EKUADOR - Korruptokratie mit beschränkter Haftung

von Harald Irnberger (Freitag, die Ost-West-Wochenzeitung, 6.10.2000)

Nach der Einführung des Dollars gerät das Land immer mehr in den Sog des Drogenkrieges im benachbarten Kolumbien

Die Symbolik könnte nicht drastischer ausfallen: Seit 1884 zahlte man in Ekuador mit dem Sucre. Die Währung wurde nach dem Befreier des Landes benannt, dessen Truppen 1822 das Heer der spanischen Kolonialmacht besiegten und auf dem Territorium eines vormaligen Indio-Königreiches die Gründung einer unabhängigen Republik beförderten. Seit September gibt es den Sucre nicht mehr - offizielle Währung des Staates ist nun der US-Dollar. Zugleich rücken erste Hundertschaften von US-Soldaten in die Marine- und Luftwaffenbasen bei Manta an der ekuadorianischen Pazifik-Küste ein.

Formal hat das eine zwar nichts mit dem anderen zu tun: Die US-Präsenz gilt als logistische Maßnahme im Rahmen des Plans Colombia, der von US-Militärs geleiteten Großoffensive gegen den Coca- und Mohn-Anbau sowie gegen die Guerrilla im benachbarten Kolumbien. zur Übernahme des US-Währung entschloss sich Ekuadors Regierung, um solcherart zu verschleiern, dass sie den Staat mit einer IWF-konformen Wirtschaftspolitik an den Rand des ökonomischen Kollaps geführt hat. Beide Vorgänge haben dennoch eines gemeinsam: Sie sind ein dramatisches Signal für das ruhmlose Scheitern maßgebender Sektoren der traditionellen politischen Klasse auf dem Subkontinent wie des resoluten Willens der USA, in ein dadurch mögliches Vakuum zu stoßen und gravierende Brüche südlich des Rio Grande zu verhindern. Dass dabei Ekuador gesteigerte Aufmerksamkeit gilt, lässt sich nicht nur durch dessen Nachbarschaft mit Kolumbien erklären: Im ärmsten Staat Südamerikas bündeln sich alle autochthonen Defekte der Region markanter als anderswo, und nirgendwo sonst orientiert man sich derart klar an von den USA intendierten Politikmustern.

Ekuadors Eigenheiten beginnen schon bei der ethnischen Kultur: Wenigstens ein Drittel der knapp zwölf Millionen Einwohner gehört etwa zehn unterschiedlichen Indígena-Völkern an, die kaum als homogene Community zu betrachten sind. Unter den Kreolen wiederum, die ihre Herkunft mit der spanischen Kolonialmacht in Verbindung bringen, aber tatsächlich fast durchweg Mischlinge uterschiedlichster Abstammung sind, lebt seit jeher ein nicht geringer Teil zurückgezogen von Kleinlandwirtschaft. Diese Segmentierung bietet einer schmalen, bis auf die Knochen korrupten Machtelite komfortable Konditionen, um sich und ihre Privilegien zu behaupten. Als Resultat all dessen verdichtet sich das Bild der klassischen Bananen-Republik, in der von fruchtbaren Böden bis hin zur Staatsmacht für US-Bananenkonzerne faktisch alles ausgesprochen wohlfeil zu haben war. Der Großteil der 150.000 Hektar Bananenplantagen gehört denn auch bis heute den Multis. Etwa eine Million Einwohner verdienen ihren Lebensunterhalt in dieser Branche. Dabei erhalten die unabhängigen Kleinbauern von den Aufkäufern für einen Karton Bananen nur halb so viel wie jenes Unternehmen, das den Karton herstellt. Ekuador ist mit einer Jahresproduktion von vier Millionen Tonnen noch immer der weltgrößte Bananen-Exporteur, der Erlös jedoch fließt überwiegend ins Ausland.

Ein Experimentierfeld

Als Devisenbringer sind die Bananen längst hinter die Arbeitsemigranten zurückgefallen, die aus den USA oder Europa jährlich über eine Milliarde Dollar an ihre Familien überweisen. Noch mehr Geld kommt nur durch das Erdöl ins Land - doch mit verheerenden Folgen. Als 1967 die Förderung begann, hatte Ekuador 200 Millionen Dollar Auslandsschulden - nun sind es wenigstens 16 Milliarden, denn auch dieser Sektor ist weitgehend in der Hand von Multis. Zuerst kamen Texaco und Gulf, andere folgten. Sie drangen in den Regenwald Amazoniens vor, wo bis dahin nur etwa 10.000 Indios in isolierten Siedlungen gelebt hatten. Mehr als eine Million Hektar wurden entwaldet und auf den durch die Wildnis geschlagenen Schneisen zogen 100.000 landlose Campesinos nach, um ein Terrain für ihre Subsistenzwirtschaft zu finden. Ein lebensgefährliches Unterfangen, wie sich zeigen sollte. Eine jüngst vom tropenmedizinischen Institut der Londoner Universität erstellte Studie weist nach: In der betreffenden Region kommt es zu doppelt so vielen Fehlgeburten wie ansonsten in Ekuador, auch die Krebs-Rate ist vielfach höher - eindeutige Ursache: Ölrückstände, Bohrschlämme, Abgase, Salze, Säuren, Laugen. Die abseits der OPEC und deren Förderquoten operierenden Konzerne haben inzwischen gut die Hälfte der erkundeten Vorräte ausgebeutet. Nach Experten-Schätzungen könnte schon in einem Jahrzehnt kein Tropfen mehr fließen. Die dann zweifellos abziehenden Ölkonzerne werden dem Land ein ökologisches Desaster hinterlassen, das der Plan Colombia noch potenzieren dürfte, wenn über dem bereits schwer geschädigten Ökosystem des Regenwaldes Herbizide versprüht, sprich: »chemische Keulen erprobt werden, die für den Einsatz jenseits der Grenze gegen Coca- und Mohn-Pflanzungen vorgesehen sind.

Immer wieder kursieren Gerüchte, die kolumbianische Guerrilla operiere längst auf ekuadorianischem Territorium - eine ideale Begründung für die eingangs erwähnte Präsenz der USA. Washington setzt dabei auf eine willfährige politische Führung in Quito, die inzwischen noch häufiger als früher zu Revirements und Rochaden neigt. In den vergangenen drei Jahren wechselten sich fünf Präsidenten und eine Militär-Junta ab. Das provozierte sogar in Ekuador organisierten Widerstand. Als im Januar der konservative Präsident Jamil Mahuad die Abschaffung des Sucre dekretierte, wurde er von einer erstaunlichen Koalition aus rebellierenden Indígenas und meuternden Offizieren aus dem Amt gefegt. Es waren dann die Generale, von denen die wegen der Verelendung ihres zivilen Familienanhanges meuternden Obersten noch einmal zurückgepfiffen wurden. So geriet Mahuads Vizepräsident Gustavo Noboa - die »eiserne Faust im weißen Handschuh« - auf den Präsidentenstuhl und setzte nun seinerseits die Dollarisierung fort.

Eine Kolonie

Der 40-jährige Lehrer Antonio Vargas, ein Führer jener Indígena-Konföderation, die zu Jahresbeginn den Sturz Mahuads erzwungen hatte, lässt keinen Zweifel an seiner Überzeugung: »Dieses Land ist eine Kolonie der USA. Hier sind die Regierenden vor den Yanquis auf die Knie gesunken.« Ähnlich sieht es auch General Paco Moncayo. Der 60-jährige Ex-Armeechef, der sich 1995 im Grenzkonflikt mit Peru Meriten erwarb und nun für die sozialdemokratische Izquierda Democrática im Parlament sitzt, meint: »Hier gibt es keine Demokratie, sondern nur demokratische Formalitäten. Ich nenne das Korruptokratie. Aber alles stößt irgendwann an eine Grenze, und die wird auch hier gezogen, sobald sich ein Oberstleutnant Chávez wie in Venezuela findet.«


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