Mythos “Integration durch Bildung”

von Kassandra {12. Oktober 2010}

leicht gekürzt von Nikolas Dikigoros

Es ist eine Binsenweisheit: Die Integration von Migranten in die Aufnahmegesellschaft funktioniere nur über Bildung. Der Glaube an dieses Axiom geht so weit, dass Elisabeth Niejahr (“ZEIT”) im “Presseclub” davon sprechen konnte, Thilo Sarrazin habe mit seinem Buch die Debatte über ein vermeintliches Migrationsproblem losgetreten, das in Wirklichkeit ein Bildungsproblem sei.

In der Tat: Die meisten Studien zeigen positive Korrelationen von hohen Bildungsabschlüssen mit so gut wie allem, was wünschenswert scheint: Arbeitsmarktbeteiligung, Gesetzestreue, zivilgesellschaftliches Engagement usw. Bei allem berechtigten Fordern nach besserer Bildung darf man aber folgende zwei Punkte nicht vergessen:

  1. Bildung ist keine hinreichende Bedingung für gelingende Integration. Das ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass die meisten Terroristen, etwa die Hamburger Studenten, die die Passagierflugzeuge in das World Trade Center steuerten, keinesfalls bildungsferne “Verlierer” sind. Das sind zwar seltene Extremfälle, aber weltweite Studien haben gezeigt, dass religiöse Fanatiker unter den Gebildeten sogar häufiger sind als unter den Bettelarmen und Ausgegrenzten. Jedenfalls zeigt dies, dass Bildung nicht das einzige Kriterium von “Integration” sein kann.
  2. Bildung ist aber auch keine notwendige Bedingung für gelingende Integration. Sonst hätte es unter den vor 40-50 Jahren nach Deutschland gekommenen Menschen ja gar keine positiven Integrationsgeschichten geben können, denn unter diesen Leuten besaß fast niemand ein Abitur oder eine Hochschulausbildung. Trotzdem sind in den ersten zwei Generationen Zuwanderung nach 1950 viele Indikatoren sogar besser als in der dritten Generation. Auch frühere Einwanderungswellen hätten nach dieser Logik ja krachend scheitern müssen, denn die meisten “Ruhrpolen” etwa waren einfache Handwerker und trotzdem schon bald mehrheitlich perfekt assimiliert. Und deutsche Auswanderer waren auch nicht allesamt Akademiker, sondern ebenfalls meist Bauern oder Handwerker.

Auch für die heutigen Jugendlichen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, die es nicht bis zum Abitur geschafft haben, muss es frustrierend sein, die Politiker und die Medien ständig davon reden zu hören, nur mit hohen Bildungsabschlüssen könne man überhaupt als integriert gelten oder es zu irgendetwas bringen. Natürlich werden durch den Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt immer weniger einfache Tätigkeiten nachgefragt, weshalb durch höhere Schulabschlüsse die Chancen auf eine Beschäftigung steigen und damit die Chance auf “Integration”, auf Eingliederung in die Gesellschaft. Aber keine Gesellschaft, selbst eine moderne Dienstleistungsgesellschaft, kann 100% eines Jahrgangs zum Abitur führen. Es wird immer auch Bedarf für einfache Tätigkeiten geben und es wird auch immer Menschen geben, die nicht das Zeug zum Atomphysiker haben. Diesen Leuten darf man nicht ihre Daseinsberechtigung absprechen, indem man sich nur auf Abiturientenquoten versteift.

Oftmals kommt der Fehlschluss auch zustande, weil Ursache und Wirkung gleichgesetzt werden: Bildung soll die Voraussetzung für Integration sein, “Integriertheit” jedoch wird wiederum über Bildungsniveau gemessen. Auf diese Art definiert man sich das Integrationsproblem künstlich zu einem reinen Bildungsproblem um. Alle Überfremdungsängste in der Bevölkerung sind somit irrational, denn das einzige, was benötigt wird, ist mehr Geld für Bildung, für mehr Lehrer und kleinere Klassen und mehr Förderkurse. Am meisten vor den Kopf gestoßen müssten sich diejenigen vorkommen, die seit Jahrzehnten ehrliche Arbeit verrichten und deren Integration ganz ohne Förderkurse und in Klassengrößen von 40 und mehr gelang.


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