleichsetzt. Wieder eine Behauptung, die nach Max Weber klingt: "ganz oder gar nicht"; das jedenfalls sei ihm der Sinn der Ethik aus der Bergpredigt. Trotzdem kann gerade im eklatanten Widerspruch zur Wirklichkeit, kann just in einer paradoxen Situation ein Element der Wahrheit offenbar werden.

Wie wäre denn sonst die Regelung der Militärseelsorge für die deutschen Soldaten in Bosnien zu erklären? Militärseelsorger sind nach dem Völkerrecht und nach dem in Westdeutschland geltenden Staatskirchenrecht - obschon ordinierte Geistliche - dem Militär zugeordnet; sie gehören zwar nicht zur kämpfenden Truppe, aber doch, wie die Sanitätsoffiziere, zum Militär. Nur so sind sie auch im Ernstfall vom Schutz der Haager und Genfer Konventionen erfaßt. Sanitätsoffiziere dürfen zum Selbstschutz (und zur Nothilfe für die ihnen Anvertrauten) Handfeuerwaffen tragen. Militärgeistliche im Prinzip auch.

Nun hatten die deutschen Militärseelsorger auf das Tragen von Waffen bislang verzichtet. Als einige von ihnen mit den Soldaten nach Bosnien zogen, wurde ihnen angetragen, diesen Verzicht zu revidieren. Sie lehnten dies weiterhin ab. Und wie wird jetzt für ihren persönlichen Schutz gesorgt? Sie werden von einem bewaffneten Soldaten eskortiert. Ein offenkundiger Widerspruch! Denn wie soll man erklären, daß diese Seelsorger von einem Schutz profitieren, den sie selber zu leisten durchaus berechtigt wären, für sich vorzunehmen aber ablehnen? Weil es eben doch ein richtiges Leben im falschen gibt.

Wie tragen Militärseelsorger den Widerspruch aus? Symbolisch

Oder anders ausgedrückt: Weil es ein Richtiges im Leben gibt, das vom richtigen Leben widersprechend abweicht. Noch in der vermeintlich absurden Situation - mitten im Zustand des Unfriedens - wird durch symbolisches Handeln, genauer: durch einen symbolischen Verzicht (der doch in Wirklichkeit ein symbolischer Verzicht auf die Waffe ist, nicht ein effektiver Verzicht auf den Schutz) ein Zeichen gesetzt für eine Gegenwelt, eine utopische Gegenwelt. Übrigens auch ein Zeichen dafür, daß der Militärgeistliche im Falle eines Falles selbst einem gegnerischen Soldaten, da selber unbewaffnet, nicht als Feind gegenübertritt; heutzutage. Und dies geschieht, welcher Zivilisationsgewinn!, unter gegenseitiger Anerkennung der Rollen. Ein Kontrastprogramm, nein: ein Kontrapunkt.

In der Armee der demokratischen Tschechischen Republik ist dasselbe Problem etwas anders gelöst worden: Dort sind die Militärseelsorger - wenige freilich, angesichts des postkommunistischen Atheismus, aber immerhin - Offiziere der Armee, wie Sanitätsoffiziere eben. Das kämpfende Offizierskorps hätte freilich den demonstrativen Verzicht auf die Offizierspistole nicht akzeptiert und das damit bezeugte symbolische Handeln als moralischen Vorwurf an die eigene Adresse verstanden. Die an Schwejk gemahnende Lösung: Die tschechischen Militärseelsorger nehmen die Pistole in Empfang, hinterlegen sie beim Kommandanten - und holen sie dort bis zum Ende ihrer Dienstzeit nicht mehr ab. (Eine Besonderheit der deutschen - protestantischen - Lage: Nach der Wiedervereinigung sahen sich die ostdeutschen Protestanten nicht zu einer staatskirchenrechtlichen Regelung in der Lage, wie sie westlich und östlich von ihnen akzeptiert wird. Für die ostdeutschen protestantischen Landeskirchen - nicht für die dortigen katholischen Diözesen - gibt es seither eine Sonderregelung. Es gibt offenbar auch ein besonders richtiges Leben im falschen.)

Wie auch immer: Diese symbolischen, wahrheitshaltigen Widersprüche gäbe es nicht ohne die 2000jährige Geschichte der Bergpredigt und des Christentums, nicht ohne die siebte der Seligpreisungen: "Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen."

Die in der Sequenz sich steigernde Verdichtung der Seligpreisungen wird uns davor bewahren, darin nur den schlichten Appell (oder: Befehl) zu lesen: Haltet den Frieden! Die Radikalität der endzeitlichen Verheißung wird in Luthers Übersetzung durch eine Frühform des "inklusiven" Sprachgebrauchs eher verdeckt: Wo Luther übersetzt "Gottes Kinder", steht im griechischen Urtext uioi qeou - also Söhne Gottes. Der Extremismus in dieser Verheißung - als "Sohn" gibt es doch nur einen - ist kaum zu übersehen. Und er kann sich nicht einfach auf die bloße, gewissermaßen passive Friedfertigkeit beziehen, auch nicht auf durchaus aktive Menschen, die in der englischen King-James-Übersetzung peacemaker genannt werden. So als bewegten wir uns im semantischen Umfeld von peace keeping, peace making, peace enforcement, robust peace enforcement ...

Wir stoßen hier auf eine parallele Figur zum Begriff der Gerechtigkeit, von der in der vierten Seligpreisung die Rede war. Der Friede, von dem hier nun die Rede ist, ist auf dem Hintergrund des göttlichen Friedens, also des göttlichen Schalom zu verstehen - einer ganzheitlichen, messianischen Neuordnung (eines neuen Himmels und einer neuen Erde), in der Gott und Schöpfung, Mensch und Mitmensch, Mensch und Natur im Zustand heilsamer Versöhntheit miteinander leben.

Man könnte auch sagen: das Paradies - freilich das wiederhergestellte. Und freilich: nicht durch Menschen wiederhergestellte. "Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker", so heißt es in Jesaja 2,4: "Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen" - und sinngleich bei Micha 4,3: "Daß Schwerter und Sicheln zu Pflugscharen umgeschmiedet werden" - dies ist also eine Folge erst des von Jahwe heraufzuführenden Schaloms, nicht aber der erste, selbstmächtige Schritt der Menschen auf diesem Wege. In der gefallenen Welt kennt das Alte Testament - leider - auch den umgekehrten Imperativ: "Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Der Schwache spreche: Ich bin stark!" (Joel 4,10)

Mit anderen Worten: Unter den Friedfertigen sind Menschen zu verstehen, die sich in ihrer persönlichen und politischen Friedensfertigkeit angewiesen sehen auf einen anderen Schalom als den, den sie selber herzustellen imstande wären - und die sich selber sowie ihre Gegner, ja: Feinde zu diesem Schalom in eine Beziehung bringen lassen; worin ja das erste Stück Entfeindung liegt.

Erst die gegenteilige, die finale Beziehungslosigkeit läßt aus dem fürchterlichsten Streit die beziehungslose Feindseligkeit werden. Jenes Freund-Feind-Verhältnis also, in dem der faschistische Staatstheoretiker Carl Schmitt ursprünglich das eigentliche Wesen der Politik sehen wollte. Die friedliche Beziehung ist nur möglich, wenn sich die Gegner auf etwas Drittes außer ihnen selbst beziehen können. Man sieht, wie das eschaton, die Rede von den letzten Dingen, höchst konkrete Auswirkung auf die ersten Dinge hat, die wir zu tun haben. Dies ist ein Grund dafür, daß das friedensethische Gebot wie das Gebot des Gewaltverzichts - ungeachtet ihrer scheinbar illusionären Weltfremdheit - über die Jahrtausende ein kritisches Bewußtsein für das Richtige im Falschen wachgehalten haben. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Radikalität - die aber eben keine abstrakte Absolutheit sein kann.

Frieden ist keine absolute, unbedingte Angelegenheit, sondern vielmehr eine relative Sache, eine bedingte Frage der Beziehungen. Und wiederum nicht nur einer bedingungslosen Beziehung, sondern der Einsicht: Menschen, Gegner zumal, können einander nur verstehen und vertragen als aufeinander Bezogene, wenn also jeder sich zunächst selber als bedingt, als abhängig versteht und sich deshalb nicht selber absolut setzt. Krieg ist so gesehen ein "Beziehungsdelikt". Und die siebte der Seligpreisungen ist - unbeachtet ihrer eschatologischen Hochspannung - voller diesseitiger Einsicht.

Der Frieden als ein relativer Zustand, als eine Frage der Relation ist nicht zu begreifen in absoluten Zuspitzungen. Das zeigt sich schon an den Wendungen, die die Friedensdiskussion und -bewegung in den zurückliegenden Jahrzehnten genommen hat. Es ist ein weiter nicht polemisch zu denunzierendes Paradox, daß Menschen, die vormals selber aus ihrer eigenen Gewissensentscheidung den Wehrdienst verweigert haben, heute gleichwohl der entschiedenen Ansicht sind, deutsche Soldaten hätten auch auf dem Balkan ihre Rolle zu spielen; wohingegen hartgesottene militärische Praktiker gerade daran entschiedene Zweifel äußern. Doch zur Relativität von Zwecken und Mitteln später.

So absurd oder anstößig dies auf den ersten Blick klingen mag: Die Strategie der nuklearen Abschreckung setzte die verfeindeten Großmächte in eine Beziehung zueinander (wie Skorpione in der Flasche), in der keine ohne die andere überleben konnte - und in der jede von ihnen existentiell auf etwas außerhalb ihrer eigenen Existenz bezogen war. Freilich war dieses Tertium comparationis (und ohne ein solches Tertium gibt es eben im logischen Ernstfall keine Beziehung zwischen zweien) nicht der Schalom, sondern die vollständige, gegenseitige - also: teuflisch beziehungsreiche - Vernichtung. Nicht, daß das fatal riskante Kalkül etwa nicht funktionierte, war das Skandalon, sondern die Tatsache, daß Mächte nur unter einem solch teuflischen Dritten zur Vernunft kamen. Und daß Beziehungen dieser Art zwar die Entartung der Beziehung verhindern, aber keine artgerechte Beziehung herstellen können, keinen Schalom.

Seit diese Art der teuflischen Beziehung obsolet geworden ist, sind Kriege in unserer allernächsten Nähe wieder führbar geworden: Es fehlt das infernalische Tertium, das die Kriegsparteien gegen ihren Willen in Beziehung zueinander setzt. Und wo es dieses finale oder initiale Tertium nicht gibt, teuflisch oder - göttlich, stehen wir vor der Frage: Sollen wir der Entartung des Feindseins tatenlos zusehen, dem Morden und Metzeln? - Es zeigt sich angesichts dieser Frage, daß die Diskussion in der deutschen Friedensbewegung - weil sie vorwiegend auf die Strategie der nuklearen Abschreckung bezogen war - nicht ausreichend geklärt hatte, ob ihr "Nein ohne jedes Ja" wirklich absolut gesetzt werden und folglich auch unter Bedingungen und auf Feldern gelten konnte, in denen diese Strategie nicht mehr wirksam sein würde; eine Möglichkeit, die als solche auch nicht ausreichend bedacht worden war. Weil man die Unumkehrbarkeit der abgelehnten Strategie selber voreilig absolut gesetzt hatte.

Vor diesen Fragen ist es still geworden im Lande um den absolut gesetzten Pazifismus. Im Grunde sind beide, der absolute Pazifismus wie das absolute Vertrauen auf militärische Macht, beziehungslos gedacht, abgelöst (das ist gemeint mit: absolutus) von ihren Voraussetzungen. Beide sind eine Ultima ratio - allerdings beide, weil zu spät einsetzend: nach der Ratio.

Aus diesem Grunde hatte Karl Barth geschrieben: "Das haben ja die Pazifisten und die Militaristen gewöhnlich gemeinsam, daß ihnen die Gestaltung des Friedens als Gestaltung des Staates zur Demokratie und der Demokratie zur sozialen Demokratie, wenn nur erst ,abgerüstet' bzw. ,aufgerüstet' werde, curia posterior zu sein pflegt. Und eben darin hat die christliche Ethik ihnen beiden zu widersprechen: weder die ,Abrüstung' noch die ,Aufrüstung' kann curia prior sein, sondern allein die Herstellung einer für Alle sinnvollen und gerechten Lebensordnung."

Auch der Pazifismus der Bergpredigt ist nicht absolut und a priori, also: beziehungslos gedacht, weil er nämlich auf den göttlichen Schalom bezogen ist; nicht also auf die teuflische Vernichtung. Aber an diese Möglichkeit eines beziehungsreichen Schalom zu erinnern, das ist auch die Aufgabe jenes symbolischen Handelns der Militärseelsorger, die - mitten in den bosnischen Schrecken - keine Waffen tragen, als gäbe es ein richtiges Leben im falschen.

Es gehört übrigens zu den Merkwürdigkeiten des deutschen Rechts zur Kriegsdienstverweigerung, daß - obgleich die Anordnung des Wehrdienstes ja der unterstellten Ethik der Bergpredigt widerspricht - die Verweigerer ihrerseits absolut auf die Bergpredigt festgelegt werden, und zwar in ihrer zwanghaft absoluten Interpretation. Die Haltung des "Alles-oder- nichts" wird den Verweigerern von jenen aufgezwungen, die eine solche Haltung für sich nicht gelten lassen würden. Nicht die radikale Ablehnung der Gewalt in einer bestimmten, relativen Situation berechtigt zur Verweigerung, sondern nur die beziehungslose, also unbedingte Ablehnung.

Gerechter Krieg? Allenfalls ist er gerechtfertigt, als "Notkrieg" (Luther)

Da hatte Karl Barth, der Schweizer und calvinistische Theologe, der zugleich von älter verwurzelten staatsbürgerlichen Traditionen und von einem republikanischen Christentum geprägt war, ganz anders argumentiert. Dienstverweigerung sei nur in ganz genau zu definierenden Situationen möglich, und zwar als zu verantwortende politische Einrede gegen die staatliche Entscheidung - also als radikale und relative Entscheidung: "Die radikalen Pazifisten sind in diesem Sinne keine freien Menschen: keine, die auch frei b l e i b e n wollen. Prinzipieller Antimilitarismus läuft vor lauter Konsequenz auf eine Dienstverweigerung hinaus, die man sich eben nicht leisten dürfte."

Wir können uns vorstellen, warum Staaten sich auf eine solche relative Verweigerung nicht einlassen wollen - sie fürchten die unübersichtliche, quasi anarchische Diskussion. Sie fürchten sie so sehr, daß sie den Kriegsdienstverweigerer in die Position eines hilflos absolut argumentierenden Menschen drängen. Sie fürchteten sich - früher! - so sehr, daß sie lieber Gewaltlose zu Märtyrern machten, als daß sie ihr eigenes Verhältnis zur Gewalt relativieren ließen.

Es ist freilich die gebrochen-ungebrochene Erinnerung an die Bergpredigt, die dazu beigetragen hat, daß dieser Stein vom weichen Wasser verkleinert wurde. Letztlich hat diese Erinnerung dazu beigetragen, daß der Angriffs- und Eroberungskrieg nicht mehr zu den primären, legitimen Machtmerkmalen der Staaten gehört und daß die Figur des "gerechten Krieges" als Ausdruck staatlicher Souveränität aus dem Völkerrecht entfernt wurde. (Davon zu unterscheiden ist der "gerechtfertigte Krieg" als Nothilfe für Angegriffene, mit UN-Mandat oder, zur Not, zur Not-Hilfe, ohne.)

Die Kirchen haben Kriege gesegnet, an allen Fronten - das gehört, Gott sei's geklagt, zu ihrer Sündengeschichte. Aber dies ist eben nicht ihre gesamte Geschichte. Gegen die "absolutistische" Kategorie des in und an sich "gerechten Krieges" hatte schon Martin Luther in seiner Schrift Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können, die gewiß zutiefst ihrer Zeit verhaftet ist, polemisiert: "So ist in diesem Stücke das erste, daß Kriegführen nicht recht ist ... Es sei denn, daß es solchen Grund und solch Gewissen habe, daß man da sagen könne: Mein Nachbar zwingt und nötigt mich Krieg zu führen, ich wollts lieber sein lassen, auf daß der Krieg nicht allein Krieg, sondern auch pflichtmäßiger Schutz und Notwehr heißen könne."

Der eine Krieg, so Luther, sei ein mutwilliger Krieg, der andere ein Notkrieg zu heißen: "Der erste ist des Teufels, dem gebe Gott kein Glück. Der andere ist ein menschliches Unglück, dem helfe Gott." Und schließlich, als sei es eine Erinnerung an die in der Bergpredigt geforderte Langmut - und eine Vorwegnahme der Lage auf dem Balkan: Das Kriegführen könne nur ein "abgenötigt Ding" sein. "Nötigen aber ist, wenn der Feind oder Nachbar angreift und anfängt, und nicht helfen will, daß man sich zum Recht, zur Verhandlung, zum Vertrag erbietet, allerlei böse Worte und Tücke verträgt und zugute hält, sondern schlechterdings mit dem Kopf hindurch will." (Schon deshalb, und aus vielen anderen Gründen mehr, ist die fatale, angeblich typisch deutsche Reihung: "Luther, Friedrich II., Bismarck, Hitler" eine ungebildete Karikatur. Was immer die drei letzteren voneinander kategorisch trennen mag, in einem sind sie sich gleich: Sie konnten sich für ihre militärischen Taten jedenfalls nicht auf Luther berufen.)

"Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen." Gerade wer den Frieden will, darf ihn nicht als eine absolute Sache, sondern muß ihn in Relationen betrachten, als relative Größe, bezogen auf ein beziehungsstiftendes Tertium. Wer aber den Frieden unbedingt verabsolutiert, macht sich - paradoxerweise - friedensunfähig.

Der 22jährige Dietrich Bonhoeffer konnte 1928, als Vikar in Barcelona tätig, noch sagen: "Es ist das größte Mißverständnis, wenn man die Gebote der Bergpredigt etwa selbst wieder zum Gesetz macht, indem man sie wörtlich auf die Gegenwart bezieht ... Das ganze Leben etwa des Grafen Tolstoj und so mancher anderer ist aus diesem Mißverständnis heraus geführt worden." Doch zurückgekehrt in die deutschen Wirren, noch vor 1933, erwächst ihm, wiederum aus der Bergpredigt, die Einsicht: "Der christliche Pazifismus, den ich noch kurz vorher ... leidenschaftlich bekämpft hatte, ging mir auf einmal als Selbstverständlichkeit auf."

Seine Freunde hatte diese Wendung zunächst verstört. In der verbrecherischen Verdichtung der NS-Diktatur und mitten im verbrecherischen Vernichtungs- und Eroberungskrieg entschließt derselbe Mensch - wie hätte erst dies manche Freunde verstört? - sich zur verschwörerischen Teilnahme am Tyrannenmord. So kann man aufgrund der Bergpredigt und in der radikalen Auseinandersetzung mit der Relativität von Situationen zum Märtyrer werden. - Es gibt ein richtiges Leben im falschen.


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