19  JAHRE  VOR  KOLUMBUS

Wie zwei Norddeutsche Amerika entdeckten

von Peter J. Gollnik

(Kieler Nachrichten, 10.10.1992)

(mit einer Nachbemerkung von N. Dikigoros)

Und es war doch alles ganz anders: Müßig die Dispute, ob Christoph Kolumbus einst in Genua geboren wurde, ob er Portugiese war, ob Katalane (also Spanier), vielleicht Franzose, gar dem norwegischen Geschlecht derer von Bonde zuzurechnen sei. Müßig auch die Suche nach seinem richtigen Namen, ob Colombo, Colomo, Colon, Colom, ob Christobal, Xristo-Ferens, Christoforo oder eben Christoph. Denn: Die Welt feiert den Falschen. Ziemlich verspätet dazu. Der Richtige ist nämlich Schleswig-Holsteiner (oder jedenfalls Norddeutscher). Und das ist die Geschichte, wie Schipper Didrik Pining aus Kiel mit seinem Kompagnon Hans Pothorst aus Hamburg einst Amerika entdeckte - im Jahre 1473, volle 19 Jahre vor Kolumbus:

Wenn die Stadt Kiel nur mal ihre Archive entstaubte - womöglich würde das vakuum-gebeutelte Stadtsäckel sich prall und übervoll füllen können. Denn was in der Mitte des 16. Jahrhunderts ihr damaliger Bürgermeister Carsten Gryp vom dänischen Hofe offenbar vergebens einforderte, dürfte heute auf schwindelerregenden Zins und Zinseszins angewachsen sein. Dänemarks Haushalt läge darnieder, der Kieler hingegen wäre saniert. Dank Didrik Pining.

Denn der muß mehrere Bürgermeister-Generationen zuvor über die Förde hinfort gesegelt sein, ohne seine an der Kieler "Küste" (das ist das Kieler "Rotlicht-Viertel") angewachsenen Ausgaben zu begleichen. Darüber mögen sich Juristen die Köpfe zerbrechen, wie man heute die Zahlungsklage ausfertigen könnte, in dänischen Kronen - oder in US-Dollar? Bürgermeister Gryp jedenfalls hatte die Dollars noch nicht im Sinn. Wohl aber wußte er, wohin Pining gesegelt war, und wer ihn dorthin geschickt hatte: "Dat de beyden sceppere Pyninck und Poidthorsth, de van irer koningliken mayestet hern grothevader koningh Christierns des ersten durch anfurdernth koningliker mayestet tho Portugall etc. int norden nye insulen und lande uppthoszokende myt etlichen schepen uthgeferdigt . . ." So schrieb man in Kiel vor über 400 Jahren an den dänischen König. Und so weiß man heute, daß Pining mitsamt Kompagnon Pothorst im Auftrag König Christians von Dänemark auf Anforderung des Königs von Portugal "neue Inseln und Lande" aufsuchen sollte. Das tat er dann auch. Und was ein Schleswig-Holsteiner anpackt, das packt er richtig an: Er entdeckte Amerika.

Es war wohl Anfang der 1970er Jahre, als ich in Hildesheim dem damaligen dortigen Stadtarchivar Dr. Helmut von Jan gegenüber sitze. Amerikas richtiger Entdecker stamme nämlich von dort, behaupten die Hildesheimer gelegentlich. Und illustrieren das gern so: Als Didrik Pining im Norden des amerikanischen Kontinents an Land gegangen sei, habe er vergeblich nach Menschen gesucht. "Ist kaana da", habe er daraufhin in breitem Hildesheimer Platt seinem Steuermann zugerufen. Und der habe brav als Landname in die Karte eingetragen: "Kanada". Wohl wahr, erzählt mir Dr. von Jan mit lustig blinzelnden Augen - richtig sei, daß sowohl Pining als auch Pothorst in Hildesheim geboren seien, beider Familien bei dem Jahres-Datum 1414 in der Gasse "Helle" nachgewiesen, Pining exakt als Sohn des Tile Pining und dessen Frau Armstrad. Allerdings hätten sie so um 1448 herum auch beide die Stadt verlassen.

Über Grönland nach Labrador

Es muß eine ziemlich geheime Staatsaktion gewesen sein, zu der Pining und Pothorst damals aufbrachen. Dennoch hinterließ sie Spuren: 1925 war es, als Sophus Larsen, Direktor der Universitätsbibliothek und des Universitätsarchives Kopenhagen in einem Londoner Verlag einen Extrakt jahrelanger Arbeit in seinen kilometerlangen Archiven veröffentlichte, der - kurz gefaßt - so aussah: Dänemark habe zusammen mit Portugal 20 Jahre vor Kolumbus eine Expedition ausgesandt, die (genau wie Kolumbus) einen westlichen Seeweg nach Indien finden sollte. Die habe die (damals abgerissene) Verbindung nach Grönland wiederaufgenommen, habe sodann die heutige Davisstraße durchquert, sei an der Küste Labradors gelandet und sodann südwärts an Neufundland vorbei gesegelt. Drei Karavellen seien es gewesen - geleitet von Didrik Pining und Hans Pothorst. "Pilotus" (wohl der Steuermann) sei ein gewisser Johannes Scolvus (anderswo: John Skolp) gewesen; Vertreter Portugals an Bord Graf Joao Vaz Cortereal.

Wolfenbüttel. 1973 an einem feuchtkalten Frühlingstag: In einem Wohnblock in der Cranachstraße sitze ich Paul Pini gegenüber. Er ist 78, pensionierter Oberstleutnant - und Didrik Pinings letzter direkter Nachfahre. Von ihm habe ich die ganze, die wahre Geschichte des richtigen Amerika-Entdeckers. Paul Pini hat die Stationen zurückverfolgt, war auf Grönland, Island, in Labrador, hat gesammelt, archiviert. Resigniert sieht er aus: Wenn ich sterbe, wird das alles wohl weggeworfen". Nein, Paul Pini, wenigstens vergessen wollen wir das nicht. Kiels Kämmerer haben ab heute die Dollars vor Augen...

Spuren hat die damalige Expedition aber auch anderswo hinterlassen: Martin Behaims Erdapfel von 1492 (da war Kolumbus noch gar nicht wieder zurück) nennt mehrere Inseln südlich von Grönland - Piningsche Neuentdeckungen? Von Ende des 15. Jahrhunderts auch die portugiesische (!) Karte, die Neufundland als "Terra Cortereal" benennt. Und auf dem Pariser Ecui-Globus ist in Höhe der Davisstraße ein Hinweis auf John Skolp vermerkt - Pinings "pilotus".

Der muß einiges gelernt haben von unseren Norddeutschen. Denn wenn sich da einer schon mal so, mal so, mal Colombo, Colon oder Kolumbus genannt hat - warum soll er nicht auch in nördlicheren Gefilden als "Johann Scolvus" weniger zungenbrechend gefahren sein? Luis Ulloa, einstiger Direktor der Peruanischen National-Bibliothek in Lima, hat das auf einem Amerikanisten-Kongreß behauptet. Fest steht: Er muß ein rechtes Schlitzohr gewesen sein, dieser Kolumbus, wie auch immer er sich nannte. Wo er herkam, ist bis heute undurchsichtig. Die Jahre aber, in denen sein Lebensweg deutlicher wird, fallen in eine brisante Zeit: Von einer Fahrt nach Thule, den Färöern, nach Island steht da geschrieben. Und seinem Auftauchen in Lissabon: 1477. Da müssen Pining und Pothorst auch gerade wieder zu Hause gewesen sein...

War Kolumbus nur ein Plagiator?

Weit von ihnen entfernt brüstete sich Kolumbus damals, er wisse nun genau um den Seeweg nach Westen. In seinen überlieferten Tagebuch-Fragmenten ist sogar von einer genauen Seekarte die Rede. "Uns scheint, daß sich alles, was zu erreichen Ihr uns anfangs versichert habt, zum größten Teil als wahr erwiesen hat, so als hättet Ihr es gesehen, bevor Ihr uns davon berichtet habt", schrieben ihm Ferdinand und Isabella von Spanien nach seiner Amerika-Rückkehr. Plagiator Kolumbus? Der Weg nach Amerika abgeguckt von zwei Norddeutschen?

Die jedenfalls machten als echte Norddeutsche nicht so viel Gewese um ihre Fahrt. Pining wurde Statthalter von Island, Vogt von Vardö (in Nord-Norwegen), verschwand schließlich im Jahr der Kolumbus-Abfahrt ("gestorben außerhalb des Landes", meldeten seine Untertanen ans Königshaus; niemand weiß heute, wo). In Island kündet das immer noch gültige "Piningsdomur" (Piningsgesetz) von ihm. Pothorsts Spur verliert sich in Dänemark - ein Deckengemälde in der Marienkirche in Helsingör trägt heute noch die Schrift: "Desse belde let malen Hans Pothorst" (dieses Bild ließ Hans Pothorst malen).

Und die Welt feiert Kolumbus. Oder hieß er Johannes Scolvus?


Nachbemerkung: Immerhin 18 Jahre - fast so viele wie zwischen den Fahrten von Pining und Kolumbus - dauerte es, bis sich diese Geschichte von einem kleinen norddeutschen Lokalblatt bis zu den Machern des deutschen Staatsfernsehens herum gesprochen hatte: anno 2010 brachte es der Sender Phoenix unter dem Titel "Das Amerika-Rätsel - auf Geheimkurs in die Neue Welt" auf die Mattscheibe. Zur Sache tut es eigentlich nicht viel, das ist bei den Entdeckern wie bei den Erfindern: Wer auf etwas stößt, ohne etwas draus zu machen, der geht nun mal nicht in die Geschichte ein; und deshalb feiert die Welt mit Kolumbus halt doch den Richtigen - wenn es da denn noch etwas zu feiern gibt, denn Lateinamerika ist für die Weißen heute, nach über 500 Jahren, so gut wie verloren; aber das ist eine andere Geschichte.


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