DER FLIRT MIT DEN ISLAMISTEN

Die politischen Eliten suchen den Dialog mit Milli Görüs, doch kritische
Journalisten werden von dem islamistischen Verband eingeschüchtert

von Eberhard Seidel (Berliner Dialog 20, 1-2000)

Tief verneigte sich der Professor vor seinen einstigen Gegnern. Vor drei Jahren noch hatte Udo Steinbach, Leiter des Deutschen Orient-Institut in Hamburg, vor den Gefahren gewarnt, die von islamistischen Gruppen in Deutschland ausgingen. Nun lautet seine Devise: "Es gibt eine neue Offenheit im Dialog. Und der antisemitische Duktus in vielen Publikationen hat sich entschärft."

Es war ein versöhnlicher Auftakt der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung "Mitbürger muslimischen Glaubens: Die vernachlässigte Minderheit", die am Donnerstag [4.5.2000] in Berlin stattfand. Auch Milli Görüs, der einflußreichsten Organisation des politischen Islam in Deutschland, stellte Steinbach ein gutes Zeugnis aus. Vergessen scheint, daß Milli Görüs die deutsche Öffentlichkeit seit Jahren systematisch belügt - über ihre Organisationsstruktur, ihre Ideologie, ihre Finanzierungsquellen, ihre Verbindungen zu Scientology und ihre Abhängigkeit vom türkischen Islamistenführer Necmettin Erbakan.
"Was ist mit dem Steinbach los?", rätselte Hasan Özdogan in der Kaffeepause. Der Vorsitzende des von Milli Görüs dominierten Dachverbands Islamrat für Deutschland erwartete keine Antwort. Er weiß: Nicht mehr Milli Görüs, sondern ihre Kritiker stehen heute im Gegenwind.
Während der Tagung am Donnerstag versuchte der Moderator, die Kritik des Kölner Journalisten Ahmet Senyurt an Milli Görüs als nicht nachzuvollziehende private Auseinandersetzung herunterzureden. Senyurts "Privatkrieg": Er deckte die jahrelange Zusammenarbeit zwischen Milli Görüs und Scientology auf, berichtete über die Geldtransfers für die muslimischen Rebellen im Tschetschenienkrieg und widmete sich in jüngster Zeit dem milliardenschweren Finanz- und Unternehmensimperium, das sich die Islamisten in Deutschland und der Türkei aufbauen.
Hasan Özdogan hat Oberwasser. Während der Podiumsdiskussion denunzierte er Senyurt als "schlechten Journalisten", der "falsch berichtet" und Milli Görüs "verleumdet". Ein überflüssiger Angriff. Denn die kritische Öffentlichkeit hat das Interesse an derlei Informationen verloren. Stattdessen flirtet sie mit hochrangigen Milli-Görüs-Funktionären. Allen voran die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung.

Mogelpackung Pluralismus
Seit Anfang des Jahres wirbt die Stiftung mit einer Veranstaltungsreihe für mehr Toleranz gegenüber der muslimischen Minderheit. Dabei setzt Organisator Thomas Hartmann auch verstärkt auf Milli Görüs.
Angekündigt sind die Referenten zwar als Vertreter des Islam-Kolleg Berlin, der Islamischen Grundschule Berlin, des Zentrums für islamische Frauenforschung und -förderung Köln oder des Instituts für internationale Pädagogik und Didaktik Köln. Der scheinbare Pluralismus ist eine Mogelpackung. Es sind allesamt Organisationen von Milli Görüs, die zentralistisch aus der Kölner Zentrale dirigiert werden.
Auch Politiker suchen die Nähe zu Milli Görüs. Zum Beispiel die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU). Als sie im Juli vergangenen Jahres die Broschüre "Moscheen und islamisches Leben in Berlin" vorstellte, kam es zum Eklat. Grund: Die Rolle des politischen Islam in Berlin wurde ausgeblendet. Kein Wunder. Sponsor des Werkes war Müsiad, ein von Islamisten dominierter Unternehmerverband, den Milli Görüs gern vereinnahmen würde.
Johns Rechtfertigung: "Wir bewegen uns in einer unheilvollen Diskussion, wenn der Versuch gemacht wird, sie zu Aussätzigen zu erklären."
Die neue Offenheit verwundert. Denn weder die liberale Christdemokratin John noch die Heinrich-Böll-Stiftung oder die evangelische Akademie in Loccum würden den Dialog mit der Deutschen Volksunion (DVU) pflegen.
Die DVU und Milli Görüs haben vieles gemeinsam - sie rufen nicht zur Gewalt auf, spalten aber die Gesellschaft mit Ungleichheitsideologien, haben eine undemokratische Führungs- und eine konspirative Organisationsstruktur und undurchsichtige Finanzquellen. Auch einen virulenten Antisemitismus teilen sie. Zwei Unterschiede gibt es allerdings: Milli Görüs ist erfolgreicher. Und der DVU schlägt der entschlossene Widerstand der Zivilgesellschaft entgegen.
Auch der außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, findet an Milli Görüs nichts Verwerfliches mehr. 1999 nahm er an der Jahresversammlung im Müngersdorfer Stadion von Köln teil. Lamers kritisiert das Bild, das deutsche Behörden von Milli Görüs haben: "Es ist stark geprägt durch das Bild, das die kemalistischen Kräfte in der Türkei von Milli Görüs haben. Damit kommt man nicht weiter."
Wie soll man Milli Görüs betrachten? Sie wurde auf Veranlassung von Necmettin Erbakan 1976 in Deutschland gegründet. Er bestimmt auch heute noch die Politik der Organisation. In der Türkei will sie die Ordnung durch ein auf Koran und Scharia basierendes System ersetzen. In Deutschland fordert man dies nicht, solange man in der Minderheit ist.

Wer die Spielregeln bestimmt
Umgesetzt wird die Milli-Görüs-Politik in Europa mittels hunderter Moschee-, Frauen-, Jugend- und Studentenvereine. Viele dieser Vereine leugnen ihre Abhängigkeit von Milli Görüs. Zum Beispiel die Islamische Föderation in Berlin, die kürzlich als Religionsgemeinschaft anerkannt wurde. Sie versicherte zumindest den Behörden glaubhaft, mit Milli Görüs nichts zu tun haben. In einem der taz vorliegenden internenen Organisationspapier von Mlli Görüs heißt es dagegen: Die "Islamischen Föderationen", die es in nahzu allen Bundesländen gibt, gehören Milli Görüs an.
Was hat eine Organisation zu verbergen, die so ausdauernd lügt? Die deutsche Öffentlichkeit hat das Interesse an einer Antwort verloren. Inzwischen bestimmt Milli Görüs die Spielregeln.
Ein Beispiel: Am 30. September 1999 veranstalte der von Milli Görüs dominierte Islamrat im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Berlin, eine Podiumsdiskussion. Eingeladen waren unter anderem Theo Sommer, Mitherausgeber der Zeit, Edzard Reuter, Peter Scholl-Latour und Michel Friedman vom Zentralrat der Juden. Den beiden Berliner Journalisten Claudia Dantschke und Ali Yildirim wurde der Zutritt zur Veranstaltung von Milli-Görüs-Ordnern verwehrt. Der Grund: Sie hatten Material eines Milli-Görüs-Aussteigers veröffentlicht, das belegt, wie Milli Görüs und ihre Tarnorganisationen die Öffentlichkeit täuschen und mit welchen Tricks Milli Görüs die CDU-Bezirksgruppe in Berlin-Kreuzberg unterwandern wollte. Hasan Özdogan gegenüber der taz: "Bei diesen beiden Journalisten handelt es sich um Unruhestifter, Verleumder, engagierte Gegner des Islam, die einen schmutzigen Journalismus betreiben." Den Journalisten Yildirim bezeichnete Özdogan als "früheren Kommunisten, radikalen, ungläubigen Aleviten mit großem Rachebedürfnis an Muslimen." Kommunist, Gegner des Islam, ungläubiger Alevit - in die Sprache der Islamisten übersetzt heißt dies: Gegen diesen Mann ist der Einsatz aller Mittel erlaubt. Niemand solidarisierte sich mit den beiden Journalisten. Michel Friedman (CDU) lobte die Veranstaltung als "Versuch des dialogischen Prinzips des Respekts".

Woher rührt die plötzliche Liebe zu Milli Görüs? Für Ahmet Senyurt ist die Sache klar: "Milli Görüs hat Einfluß auf das Ghetto. Und wer diesen Einfluss hat, den umwerben die Politiker." Viele Politiker wissen um den Sprengstoff, der in Stadtteilen wie Berlin-Kreuzberg liegt, wo mehr als dreißig Prozent der Immigranten arbeitslos sind. Milli Görüs bietet Hilfe an. "Wir bringen die Jugendlichen weg von den Drogen und der Gewalt", lautet ihr Angebot. "Wenn wir nicht wären, wäre es um vieles unruhiger in Berlin-Kreuzberg oder Köln-Nippes", gibt Mehmet Sabri Erbakan, Deutschland-Chef von Milli Görüs, zu bedenken.
Das muss nicht so bleiben. Hasan Özdogan fügte am Donnerstag (4.5.2000) drohend hinzu: Wenn die deutsche Öffentlichkeit Milli Görüs in die Ecke drängt, dann gibt es keine Integration.

Mit freundlicher Genehmigung des Autoren Eberhard Seidel, Berlin und der "Tageszeitung" (taz) Berlin übernommen aus taz Nr. 6135 vom 6.5.2000, S. 4, Themen des Tages


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