"Nur nicht auffallen"
Illegalisierung fördert Ausbeutung und Gewalt
von Judith Rosner (Agisra-Rundbrief Nr. 18, 1997)
Maria kommt aus Peru. Sie lebt mit ihren zwei Kindern seit zweieinhalb Jahren in der Bundesrepublik. Als vor drei Jahren ihre Eltern starben, entschied sich Maria zu ihren beiden Schwestern nach Deutschland zu
gehen, die hier verheiratet sind. Für Maria gab es keine Möglichkeit, eine
Aufenthaltsgenehmigung hier zu erhalten. Aber in Peru sah sie auch keine
Perspektive mehr - arbeitslos, alleinerziehend, ohne Familie.
Hier pflegt sie einen alten kranken Mann und versorgt seinen Haushalt. Er
bezahlt ihr gerade soviel, daß sie sich und ihre Kinder mit dem Nötigsten
versorgen kann. Öffentliche Orte meidet sie aus Angst vor einer Kontrolle. Ihre
Kinder muß sie immer zügeln, damit sie nicht auffallen. Eine ihrer größten
Sorgen ist die fehlende Krankenversicherung und daß ihre Kinder hier nicht zur
Schule gehen können, die Tochter ist bereits sieben Jahre alt.
So wie Maria geht es vielen Frauen, die in die Bundesrepublik migriert sind und hier außer über eine Eheschließung mit einem deutschen oder ausländischem Mann mit gesichertem Aufenthaltsstatus keine Perspektive der Legalisierung haben. Der illegalisierte Status verwehrt ihnen den Zugang zu medizinischer Versorgung, ihren Kindern die Schulbildung, zwingt sie häufig in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Jederzeit müssen sie damit rechnen, den Arbeitsplatz zu verlieren und sich dann erneut auf die Suche nach einem Job zu begeben. Wird der Lohn nicht ausbezahlt, gibt es kaum Möglichkeiten, ihn einzufordern. Die Suche nach einer Wohnung gestaltet sich schwierig, oft müssen horrende Mieten für sehr beengte und herunter gekommene Unterkünfte bezahlt werden. Die Versorgung wird zu großen Teilen von Familienangehörigen, Bekannten oder den eigenen Communities geleistet. Dort finden neu Angekommene zunächst einmal Unterschlupf und die wichtigsten Informationen über potentielle Arbeitsmöglichkeiten und Verhaltensregeln. Die Angst, in eine Polizeikontrolle zu geraten, ist ständig zugegen. Denn eine Kontrolle hätte die Ausweisung oder Abschiebung zur Folge, häufig verbunden mit einer Geld- oder Haftstrafe. Das Leben in der Illegalität mit all den Ängsten, Versorgungsengpässen bis hin zu existentiellen Nöten stellt eine große psychische Belastung dar und erfordert viel Mut und Stärke.
Der rechtlose Status ist Menschen ohne Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik zunächst einmal gemeinsam. Und doch unterscheiden sich die konkreten Lebenssituationen sehr. Dies hängt stark davon ab, in welchen
Lebenszusammenhängen sie sich befinden. Eine Frau mit Kindern, oder eine
schwangere Frau lebt sicherlich unter anderen Bedingungen als ein
alleinstehender Mann.
Gehen wir davon aus, daß Illegalisierung die Erpreßbarkeit und damit
Ausbeutung und Gewalt fördert, so sind Frauen zusätzlich noch von sexueller
Gewalt bedroht. Für Frauen ohne Aufenthaltstatus hat die ohnehin schon
strukturelle Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt zur Folge, daß die
Arbeitsmöglichkeiten sich im wesentlichen auf Haushalts- und
Reinigungstätigkeiten, Kinderbetreuung, Küchenhilfe in Gaststätten,
Erntearbeiten in der Landwirtschaft oder Prostitution beschränken.
Zur Situation illegalisierter Sexarbeiterinnen
Prostitution wird immer
noch vielfach mit Frauenhandel, Zwangsverhältnissen, Zuhälterei gleichgesetzt.
Sicherlich gibt es diese Phänomene. Daneben gibt es aber viele Frauen, die sich
bewußt für diese Form der Arbeitsmigration entscheiden. Aufgrund der weltweiten
ökonomischen Ungleichheit soll diese selbstbewußte Entscheidung nicht mit
Freiwilligkeit verwechselt werden. Neben den verschiedenen Faktoren, die die
Arbeitsbedingungen von ausländischen Sexarbeiterinnen prekär gestalten, möchte
ich mich auf den Aspekt der Illegalisierung und damit Kriminalisierung und deren
Auswirkungen konzentrieren. Die Prostitution ist ein Arbeitbereich, in dem
potentiell schnell und viel Geld zu verdienen ist. Diese Hoffnung erfüllt sich
allerdings für viele Frauen nicht. In der Frankfurter Bordellprostitution
arbeiten ca. 1.500 Frauen, 95% Migrantinnen, insbesondere aus Kolumbien, der
Dominikanischen Republik und Brasilien, aber auch aus Thailand, Ghana, Nigeria
und anderen Ländern. Viele der Frauen reisen als Touristinnen ein, i.d.R.
verfügen sie über ein Dreimonatsvisum. Die Erwerbstätigkeit ist ihnen jedoch
nicht gestattet, d.h. sie arbeiten illegal. Häufig müssen sie eine
Vermittlungsgebühr zwischen 3.000 und 30.000 $ an Frauenhändlerlnnen oder
ZuhälterInnen zahlen, um überhaupt hierher zu gelangen oder hier zu arbeiten Der
Preis bestimmt sich auch danach, ob ein Touristenvisum erforderlich ist oder
nicht. Für Kolumbien galt bislang noch keine Visumspflicht, in Kürze steht sie
allerdings zu erwarten, was die Einreise wesentlich erschweren bzw. teurer
machen wird. Die Motivation der Frauen hier zu leben und zu arbeiten ist sehr
unterschiedlich. Viele Frauen wollen nur für eine bestimmte Zeit hier arbeiten,
um ihre ökonomische Situation im Herkunftsland zu verbessern, andere hoffen,
sich hier z.B. über eine Ehe ein besseres Leben aufzubauen. Häufig ist die
Verantwortung für die Familie, insbesondere die Kinder, eine der Triebfedern für
die Migration von Frauen. Viele Frauen sind alleinerziehende Mütter, d.h. die
Väter haben sich jeglicher Verantwortung und finanzieller Versorgung entzogen.
Über die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten im Sexgewerbe hierzulande
sind viele Frauen schlecht oder gar nicht informiert, auch wenn ihnen vor der
Einreise bekannt war, daß sie hier als Prostituierte arbeiten würden. Horrende
Ausgaben relativieren sehr schnell die vermeintlich hohen Einnahmen: Die
Zimmermiete von 250.- bis 280.-DM täglich im Bordell (oft nur für 12 Stunden)
bei Preisen für Geschlechtsverkehr von 30.- bis 50.- DM, die Übernachtung
außerhalb, die abzutragenden Schulden für die Vermittlung - Kosten für Ärztlnnen
oder RechtsanwältInnen. Trinkgelder für den Bordellbetreiber, Kleidung, Essen,
etc.. Daß Bordellbetreiber, diverse Rechtsanwälte, sogenannte VermittlerInnen
u.a. die großen Gewinne abschöpfen, steht in enger Verbindung mit dem rechtlosen
Status vieler Frauen. In vielen Bordellen gilt die Regel, daß vor Arbeitsbeginn
eine Paßkopie von einer Anwaltskanzlei vorzulegen ist mit Vermerk, daß die
Kanzlei als anwaltliche Vertretung mit den ausländer- und aufenthaltsrechtlichen
Angelegenheiten beauftragt ist. Diese monatlich zu erneuernde Paßkopie lassen
sich die entsprechenden Anwälte teuer bezahlen. Die herrschende Doppelmoral und
damit einhergehende gesellschaftliche Diskriminierung, die Nichtanerkennung der
Prostitution als Beruf wie auch die Vertreibungspolitik durch
Sperrgebietsverordnungen trifft alle Sexarbeiterinnen. Bei vielen ausländischen
Sexarbeiterinnen tritt der illegale Status als ein die Situation verschärfendes
Moment hinzu. Da Frauen aus Nicht-EU-Staaten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse
verwehrt werden, sind sie auf eine spezifische Art zusätzlich epreß- und
ausbeutbar. Illegalisiert hier zu arbeiten, heißt unter enormem Druck zu stehen,
in ständiger Angst vor einer Polizeikontrolle bzw. Razzia. Bei einer
Polizeikontrolle erfolgt für Prostituierte häufig eine diskriminierende
Behandlung, alles wird durchsucht bis hin zur Leibesvisitation, das Geld wird
beschlagnahmt, die Frau erkennungsdienstlich behandelt und danach ausgewiesen
oder abgeschoben. Bestehen noch unbezahlte Schulden durch die hohe
Vermittlungsgebühr, ist es besonders dramatisch. Immer wieder erzählen Frauen
von Übergriffen durch Polizei, Bordellbetreiber und Freier. Polizisten in Zivil
entwenden ihnen die Einnahmen und zwingen sie zu sexuellen Handlungen mit der
Drohung der Paßkontrolle. Bei Übergriffen von Freiern ist kaum Hilfe von Seiten
des Bordellbetreibers zu erwarten. Wenn überhaupt ein Alarmknopf im Zimmer
vorhanden ist, heißt dies noch lange nicht. daß auch jemand im Notfall darauf
reagiert. Entscheidend ist, daß sich die Frauen auf den Fluren organisieren und
aufeinander achten. Natali wurde von einem Freier verfolgt, er drohte sie
umzubringen. Zweimal hatte er sie schon zusammengeschlagen, zudem hatte er ihr
den Paß abgenommen und verlangte 5000 DM dafür. Wochenlang versteckte sie sich
vor ihm. Verzweifelt, weil sie weiterarbeiten wollte, um Geld zu verdienen, aber
Angst hatte, daß er sie wiederfindet. Um nicht aufzufallen und Gefahr zu laufen
ausgewiesen zu werden, entschied sie sich gegen eine Aussage bei der Polizei.
Sandra widersetzte sich den Forderungen eines Freiers, der sie zu sexuellen
Praktiken zwingen wollte, die nicht vereinbart waren und warf ihn raus. Wenige
Stunden später kam die Polizei und nahm sie fest. Der Freier hatte sie angezeigt
mit der Anschuldigung, sie wäre eine Drogendealerin. Sandra hatte nichts mit
derartigen Geschäften zu tun. Aber die fehlenden Aufenthaltspapiere waren Grund
genug für die Polizei, sie mitzunehmen. Damit hatte der Freier gerechnet. Monika
verließ ihr Bordellzimmer für zwei Tage, als sie zurückkam, war das Zimmer neu
vermietet, alle ihre Sachen wurden auf den Müll geschmissen. Beim Versuch,
wenigstens die Kaution in Höhe von 1.000 DM zurückzubekommen, wurde sie vom
Bordellbetreiber die Treppe heruntergetreten und übel zugerichtet. Nach längerer
Überlegung entschied auch sie sich gegen eine Aussage bei der Polizei - aus
Angst, aktenkundig und ausgewiesen zu werden. Damit wäre ihr die Möglichkeit,
hier weiter Geld für sich und ihre zwei Kinder in Kolumbien zu verdienen,
genommen gewesen. Noch dazu fand sie keine Frau, die bereit gewesen wäre, zu
bezeugen, wer der Täter war. Ana und Martha kamen hierher in der Annahme, in
einem Club als Serviererinnen zu arbeiten. Von einer entfernten Bekannten
erhielten sie in Kolumbien das Angebot, für eine Vermittlungsumme von 5 000 $ in
Deutschland mit hohen Verdienstmöglichkeiten zu arbeiten. Hier angekommen,
wurden sie nach einer Nacht im Hotel in zwei Bordelle gebracht. Martha wurde
gleich nach ein paar Stunden von einem Freier, der sie in völlig aufgelöstem
Zustand fand, aus dem Bordell herausgeholt und in einem Hotel untergebracht. Ana
verließ auch noch am ersten Tag verzweifelt, nachdem sie von mehren Freiern
vergewaltigt worden war, das Bordlell. Aus Angst vor Racheakten an ihren
Familien oder ihnen selbst gegenüber und wegen schlechter Erfahrungen mit der
Polizei in ihrem Herkunftsland erstattete keine von beiden eine Anzeige. Im
April 1996 wurde Luz Marina in einem Frankfurter Bordell von zwei Männern
ermordet. Sie wollte hier Geld verdienen, um ihrer Tochter und ihren
Geschwistern in Kolumbien ein besseres Leben zu ermöglichen. Zwei Wochen vorher
überlebte eine andere Kolumbianerin nur knapp einen Angriff von vermutlich
denselben Männern. Ihre große Angst vor der Polizei und ihr illegaler Status
verhinderten zunächst, daß sie Anzeige erstattete. Erst nach dem Tod von Luz
Marina entschied sie sich, zur Polizei zu gehen. Dieselben Männer wurden
weiterhin von verschiedenen Frauen im Viertel gesehen. Selbstsicher bewegten sie
sich über Monate hinweg in verschiedenen Bordellen in der Annahme, daß sowieso
keine Frau zur Polizei gehen würde. Diese Beispiele zeigen nur einen kleinen
Ausschnitt, dennoch sollen sie verdeutlichen, welcher Gewalt Frauen immer wieder
ausgesetzt sind und wie wenig Möglichkeiten sie haben, sich auch auf Grund ihres
ausländerrechtlichen Status zu wehren. Immer noch erfahren Frauen, die als
Zeuginnen gegen Menschenhändler, gewalttätige Freier oder Bordellbetreiber
aussagen, keinen Schutz. In der Regel müssen sie schon nach der richterlichen
Vernehmung das Land verlassen. In manchen Bundesländern müssen sie sogar die
Zeit des Verfahrens in Abschiebehaft ausharren, danach werden sie abgeschoben.
In den wenigen Fällen, in denen sie bis zum Prozeß hierbleiben können, wird
ihnen während dieser Zeit die Arbeitsaufnahme nicht gestattet. Solange
Prostitution nicht als Beruf anerkannt wird und ausländische Sexarbeiterinnen
eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten, werden Gewaltverhältnisse und
Ausbeutungsstrukturen begünstigt.
Perspektiven
Eine Perspektive bestünde darin, den Druck zur Migration abzubauen, also Ursachen wie z.B. die weltweite ökonomische Ungleichheit. zu bekämpfen. Da sich in absehbarer Zeit aber unter den bestehenden Verhältnissen die Migrations- und Fluchtursachen nicht vermindern werden, gilt es, Flüchtlinge und MigrantInnen in der Bundesrepublik als Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft anzuerkennen und ihnen volle BürgerInnenrechte zuzugestehen. Dabei darf die Gruppe der illegalisierten Menschen nicht ignoriert, weggeleugnet oder
kriminalisiert werden. Im Gegenteil wird es in der Zukunft weiter darum gehen,
bestehende Netze zur Versorgung auf- und auszubauen. Gewährleistet werden muß
der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Schulbildung wie zu Beratungsstellen in
Krisen - und Notsituationen. Für Frauen, die sich in Gewalt- und
Ausbeutungssituationen befinden, müssen Zufluchtswohnungen eingerichtet werden.
In Frankfurt gibt es beispielsweise die AG Medizinische Hilfen, ein Netz von
ÄrztInnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen, die sich bereit erklärt
haben, Menschen ohne Aufenthaltspapiere und Krankenschein zu behandeln. Die
individuelle Hilfe und Unterstützung durch Familienangehörige, FreundInnen,
Bekannte, Nachbarlnnen wie auch durch die eigenen Communities spielen neben der
institutionellen Ebene eine wesentliche Rolle. Auf politischer Ebene ist
Lobbyarbeit, Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, die sich gegen
Razzien, Ausgrenzung, Diskriminierung und Entrechtung richtet. Neben den
konkreten Forderungen nach eheunabhängigen Aufenthaltsrecht ab der
Eheschließung, ZeugInnenschutz, Grundrecht auf Asyl, Anerkennung
frauenspezifischer Fluchtgründe, Abschaffung der Visumsbestimmungen und vielem
mehr ist es sinnvoll, Legalisierungskampagnen wiederaufleben zu lassen.
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