Indonesien - Neue Unruhen, alter Zündstoff

(Geo-Explorer 2000)

Die Republik Indonesien, mit 210 Millionen Einwohnern der Welt viertgrößte Nation, droht zu zerfallen. Überall im Inselreich brechen bürgerkriegs-ähnliche Unruhen aus: auf Sumatra, Borneo, Sulawesi, Lombok, den Molukken und in Irian Jaya. Auch das inzwischen unabhängige Osttimor wird weiterhin von indonesischer Guerilla terrorisiert.

Das Fanal der landesweit um sich greifenden Gewalt setzten im Frühsommer 1998 in der Hauptstadt Jakarta Studentenaufstände, Brandanschläge und Massenplünderungen. Erst sie erzwangen schließlich den lang geforderten Abtritt des Staatspräsidenten Suharto und seines zutiefst korrupten Regimes. Der Ex-General und sein Vorgänger, Staatsgründer Sukarno, hatten nacheinander 50 Jahre lang den Vielvölkerstaat aus 360 Ethnien auf 6000 bewohnten Inseln mit eiserner Militärgewalt zusammengehalten: vor allem durch Unterdrückung der sprachlichen, sozialen und religiösen Eigenheiten der Völker im Namen der Einheitsphilosophie "Pancasila".

Der Niedergang der alten Machtstrukturen und die Führungsschwäche der Suharto-Nachfolger - erst Präsident Habibie, seit Oktober 1999 Präsident Wahid - wirken sich nun bis in die entlegenen Provinzen des Inselreichs aus. Überall flammen Brandherde auf (siehe Karte), allerdings von unterschiedlichen Zündstoffen in Gang gesetzt.

In den an Öl, Holz und Erzen reichen Provinzen - Aceh und Riau auf Sumatra, Ostkalimantan auf Borneo und Irian Jaya auf Neuguinea - richtet sich der Volkszorn gegen Jakartas rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen, von deren Erträgen die betroffenen vier Regionen kaum profitieren. Die Unruhen allein in Aceh haben seit Januar 1999 rund 200 Todesopfer gefordert.

Zusätzlich kämpfen das muslimisch-fundamentalistische Aceh sowie das überwiegend christliche Irian Jaya seit Jahrzehnten um politische und kulturelle Unabhängigkeit vom javanisch dominierten Zentralstaat. Und in Westkalimantan setzt sich die teils christliche, teils animistische Urbevölkerung der Dayak blutig zur Wehr gegen die letztes Jahr einsetzende Masseninvasion muslimischer Neusiedler von der übervölkerten Java-Insel Madura. Im März 1999, dem vorläufigen Höhepunkt der Auseinandersetzungen, sind in Kalimantan rund 200 Menschen getötet worden und seither 20000 auf der Flucht.

Ohnehin ist "Transmigrasi", die von der Regierung organisierte Umquartierung staatstreuer muslimischer Malaien in dünner besiedelte oder abtrünnige Gebiete, bevölkerungspolitisches Dynamit. Seine bisher schlimmste Explosion: die Massaker im Januar 1999 auf der bis dahin friedlichen Molukkeninsel Ambon. Die Feindseligkeiten zwischen ambonesischen Muslimen und Christen haben ihre Ursache ebenfalls in dem nachhaltigen Einsickern anderer islamischer Volksgruppen aus Sulawesi.

Auf Sumatra und Irian Jaya wird die Zentralmacht schon lange bekämpft. Unlängst ausgebrochen sind blutiger Streit zwischen Neu- und Altsiedlern in Kalimantan sowie Christenhatz auf Lombok. Die Unruhen in Ambon haben auf andere Molukkeninseln übergegriffen

Der molukkische Archipel ist heute die indonesische Provinz Maluku. Ihre austronesisch-melanesische Bevölkerung, zwei Millionen Menschen, blieb im überwiegend malaiisch geprägten Indonesien immer in einer Außenseiterrolle. Vorrangige molukkische Eigenart: die friedliche Koexistenz der islamischen Minderheit und der christlichen Mehrheit seit Abzug der niederländischen Kolonialherren vor einem halben Jahrhundert.

Unter diesem positiven postkolonialen Erbe verbarg sich freilich Konfliktstoff mit der javanischen Zentralmacht nach der Unabhängigkeit Indonesiens 1949. Obwohl die Molukken, die klassischen Pfefferinseln", unter den Holländern am schlimmsten gelitten hatten, waren die dunkelhäutigen Molukker die treuesten Untertanen der "Meesters", der Herren des Gewürzmonopols. Sie ließen sich weitgehend christianisieren, nahmen holländische Sitten an, wurden dafür mit dem javanischen Schimpfwort "Belanda Hitam" - "schwarze Holländer" belegt und stellten der Kolonialarmee das Gros der Soldaten; in ihrer Tapferkeit und Zuverlässigkeit waren sie den Gurkhas der Briten vergleichbar.

In dem von den Vereinten Nationen unterstützten Freiheitskampf der Javaner gegen die Niederlande standen die molukkischen Legionäre der "Koninklijk Nederlands Indisch Leger" (KNIL) bis zuletzt an der Seite der Kolonialmacht, die als Belohnung dafür eine unabhängige "Republik Maluku Selatan" gegen Jakarta und die UN durchzusetzen versprach. 40.000 christliche Molukker, meist KNIL-Soldaten und deren Familien, folgten ihren ehemaligen Herren nach Holland. Als die ihr Versprechen nicht halten konnten, gründeten die Molukker eine Exilregierung.

Auch nach Abzug der Niederlande blieben Insel und Stadt Ambon, das Verwaltungszentrum der Provinz Maluku, eine Hochburg des Protestantismus (wohl eher des Calvinismus, aber das werfen Katholiken ja oft und gerne in einen Topf, Anm. Dikigoros) im heute zu 90% islamischen Indonesien - und mithin ein Ärgernis für die Zentralregierung. Die siedelte mehr und mehr Muslime aus dem geschäftstüchtigen sulawesischen Bugi-Volk nach Ambon um; mit dem Ziel, die dortige Zweidrittelmehrheit der Christen und deren Vorherrschaft zu brechen. Zur Jahreswende 1998/99 hatte der Islam in Ambon einen Bevölkerungsanteil von 50 Prozent erreicht, hatten muslimische Neubürger viele Christen aus ihren Geschäftspositionen und Regierungsposten verdrängt.

GEO-Reporter waren zufällig die einzigen ausländischen Augenzeugen, als um 21.17 Uhr am 18. Januar 1999 ein christlicher Busfahrer mit einem muslimischen Passagier wegen der Höhe des Fahrgelds aneinander geriet. Da ahnte noch niemand, dass dies der Zündfunke am Pulverfass war: Der Bus ging in Flammen auf, gleich darauf folgten Kirchen, Moscheen, Kaufhäuser; und Christen mit flugs umgebundenen roten sowie Muslime mit weißen Stirnbändern metzelten einander auf den Straßen nieder.

Die Ausbrüche von Gewalt setzen sich seither auf anderen Molukkeninseln fort. Überall dort, wo Transmigranten die alte demographische Ordnung aus dem Gleichgewicht bringen, wo Provokateure des alten Regimes gezielt Streit anstiften - sogar auf der weit entfernten Kleinen Sundainsel Lombok, wo Muslime als Reaktion auf Ambon die Christen hetzen und zum "heiligen Krieg" aufrufen. Inzwischen überweist die molukkische Exilregierung in Holland Geldspenden an ihre christlichen Brüder in Ambon, damit die sich auf den Philippinen Waffen kaufen und sich gegen die angeblich von der indonesischen Armee heimlich mit Gewehren versorgten Muslime wehren können.

Bisherige Bilanz der Todesopfer in Maluku: Rund 4000 auf den Inseln Ambon, Halmahera, Ternate, Buru, Haruku, Saparua und Nusa Laut. Auf Seram, der flächenmäßig größten Molukkeninsel, beschränkten sich die Zusammenstöße vorerst auf den Hafen Amahai, wo 24 Menschen im Januar 2000 zu Tode kamen. Anderswo blieb die Inselwildnis, von alteingesessenen Christen und Muslimen sowie animistischen Urvölkern dünn besiedelt, bisher verschont.


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