GEGEN DIE MAUER

Schröders China-Kurs

von Claus Christian Malzahn
(Spiegel Online, 22.01.2005)

Schröders einsamer Kampf für die Aufhebung des Waffenembargos gegen China kommt nicht überraschend. Die Unterdrückung der Menschen in kommunistischen Diktaturen hat ihn nie sonderlich gekümmert. Bedauerliche Kollateralschäden des Kanzlerkurses: Neuer Streit mit den USA und die Demontage seines wichtigsten Ministers.

Berlin - Der deutsche Bundeskanzler hat noch nie zu den Politikern gehört, die das Thema der Menschenrechte ins Zentrum ihrer politischen Ethik und Ästhetik gestellt haben. Wenn der niedersächsische Oppositionsführer Gerhard Schröder in den Achtziger Jahren von Hannover aus nach Osten blickte, dann nahm er hinter den nahen DDR-Grenzanlagen nicht etwa ein Regime wahr, das sein Staatsvolk mit Schüssen, Spitzeln und Stacheldraht im Zaum hielt und ihm - im Westen übliche - politische Selbstverständlichkeiten vorenthielt. Die DDR war für Schröder deutschsprachiges Ausland. Hätte die Volkskammer der DDR den Beitritt zu Österreich beschlossen - Schröder hätte nicht dagegen protestiert.

Schröder sah an der Spitze der SED keinen starrsinnigen Polit-Greis am Werk, der im Gegensatz zu Gorbatschow die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatte. Erich Honecker bezeichnete der Ex-Juso Schröder am 21. Dezember 1985 als einen "zutiefst redlichen Mann". Ein Jahr später schrieb er dem "lieben Egon Krenz", damals zweiter Mann im Staate hinter Honecker: "Durchstehvermögen, das Du mir wünscht, brauche ich in diesem arbeitsreichen Wahlkampfjahr ganz bestimmt. Aber auch Du wirst für euren Parteitag und die Volkskammerwahlen sicher viel Kraft und Gesundheit benötigen." Angesichts dieser Zeilen kann man sich lebhaft vorstellen, mit welcher Entschiedenheit der Kanzler heute Demokratie und Bürgerrechte bei seinen Besuchen in Peking anmahnt.

Noch im Juni 1989, als die DDR bereits heftig aus dem Leim ging und dem redlichen Diktator sowie dem lieben Egon das Volk über Ungarn und die CSSR abhanden kam, befand Schröder fünf Tage vor dem Tag der deutschen Einheit: "Nach 40 Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation in Deutschland nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen. Es gibt sie nicht."

Falscher konnte man damals nicht liegen. Selbst der SPD-Linke Erhard Eppler, der 1987 noch das umstrittene SED-SPD-Dialogpapier mitverantwortete, ging einige Tage nach Schröders Entgleisung in einer historischen Bundestagsrede auf deutliche Distanz zu seinen Verhandlungspartnern in Ost-Berlin. Eppler hatte eigene Positionen damals kritisch überdacht und revidiert. Gerhard Schröder ist sich in seiner ignoranten Haltung gegenüber antikommunistischen Bürgerrechts- und Freiheitsbewegungen dagegen stets treu geblieben - eine der wenigen Konstanten seiner politischen Laufbahn.

Immerhin: Redlichkeit hat der deutsche Bundeskanzler seinen neuen Freunden in der chinesischen Führung noch nicht bescheinigt. Doch angesichts der jüngsten offenen militärischen Drohungen Pekings gegen Taiwan ist Schröders Beharren auf einer Aufhebung des Waffenembargos gegen China nicht minder skandalös. Natürlich ist das China von heute nicht mehr dasselbe Land wie 1989, als die chinesische Führung die demokratische Studentenrevolte mit Panzern niederwalzen ließ. Aber sicherlich nicht deshalb, weil es in dem Land heute liberaler zuginge und es keine politischen Gefangenen mehr gibt. Nach der antidemokratischen Konterrevolution der Machthaber 1989 haben die Bürgerrechtler - sofern sie das Land nicht verlassen haben oder hinter Gittern verschwanden - oft resigniert; die Chance zu einem neuen Aufbruch ist bisher nicht gekommen.

Schröders lautstarker Alleingang, sein peinliches Anbiedern an das Regime, wird den Handlungsspielraum der chinesischen Menschenrechtler weiter verkleinern. Doch sein befremdlicher Einsatz für Peking, den er als europäische Wirtschaftspolitik zu verkaufen sucht, hat noch andere Konsequenzen. Zunächst einmal beschädigt er seinen ohnehin angeschlagenen Außenminister, der in der deutschen Außenpolitik ganz offensichtlich kaum noch eine Rolle spielt. Die Grünen haben Widerspruch gegen Schröders Waffenpolitik eingelegt, der Kanzler hat daraufhin zu verstehen gegeben, dass ihn dieses Veto nicht interessiert. Der Grüne Fischer schrumpft live im Kabinett - und Schröders Reaktion darauf ist dröhnende Diplomatie. So sind sie, die politischen Männerfreundschaften.

Wohin die deutsche Außenpolitik angesichts des Lavierens zwischen Moskau, Paris und Peking eigentlich gehen soll, weiß vielleicht nicht einmal der Kanzler genau, der mit seiner chinesischen Waffenbruderschaft eher auf ungesicherte Optionsgeschäfte der Zukunft als auf solide Politik der Gegenwart setzt. Eines aber ist inzwischen absolut gewiss: Die Beschädigung des transatlantischen Verhältnisses ist eine Lieblingsfigur rot-grüner Diplomatie. Washington argumentiert mit guten Gründen gegen eine Lockerung des Embargos gegen China. Doch wenige Wochen nach dem Besuch des amerikanischen Präsidenten in Deutschland marschiert der deutsche Kanzler weiter ins außenpolitische Nirwana. Jede Richtung scheint inzwischen recht - Hauptsache, der Kanzlerkompass weist nicht nach Westen.

Die Idee von einem deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat, die deutsche Hoffnung, eine neue Weltordnung an den USA vorbei und mit tatkräftiger russischer und chinesischer Hilfe zusammenbasteln zu können, sind nur zwei Fixpunkte dieser deutschen Geisterfahrt. Für diese grotesken Verrenkungen erntet die Regierung bemerkenswert wenig Widerspruch - das mag am antiamerikanischen Volksempfinden liegen, dass diese Regierung den Deutschen zur emanzipatorischen Gesundung verordnet hat. Der Publizist Arnulf Baring hat vor nicht allzu langer Zeit gefordert: "Bürger, auf die Barrikaden!" Angesichts der unverhohlenen Ankündigungen des Kanzlers, für seine China-Politik brauche er weder Washington, noch sein eigenes Parlament, wird es Zeit, diese Aufforderung zu wiederholen.

Denn es geht hier nicht um politische Geschmacksfragen. Dieser Kanzler will eine andere Republik - zumindest in ihrer außenpolitischen Verortung. Joschka Fischer hat tatenlos zugesehen, wie der deutsche Bundeskanzler die Lunte an das Fundament der Westbindung legte und damit die Grundarchitektur der Bundesrepublik Deutschland veränderte. Fischer selbst hat sich 1998, kurz vor dem Kosovo-Krieg, ausdrücklich zur Westbindung Deutschlands als demokratischer Lebensversicherung der Republik bekannt. Seine Analyse, die Adenauersche Westbindung sei der Ersatz für jene bürgerlichen Revolutionen gewesen, die in Deutschland eben nie stattgefunden hatten, war richtig. Damals hatte Fischer das politische Format eines Gustav Stresemann. Inzwischen aber firmiert er, wie weiland der erste Außenminister der Bundesrepublik, Heinrich von Brentano, nur noch als Faktotum des Regierungschefs.

Ein Trauerspiel. Selbst der Blick nach vorn vermag da nicht zu trösten. Denn am außenpolitischen Horizont grinst, trotz Beschwichtigungen und Dementis, der Leichtmatrose Guido Westerwelle.


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