KRAUTS

Das Image der Deutschen in Großbritannien verschlechtert sich.
Die Regierungen mögen einander, die Völker leider nicht

von Jürgen Krönig (Die Zeit 40/1999)

(Bilder, Anmerkungen und Links: Nikolas Dikigoros)

Wann immer ein Soldat der Wehrmacht erschossen wurde, brandete im voll besetzten Kino am Londoner Leicester Square lauter Jubel auf: Ob Steven Spielberg weiß, welche Emotionen sein Kriegsepos Private Ryan bei jungen Engländern freisetzt? [Dumme Frage! Natürlich weiß der alte, erfahrene Jude das - was sonst würde er mit seinen Filmen immer und immer wieder bezwecken? Anm. Dikigoros]

Diese Gefühlsausbrüche sind keineswegs ein isoliertes Phänomen. Wer sich umhört, erfährt Alarmierendes. Kinder aus englisch-deutschen Mischehen, völlig anglisiert und ohne einen Hauch von Akzent, werden von Mitschülern gehänselt und ausgegrenzt. Schüler der Deutschen Schule im Londoner Stadtteil Richmond haben immer wieder erleben müssen, dass sie auf der Heimfahrt im Bus von englischen Jugendlichen als "Nazis" beschimpft wurden. Andere versuchten vergeblich, im Fußballclub Freunde zu gewinnen, wo sie sogar der Trainer nur als "Hitlerboys" titulierte. Viele deutsch-englische Ehepaare mit Sprösslingen im schulpflichtigen Alter kennen solche Erfahrungen, von denen sie nur zögernd berichten; sie wolle "nicht noch Öl ins Feuer gießen", sagte mir eine Mutter. Im Sommer 1996, nach der Ausstrahlung einer Fernsehdokumentation für die BBC, in der ich den Gründen für die wachsende Germanophobie auf der Insel nachgespürt hatte, erreichte mich eine Flut von Briefen, Faxen und Telefonaten. Deutsche, die seit Jahren im Lande leben und sich integriert geglaubt hatten, klagten über die Feindseligkeit ihrer Umgebung. Im Verlauf der 1990er Jahre seien einstmals freundliche Nachbarn auf Distanz gegangen; im Briefkasten fanden sie immer wieder Zeitungsartikel, zumeist aus bürgerlichen Blättern wie Daily Mail, Express und Daily Telegraph, gespickt mit antideutschen Tiraden und Vorwürfen wie "Briten müssen wegen EU für das deutsche Rentendefizit aufkommen".

Nicht nur anekdotische Evidenz weist darauf hin, dass viele Briten unfreundliche Gefühle für die Teutonen hegen. Umfragen belegen dies ebenso wie die Ergebnisse soziologischer Studien. Besonders betrüblich: Junge Briten können offenbar noch weniger mit den "Krauts" anfangen als die ältere Generation. Eine Umfrage unter 800 englischen Schulkindern erbrachte, dass sie Deutschland für das langweiligste, unattraktivste und ärmste Land Europas halten, ärmer noch als Bosnien, in das sie allemal eher reisen würden als nach Deutschland. Aufschlussreich ist, was den 10- bis 16-Jährigen einfällt, wenn sie an Deutschland denken: 78% sagten "der Zweite Weltkrieg", 50% erwähnten Hitler, 11% Bier und 4% die Berliner Mauer.

1997 untersuchte die Universität Aberdeen die Einstellung von 6- bis 16-Jährigen zu diversen Nationen und förderte ein erstaunliches Maß an Antipathie gegen Deutsche zutage. Man hatte insgesamt 700 Schülern 10 Bilder von Männer- und Frauengesichtern gezeigt, zunächst ohne, dann mit nationalen Etiketten versehen. Den als Deutsche gekennzeichneten Personen (in Wahrheit handelte es sich bei allen Abgebildeten um Briten) gaben die Youngster die mit Abstand schlechtesten Sympathienoten, während dieselben Personen bei der ersten Testreihe hohe Sympathiewerte erzielt hatten.

So schlimm war es nicht immer. Bis Ende der 1980er Jahre bezeichneten die Briten die Deutschen als ihre besten Freunde in Europa. Diplomaten schwärmten damals von der "stillen Allianz", trotz der Antipathie zwischen Margaret Thatcher und Helmut Kohl. Doch als Gallup 1992 das letzte Mal nach den "besten Freunden der Briten" fragte (mittlerweile will es niemand mehr so genau wissen), nannten statt 28 nur noch 12% der Befragten die Deutschen. Auch das Vertrauen in den Alliierten am Rhein ist verloren gegangen. 1986 äußerten 28% "großes Vertrauen", nur 18% besaßen "überhaupt kein Vertrauen". Die Zahlen vom Oktober 1995 indes signalisierten eine scharfe Wende: Nur noch 10% "vertrauen" den Deutschen, 35% besitzen "überhaupt kein Vertrauen". Zugleich wuchs die Angst vor einer Renaissance des Nationalsozialismus. 1977 rechneten schon 23% damit, 1992 war diese Zahl auf 53% hochgeschnellt und hat sich seither dort eingependelt.

Die guten Deutschen, das waren die geteilten Deutschen

Der Grund für den tief greifenden Stimmungsumschwung ist, das dürfen wir vermuten, das Ende der Nachkriegsordnung, in der das geteilte Deutschland in ein europäisches Sicherheitssystem eingebunden war. Die guten Deutschen, das waren eben die geteilten Deutschen.

Nun stimmt es, dass die Briten, allen voran ihr größter Stamm, die Engländer, von jeher recht deftig mit anderen Nationen umspringen. Ob Frogs, Dagos, oder Whops - also Franzosen, Spanier oder Schwarze-, sie alle kriegen ihr Fett weg. Aber wir Krauts nehmen in der Dämonologie unbestreitbar eine Sonderstellung ein. "Krautbashing" sei allgegenwärtig, erzählte mir ein englischer Freund, den sein Beruf als Computerfachmann in zahllose Unternehmen im Großraum London führt. Vieles schwingt mit: ein Hauch von widerwilligem Respekt, ein bisschen Neid und sicher auch Furcht. Englische Fußballanhänger verschaffen sich Erleichterung nach Niederlagen ihres Teams gegen Deutschland mit einem trotzigen "Zwei Weltkriege und eine WM". In feineren Kreisen, in denen man Rugby und Cricket bevorzugt, wird die subtile Form der Auseinandersetzung gepflegt, indem man Noel Cowards ironische Aufforderung "Don't be beastly to the Hun" genau so befolgt, wie sie gemeint war.

Gewiss, zunächst einmal werden die staatlichen und ökonomischen Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien von Veränderungen der Stimmungslage nicht direkt berührt. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Eliten an Themse und Rhein das Ausmaß der Vereisung lange Zeit überhaupt nicht wahrnahmen oder wahrnehmen wollten. Es ist allerdings fraglich, ob BMW sich zum Kauf von Rover entschieden hätte, wäre man vorher auf die Idee gekommen, das psychologische Profil des typischen Rover-Fahrers auszumachen: Er ist das Gegenstück zum Mann mit Hut im Mercedes, nationalkonservativ und so patriotisch, dass er sich unbedingt für ein notorisch anfälliges, miserabel konzipiertes Auto entschied, allein weil es von einem britischen Unternehmen produziert wurde. Es war von vornherein klar, dass ein Teil der Rover-Klientel nicht einmal einen deutlich verbesserten Wagen kaufen würde, denn die Firma befindet sich nunmehr ausgerechnet in deutscher Hand.

Nun ist nicht zu leugnen, dass sich seit dem Regierungswechsel 1997, auf der politischen Ebene jedenfalls, die Atmosphäre beträchtlich verbessert hat. Nicht länger schüren Minister und Abgeordnete einer regierenden Partei antideutsche Ressentiments. Im Gegenteil - Tony Blair und seine Minister haben sich darum bemüht, den Schwelbrand der Deutschenfeindlichkeit auszutreten, den konservative Politiker - oft im Zusammenspiel mit der Presse - unterhielten, um die Furcht vor europäischer Integration zu steigern. Immerhin hat Blair mit Gisela Stuart sogar eine Deutschstämmige (mit deutschem Akzent) als Ministerin berufen.

Die Fähigkeit von Politikern, dunkle Instinkte zu konterkarieren, war indes stets begrenzt und ist es heutzutage erst recht. Was nutzt eine Rede im Unterhaus, in der sich ein Abgeordneter gegen Xenophobie verwahrt, wenn sie gar nicht wahrgenommen wird? Debatten und Entscheidungen des Parlamentes werden selbst von der BBC nur noch sparsam registriert. Dafür wird in den Medien umso fröhlicher über die Deutschen hergezogen. Deutsche Diplomaten und Journalisten haben es längst aufgegeben, jeden publizistischen Schlag unter die Gürtellinie zu beachten. Manche unserer Landsleute versuchen, die Briten in der Attitüde der "stiff upper lip" zu übertreffen - man will sich schließlich nicht echauffieren oder gar Mangel an Humor nachsagen lassen. Wenn's allzu arg wird, formuliert Botschafter Gerhardt von Moltke, dessen Name britischen Jounalisten genau solch ein Quell der Freude ist wie der eines seiner Vorgänger, Baron von Richthofen, einen feinsinnigen Protestbrief, ohne sich allerdings Illusionen über dessen Wirkung hinzugeben.

Im Übrigen ist es schlicht unmöglich und wahrscheinlich nicht einmal wünschenswert, alle kleineren und größeren Bosheiten mitzubekommen - etwa die beiläufig eingestreuten Seitenhiebe gegen die "Krauts" in Big Breakfast, dem kommerziellen Frühstücksfernsehen von Channel 4; oder die abfälligen Bemerkungen, die in Fernsehkritiken, auf Kochseiten und in Kunstrezensionen einfließen. "Kein anderes Volk wird von den Briten so sehr verteufelt wie die Deutschen, vielleicht mit Ausnahme der Araber und Juden": Dieses Urteil fällte Hugo Young vom Guardian, lange bevor der Journalist und Schriftsteller A A Gill den vier Millionen Lesern der Sunday Times die Deutschen als anal fixierte, blutbefleckte Psychopathen vorstellte - "Geben wir's doch zu, wir alle in Europa hassen sie".

Vor knapp drei Jahren bezeichnete Tony Blair, damals noch Oppositionsführer, es als einen "besonders garstigen Aspekt" des politischen Diskurses in Großbritannien, dass es akzeptabel geworden sei, "über Deutschland und die Deutschen im gleichen Tonfall zu sprechen, den englische Politiker vor 80 Jahren für Juden und vor 100 Jahren für Iren reserviert hatten". Der Labour-Führer wies den Tories die Verantwortung dafür zu. Schließlich musste bereits 1990 ein Minister des Thatcher-Kabinetts den Hut nehmen, weil er Kohl mit Hitler gleichgesetzt und die EU als Instrument zur Herstellung deutscher Vorherrschaft in Europa bezeichnet hatte. Nicholas Ridley wurde geschasst, weil sein Freimut damals, kurz vor dem Ende der Nachkriegsära, politisch noch nicht akzeptabel war. Im kleinen Zirkel durfte so etwas ausgesprochen werden, nicht jedoch öffentlich. Auch das hat sich seit der deutschen Wiedervereinigung geändert. Ansonsten wären in John Majors Zeit als Premier die Regierungsbänke entvölkert worden.

Es sind nicht nur verbohrte Nationalkonservative oder Angehörige der Kriegsgeneration, die ihrer Abneigung gegen Deutschland freien Lauf lassen. Rechter wie linker Intelligenz gelten die Deutschen, um das Editorial der Kulturzeitschrift Granta zu zitieren, als "hässlich, gefährlich, berechenbar" - berechenbar nämlich in ihrer Unberechenbarkeit und mentalen Instabilität. Seit Beginn der 1990er Jahre wird die Sorge geäußert, dass die Deutschen niemals damit zufrieden sein werden, nur eine Macht unter anderen in Europa zu sein. Diese Furcht verbindet sich mit einem gar nicht raren Urteil über den faustischen deutschen Charakter. Es gilt schon lange nicht mehr als unfein, öffentlich auszusprechen, dass die Deutschen spezifisch anfällig fürs Böse seien. Die Schriftstellerin Martha Gellhorn vermutete, die deutsche Nation sei kollektiv instabil: "Ich denke, da sitzt ein Gen locker"; der Historiker Andrew Roberts spricht vom "Genius" der Deutschen - er sei nicht sicher, ob es Bomber Harris gelungen sei, die dunkle Seite des deutschen Charakters endgültig zu zerstören. Regelmäßig begegnet man Diagnosen wie "Deutschland ist immer noch krank und gefährlich", und der Historiker John Charmley begründete, warum "wir den Deutschen, leider, niemals werden trauen können": Die Teilung habe das "deutsche Problem" nur vorübergehend gelöst. "300 Jahre Konditionierung ließen sich eben nicht über Nacht rückgängig machen."

Natürlich ist es völlig legitim, solche Meinungen auszusprechen. Mit ihnen immer wieder konfrontiert zu werden ist Teil des historischen Gepäcks, mit dem wir Deutschen leben müssen. Schließlich haben wir uns diese Last selbst aufgebürdet.

Humor ist ein Mantel, die Messer zu verstecken

Überdies gibt es etliche Vertreter der publizistischen und politischen Klasse Großbritanniens, die das moderne Deutschland schätzen. Eine dezidiert prodeutsche und zumeist auch noch proeuropäische Minderheit in den politischen und publizistischen Klassen wird nicht müde, sich gegen die Germanophobie zu stemmen. Politiker wie Alan Watson und Giles Radice haben differenzierte Bücher über die Deutschen geschrieben. In diesen Kreisen ist man versucht, die antideutschen Aufwallungen der vergangenen Jahre lediglich als "Boulevardgeschrei" abzutun. Doch das ist nicht länger möglich.

Genauso wenig können wir uns damit trösten, dass viele der Klischees und Stereotypen, die über uns im Umlauf sind, nur scherzhaft gemeint seien. Der Humor ist, wie der Berliner Anglist Hans Dieter Gelfert mit Recht bemerkt, neben dem Sport für den Engländer das wichtigste Ventil für das Abreagieren von Aggressionen. Die Engländer haben die Fähigkeit zu einer Kunstform entwickelt, gewisse Dinge, die sie durchaus ernst meinen, augenzwinkernd, "tongue in cheek", von sich zu geben. Die ironische Darbietung besitzt einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Sie erlaubt es, sich hinter den Scherz zurückzuziehen, falls man herausgefordert wird, und zu versichern, dass das Ganze doch gar nicht ernst gemeint gewesen sei. Mehr noch, man kann denjenigen der Humorlosigkeit bezichtigen, der Anstoß nimmt.

Zahllose Organisationen widmen sich der Sisyphusarbeit, die Beziehungen zwischen unseren Nationen zu verbessern, etwa die Deutsch-britische Gesellschaft und die Anglo-German Association. Zu diesem Kreis hat sich das Deutsch-Britische Forum hinzugesellt, gegründet von David Marsh, einst Journalist bei der Financial Times, jetzt in der Bankenwelt der Londoner City tätig. Nun will Peter Mandelson, Vertrauter Blairs und immer noch ein Politiker mit Zukunft, als Präsident des Forums seine zweifellos beträchtlichen Talente einbringen. Doch womöglich könnte sich hier sein Ruf als spin doctor und Medienmanipulator eher als hinderlich erweisen.

Das Forum verleiht Preise für "besonders konstruktive Beiträge" zum deutsch-britischen Verhältnis; es entschied sich zugleich dafür, auch "besonders irritierende" Leistungen zu prämieren. Nach dem guten alten Prinzip des "name and shame", des Anprangerns, das auch zum Arsenal der Blair-Regierung gehört, will man "Missetäter öffentlich bloßstellen, in vornehm-launiger Weise, versteht sich. Zu den positiven Preisträgern zählten in den vergangenen Jahren so unterschiedliche Größen wie Boris Becker, Sir Norman Foster, Jürgen Klinsmann und britische wie deutsche Generäle. Dieses Jahr wird man Ulrich Beck und Anthony Giddens auszeichnen. Unter den Missetätern fanden sich Tory-Politiker wie der ehemalige Minister John Redwood (wegen seiner rüden Attacke auf den frisch gebackenen Ehrenbürger der Londoner City, Helmut Kohl), Thriller-Autor Frederic Forsythe und einige besonders giftige Journalisten. Auf eine Auszeichnung der Provokateure wird man in diesem Herbst jedoch verzichten. Es gibt einfach zu viele davon. Auch ist da der Verdacht, dass Kolumnisten wie A A Gill, Julie Burchill (deren innigster Wunsch es ist, "Dresden 24 Stunden lang zu bomben") oder andere spitze Zungen den Preis als Aufforderung zu noch wilderen Taten betrachten könnten.

Die Klischees der ruppigen, humorlosen, arroganten und allzu gründlichen Deutschen sind zum Bestandteil der britischen Psyche geworden. Die Nachkriegsgenerationen sind aufgewachsen mit den immer gleichen Bildern: In Filmen, Fernsehserien, Cartoons, Zeitungsartikeln und TV-Werbespots tummelten sich tumbe deutsche Unteroffiziere, schmallippige SS-Leute mit schnarrenden Stimmen, humorlose Bürokraten und jene berühmten deutschen Strandurlauber, die generalstabsmäßig im Morgengrauen die besten Plätze an Strand oder Swimmingpool mit Handtüchern belegen. (Wobei das Bild der entschlossen auf ihren Vorteil bedachten deutschen Urlauber belegt, dass Klischees dann besonders wirksam und langlebig sind, wenn sie tatsächliche Verhaltensweisen widerspiegeln.)

Englischer Humor hat brillante Witze auf unsere Kosten gerissen. Die berühmte "Don't mention the war"-Episode von John Cleese in der Fernsehserie Faulty Towers ist ein zu Recht allseits bewundertes Beispiel. Doch die endlose Flut von Witzen, Kriegsfilmen, Fernsehwerbung, die Sprachartistik des punning, der gekonnten Wortspiele in Schlagzeilen, und immer wieder die Beschwörung des finsteren Deutschen - alles zusammen genommen könnte zu viel des Guten sein.

Die Welt des Multikanal-Fernsehens wird von Optimisten als Chance beschrieben: Es eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten für Information und Bildung; der freie Fluss von Informationen werde helfen, Vorurteile abzubauen und Verständnis für andere Kulturen und Völker zu wecken. Doch die Kommerzialisierung der Medien scheint das Gegenteil zu bewirken. Überall ist Infotainment auf dem Vormarsch. Stärker denn je wird das Besondere, das Sensationelle, das Außergewöhnliche gesucht, bebildert und beschrieben. Der Platz für differenzierte Analysen wird knapper.

Selbst die BBC wandelt gelegentlich in den Fußstapfen der Tabloids. Nach der Sun-Attacke auf Oskar Lafontaine, "den gefährlichsten Mann Europas", ließ BBC World "Volkes Stimme" zu Wort kommen, befragte ein paar Passanten, ob sie Angst vor höheren Steuern als Folge europäischer Harmonisierung hätten. Ausländische Investoren würden das Land verlassen, hieß es da, Arbeitslosenzahlen und Preise würden nach oben schnellen. Das war's auch schon. Die Bilder des Berichts wurden mit Flammen umrahmt: Der deutsche Perfektionismus werde "verbrannte Erde" hinterlassen - das war die sublime Botschaft des Filmberichts.

Auch in den deutschen Medien hat sich etwas geändert. Unsere Klischees über Großbritannien waren einst eher harmlos - das leicht wunderliche Inselvolk mit seinen exzentrischen Vorlieben. "Die spinnen, die Briten" oder "Bettelbriten" - Überschriften in Süddeutscher Zeitung und Bild - verraten nicht nur wachsenden Ärger über permanentes "Krautbashing"; der "hässliche Angelsachse", verklemmt, unsozial und kalt, ist dabei, den feinen Gentleman abzulösen. [Da braucht es kein "Krautbashing". Auch wer die Engländer erlebt hat, ohne ihnen gleich als Deutscher aufzufallen - etwa im Urlaub auf Malta - bekommt einen schlechten Eindruck von ihnen; allerdings führen sich deutsche Touristen auf Mallorca nicht besser auf, Anm. Dikigoros]

In Zeiten politischer und ökonomischer Verunsicherung neigen Völker dazu, chauvinistisch zu reagieren. Geringe Anlässe genügen, die alten Ressentiments zum Vorschein kommen zu lassen. Kein Volk ist frei davon, auch die Briten nicht, deren ungelöstes europäisches Problem mit ihrer Haltung zu Deutschland verknüpft ist. Im Konflikt um "Euro oder Pfund", der bald beginnt, wird sich dies erneut erweisen.

Wer friedliches Miteinander in Europa will, sollte gewarnt sein.


zurück zu Das Königreich im Meer

zurück zu Reisen durch die Vergangenheit