GRAB HINTER GLAS

Die schwierige Aufarbeitung der Terrorvergangenheit in Peru
Ein Besuch in der früheren Hochburg des 'Leuchtenden Pfad'

von Klaus Ehringfeld (Frankfurter Rundschau, 20.12.2005)

(mit einer Nachbemerkung von Nikolas Dikigoros)

Lidia Flores sind zwei Dinge geblieben, die sie an ihren Mann Felipe erinnern. Ein vergilbtes Foto, das einen ernsten jungen Mann mit dichtem schwarzen Haar zeigt. Und ein zerfetztes, blutverschmiertes Hemd. Umso mehr geblieben sind der 53-Jährigen aus der Nähe von Ayacucho Schmerz und Wut über das, was am 16. Juli 1984 geschah, als Felipe auf einmal verschwand. "Als er nach Tagen nicht nach Hause kam, sind wir zur Polizei gegangen. Aber sie haben nichts getan", erzählt die Quechua-Frau in Filzhut und Glockenrock mit müder Stimme.

Mitte der 1980er Jahre war der Bürgerkrieg in den peruanischen Anden auf seinem Höhepunkt. Die maoistische Linksguerilla "Leuchtender Pfad" kämpfte gegen die Staatsmacht - und beide Seiten terrorisierten die Zivilbevölkerung. Abertausende Menschen verschwanden damals. Auch dem 24 Jahre alten Felipe war Politik nicht wichtig. Er hatte genug damit zu tun, seine Frau und die fünf Kinder als Viehhändler durchzubringen. "Wir haben ihn dann selbst gesucht und nach einem Monat gefunden", erzählt Lidia unter Tränen. Seine Mörder hatten Felipes Leiche in eine Schlucht geworfen, wo sie bereits verweste. Nur an dem Hemd, das streunende Hunde in Fetzen gebissen hatten, erkannte Lidia ihren Mann. Die sterblichen Überreste konnte sie nur noch an Ort und Stelle begraben.

Seit kurzem aber hat Lidia Flores einen Platz, wo sie um Felipe trauern kann. In Ayacucho, der Hochburg des 20 Jahre währenden Terrorkrieges, haben die Angehörigen der Toten und Verschwundenen mit Hilfe des Deutschen Entwicklungsdienstes ein Museum der Erinnerung geschaffen.

Außen haben sie wie in einem Bosch-Bild den Horror der dunklen Jahren in düsteren Farben wie eine Mahnung auf die Wände gemalt: Abgehackte Arme und Beine, mordende Soldaten, brennende Dörfer, gefesselte Zivilisten. Im Museum ist der Terror wie zum Anfassen nachempfunden. In einer lebensgroßen Folterkammer schlägt ein Polizist einen Bauern blutig. Und in einer Art Puppentheater des Grauens ist mit Salzteigfiguren nachgestellt, wie Menschen lebend in brennende Öfen geschoben oder in ihren Zellen erhängt werden. Daneben dokumentiert das Museum einzelne Schicksale. Mütter, Kinder, und Väter haben Bilder und Briefe, Kleidungsstücke und Habseligkeiten ihrer Toten und Vermissten in Vitrinen zusammengetragen. Auch Lidia hat Foto und Fetzenhemd von Felipe ins Museum gebracht und so nach 21 Jahren endlich einen Ort für ihren Schmerz gefunden. Ein Grab hinter Glas. "Es ist mein ganz persönlicher Friedhof", sagt sie.

Der Sendero Luminoso, der Leuchtende Pfad des Philosophieprofessors Abimael Guzmán wütete in den achtziger und neunziger Jahren in Peru. Ähnlich wie Pol Pot in Kambodscha propagierte Guzmán eine Art Steinzeitkommunismus. Von Ayacucho, im Herzen des südamerikanischen Landes, zogen seine Kämpfer aus, um der bürgerlichen Gesellschaft mit Machete und Gewehr den Garaus zu machen. Es gab nur Freund oder Feind. Unbeteiligt konnte niemand bleiben.

Von Ayacucho, wo Guzmán an der Universität lehrte, erfasste der Terror der Guerilla und der Gegenterror des Staates das gesamte zentrale und südliche Hochland, entvölkerte Dörfer und Städte, teilte Familien in Opfer und Täter. Die peruanische "Kommission für Wahrheit und Versöhnung" dokumentierte 69.280 Tote. Mehr als doppelt so viele, wie der Militärdiktatur in Argentinien zum Opfer fielen, und zehn mal mehr Tote, als Augusto Pinochet in Chile hinterließ. Doch in einem unterscheidet sich der Terror in Peru. Nach dem Bericht der Wahrheitskommission gehen 40% der Opfer auf das Konto der Sicherheitskräfte. Für die Mehrzahl der Gräueltaten trägt hingegen der Leuchtende Pfad die Verantwortung.

Nach der Veröffentlichung des Kommissionsberichts ging kurz ein Aufschrei durch das Land, denn die Wahrheit hat ungläubiges Erschrecken ausgelöst. Wie war es möglich, dass so viele Menschen umkamen, ohne dass es großes Aufsehen erregte oder große Folgen für Wirtschaft und Politik hatte? "Der Bericht hat ein Thema ans Licht geholt, das tot geschwiegen wurde", sagt Sofía Macher, Mitglied der Wahrheitskommission. "Peru ist ein geteiltes Land, und die Opfer gehören zu den Ausgeschlossenen", betont die Bürgerrechtlerin. Tatsächlich litten in der übergroßen Zahl die Indios unter dem Bürgerkrieg, die noch heute in Peru als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Wirklich Notiz nahm das Land erst vom Bürgerkrieg, als der Sendero nicht nur Bauern massakrierte, sondern aus den Bergen nach Lima herabstieg und den Terror in die Hauptstadt trug.

1992 gelang es dem autokratischen Staatschef Alberto Fujimori, Guzmán zu schnappen. Er stellte ihn der Bevölkerung im gestreiften Sträflingsanzug in einem Käfig zur Schau. Vermummte Richter eines Militärtribunals schickten den Terror-Professor lebenslang in Haft. Doch im demokratischen Peru nach Fujimori wird das Verfahren nochmals aufgerollt. Seit dem 27. September steht der inzwischen 71 Jahre alte Guzmán vor einem Zivilgericht. In einem Gefängnis auf einer Marinebasis vor Lima, das eigens für ihn und andere Terroristen gebaut wurde, wartet er erneut auf das Urteil, das nicht anders als damals ausfallen kann. Der Hass gegen Guzmán sitze so tief, dass viele Peruaner einverstanden wären, wenn die Behörden den Guerilla-Chef ermordeten und es als Unfall oder Suizid darstellten, schreibt der Publizist Santiago Roncagliolo in einem Porträt über den "gefährlichsten Verrückten ganz Amerikas."

Dass sich Peru schwer tut mit der demokratischen Aufarbeitung der Terrorzeit, zeigt sich auch an der schleppenden Umsetzung der Empfehlungen der Wahrheitskommission. Zwar kommen die Angehörigen der Opfer in den Genuss besserer Schulbildung und Gesundheitsversorgung, aber Entschädigungen lassen auf sich warten. Präsident Alejandro Toledo hat für kommendes Jahr die Auszahlung von 100 Millionen Dollar in Aussicht gestellt. Uuml;berdies kommt die juristische Aufarbeitung nur schwer voran. Erst 22 im Bericht der Wahrheits-Kommission namentlich genannte Täter stehen vor Gericht. Weitere hundert 100 Ermittlungsverfahren sind eingeleitet. Verurteilt ist noch niemand.

Auch nicht der Mörder von Felipe. Lidia erfuhr später nur, dass ihr Mann vor 21 Jahren von einer Einheit der Sonderpolizei verschleppt und umgehend erschossen wurde. "Hier drinnen ist so viel Schmerz", sagt sie und legt die flache Hand auf die Brust. "Ich will Gerechtigkeit und die Täter im Gefängnis sehen. Vorher kann ich nicht vergessen."


Nachbemerkung:
Es ist unerhört, mit welcher Ignoranz und Voreingenommenheit diesen dumme Junge, der Perú so wenig kennt, daß er es nicht mal richtig schreiben kann, und der noch nicht geboren war, als der Terror des 'Sendero luminoso' begann, bequem in seinem Elfenbeinturm von Luxushotel sitzt, sich einen vom Pferd erzählen läßt und neunmalklug daher schreibt über dieses bittere Thema. Die 'Senderistas' waren keine armen Indios und keine "Opfer einer geteilten Gesellschaft", sondern verhetzte Gefolgsleute eines weißen, für dortige Verhältnisse reich besoldeten Universitäts-Professors, eines Gesinnungsgenossen der Adorno, Habermas, Horkheimer, Lucács, Marcuse, Negt und Sartre, jener geistigen Brandstifter und Brunnenvergifter, an deren Pfoten viel mehr Blut klebt als an denen eines Pol Pot, eines Idi Amin oder anderer Primitivlinge. Die Opfer des 'Sendero luminoso' waren gleichermaßen Weiße, Mestizen und Indios, und zwar keine reichen Ausbeuter, sondern durchweg Angehörige der in Lateinamerika ohnehin so beklagenswert kleinen, fleißigen Mittelschicht. Und was der große Alberto Fujimori - weder Weißer noch Indio, sondern ganz neutral - geleistet hat, indem er diesen Sumpf trocken legte, hat nichts mit "Gegenterror" zu tun, sondern mit Staatsnotwehr - die Verbrecher, die er zur Strecke brachte, als "Mordopfer" zu bezeichnen, deren Hinterbliebene nun "entschädigt" werden müßten, ist eine Unverschämtheit. Daß man ihm das im Nachhinein so übel gedankt hat, daß man ihn dafür sogar vor "Gericht" stellen will, ist der größte Schandfleck auf der an Schandflecken weiß Gott nicht armen Weste Perús. N.D.


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