Der Norden ist die äußerste Grenze, der Norden ist jenseits der Alpen

Die Vorstellung des Nordens in Italien von Petrarca bis Tasso

von Manuela Boccignone (Uni Kiel)

Welche mentalen Bilder und Kategorien über den Norden prägten das literarische Werk der italienischen Humanisten und wie veränderten sie sich im Zeitablauf? Die Darstellungen des Nordens von Francesco Petrarca (1304-1374) haben die Ebene des Diskurses bei vielen Nachfolgern sehr stark geprägt, obwohl die lebensweltlichen, direkten Erfahrungen der Autoren mit dem Norden immer zahlreicher und differenzierter geworden sind.

Petrarca ist der erste Literat, der die alten Schemata der auctores verwendet, um eine klare Grenze zwischen Italien und dem Rest Europas zu ziehen. Er versucht auf diese Weise die Identität der eigenen, politisch zerstrittenen Nation zu bestimmen und zu festigen, indem er die Italiener als Erben der römischen Zivilisation von den anderen Völkern abgrenzt. Damit umfaßt für ihn der entlegene Norden, das Reich Boreas, der Ort der Barbarei, alle Länder jenseits der Alpen. Um diese Vorstellungen auszudrücken, greift er auf klassische Stilelemente zurück, die in dem Konzept des furor teutonicus zusammengefaßt sind.

Petrarcas Gegenüberstellung von Italienern und Barbaren im Rest Europas wird in der italienischen Literatur des XV. und XVI. Jahrhundert ein häufig wiederkehrendes Motiv. Es fällt auf, daß dieser Gegensatz bei Dante und bei den Autoren vor Petrarca nicht zu finden ist. Für Petrarca ist entscheidend, daß die antiqui in Italien wieder studiert und verehrt werden, wobei jenseits der Alpen herrscht immer noch unangefochten die 'Unkultur' der scholae.

Mit dem Rückgriff auf die römischen Klassiker werden antike Denkmuster wieder aufgegriffen, in denen die nördlichen Völker als wild, grausam, mutig, undiszipliniert und ignorant gelten. Ist die pejorative Wertung des Nordens durch vorgeformte Bilder immer eng mit dem Mythos von Rom verbunden? Bei Petrarca ist die Überzeugung sehr ausgeprägt, daß Rom als Hauptstadt des Römischen Reiches eine zentrale Rolle im religiösen und politischen Leben Europas spielen solle. Der Gegensatz zwischen Italien als Vaterland der humanae litterae und den Ländern jenseits der Alpen, in welchen das Studium der lateinischen Sprache vernachlässigt werde, hat sich zu einem humanistischen Topos entwickelt. Ich möchte unter diesem Blickwinkel die Haltung einiger italienischen Humanisten erforschen, die durch eigene Erfahrungen ein relativ positives Bild des Nordens hatten, wie Poggio Bracciolini (1380-1459), der am Konzil in Konstanz teilnahm und einige Jahre in England lebte, und Enea Silvio Piccolomini (1405-1464). Piccolomini meinte, daß man in Deutschland 'missionieren' könne: Unter den 'Barbaren' gebe es einige, die Latein beherrschten und die Kultur nicht ablehnten. Die humanae litterae konnten 'exportiert' werden.

Einige loci communes [Gemeinplätze, Anm. Dikigoros} über den Norden wurden wiederholt, Wien war ein Exil wie die Stadt Tomi für Ovid, aber die langen Reisen (Piccolomini war auch in Schottland) blieben nicht ohne Wirkung. >Mit der Ausbreitung des Humanismus in Europa geht der Gegensatz Italiani - Oltramontani barbari nicht verloren, er wird vielmehr ausdifferenziert. Manchmal kommt eine Art Nationalbewußtsein zum Ausdruck: Niccolò Machiavelli (1469-1527) zitiert einige Verse der canzone 'All'Italia' (Il Principe, XXVI), um die Italiener aufzufordern, sich von den 'barbarischen' Fremden, Franzosen und Spaniern zu befreien.

Eine Transformation des Begriffs der 'Nördlichkeit' findet infolge der Reformation und der damit einhergehenden Kirchenspaltung statt. Petrarca hatte das (von Rom aus gesehen) transalpine, 'barbarische' Europa als 'nördlich' bezeichnet, nun wird das protestantische Europa dem katholischen Italien entgegengesetzt. Ich möchte in diesem Zusammenhang untersuchen, wie einige italienische Literaten auf die Plünderung Roms im Jahre 1527 reagieren. Einerseits sieht man die Vorstellung bestätigt, daß die nördlichen Barbaren unglaublich grausam seien, andererseits werden sie als Instrument eines Gottesurteils gegen die korrupte Kurie angesehen. Die Soldaten, die die Heilige Stadt geplündert hatten, seien Vertreter der schrecklichen Häresie aus dem Norden. Gleichzeitig wird ihnen jedoch auch eine gewisse Naivität zugeschrieben (die spätestens seit Tacitus einem alten Topos entspricht), die in einem Gegensatz zu der Korruption der römischen Prälaten steht.

Festgelegte Topoi bedeuten keineswegs Starrheit und Mangel an neuen Vorstellungen. In diesem Zusammenhang sind Francesco Guicciardini (1483-1540) und Pier Paolo Vergerio (1498-1565) interessante Persönlichkeiten. Vergerio, von der traditionellen Verurteilung des Nordens ausgehend, vollzieht eine Entwicklung, die ihn zur Annahme des neuen Glaubens führt. Noch als Apostolischer Nuntius in Deutschland verurteilt er die neue Konfession mit einem Vers von Jeremia (Jer., I, 14: "ab aquilone pandetur omne malum"). Später wird er selbst Missionar für die Reformation und muß aus Italien fliehen.

Schließlich möchte ich das Werk von Torquato Tasso (1544-1595) und insbesondere die Tragödie Re Torrismondo (1587) untersuchen. Es kann hier von einem erneuten Paradigmenwechsel gesprochen werden, in dem Sinne, daß Tasso nicht mehr Italien von einer mittlerweile immer besser bekannten Welt abgrenzen will, um die eigene Identität zu profilieren, sondern eine Welt braucht, die völlig unbekannt ist. Dort kann er eine finstere Geschichte spielen lassen. Die große Zeit der Renaissance ist zu Ende, mit der sogenannten Gegenreformation kommen in der Literatur andere Topoi zur Geltung. Die klassischen humanistischen Bilder des Nordens reichen in dieser Zeit nicht mehr aus, man muß auch auf die rein christliche Tradition zurückgreifen. Der Norden ist wieder, wie bei Isidor, die letzte Region der Welt, ultima pars. Der Dichter selbst hat niemals die Regionen besucht, die er beschreibt.

Tasso braucht keinen eigentlichen geographischen Ort, sondern die Verneinung des ordentlichen Ortes, an dem man lebt oder leben möchte. Die 1554 in Rom erschienene Historia de gentibus septentrionalibus des Bischofs von Uppsala Olaus Magnus und die Gothorum Suenorumque Historia seines Bruders Johannes dienen ihm als Quellen der Inspiration, aber ihm geht es darum, den Norden als rein symbolische Dimension, als Jenseits der bekannten Welt, wiederzubeleben. In der Widmung an Vincenzo Gonzaga lokalisiert der Dichter im grauenvollen, von Monstern und Geistern bewohnten Norden, alles, was verbannt werden sollte. Der Norden als äußerste Grenze erinnert auch an die mittelalterlichen Kommentare des Buches Jeremia (XXXI, 8: "Ecce ego adducam eos de terra aquilonis / Et congregabo eos ab extremis terrae"), die darin die Versprechung einer universalen Erlösung sahen. Auch der Norden, äußerste Grenze der Menschheit und der Hoffnung, sollte schließlich erlöst werden.


zurück zu Herzliche Grüße aus Italien

heim zu Reisen durch die Vergangenheit