GEISTERHÄUSER AM RHEIN

von Maxim Leo (Berliner Zeitung, 02.08.1999)

Viele afrikanische Staaten haben kein Geld für eine neue Botschaft in Berlin - ihre Diplomaten bleiben in Bonn und fürchten, dort vergessen zu werden

BONN, Ende Juli. Im Bonner Diplomatenviertel Bad Godesberg ist jetzt jeder Tag ein Feiertag. Aus den Gärten hinter den alten Villen dringt gedämpfte Tanzmusik, festlich gestimmte Botschafter halten Reden über Deutschland und die Geschichte. Von Bonn wird da noch einmal gesprochen und von der neuen Hauptstadt Berlin, mit Worten wie Epoche, Vereinigung, Umzug und Zukunft. Die Diplomaten nehmen Abschied; jeden Abend in einem anderen Garten.

Auch Jean Melaga feiert mit. Als Vize-Doyen des diplomatischen Korps muss er schon aus Gründen des Protokolls dabei sein. So richtig froh wird der Botschafter Kameruns allerdings nicht an diesen Abenden. Denn Melaga wird erst einmal nicht mitgehen nach Berlin. Seine Vertretung bleibt in Bonn. "Uns fehlt einfach das Geld für den Umzug", sagt Melaga. Und so betrachtet der 61-jährige Mann die fröhlichen Abschiede seiner wohlhabenderen Kollegen mit Wehmut und die Zukunft seiner Mission mit einiger Sorge. "Wir werden eben nur noch aus dem Radio erfahren, was so in Berlin passiert."

In den vergangenen Monaten hat sich Melaga immer wieder hingesetzt und gerechnet. Aber selbst wenn er die Bonner Botschaft und seine Residenz verkaufte, bekäme er nicht genug zusammen, um sich in Berlin ein halbwegs standesgemäßes Haus leisten zu können. "Im Moment verkaufen hier alle. Die Preise sind absolut am Boden. Und in Berlin wird viel gekauft, da steigen die Preise", klagt Melaga. Er zöge gerne in den Grunewald oder nach Zehlendorf. Und er weiß genau, wo er nicht hin will in Berlin: In den Osten der Hauptstadt. "Da gibt es zu viel Ausländerfeindlichkeit", sagt der Botschafter.

Von seiner Regierung erwartet Melaga so bald keine Unterstützung für einen Umzug. "Bei uns zu Hause brauchen wir das Geld, um Schulen und Krankenhäuser zu bauen. Das ist jetzt dringender", sagt er. Als Kamerun 1961 seinen ersten Botschafter nach Deutschland schickte, waren die Prioritäten noch anders verteilt: "Das war ein Jahr nach der offiziellen Unabhängigkeit unseres Landes. Eine diplomatische Vertretung in Deutschland zu haben war für die Regierung der Beweis der eigenen Existenz." Geld spielte keine Rolle. "Das wurde einfach bezahlt", erinnert sich Melaga. Zumal Bonn damals nicht teuer war.

Heute reicht Melagas Budget kaum für die nötigsten Ausgaben. Einst hatte Kamerun zehn Diplomaten in Bonn, heute sind es nur noch drei. Das Botschaftsgebäude in der Rheinallee ist längst nicht mehr zur Repräsentation geeignet: Von den Wänden bröckelt der Putz, die Türen hängen schief im Rahmen, und vor dem Haus steht ein abgemeldeter alter Mercedes ohne Nummernschild. Im vergangenen Monat hat ein Makler Jean Melaga besucht. Es war ein ernüchterndes Erlebnis für den Botschafter: "Der Mann war an dem Grundstück interessiert und hat behauptet, das Haus wäre nicht mehr viel wert."

So wie Melaga geht es derzeit vielen Diplomaten in Bonn. Nur die Hälfte der 151 in Deutschland akkreditierten Vertretungen hat bis heute eine Adresse in der neuen Hauptstadt gefunden. Unter den Umzüglern sind lediglich drei Staaten aus Lateinamerika, zehn aus Asien und sieben aus Afrika. Für die anderen Länder aus diesen Teilen der Welt ist ein Umzug zumindest vorerst nicht bezahlbar.

Chauffeur ohne Autos

Etliche Vertretungen schwarzafrikanischer Länder können sich bereits in Bonn kaum noch über Wasser halten. Nur eine Straßenecke von der Kameruner Botschaft entfernt befindet sich in der Rheinallee 45 die Villa des Staates Kongo-Brazzaville. Ein einsamer Missionschef hält hier zusammen mit einem Pförtner die Stellung. Strom, Heizung und Telefon sind gesperrt, die Wände des Hauses sind feucht und mit Stockflecken übersät. Nur der mit Säulen geschmückte Empfangssaal lässt die besseren Zeiten noch erahnen, die es hier einmal gegeben haben muss. Heute ist diese Botschaft ein Geisterhaus in bester Lage.

"Wir arbeiten hier, so gut wir können", sagt der Missionsleiter François Ignoumba verlegen. "Aber es kommt ja kaum noch jemand her. Und ein Umzug nach Berlin ist für uns in absehbarer Zeit kein Thema." Im Bonner Entwicklungshilfeministerium erfährt man, dass Ignoumba schon lange keinen Pfennig mehr aus Brazzaville bekommen hat. "Seit Jahren fallen die Preise für Rohstoffe, die in Zentralafrika produziert werden. Die stecken ziemlich in der Krise", heißt es im Ministerium. Die Vertretung habe einen "Haufen unbezahlter Rechnungen", doch die Gläubiger haben kaum eine Chance, an ihr Geld zu kommen. Die Botschaft ist exterritoriales Gebiet, und der Besitz von Diplomaten darf nicht gepfändet werden.

Ein paar Schritte weiter liegt die Bonner Botschaft des ehemaligen Zaire. In den ersten beiden Etagen des heruntergekommenen Hauses leben die Familien der Diplomaten, der Sekretärinnen und des Chauffeurs. Sie alle sind schon vor fünf Jahren in die Räume der Botschaft gezogen, weil die Gehälter nicht mehr ausreichten für die Mieten ihrer Wohnungen.

Neben dem Botschaftsgebäude steht ein ganzer Park von Autowracks mit "CD"-Aufklebern. "Wenn wir irgendwann wieder mehr Geld haben, werden die Autos reaktiviert", erklärt der Chauffeur, der jetzt in der Pförtnerloge arbeitet. Der Botschafter wurde schon vor längerer Zeit abgezogen. Der zurückgebliebene Erste Sekretär Lhelo Boloto berichtet vom Krieg, von Laurent Kabila und seinen Gegnern, von einem bankrotten Staat. "Dennoch", sagt er schließlich, "bin ich überzeugt, dass auch wir schon bald nach Berlin umziehen werden."

Jean Melaga, der von seinen Kollegen zum Sprecher aller afrikanischen Staaten bei der Bundesregierung ernannt wurde, ist da weniger optimistisch. Er schätzt, dass von den 43 in Deutschland gemeldeten Botschaften seines Kontinents "etwa 35 noch länger in Bonn bleiben werden". Vor einiger Zeit hat er deshalb einen offiziellen Hilferuf an das Auswärtige Amt gesandt. "Es kann nicht sein, dass wir zu den Opfern der deutschen Wiedervereinigung werden", hat Melaga erklärt. Die Bundesregierung solle für die ärmsten Länder zumindest Kredite bereitstellen.

Im Auswärtigen Amt ist das Ersuchen auf deutliche Ablehnung gestoßen. Der Umzug der Botschaften sei "allein eine Angelegenheit der souveränen Staaten", heißt es. Und der Einsatz von Mitteln der Entwicklungshilfe sei durch das Bundeshaushaltsgesetz verboten. "Wenn wir einmal anfangen würden zu zahlen, dann wären wir binnen kurzer Zeit unter einer riesigen Welle von Ansprüchen begraben", sagt ein Sprecher des Außenministeriums. Man verstehe zwar das Problem, ein finanzielles Engagement in dieser Frage sei aber "in den Zeiten des Sparzwangs" nicht vermittelbar. Schließlich habe Deutschland erst in der vergangenen Woche beschlossen, seine Vertretungen in fünf afrikanischen Ländern aus Kostengründen zu schließen.

Der Koordinator für den Botschaftsumzug im Auswärtigen Amt, Erhard Zander, warnt sogleich davor, "die Probleme zu übertreiben". Etliche Staaten hätten ihm noch vor ein paar Monaten gesagt, dass sie kein Geld für den Umzug hätten. "Kurze Zeit später kam dann ein Fax, in dem sie uns mitgeteilt haben, dass es jetzt doch klappt." Zander rechnet damit, "dass in spätestens zwei Jahren alle an der Spree sind".

Die Entscheidung der Deutschen

Der Botschafter der Kapverdischen Inseln, Viktor Fidalgo, sieht in der Haltung der Bundesregierung "einen Schlag ins Gesicht". Der Umzug sei die Folge einer Entscheidung der deutschen Politik. "Wir haben uns das schließlich nicht ausgesucht", sagt Fidalgo. Er wird jedoch schon im nächsten Monat mit seiner Vertretung nach Berlin gehen. "Wir hatten Glück, ein deutscher Geschäftsmann hat uns eine Million Mark geliehen." Die Banken hatten zuvor nur abgewinkt. "Die wollten Sicherheiten, die wir nicht haben", sagt Fidalgo. Auch die Anmietung von Räumen erwies sich als ein schwieriges Unterfangen. Im Berliner Verband der Haus- und Grundstückseigentümer heißt es, "dass wir unseren Kunden von der Vermietung an bekanntermaßen zahlungsschwache Staaten dringend abraten".

In langen Gesprächen hat Jean Melaga immer wieder versucht, den deutschen Ministerialbeamten doch noch etwas Geld abzutrotzen. Er hat erklärt, er hat geschmeichelt und geklagt. Vergeblich. Auch der Hinweis, dass selbst Staaten wie Brasilien und Nigeria beim Wechsel ihres Regierungssitzes die ausländischen Botschaften unterstützten, habe die Deutschen nicht beeindruckt. Melaga hofft jedoch noch noch immer: "Wenn die Regierung wollte, könnte sie auch etwas für uns tun. Vielleicht im nächsten Jahr." Ansonsten, sagt er, "wird es in Deutschland von nun an zwei Hauptstädte geben. Eine für die Reichen und eine für die Armen."

Einige seiner Kollegen mahnen Melaga hingegen zur Zurückhaltung. "Es ist falsch, die Bundesregierung um Finanzhilfe zu bitten. Das müssen wir alleine schaffen", sagt Tansanias Botschafter Andrew Daraja. Er habe "kein Problem damit, als Letzter nach Berlin zu kommen". Mario Feliz, der zweite Mann in der Botschaft Angolas, argumentiert ähnlich: "Wir können nicht ewig auf unsere Armut pochen."

Hinter dem Ärger über die ausgebliebene deutsche Finanzhilfe steckt bei vielen afrikanischen Botschaftern die Angst, nun endgültig politisch bedeutungslos zu werden. "Seit dem Fall der Mauer ist das ohnehin schwache Interesse Deutschlands für Afrika noch geringer geworden", hat Jean Melaga bemerkt. Und er befürchtet, dass sich dieser Prozess noch weiter beschleunigt, wenn die Botschaften nicht mehr am Sitz der deutschen Regierung präsent sind.

Etliche seiner Kollegen haben zudem den Eindruck gewonnen, "dass es der Bundesregierung im Grunde egal ist, ob wir es nach Berlin schaffen oder nicht" so berichtet der Missionschef von Angola, ihm und einigen anderen Botschaftern sei im Auswärtigen Amt recht klar bedeutet worden, "das Bonn für uns durchaus Vorteile hätte". Schließlich soll aus der ehemaligen Regierungsstadt ein "Nord-Süd-Zentrum" werden: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) bleibt als wichtigster Ansprechpartner der Dritt-Welt-Länder am Rhein. Der Deutsche Entwicklungsdienst und das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik werden von Berlin nach Bonn ziehen. Die Vereinten Nationen verlegen zudem einige Sekretariate und Außenstellen mit insgesamt 400 Mitarbeitern in die Stadt. Und das Auswärtige Amt wird für die zurückgebliebenen Diplomaten eigens eine Außenstelle einrichten. "Die Botschafter müssen dann nur noch zur Übergabe ihres Beglaubigungsschreibens nach Berlin fahren, der Rest kann in Bonn abgewickelt werden", heißt es sachdienlich aus dem Ministerium.

Jean Melaga, der Dienstälteste des Bonner corps diplomatique, hat auch einen schönen Vorschlag für die Zukunft: "Vielleicht richten die uns ja bei Empfängen des Bundespräsidenten eine Satellitenleitung ein. Dann könnten wir dabei sein, ohne zu stören."


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