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EXPO 2000
"Mensch - Natur - Technik"

... oder:
"Arkadia: Das Imaginäre wird real."

Besuch auf der Expo am Samstag, dem 15. Juli 2000.
Ein Reisebericht.

Und ein vernichtendes (und rein subjektives) Urteil.
"Weltausstellung? Expo? Nie wieder."

http://www.zeit-kritik.de/


INHALT

Vorwort
Presse-Artikel

Die Preisliste - Die Übernachtung - Die Anfahrt - Der Einlass
Halle 19: Die Funsport-Halle - Halle 22: Die Kanada-Halle
Halle 26: Asien- und Pazifik-Halle - Halle 25 (Nebenhalle): Scape Medienwelt / Arkadia
Der Expo-See - Die Parkwelle zwischen 3. und 4. Boulevard
Der Pavillion von Thailand - Die Snack-Preise - Der Island-Block
Das "Big Tipi" - Der Pavillion von Singapur - "Stadt des Löwen"
Das ZERI-Haus - Halle 13: Die Service-Halle - Halle 12: Afrika-Halle
Der Telekom-Würfel - Halle 7: "Mensch" - Die stumme Telefonzelle
Die Abfahrt - Am Ende: Heimat

Fazit zur Expo: Nie wieder

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Expo 2000: Ein Reisebericht

 

Vorwort

Der vorliegende Bericht ist objektiv, was die Darstellung der Gegebenheiten anbetrifft, und er ist subjektiv, was die angelegten Maßstäbe und Urteile anbetrifft. Und mein Fazit lautet: "Expo: Nie wieder."

Andere Besucher der Weltausstellung freuen sich über das Angebot dieser Schau und gehen vielleicht sogar schon ein zweites oder drittes Mal dorthin.

Die Gründe, weswegen ich zu meinem äußerst negativen Urteil komme, sind:

  • Es fehlt nach meiner Beobachtung an Rücksicht auf ältere Menschen.
  • Der Besucher wird teilweise kindisch bevormundet oder schlicht schlecht bedient (Stichwort: "Parkhaus", "Halle 7").
  • Das didaktische Konzept bzw. seine Umsetzung ist in meinen Augen maximal dilettantisch; wenn es nach dieser Kategorie ginge, müsste die Ausstellung sofort geschlossen und das verbaute Steuergeld zurück gezahlt werden.

Wesentlich der letzte Punkt formt mein Urteil. Ich bin selber (im weitesten Sinne) in der Erwachsenenbildung tätig und habe selber ständig mit der Frage zu tun, wie man komplexe Zusammenhänge möglichst einfach, griffig, und doch stimmig und anwendbar vermittelt. Ich habe andere Ausstellungen gesehen, die in erheblichem Maße besser waren als die teilweise hilflosen, teilweise stümperhaften Ansätze der Weltausstellung. Und ich habe andere Länder gesehen, mich auf ihren Auftritt in Hannover gefreut - und bin bei einigen (vielen) bitter enttäuscht über das intellektuelle Fast-Food: Fast überall wird die Form mit dem Inhalt verwechselt, tritt der massive Einsatz von Video-Technik für sich allein an die Stelle der Nachricht, die es eigentlich zu übermitteln gälte.

Wer bereit ist, nur von bunten Bildern und völlig inhaltsleeren Installationen entzückt zu sein, wird auf der Expo2000 finden, was er/sie sucht. Wer aber nicht zur Generation völlig verblödeter Video-Kids gehört (die es vermutlich so auch gar nicht gibt, aber von mir prototypisch als Argument verwendet wird), sondern wer mit Anspruch auf Erkenntnis, Unterrichtung und Belehrung kommt, wird restlos enttäuscht. Für alles, was inhaltlich auf unterstem Niveau geboten wird, sind die vorhandenen Bücher und Museen besser. Spätestens ein Vergleich mit dem Deutschen Museum in München zeigt, wie völlig ärmlich diese Hannover-Schau der Gimmicks und Effekte ist bzw. was man im besten Falle didaktisch machen kann, wenn man nur will.

Man hätte auf alles, was nach inhaltlichem Konzept aussieht -wie etwa der "Themenpark"- , verzichten sollen. Statt dessen hätte das Geld in ein noch breiteres, fröhlicheres, die Menschen zusammen führendes Kulturfest investiert werden können / sollen.

Wenn die Menschen wie hypnotisiert auf Video-Wände schauen, auf denen Farben in Lichtblitzen vorbei huschen, tritt weder Einsicht über den betrachteten Gegenstand ein (weil es den nämlich gar nicht gibt), noch kommen sich die Menschen näher, noch lernen sie fremde Kulturen wirklich kennen.

Im Gegenteil: Auf der Expo unterwerfen sich alle Kulturen dem Einheitsbrei der Internet- und Video-Technik. Es ist Ekel erregend.

Es mag in der Bitterkeit meiner Urteilsfindung eine Rolle gespielt haben, dass wir von morgens bis mittags dort waren; wir haben von den nachmittags und abends stattfindenden Veranstaltungen nichts erlebt. Und doch: Für Konzerte und Folk-Festivals brauche ich keine Ausstellungshallen, am Ende auch keine Weltausstellung.

Das Konzept dieser Expo ist für mich komplett gescheitert. Es wäre gut, Weltausstellungen dieser Art für tot zu erklären und statt dessen "Welt-Festivals" stattfinden zu lassen, die ganz den Künstlern gehören: Vergängliche Kunst, Bildhauer, Musiker, Maler, Architekten. Das wäre etwas "zum Anfassen", das wäre ein Fest der Freude für Kinder. Die Passivitität, zu der sie vor den Video-Wänden verdammt sind, macht die Expo zu einem vergrößerten Fernseher oder Internet-Monitor. Das aber stelle ich mir unter "Welt"-Ausstellung nicht vor. Die "Welt" kann ich dann durch das echte Internet bereits heute viel besser "sehen".

Dass ausgerechnet der ärmste aller Kontinente -Afrika- , auf dem zur Zeit jeder dritte Mensch an Aids stirbt, die einzig einigermaßen authentisch und lebendig wirkende Halle besiedelt (ich weiß: auch die Händlerstände sind nicht wirklich "authentisch") - das ist die makabre Quint-Essenz, die das gescheiterte Konzept des video-technischen Größenwahns besiegelt.

Die finanziell besser ausgestatteten Asiaten hatten, an zweiter Stelle in dieser Skala folgend, immer noch mehr Charme als die Hallen westlicher Industrienationen, aber waren auch schon deutlich infiziert von der Vorstellung, man müsse Technik einsetzen, Videos, Lautsprecher mit Tekkno-Beat, glatte Fassaden. Während die Halle Afrikas den Eindruck vermittelte, man betrete ein winziges, kleines Stückchen dieses Kontinents, war bei den Asiaten größtenteils der Eindruck da, man wandele durch die Messestände einer Tourismus-Börse. Das mag nicht illegitim sein. Nur - was denn soll dann die Weltausstellung sein? Wofür steht sie? Was darf, was soll ich erwarten?

Kein Foto von hungernden Menschen; keine topografischen Karten mit Hinweisen auf Länder, denen das Trinkwasser ausgeht oder längst ausgegangen ist; keine soziologischen Karten mit Hinweisen auf Überbevölkerung und Aids-Infektionsrate ("Durchseuchung" heißt das jetzt); kein Hinweis auf Menschen, die bereits in zehnter Generation bei maximaler Köpergröße von 1,20m auf Müllhalden leben - nichts davon war zu sehen. Keine Empathie, kein Mitfühlen, kein Mitleiden, kein Helfen.

Zu sehen war nur:
Schöne, neue Welt.

Eine durch Technik verblendete Gesellschaft, deren Menschen sich immer mehr von sich selbst entfremden, die immer uneigentlicher werden, feiert sich selbst. Es ist bedrückend, da wird mir schlecht. Ich bin nicht der Meinung, dass eine Weltausstellung die hässlichen Seiten des Lebens hervor zu heben hätte - aber diese dumme Anneinanderreihung von Video-Clips, die einen Planeten zeigen, der so nicht ist, definiert mich herab zu einem Idioten, der ich nicht bin und nicht sein will.

Dafür bin ich mir zu schade.
Und dafür weiß ich zu viel von dem, was "da draußen" passiert.

Einem afrikanischen Kind aus einem südafrikanischen Township hätte ich diese Schau nicht gerne erklären wollen. Ich hätte stets ein schlechtes Gewissen gehabt - auch dann, wenn sich das Kind an den bunten Video-Clips, die es nicht verstanden hätte, erfreut hätte.

Und auch das afrikanische Township-Kind hätte ganz sicher eines gerne: Ein Fest zum Tanzen, Staunen, Feiern, bei dem die Menschen Freude in den Augen haben und sich an den Händen fassen. Wenigstens für den Moment.

Das jedenfalls ist mein subjektives Fazit einer Schau, die in meinen Augen keine ist.

Bonn, 17. Juli 2000

Frank R. Walther

 


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Presse-Artikel

2000-07-20 / FAZ

In ihrer Ausgabe vom 20. Juli 2000 druckt die FAZ (Nr. 166-2000, Seite 43) einen Expo-Bericht von Manfred Lindinger, der in etwa aus selben Beobachtungen zu ähnlichen Schlüssen gelangt. Zum Themenpark "Mobilität - Arbeit - Wissen" schreibt er am Ende: "Deshalb sollte man die Halle auch nicht in der Hoffnung auf ein tieferes Verständnis besuchen." Er beschreibt die bizarren Fehl-Leistungen in der Konzeption dieser Nicht-Ausstellung.

2000-07-20 / Die Zeit

Ulrich Schnabel kommt ebenfalls am 20. Juli 2000 in DIE ZEIT (Nr. 30-2000, Seite 23) zum selben Ergebnis: Die Expo hält nicht, was sie verspricht, und schätzt offenkundig den Besucher nicht besonders hoch ein: Zu wenig Erklärungen, zu viele schnell hingeklatschte Exponate und Video-Bilder. Er verteilt Preise für Schlecht-Leistung, so den "Oscar für Sprachlosigkeit" und "die goldene Zitrone für Fruchtlosigkeit." Was fehlt der Expo? Die "... richtige Mischung aus Werbung, Show und Inhalt. Daran wird noch gearbeitet."

 


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Reisebericht:

Die Weltausstellung "Expo 2000" in Hannover


 

Die Preisliste .

Ein paar Tage vor dem Besuch will ich mir die Preisliste der Expo im Internet ansehen: http://www.expo2000.de/ .

Da fängt das Wundern schon an: Erst tippe ich die URL "http://www.expo-2000.de/" (mit Bindestrich!), und mein Netscape sagt mir: "DNS-Server kann den Namen nicht auflösen." Dann versuche ich es mit "http://www.expo2000.de" (ohne Bindestrich!), und dann geht es. Welch ein beschämendes Laien-Schauspiel. Jedes andere Unternehmen meldet auch die nahe liegenden Namen an und lenkt den Besucher automatisch auf den "echten" Internet-Rechner um. Das kostet 2 Mark im Monat und eine einzige HTML-Zeile im Kopfteil der Seite. Aber selbst dafür scheinen weder Wissen noch Finanzen der Expo-Leitung zu genügen. So eine Blamage.

Ich hatte zuvor von den Preissenkungen erfahren: Die Parkplätze sollten nun gebührenfrei sein, und Kinder bis 12 Jahren sollten in Begleitung Erwachsener freien Eintritt haben, und die Aufpreise für Tageskarten sollen entfallen sein. Ich stelle fest, dass die Preisliste immer noch die alten Preise aufführt, aber oben im Tabellenkopf drei Fußnoten anzeigt. Ich blättere also bis zum Tabellen- und Seitenende hinunter und finde dort erst - in der Fußnote !! - die Hinweise auf die neuen Preise. Man muss sich fragen, warum eine eigene Tabellen-Spalte für "Kinder" beibehalten wird/wurde, wenn Kinder bis 12 Jahren freien Eintritt haben. Ein Tabellenkopf mit dem Titel "Jugendliche ab 13 Jahren" wäre deutlich angemessener gewesen.

Ich drucke die Seite aus und stelle verärgert fest, dass das Hintergrund-Raster den Ausdruck fast unleserlich macht. Mir fällt zudem auf, dass der Text so klein ist, dass alte Menschen alle Mühe haben müssen, ihn zu lesen.

Ich schreibe darum eine EMail an den WebMaster der Expo und beklage mich darüber, dass die Preis-Seite nicht geeignet ist, alten Menschen, deren Augenlicht schon nachlässt, das Lesen zu erleichtern, zumal bei dieser kleinen Schrifttype und diesem Ausdruck mit Hintergrund-Raster.

Erst nach Absenden der EMail blättere ich wieder an den Seiten-Anfang hoch und finde dort einen kleinen Sprungverweis ("link") mit der Beschriftung "drucken". Ich folge dem Link und finde nunmehr die Preislisten-Seite in einer für den Ausdruck geeignete(re)n Form.

Ich schreibe eine zweite EMail, teile mit, dass ich die Druck-Seite gefunden hätte, dass ich aber fragen möchte, warum dieser Hinweis nur klein und nur am Seiten-Kopf gegeben sei und nicht am Seiten-Ende, wo sich die hauptsächlich interessanten Fußnoten befänden?

Ich erhalte zwei Tage später eine höchst unfreundliche und pampige Antwort: Man habe die beste aller denkbaren Seiten entworfen, und was ich mir den heraus nehmen würde. Und überhaupt entspreche es der Erfahrung der Expo-WebMaster, dass die meisten Menschen gar nicht wüssten, dass sie aus dem HTML-Browser heraus die aktuelle Seite(n) drucken könnten. Mein Hinweis laufe also völlig ins leere.

Na, prima, denke ich: Da bin ich wohl fehl am Platze. Und irgendwie scheinen die Expo-WebMaster nicht ganz von diesem Planeten zu sein: Jeder Mensch, der durchs Internet blättert, tut das, um dann und wann eine Seite auszudrucken. Warum die Expo-WebMaster zu einem anderen Ergebnis kommen, ist restlos unverständlich.

Ein gutes Zeichen dafür, was sich die Expo-Macher unter "Benutzerfreundlichkeit" vorstellen.

 


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Die Übernachtung .

Wir -das sind: mein Sohn Moritz (8) und ich (39)- hatten am Vortag in Braunschweig Halt gemacht. Mein Büro hatte  mir das preiswerteste Hotel am Ort heraus gesucht; das Doppelzimmer ohne Bad sollte 90 DM kosten. Da wir in Braunschweig Verwandte besuchen, lag nahe, dort einzukehren und am Morgen des folgenden Samstages nach Hannover zu fahren.

Das Hotel ist schon etwas älter, länger nicht renoviert, hier und da etwas verfallen; aber es tut seinen Dienst.

Am Morgen hören wir folgende Erzählung der Hotelwirtin, die sie am Nachbartisch gibt:

Sie -sie meint sich und ihren Gatten- betrieben das Hotel nunmehr seit 30 Jahren, und in den letzten Jahren hätten sie mit einem anderen alteingesessenen Hotel zusammen gearbeitet, wenn das eigene Haus voll war und neue Gäste kamen. Der andere Hotelier habe in Erwartung des Expo-Geschäfts die Preise erhöht, er habe in die Renovierung investiert, und nun blieben die Gäste aus. Kürzlich habe er gesagt: Noch ein paar Monate so weiter, und ich muss schließen. Dann berichtet die Wirtin von einem der führenden Hotels in Braunschweig, das die Preise ebenfalls zur Expo stark angehoben habe. Von dort sei vor einigen Tagen ein neuer Gast zu ihnen gekommen, dem im teuren Hotel -in welchem er bis dahin Stammgast gewesen war- der übliche Preis verweigert und der fast doppelt so hohe Expo-Preis abverlangt worden war. Der Gast habe das als eine schlechte Entlohnung seiner langjährigen Treue angesehen und habe reichlich geschimpft und gesagt, dass er dorthin nicht mehr zurück kehren werde. Die Wirtin äußert, dass es eine richtige Entscheidung gewesen sei, die Zimmer-Preise in ihrem eigenen Hotel nicht zu erhöhen und sich auch sonst von der Expo nicht weiter beeindrucken zu lassen. Sie erzählt weiter, dass in Braunschweig die Buchungen kaum von der Expo beeinflusst seien; statt dessen seien die Hotelzimmer in Berlin belegt, und die Expo-Gäste kämen mit dem ICE -also per Bahn- zum Messegelände. Das sei etwa so schnell wie von Braunschweig aus mit dem Auto, wenn nicht gar schneller. In Berlin koste das Expo-Hotelzimmer inzwischen rund 400 Mark, und das werde sogar gezahlt. An Braunschweig aber sei das Geschäft vorbei gegangen. Hotels, die investiert und auf neue Gäste gehofft hätten, stünden nun im schlechtesten Falle vor dem Ruin.

Schöne, heile Expo-Welt.

So war die Regional-Förderung durch die Weltausstellung wohl nicht gedacht gewesen.

 


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Die Anfahrt .

Wir fahren am Samstag gegen 08:20 Uhr in Braunschweig los, nachdem wir noch getankt hatten, und kommen kurz nach 09:00 Uhr nach freier Fahrt bei den Parkhäusern an. An der letzten Ampel hatte sich just ein Auffahr-Unfall ereignet, den die gegenüber im Streifenwagen stehenden Polizisten noch nicht bemerkt hatten - sie mussten wohl gerade mit Besserem beschäftigt gewesen sein, denn erst durch das Hinüberlaufen der Fahrerin eines der Unglückswagen wurden sie aufmerksam. Gähnende Trägheit des Morgens.

Wir kommen an der Unfallstelle vorbei und haben dann freie Einfahrt ins Parkhaus.

Als erstes fällt auf, dass wir in das am weitesten vom Haupteingang Nord liegende Parkhaus geleitet werden (Nord 4, Ebene 1, Eingang E). Niemand ist auf die Idee zu gekommen, die früh morgens Anreisenden in das zunächst liegende Parkhaus zu geleiten (Nord 4, Eingang A). So haben wir völlig unnötig den längsten aller denkbaren Fußwege bis zum Haupteingang Nord.

Dies darft wohl als Zeichen dafür gewertet werden, (a) dass keine Lahmen, Fußkranke oder Alten als Besucher geeignet sind, (b) dass der Expo-Leitung wenig der Sinn danach steht, es den Anreisenden möglichst leicht zu machen. Wo kämen wir denn da auch hin. Benutzerfreundlichkeit !?

Täglich kommen, so noch die letzten Nachrichten, nunmehr rund 15.000 Besucher per Pkw, während es noch vor der Preis-Ermäßigung nur 5.000 täglich waren. Ob dieser geradezu gigantomanische Besucherstrom die Parkhaus-Planer gehindert hat, das nächstliegende zu tun? Oder haben sie von vornherein vor dem Massenansturm kapituliert?

Fragen, Fragen, aber keine Antworten.

 


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Der Einlass .

Da wir wirklich sehr früh da sind -etwa 09:15 Uhr- , können wir unsere Tageskarte kaufen, ohne anstehen zu müssen. Es ist kaum jemand da. Es strömen mehr Bedienstete der Expo durch den Personal-Eingang als Gäste durch die Besucher-Eingänge.

Noch vor der Sperre, die elektronisch unsere Tageskarte eingeliest und den Durchgang frei gibt, wartet ein junger Mann mit Rollwägelchen und "dem offiziellen Expo-Plan", der 5 Mark kosten soll. Ich habe 4,95 Mark und biete sie dem jungen Mann an. Nein, sagt er, darauf könne er sich nicht einlassen, sonst bekomme er Ärger. Nun, denn, das mag so sein. Er ist offenkundig nicht befugt, frei zu verhandeln. Wer weiß, vielleicht gilt ja auch die Preisbindung auf Druckerzeugnisse.

 


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Halle 19: Die Funsport-Halle .

Die Dame an der Tageskasse hat Moritz gesehen und rät uns sehr freundlich, doch als erstes die "Funsporthalle" zu besuchen, die gleich rechts hinter dem Eingang liege. Gehört, getan.

Wir müssen am Eingang der Halle noch ein paar Minuten warten, da erst um 09:30 Uhr geöffnet werden soll (es ist 09:35 Uhr, aber das kann mal so kommen). Die Wartezeit lässt Ruhe, durch die Glastür in die Halle zu blicken:

Rollschuhbahnen, Skateboard-Halfpipe, Beachball-Plätze, Hängematten - und nur eine einzige Sitzbank in der Halle.

Aha, denke ich - die Jungen lassen ihre überschüssige Kraft ab, und die Eltern oder gar Großeltern stehen sich die Beine in den Bauch. Womöglich sollen sie auch gar nicht ihren Kindern oder Enkeln zusehen können, sondern über die Expo laufen und Geld ausgeben.

So bekommen die Kinder nicht recht Gelegenheit, ihren Eltern und Großeltern in Ruhe und mit Zeit etwas vorzuführen, denn wenn den Älteren erst einmal die Beine in den Bauch stehen, werden sie sich gewiss an einen Ort entfernen, der Sitzplätze bietet.

Es scheint nicht der Ort zu sein, der freundlich zu Familien und/oder Alten wäre.

Die ganze Veranstaltung, so werde ich bei Abreise wissen, sollte noch reichlich Gelegenheit haben, diesen Eindruck zu verstärken.

Moritz bedauert, seine Rollschuhe (die wir im Auto haben) nicht angezogen zu haben. Ich sehe mich um und finde keinen Inliner-Verleih. Es wäre wohl zu einfach gewesen, den Kindern und Jugendlichen gegen Pfand die Rollschuhe und Skateboards auszuleihen. Na, ja - jede Bowling-Bahn ist da besser sortiert. Oder hätte ich da etwas übersehen? Vielleicht ist es auch noch zu früh am Tag?

Wir gehen weiter.

 


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Halle 22: Die Kanada-Halle .

Für jemanden, der Kanada im Westen einmal bereist hat, ist Neugierde der natürliche Reflex, wenn er vor der Halle "Kanada" steht.

Wir freuen uns an den Wasserwänden, die neben dem Eingang links und rechts stehen, und warten auf den nächsten Einlass. Ein junger, freundlicher Mann weist mit französischem Akzent darauf hin, dass es drinnen alle 10 oder 20 Minunten eine Vorführung gebe, und deswegen sei nur alle 10 oder 20 Minuten Einlass. Dann ist es so weit.

Wir betreten die erste Multi-Media-Schau unseres Expo-Besuches - und, wie sich später heraus stellen sollte, nicht die letzte. Der Fußboden besteht aus Glas- oder Kunststoffplatten, unter denen Video-Monitore das Bild fließenden Wassers zeigen. Es soll wohl verdeutlichen, wie es wäre, wenn wir über vereiste Bäche kraxeln würden.

Ansonsten sind die Wände voll behängt mit mal kleinen, mal großen Leinwänden, die per Projektor Video-Clips zeigen, die sich etwa alle 20 oder 30 Sekunden wiederholen. Schnelle Bildfolgen, keine Zusammenhänge, Kopfschmerzen, Langeweile, Leere. Dazwischen TV-Monitore mit dem selben Inhalt und der selben Wirkung.

In einer Ecke tatsächlich mal etwas Gegenständliches: Ein alter Schnee-Schlitten (ohne Husky-Puppen, die für Kinder sicherlich der Beachtung und des Streichelns wert gewesen wären) und ein Motor-Schlitten. Ein Hinweis auf den Unterschied zwischen Früher und Heute? Oder die Gleichzeitigkeit von Alt und Neu? Der Betrachter wird mit dieser Frage allein gelassen. Dazwischen ein imitiertes Stein-Bildnis, das wohl ein prähistorisches Bauwerk früherer Eskimos zeigen soll. Oder auch nicht. Beschriftet ist es jedenfalls nicht. Über allem - wie könnte es auch anders sein - die größte Leinwand der Kanada-Halle. Zu sehen sind Überflug-Bilder aus den Rocky Mountains. In jeweils drei Sprachen wird der Name des Berges, des Flusses oder der Landschaft eingeblendet. Aha. Jetzt haben wir wenigstens, was Kanada anbetrifft, den sprichwörtlichen Überblick.

Dann sind wir auch schon am Ende des von Flimmerwänden angefüllten Rundgangs, und wir stehen vor verschlossenen Türen. Dahinter verbirgt sich, wie uns ein Bediensteter freundlich mitteilt, der Raum, in dem die Vorführung stattfindet, derer wir gleich teilhaftig würden. Irgendwie scheinen die ganzen Video-Installationen der Vorräume nur dazu gedacht, den in Warteschlange anstehenden Menschen die Langeweile durch möglichst viel Bildgeflimmer zu vertreiben. Über Kanada jedenfalls lerne ich nichts. Es scheint leichter zu sein, beliebige Bild-Fetzen hinter einander zu schneiden, als Fotos und Schrifttafeln zu gestalten, die dem lesenden und wartend vorüber ziehenden Betrachter einstimmen und lehrreich begleiten.

Die Türen öffnen sich, wir treten ein: Ein Brunnen in der Mitte, kreisrund gebaut, darum ebenfalls kreisrund Sitzbänke in mehreren Reihen. Unter der Decke oberhalb des Brunnens eine kreisrunde Leinwand; da herum mehrere kleine Leinwände, ebenfalls jeweils kreisrund. Eine Lautsprecher-Stimme gibt bekannt, dass bei der folgenden Vorführung etwa einsetzendem Schwindel durch das Schließen der Augen zu begegnen sei.

Dann setzt ein Wasserspiel ein, und mit der einsetzen Musik kommt die Hoffnung auf eine Wasserorgel auf; dann aber hat das Wasserspiel sogleich wieder ausgedient, und es setzt die Video-Projektion ein: Die Lichtquellen sind im Zentrum des Brunnens eingelassen, von dort werden die Bilder nach oben auf die zentrale sowie die kleinen Neben-Leinwände geworfen.

Nun folgt non-stop eine endlose Folge von Bildern, die restlos ü-ber-haupt nicht mit einander zu tun haben. Farmer, EDV-Techniker, Kinder, Schnee, Berge, Autos, Hochhäuser, Leute mit Telefon, Leute ohne Telefon, Menschen im Kornfeld mit Telefon, Menschen auf der Straße ohne Telefon, Leute mit Computer-Monitor, Leute ohne Computer-Monitor ... alles in rasant kurzen Folgen zusammen geschnitten, mit überlauter Beschallung (die als "Musik" zu bezeichnen nur bedingt dem Charakter der Akustik entspräche).

Ich schließe die Augen. Nicht, weil mir schwindlig wäre, sondern wegen der inneren Leere, die sich bei Betrachtung dieser völlig inhaltsleeren Bilderfetzen einstellt, sowie wegen der Enttäuschung, die sich notwendig einstellen muss.

Was hätte man nicht alles machen können, um die wunderschönen Landschaften Kanadas im Bild vorzustellen!

Aber die Multi-Media-Schau lässt aus den Lautsprechern nur Musik erschallen (oder das, was man dafür halten soll), nicht aber eine Stimme, die etwas über das Land erklären würde (etwas, das im Pavillon von Singapur besser gelöst sein würde). Die Bilder der Schau sehen sich an wie ein endloser Werbe-Film der Ditigial-Industrie: Mobil telefonieren, Computer, Trick-Animation, Daten-Kommunikation.

Was hat das mit Kanada zu tun? Jedes Land dieser Welt betreibt bzw. nutzt inzwischen diese Techniken.

Zweifel über Zweifel, und die große Enttäuschung eines Kanada-Reisenden, der die Weiten des Landes, die Majestät der Berge, die Schönheit der Almen und Matten in den Rocky Mountains kennen und lieben gelernt hatte.

War das echte Kanada mit seinen Weiten der Natur in der neuen, schnellen, bunten Welt der Internet-Bilder nicht mehr "Hype"?

 


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Halle 26: Asien- und Pazifik-Halle .

Die hier untergekommenen Länder stellen sich mit traditionellen Häusern ihrer landestypischen, historischen Architektur vor: Holzhäuser aus Malaysien, Indonesien, Fidschi, oder ein alter Stein-Tempel aus den Vorzeiten des alten Iran. Wenigstens atmet diese Halle etwas Flair, das in der Halle Kanadas so sehr gefehlt hat.

Die kleineren und größeren Stände laden zum Verweilen ein, da fast überall traditionelle Handwerkskunst ausgestellt ist. Moritz interessiert sich sofort für pazifische Musik-Instrumente, etwa einem Limbaphon (oder ähnlich), großen Gongs, kleinen Flöten. Schade, dass wir so früh da sind, dass noch keine Darbietungen zu hören oder sehen sind.

Die Stände sind leer und verlassen; wir sind offenkundig zu früh eingetroffen. Niemand interessiert sich für uns oder will uns für irgend etwas interessieren.

Wir schlendern mit Muße durch durch diese Halle; der Kontrast zur Ruhelosigkeit der Kanada-Halle ist mit Erleichterung und Wohlgefühl wahrzunehmen. Doch leider ist auch hier zu erleben, dass der Video-Wahn auch hier Einzug erhalten hat: Aus einigen Ständen (Häusern) dringt überlaut Lautsprecher-Beschallung, Lichtfetzen in schnellen Farbwechseln zeigen, was drinnen gespielt wird. Der Versuch nebenan, mit traditioneller Musik einen Hauch von Asien erfahrbar zu machen, scheitert am Lärm von nebenan. Wir gehen weiter.

Wir kommen am Stand von Iran vorbei. Ein alter Tempel wurde aus Pappmaché nachgebaut, und das Thema ist unverkennbar "Wasser". Kleine Schrifttafeln erklären, wie die Menschen des Iran zu verschiedenen historischen Zeiten mit dem kostbaren Nass umgegangen sind. Zwar sind die Beschriftungen nicht immer in korrekter deutscher Grammatik oder Rechtschreibung, aber das wäre kleinlich gedacht, ist doch der Stand des Iran einer der wenigen, die sich die Mühe machen, dem Thema der Expo in einiger Weise gerecht zu werden. Eine Ausnahme. Und doch denke ich beim Verlassen des Iran-Standes: Eine einzige "Sendung mit der Maus" erklärt zum Thema "Trinkwasser" mehr (und besser) als dieser Stand. Gewiss: Der kleine Beitrag eines einzigen Landes ist kein didaktisch-pädagogisches Lehrwerk. Und doch: Die Expo hat ein Thema, und die Iraner sind nah dran. Ansonsten gilt: Sie können allein nicht wett machen, was die anderen Länder an Bemühungen fehlen ließen.

So bleibt der Eindruck, dass die Expo irgendwie das Ziel verfehlt haben könnte (und wir sind ja erst am Anfang unseres Rundganges). Es bleibt auch die Frage, wie es am Nachmittag aussehen würde, wenn (falls überhaupt) sich Tausende auf dem engen Boden des Pappmaché-Tempels drängen und sich nur mühsam Zentimeter für Zentimeter voran schieben und drängeln würden. Wer wäre da noch aufnahmefähig für die Nachricht: "Wasser ist kostbar"? Vermutlich wäre die einzige Verbindung zum Thema "Wasser" der dringende Wunsch der Besucher, ein kühles Getrank zu sich nehmen zu dürfen.

Moritz entdeckt einen Kinder-Spielplatz, der -durchaus sinnig- dem Zutritt und den Blicken der Erwachsenen entzogen ist. Ich warte am Ausgang, und Moritz erzählt, als er heraus kommt, dass es darum gegangen sei, den Spielplatz auf den Schiffstrümmern und sonstigen baulichen Einlassungen zu überqueren, ohne den Sandboden zu berühen. "Papa, das war doch ganz einfach!" Na, immerhin eine kleine Bewegungsübung für die Kinder.

Vorbei an dem großen Stand Uszbekistans verlassen wir die Halle.

 


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Halle 25 (Nebenhalle): Scape Medienwelt / Arkadia .

"Arkadia: Das Imaginäre wird real."

Wir betreten die Halle 25, und es sind Geräusche zu hören, die wie Sphärenklänge anmuten, gemischt mit Tonfetzen aus einem tropischen Urwald. Wie sich zeigt, soll das wohl auch so sein.

Wir sehen einen mittelgroßen Raum, der lediglich Bambus-Stämme enthält. (Da Bambus zur Familie der Gräser zählt, müsste man es eigentlich "Halme" nennen, was aber der Größe nicht gerecht wird.) Bambus-Stämme ohne Blätter, aufgestellt in etwa einem Meter Abstand, ziemlich durcheinander. Mittendrin stehen fünf oder sechs Plastik-Tische, jeweils umgeben von drei oder vier Plastik-Stühlen. Aha, denke ich, ein Ort zum Entspannen und zum Verweilen und Picknicken (viele bringen ihre eigenen Nahrungsmittel mit, wie wir auch). Wir lassen uns also nieder und speisen.

Da sehe ich eine Bodenplatte zwischen den Bambus-Stängeln, und ich gehe hin uns lese. Da steht: "Arkadia. Das Imaginäre wird real." Man solle das Phantastische auf sich wirken lassen, um sich andere Dimensionen der Wahrnehmung und des Seins zu erschließen. So oder so ähnlich. Man mag mir vorwerfen, dass ich weder Metaphysiker bin, noch an verschiedenen Formen der psychodelischen Bewusstseins-Erweiterung interessiert - ich jedenfalls stelle für mich fest, dass das ein gewalter, blöder Unsinn ist. Und für ein witziges Happenig, für eine -Entschuldigung!- Verarschung des Besuchers ist das Ganze zu platt, zu eindimensional (in seinem denkbaren Bedeutungsgehalt).

Moritz bemerkt, dass mich das beschäftigt. Er fragt. Ich fordere ihn im Gegenzug auf, durch den Hain der Bambus-Strünke zu laufen. Er tut es ein Mal, er tut es zwei Mal. Er kommt zurück und sieht mich fragend und erwartungsvoll an. Nun, wie fühlst du dich?, frage ich ihn. - Wie soll ich mich fühlen?, fragt er zurück. - Nun, frage ich wieder, fühlst du dich anders oder besser? - Nein, sagt Moritz, warum auch? - Das hätte ich wohl erwartet, antworte ich ihm. Dann zeige ich auf die Bodenplatte und fordere ihn auf, den Text zu lesen. Er tut das und kommt zurück und meint: Papa, das habe ich nicht verstanden. - Ich auch nicht, erwidere ich.

Mit einem gequälten Eindruck machen wir uns auf und davon.

Im zweiten Teil der Halle "Scape Medienwelt" erblicken wir aufgeblasene Plastik-Figuren, die kleine Palmen und/oder Bambus-Haine darstellen sollen, sowie Ruheliegen, dazu erklingen nun etwas lauter die Sphären- und Urwaldklänge.

Da unser Bedarf an Plastik-Luftsesseln und grüner Neon-Beleuchtung nicht sonderlich groß ist, ergreifen wir die Flucht zum Ausgang.

Wie das wohl sein wird (würde), wenn sich bei den erwünschten 150.000 Tagesbesuchern die Massen hier herein und wieder heraus schieben würden? Das dürfte eine ganze andere Dschungel-Erfahrung sein, als die Damen und Herren Konzept-Künstler sich das gedacht haben dürften.

Wenn man bedenkt, dass die Camping-Tische, an deren einem wir selber gegessen hatten, schon sämtlich besetzt waren, obwohl es noch früh am Morgen und das Gelände fast leer war, dürfte bei voller Besucherstärke sicherlich Platzmangel herrschen. Na, ja, das kann man den paar Camping-Tischen auch nicht zum Vorwurf machen. Und die "Arkadia"-Stängel können auch nichts dafür.

Vermutlich kommt daher auch der Hinweis: "Das Imaginäre wird real" ... Mark Twain hat in seinen Geschichten über Tom Sawyer und Huckleberry Finn mit viel Witz beschrieben, wie Tom seinen Freund Huckleberry einlädt, den Blitzableiter hinauf zu klettern, und wie er auf dessen Fluchen hin diesem rät, es sich leichter zu machen, indem er den Blitzableiter für eine Treppe halten solle ... so soll das wohl mit "Arkadia" gemeint gewesen sein und damit, dass das Imaginäre real würde.

 


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Der Expo-See .

Wir steigen gegenüber der "Scape Medienwelt" ein Gerüst hinauf und stehen dann auf einer Zuschauer-Tribüne, von der herab wir auf den "Expo-See" blicken. Tatsächlich sehen wir einen jämmerlichen Tümpel, voll von Kabeln, technischen Geräten, Kisten, Gerüsten ... nichts davon ließ von einem "See" etwas übrig, sofern es den je gegeben haben sollte.

In der Mitte steht der Messe-Turm und tut so, als ginge ihn das alles nichts an.

Wir schließen uns dieser Meinung an und verlassen diesen tristen Ort.

(Mag ja sein, dass in der Nachmittagssonne die Aufführungen in ganz anderem Lichte erscheinen und das Publikum mit Freude erfüllen; wir aber sehen nur Technik, Unordnung, Tristesse. Na, ja, vielleicht war es unser Fehler gewesen, morgens früh zu kommen. Und, doch - )

 


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Die Parkwelle zwischen 3. und 4. Boulevard .

Wir wollen zur nordwestlichen Bodenstation der Gondelbahn laufen, um von dort unseren Rundgang entgegen dem Uhrzeigersinn zu starten.

Vom Expo-See her erreichen wir den "4. Boulevard", der entlang eines erhöhten Grünstreifens verläuft, unterqueren denselben, wo er über eine Brücke läuft, und erreichen den "3. Boulevard".

Ich stelle fest: Es gibt keine (oder nur gut versteckte) Sitzbänke. Wer sich hier niederlassen wollte, würde bitter enttäuscht. Wer sich in der Sonne ein wenig wärmen wollte, bliebe darauf angewiesen, sich ins Gras zu legen (sofern überhaupt erlaubt). Alte Menschen, Lahme, Fußkranke jedenfalls... das alte Thema.

Irgendwie scheint alles nur noch virtuell gemeint zu sein ... "Arkadia - das Imaginäre wird real." Irgendwie kommt es mir langsam vor, als sei dies das versteckte Motto dieser ganzen Veranstaltung, und als seien die paar Camping-Tische und Plastik-Aufpump-Liegen in der "Scape"-Halle die einzige Pausen-Möglichkeit. (Was sich später als falsch heraus stellte: Der alte Messe-Teil hat reichlich Sitzbänke - nur eben der neue Expo-Teil nicht. Welches Zeichen für Planung und professionelle Ausstellungs-Technik!)

Wir bestaunen noch ein paar tote, ins leere Nichts aufgestellte Baumstämme, die als Gerüst für aufwachsenden Efeu dienen. Kunst am Bau - und sicher gar nicht mal so übel, in einem oder zwei Jahren vielleicht.

 


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Der Pavillion von Thailand .

Auf dem Weg zur Gondel-Bodenstation kehren wir bei Thailand ein.

Am Eingang steht ein junges Thai-Mädchen und heißt jeden Gast einzeln mit dem landesüblichen, traditionellen Gruß willkommen. Sie lächelt jedes Mal neu, obwohl sie es schon ein paar Tausend Mal getan haben muss. Das Mädchen ist eines der beiden Lichtblicke des ganzen Besuchs.

Die Thailänder haben ebenfalls ein paar kleine Video-Installationen, aber unauffällig und sparsam - und leider (wenigstens teilweise) in Englisch. Na, - was zählt, ist, dass sie dem vermeintlichen Zauber dieser Technik nicht erlegen waren.

Der Pavillion atmet das Flair des alten Thailands, wie es früher einmal bestanden haben mag, zeigt, wie früher gelebt, gefischt, geackert, gefeiert wurde. Dann kommt der Zeitsprung, und die Lebensmittel-Erzeugung des heutigen Thailands wird dargestellt, so gut das eben auf den paar Quadratmetern geht.

Im Gegensatz zu anderen Ländern hat Thailand nicht nur auf den Lärm und auf die Bilder der Video-Installationen (fast) verzichtet, sondern auch auf die platte Tourismus-Werbung, die uns noch so oft begegnen soll.

Vor einem historischen Wandgemälde erkläre ich Moritz, warum die Bauern früher ihre Holzhäuser auf Stelzen gebaut haben. Moritz: Löwen? Schlangen? Räuber? Nein, erkläre ich: Wo haben denn die Bauern gebaut? Moritz: Im Urwald? Ich: Ja, und wo da? Moritz (nach etwas Nachdenken): Am Wasser? Ich: Ja, und jetzt achte mal auf die Stelzen!? Da hatte er's.

Wir sehen Figuren fürs Schatten-Theater, traditionelle Gewänder, tropische Pflanzen ... schade, dass der kleine Pavillion von Thailand so ganz alleine da steht - im übertragenen wie offensichtlichen Sinne.

 


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Die Snack-Preise .

Auf dem Weg zur Gondel-Bodenstation kommen wir zum ersten Mal an einem Snack-Stand vorbei. Wir können eine Bratwurst mit Pommes für 4,90 Mark kaufen. Ein paar Schritte weiter gibt es ein vergleichbares Angebot für 3 Mark. Was war das?

Im Fernsehen war noch die Rede davon, dass ein Hamburger (McDonald's ist oft vertreten) oder dass andere kleine, warme Happen zwischen 10 und 20 Mark teuer seien - davon war nichts zu sehen.

Sollten die geringen Besucherzahlen hier die Preise nach unten korrigiert haben - so, wie das bei den Preisen der Tageskarten auch gewesen ist?

Na - wir hatten uns selber verpflegt, uns traf es nicht. Eindrücke im Vorübergehen eben.

 


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Der Island-Block .

Von der Gondel-Bodenstation aus gehen wir ein paar Schritte weiter zum blauen Riesen-Quader Islands. Er besteht aus blauen Plastik-Wänden, an denen Wasser herab läuft - wie beim Eingang zur Kanada-Halle, nur eben riesig groß, über alle vier Seiten des Quaders. Es ist ein imposantes Schauspiel, neben dem Block zu stehen und die Kante und am Wasser entlang in den Himmel zu blicken.

Wir stellen uns ans Ende der Schlange, die sich vor dem Einlass gebildet hat, und trippeln uns langsam heran.

Im Innern schlängelt sich ein Schnecken-Aufgang in die Höhe, dessen Zentrum den Gegenstand der Betrachtung zu bilden schien, wie die hinein blickenden Menschen verrieten. Wir trippeln also die Rampe hoch, bis wir einen Stehplatz am Geländer mit Blick auf das unten liegende Zentrum am Boden finden.

Und was sehen wir? Richtig - eine Video-Installation in der Bodenplatte. Irgendwie war ich schon gar nicht mehr überrascht.

Ein Wasserstrahl schoss in die Höhe, und wieder stellte sich die Hoffnung auf eine Wasserorgel ein, und wieder wurde diese Hoffnung enttäuscht, denn gleich sackte der Wasserstrahl wieder in sich zusammen. Wie sich später heraus stellen sollte, zeigt der Wasserstrahl schlicht an, dass es Zeit ist für den Schichtwechsel.

Unten auf der Bodenplatte, unter einem dünnen Wasserfilm, sehen wir die endlose Bilderfolge von Überflugaufnahmen, die sämtlich folgendes zeigen: Wasser, Eis, mit Moos bewachsene Felsen, Gletscher, Steine; Wasser, Eis, mit Moos bewachsene Felsen, Gletscher, Steine; Wasser, Eis ... und das rund 10 Minuten lang, vielleicht waren es aber auch nur 5, und es kommt mir vor wie 10 Minuten. Nur für ganz kurze Zeit gibt es Beschallung aus den Lautsprechern; entweder ist das Tonband gerissen, oder für die Klangtechnik hatte die Zeit nicht mehr gereicht.

Mir ist nicht ganz klar, warum Überflugbilder etwas mit Island zu tun haben sollen, zumal sie auch aus (fast) jedem anderen Land dieser Welt hätte stammen können, sofern es nur über hohe Berge, Eis und Gletscher verfügt. Island? Ich sehe nicht wirklich "Island".

Was hätte sich nicht angeboten!

Warum wird nicht stolz berichtet davon, dass Island in wenigen Jahren seine Energie vollständig aus den Geysiren bzw. aus Heißwasser-Quellen beziehen und von fossilen Brennstoffen völlig unabhängig sein wird? Warum wird nicht vom Fischreichtum gesprochen, warum nicht von der praktisch (fast) gegebenen Vollbeschäftigung auf der Insel im Atlantik?

Statt dessen: Nur wieder Video-Clips, meist stumm, tonlos ... nur bewegungslos unterbrochen von den Münzen, die wohl Besucher auf die Bodenplatte geworfen hatten.

Am Ausgang wollen uns links und rechts stehende Regale nötigen, Bier und Seife der Sponsoren zu kaufen, und wir werden gleich darauf hingewiesen, wo's das alles zu holen gibt: http://www.blue-lagoon.is/ ... irgendwie verschafft sich der Eindruck Raum, die Expo sei eine einzige, große Video-Installation.

 


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Das "Big Tipi" .

Wir kommen am "Big Tipi" vorbei, und Moritz eilt darauf zu in Erwartung von Indianern.

Wir finden aber nur einen großen Ramsch-Laden mit Souvenir-Artikeln.

So bleibt die Aufmerksamkeit auf den Baum-Strünken hängen, die davor stehen. Vielleicht als Sinnbild für die abgeholzten Regenwälder Kanadas? Keine Erklärung, keine Schrifttafel, nichts. Vielleicht muss man sich hier alles Sinvolle wirklich selber denken: "Das Imaginäre wird real..." Ich muss auf der falschen Ausstellung sein.

 


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Der Pavillion von Singapur - "Stadt des Löwen" .

Wir betreten das Haus, und eine Rampe führt uns aufwärts, vorbei an ... richtig, man konnte es ahnen: vorbei an Video-Wänden, Monitoren, Digital-Beschriftungen ... blendend, reißerisch, markschreierisch. Aber, na-ja: Irgendwie streben alle voran, und so scheinen die Video-Wände nur dem Zeitvertreib zu dienen, falls sich einmal die Warteschlange, bewegungslos verharrend, an den Seitenwänden festfressen sollte ... bei uns geht es gut voran.

Wir kommen über das Dach des Gebäudes, und es regnet. Vermutlich finden hier bei Sonnenschein und nachmittags kleine Darbietungen statt. Wir sehen nur Waschbetonplatten im Regen.

Dann gelangen wir wieder ins Innere, und wir werden von einer Betreuerin aufgefordert, vor den Eingängen zum Vorführ-Saal zu warten. Über den Türen sind zu unserer aller Zeitvertreib angebracht ... richtig: TV-Bildschirme, die einen Video-Film zeigen, in dessen Folge ein Zeichentrick-Löwe versucht, uns für Singapur zu interessieren. Wir hören eine gequetsche Disneyland-Stimme, die aus den Verfogungsjagden von Tom-&-Jerry stammen könnte. Wir warten geduldig, dann dürfen wir hinein.

Es gibt zwei, drei Reihen mit kleinen Sitzen, ansonsten gibt's hinten Stehplätze. Wir finden einen Sitzplatz und blicken auf eine Plastik-Urwaldszene. Das Licht geht aus, und auf zwei Leinwänden läuft eine Video-Schau an. Es erscheint der Gründer des vormaligen britischen Handels-Stützpunkts "Singa-Pura" (Stadt des Löwen), und es wird in kurzen Bildern der historische Werdegang bis zum 20. Jahrhundert gezeigt. Das alles schaut sich an wie ein Werbe-Film des Britischen Empire; ich habe meine Zweifel daran, dass die Bewohner von Singapore heute irgend welche Identifikation mit dem alten britischen Gründer zeigen würde. Aber vielleicht liege ich da ja auch falsch.

Schon ist alles vorüber, das Licht geht an, wir stehen auf und welchseln in den nächsten Kino-Saal. Hier erwischen wir nur einen Stehplatz, aber das macht nichts. Licht aus, Film an.

Hier wird Singapur in seiner heutigen Erscheinungsform gezeigt: Über 4 Mio. Menschen auf einer kleinen Insel. Es wird stolz auf den neuen Flugplatz verwiesen, der in den Ozean hinein gebaut wurde, sowie auf das moderne Transportwesen mit mehrspuriger Autobahn und automatischen Maut-Stationen.

Das Gute ist: Im Pavillion von Singapur erleben wir den einzigen wirklich sinnvollen Einsatz der Video- und MultiMedia-Technik. Man gibt sich leidlich Mühe, uns für die Insel zu interessieren und uns zu zeigen, wie die Menschen dort leben.

Das Schlechte ist: Das, was dem Thema der Expo wirklich angemessen gewesen wäre, wird überhaupt nicht gezeigt: Wie sichert man auf einer winzigen Insel über 4 Mio. Einwohnern das Trinkwasser? Wie werden die Küstengewässer so geschützt, dass Fische und Krabben weiterhin genießbar und die Strände sauber bleiben? Woher stammen die Lebensmittel, mit welchen Ländern wird Handeln getrieben, wenn die eigene Bodenfläche längst nicht ausreicht, um die Ernährung zu sichern?

Keine dieser Fragen wird auch nur gestellt - und beantwortet schon gar nicht. Statt dessen auch hier wieder -in der zweiten Schau- schnelle Bilderfolgen, rasante Schnitte, teilweise zehn oder zwölf Bilder gleichzeitig auf drei Leinwänden, die in ständig in einander übergehen und abwechseln ... auch hier scheinen sich die jungen Video-Künstler am virtuellen Schneidetisch ihres iMacs ausgetobt zu haben.

Nun: Singapur hat trotzdem von allen Ausstellern das Mittel der Leinwand-Darbietung am besten genutzt. Viel gelernt aber haben wir am Ende auch nicht, um ob es zu später Nachmittagsstunde wert wäre, eine ganze Stunde anzustehen, um zwei Mal 5 Minuten Kino zu sehen ... ich verlasse den Pavillion mit der Frage: Wie soll das erst bei den noch schlechteren Darbietungen sein, wenn schon die wohl beste am Ziel vorbei geht?

Was bleibt, ist der Eindruck, dass schlicht Werbung gemacht wird für den Industrie- und Handelspartner Singapur.

Das wäre in gewisser Weise jedenfalls ein ehrlicher Auftritt. Dann aber sollte die Expo von vornherein den Habitus ablegen, sich ein bestimmtes Thema zu geben. Wenn ich daran denke, dass Schulklassen dorthin kommen in der Annahme, etwas über die Zukunft des Planeten und seiner Völker zu erfahren ... welch ein Missverständnis! ... oder eben auch nicht.

 


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Das ZERI-Haus .

Wir erreichen das aus Holz und Bambus errichtete ZERI-Haus.

ZERI: Zero Immission - ein Haus, dessen Baumaterial mit Ausnahme der Schellen und Nägel rein natürlich ist und darum auch keine Schadstoffe in der Herstellung freigesetzt hat. Es ist schön anzusehen mit seinen geschwungenen Bambus-Bögen.

In der Mitte steht ein Bambus-Rohr mit Schlitzen, auf die mit roten Pfeilen aufmerksam gemacht wird. Ein Schild gibt Auskunft: Die bisherigen Einnahmen reichen nicht, um das ZERI-Haus bis zum Ende der Expo zu betreiben. Wenn nicht zusätzliche Gelder gespendet würden, müsse das ZERI-Haus geschlossen werden. Leider wird nicht beschrieben, warum es geschlossen werden müsste: Weil es sonst in sich zusammen bricht? Es gibt keinen Hinweis. Da steht noch, dass die Führungen von Freiwilligen (Volontären) geleistet würden, die sowieso schon kein Geld dafür nähmen.

Ich denke: Au weia, da gibt es nun das ehrgeizige Ziel der Expo-Veranstalter, etwas über die natürlichen Grundlagen des Menschen, über den Erhalt der Umwelt und über die Zukunft des Menschengeschlechts zu vermitteln, und nun ist so ein Projekt noch vor Erreichen der Expo-Halbzeit von Stilllegung bedroht ... ich schüttle den Kopf, während Moritz voller Ehrgeiz eine Mark in den Bambus-Schlitz wirft.

Es ist kein Klimpern zu hören. Es muss die erste Mark des Tages sein, die da unten dumpf aufschlägt.

 


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Halle 13: Die Service-Halle .

Vorbei an den Pavillions von Sri Lanka, Korea und Indien und nach Überquerung der "Allee der Vereinigten Bäume" (was soll das sein !?) erreichen wir die Halle 13, die "Service-Halle" mit dem Eingang-West.

Wir begegnen hier der überdimensionierten Selbstdarstellung der Lufthansa, der DB ("Die Bahn") samt Echtzeit-Zugplan auf Deutschlandkarte sowie einer "PharmaXia". Eine große Eingangs-Halle eben.

Wir verweilen kurz unter der riesigen, von der Hallendecke herab hängenden Leinwand, welche eine Landkarte von Deutschland zeigt und auf der die DB ihre Gleisstrecken eingezeichnet hat und mittels kleiner Lichtpunkte zeigt, wo gerade Züge fahren.

Während dessen zieht laut johlend und begleitet von Harmonika-Musik ein Hochzeitspärchen samt Tross vorüber. Echt? Gespielt? Welche Rolle spielt das noch in dieser Welt voller Video-Installationen, Leinwänden und "Imaginärem, das real wird" (Arkadia, Scape Halle).

Eine Schirmmütze beim Souvenir-Händler kostet 18,90 Mark. Moritz zeigt sie mir, aber ich schüttle nur den Kopf und zeige auf den Preis. Da sein ganzes Tages-Budget 20 Mark beträgt (gestiftet von unserer Verwandtschaft in Braunschweig), wird ihm klar, dass das ein paar Nummern zu teuer ist. Wir ziehen weiter.

Dafür aber geht's bunt und laut zu, wie überall. Immerhin.

 


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Halle 12: Afrika-Halle .

Wir erreichen die Afrika-Halle, und auf ein Mal atmen wir auf.

Ach!, wie wohl ist uns!

Keine riesigen Bauten, sondern übersichtliche, kleine Stände, die (fast) sämtlich traditionelle Handwerkskunst (schwarz-)afrikanischer Länder zeigen. Holzfiguren, Schnitzereien, Lederwaren, Batiken, bunte Gewänder ... eine Freude fürs Auge, fürs Ohr, auch für die Nase.

Wir ziehen von Stand zu Stand und lassen uns gerne gefangen nehmen von der Traumwelt der Figuren und Bilder, auch von der heiteren Gelassenheit der Afrikaner. Moritz entschließt sich, nun sein Geld auszugeben. Ich schlage ihm vor, sich einen geschnitzten, schwarzen Brieföffner zu kaufen - ein schön gearbeitetes Stück aus Holz, das (ich gebe das zu) zudem den Vorteil haben würde, dass Moritz nun nicht mehr ständig auf meinen eigenen Brieföffner am Schreibtisch würde zurück greifen müssen ... ich mag es eben nicht, meine Sachen woanders wieder zu finden ... Moritz prüft den Vorschlag und kauft den Brieföffner. Danach legt er noch die halbe Summe für ein "Freundschaftsband" an, das er sich sofort ums Handgelenk legt.

Hier lässt die Seele ihre Füße baumeln, hätte Tucholsky vielleicht gesagt.

Beim Verlassen jedoch muss ich dem schönen Eindruck mit der Erkenntnis entgegen wirken, (a) dass eine Weltausstellung eine Weltausstellung ist und kein Dritte-Welt-Bazaar, (b) dass hier ganz sicher ein paar Exilanten mit guten Beziehungen ins Heimatland die Lizenz erworben haben dürften, auf eigene Rechnung Handel auf jeweils 8-12 Quadratmetern zu betreiben.

Was das wiederum mit dem Expo-Thema zu tun haben soll, ist nicht mehr erschließbar.

Dem Charme dieser Halle würde am Besten Gerechtigkeit zuteil, wenn die Expo-Leitung dem Anspruch einer "Weltausstellung" öffentlich abschwören und einfach ein paar schöne Kultur-Wochen samt Flohmarkt und Dritte-Welt-Bazaar ausrufen würde - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Vielleicht wären dann die Menschen zu Besuch gekommen? Vielleicht, wenn die Freundlichkeit (und Geschäftstüchtigkeit) der Händler, das Flair ihrer Waren, der Reiz ihrer landeseigenen Musik hätten wirken können? Vielleicht, wenn Video-Installationen völlig verboten worden wären?

Irgendwie passt Afrika hier nicht hinein.

Deswegen wird es wohl auch von der Weltwirtschaft gemieden. Vielleicht liegt hier die Zukunft der Menschheit, wenn sich erst einmal im Arkadia der nördlichen Hemisphäre das Irreale als die Dauer-Imagination entpuppt haben sollte und die Suche nach dem eScape-Knopf nicht mehr hat helfen können ...

Aber ... Aids ... jeder dritte Südafrikaner ist infiziert, die Hälfte aller 15jährigen wird in den nächsten 5 Jahren sterben. Welch bittere Zukunft für Völker, die noch nicht vollständig dem Wahn erlegen sind, täglich das halbe Leben vor dem Bildschirm und in virtuellen Arkadia-Welten verbringen zu müssen.

Afrika ... ach, Afrika.

 


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Der Telekom-Würfel .

Der großen Freitreppe immer näher kommend, passieren wir einen architektonisch extravagant auffälligen Glas-Würfel, der (äußerlich) schief in die Gegend ragt und auf einem erhöhten Sockel steht. An seinen Außenwänden sind zu sehen ... richtig, Video- und Digital-Installationen. So viel Selbstdarstellung einer europäischen Kultur-Nation muss schon sein. (Zugegeben, die Deutsche Telekom ist ein auf Gewinn ausgerichtetes Privat-Unternehmen, aber eine Expo ist eine Expo ist eine Expo ... na, ja.) Zunächst sehen wir "Team-Block", eine Vierfach-Variante des PC-Uralt-Spiels "Tetris". Wir passieren den Würfel, und die Lautsprecher machen klar, dass die andere Würfel-Wand eine Übertragung der Tour-de-France zeigt. Aha. Eine Expo ist eine Expo ist eine Expo ... Auf der Freitreppe sitzen Menschen, die vermutlich auf Jan Ulrich warten. Heute sind die Pyrenäen dran. Eben. Eine Expo ist eine Expo ist eine Expo ... und ist laut, dröhnend, unentrinnbar.

Inzwischen hat sich der Regen verzogen, und zwischen den Wolken scheint warm die Sonne auf uns herab. Moritz zieht seine Jacke aus und läuft fröhlich umher. Was bin ich froh, dass er sich seine Bewegungssfreude nicht von der großen Video-Wand nehmen lässt. Dann ist er noch gesund und meine Erziehung nicht gar so verkehrt.

Ich merke, dass ich stolz darauf bin, Vater zu sein, und mir ist der Video-Würfel gleich "ein ganzes Stück weit" (Zitat: W.Schäuble, aber egal) unwichtiger geworden. Wochenend und Sonnenschein im Herzen.

Wir werden noch sehen, was das mit der Expo zu tun hat.

 


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Halle 7: "Mensch" .

Wir betreten den Eingang zur Halle 7, die Teil des "Themenparks" ist. Sie reiht sich ein in die Themen "Mobilität - Zukunft der Arbeit - Wissen" (Halle 4); "Energie - Zukunft - Gesundheit" (Halle 5); "Ernährung - Basic Needs - Umwelt" (Halle 6); "Mensch" (Halle 7); "Planet of Visions: Das 21. Jahrhundert" (Halle 9). Nun, denn.

In der Eingangsschleuse werden wir, während hinter uns die Außentüren geschlossen werden, von einem jungen, freundlichen Mann mit Singsangstimme auf folgende Sachverhalte hingewiesen:

Funktelefone sind nicht zugelassen und sind auszuschalten. Das Rauchen ist nicht erlaubt. Und leider sei der Ausgang nicht so leicht zu finden. Darum wolle er uns das erklären: Hinten rechts in der Halle, in der wir uns ansonsten frei bewegen dürften, seien sechs Treppen-Aufgänge, deren einen wir zu nehmen hätten, um dann zum Ausgang zu gelangen. Sollten wir Fragen haben, seien seine freundlichen Kollegen und Kolleginnen gerne bereit, uns zu helfen.

Dergestalt ermutigt und aufgeklärt, werden wir eingelassen.

Und wir sehen ... aaah, das muss man wirken lassen:

In die Halle ist ein riesiger Ozean-Dampfer gefahren (aus Pappmaché, getragen von einem Gerüst, klar), dessen Bugspitze imaginär (aber real, siehe Arkadia, "Scape"-Halle) die Hallen-Decke durchstößt. Im Innern, im Bauch des Ozean-Riesen also, sind die Gegenstände unserer Besucher-Neugierde versteckt, und im weiten Vorhof (wohl gedacht als Zeitvertreib für die anstehenden Massen, die es heute mittag nicht gibt) sehen wir ... richtig: Video-Leinwände, auf denen wir die Gesichter von sprechenden Menschen sehen, ohne jedoch verstehen zu können, was sie uns sagen wollen. Wie bei großem Besucher-Andrang die anstehenden Gäste je den Äußerungen dieser zweifellos wichtigen Zeitzeugen (...von denen ich keinen kenne...) würden folgen können, dürfte das akustische Rätsel dieser Halle sein... Arkadia: "Das Imaginäre wird real" ... dieser Satz bedurfte nun dringend einer kleinen, aber dringend notwendigen Ergänzung: "NUR das Imaginäre wird real"...

Dass an und zwischen den Beton-Stelen, die oben die Video-Projektoren bergen, Platz genug gewesen wäre für Sitzbänke, und dass Sitzbänke auch eingeladen hätten, den via Video zum Besucher sprechenden Menschen zu lauschen ... das alles scheint der teuer bezahlten Expo-Leitung nicht eingefallen oder nicht wichtig gewesen zu sein. Der Besucher ist eben inzwischen auch schon immateriell geworden, er fliegt -gebeamt vom Transponderstrahl- zwischen den Video-Leinwänden leicht und heiter umher ...

... nur alt, das darf er nicht sein, der Expo-Besucher; besser schon tot, dann kommt er nämlich erst gar nicht hier her.

Schwarze Gedanken.

Dann also schnell hinein ins Innere des wartenden Ozean-Riesen.

Abgesehen von einer innen umlaufenden Plastik-Röhre, die vermutlich zu ihrer Begehung einladen soll, sehen wir vielleicht zehn oder zwanzig gleich große Glaswürfel mit verschiedenen Exponaten. Hier, so wird dem auffassungsbegierigen Expo-Besucher klar, entlädt sich die volle kreative Kraft sinnloser und vollends verblödeter Ausstellungs-Konzepte.

Ach!, welch ein Wirrwarr, ach!, welch ein Durcheinander!, - welche Kälte, welche traurige Tristesse, welcher Abgrund beim Blick in die Gegenwart und Zukunft des Menschengeschlechts, jeweils optisch tiefgefroren auf rund 2x2 Metern unter Glas und Neonlicht.

Ein erster Glaswürfel enthält verchromte Metallteile, die an Nyonfäden hängen; dem Laien erschließt sich ihre Funktion nicht; außen am Glas stehen die Worte: "Medizintechnik: Künstliche Lunge, künstliches Becken, künstliche Nieren..." Eine ganze Liste der tatsächlichen oder vermeintlichen Errungenschaften der Medizintechnik ist da zu lesen. Es ergibt sich zwar für den ungeschulten Betrachter kein Zusammenhang zu den hängenden Chromteilen, aber ... na, ja: Man soll oder kann sich das denken. Jeder, wie er mag. Jeder ist angesprochen. Jeder ist "Mensch" in Halle 7. Mit Ausnahmen: Wer (noch) kein Chrom-Teil implantiert hat, zählt leider auch nicht zur Gattung "Mensch". Das ist wohl die Nachricht. Oder nicht !? Weiter.

Ein anderer Glaswürfel hat in jeder seiner vier Seitenwände drei Löcher: Ein hohes (das größte), ein mittelhohes (und mittelgroßes), ein niedriges (und kleinstes). Man kann den Kopf jeweils hindurch stecken: Papa wohl oben, Mama in der Mitte, Söhnchen oder Töchterchen unten. Aha. Ich stecke den Kopf durch ein Loch und sehe: nichts. Hinter einer milchigen Plexi-Plastik-Scheibe ist nur orangenes Neon-Licht zu sehen. Aha. Ich trete zurück, gehe um den Glaswürfel herum. Die anderen Seiten zeigen die Farben gelb, blau, grün. Jedes Mal aber ist da: nichts. Es ist auch nichts zu hören. Da ist einfach nur: nichts. Aha: Man soll sich da wohl was denken... Irgendwie hätte ein Schild davor gehört: Im Gedenken an Joseph Boys. Oder so ähnlich. Aber J.B. hätte den Hut dafür abnehmen müssen, und das hätte er nicht getan, und deswegen: Warum auch? Egal. Das Nichts triumphiert über das Sein. Das ist Existenzialismus pur. Weiter.

Ein anderer Glaswürfel ist vollgestopft mit alten Spiral-Federn, die vermutlich abgewrackten Lkw entnommen worden waren; die Federn wurden ein bisschen umgeschweißt und ergänzt und neben einander gestellt und über einander gestapelt,  und nun zeigen sie Hunderte und Aberhunderte (oder auch nur ein paar Dutzend, wer zählt das schon) von süßen, niedlichen, kleinen Mini-Robotern, die uns aus ihren kleinen, weißen Augen angucken. Wohlgemerkt: Spiral-Federn mit angeschweißten weißen Äuglein. Ein ganzer Kasten voll. Bedeutungsschwanger wird mir klar, dass wir ja in der Halle "Mensch" sind. Aha. Warum war mir das nicht gleich eingefallen? Menschen braucht doch keiner mehr. Und wenn, dann nur zum Zahlen des Eintrittspreises für die "Weltausstellung". Hier lernen wir den Humor der Birgit Breuel kennen. Weiter.

Ein anderer Glaswürfel enthält ein Laufband. Links und rechts sind ... richtig: Video-Wände, die einen dauerlaufenden Leichtathleten zeigen. Dummerweise ist das Laufband so langsam, dass es keinen Dauerlauf zulässt, so ist man also mit zwei Schritten schon drüber weg. Also Schleichgang. Vielleicht langsam genug zum Video-Gucken. Links, rechts ... links, rechts ... Moritzens Begeisterung erschöpft sich nach wenigen Schritten. Wir schauen uns um. Weiter.

Ein anderer Glaswürfel enthält ein Wasserspiel ...! Der Genius hat zugeschlagen. Den Ausstellungs-Machern ist wohl nichts zu peinlich. Eine Wasser-Düse in der Mitte erzeugt eine durchsichtige Wasser-Glocke, darüber kreuzen sich hüpfende Wasser-Stöße, die jeweils in einer Ecke von einer Düse ausgespien und drüben von einem Plastik-Behälter wieder aufgefangen werden. Der nun schon ziemlich asbach-uralte Wasser-Gag aus Freiluft-Parks. So ziemlich jeder Vergnügungspark Deutschlands dürfte solche Wasserspiele inzwischen haben. Hier jedenfalls geben sie ihr Bestes in einem Glaswürfel der Halle "Mensch", und ich frage mich: Was soll das denn, bitte schön!, ...? Sinnstiftung im durchgestylten Anti-Kneipp-Design? Der Fingerzeig auf die knappe Ressource "Wasser"? Aber, nein: Kein Hinweis darauf, dass weniger als 5% des weltweit vorhandenen Wassers trinkbares Süßwasser ist, und dass es immer weniger wird und dass Kriege um (sauberes) Wasser geführt werden ... nein: Hier hüpft das Wasser auf-und-nieder, wie vielleicht Birgit Breuel in ihrem Büro, wenn sie die Besucherscharen kommen sieht. Ich wende mich ab. Weiter.

Ein Rundblick durch die Halle zeigt, dass alle Glaswürfel mit völlig unsinnigem Zeugs gefüllt sind. Tumbe Gimmicks, irgend welche Verlegenheits-Füllungen. Ob die Besucher wohl für derlei Krimskrams von weit her kommen?, für diese Allerwelts-Gaukelei Stunden in der Warteschlange anstehen?, und dann noch "aah!" und "ooh!" sagen?, ...?

Ich beschließe, den Rest dieser Glaskasten-Sammlung nicht näher in Augenschein zu nehmen, da wir an einer der sechs Treppen-Aufgänge stehen. Ich habe den dringenden Verdacht, dass es verschwendete Energie sein dürfte, sich vom Ausgang zu entfernen, anstatt sich ihm zu nähern.

Nun stellt sich heraus, dass wir drei Treppen-Aufgänge hinter einander hoch steigen müssen (einen Fahrstuhl habe ich nicht gesehen, mag es aber -versteckt- geben), um sodann auf dem Hochplateau der Freitreppe zwischen Halle 7 und Halle 9 heraus zu kommen.

Welche brutale Vergewaltigung und Entmündigung der Besucher.

In mir kommt solch ein Ärger über die Messeleitung hoch, dass ich dringend den Wunsch verspüre, jemandem meine Faust ins Gesicht zu hauen. Oder Birgit Breuel täglich mehrfach über diese Stufen zu hetzen.

Da erdreisten sich doch die miesesten aller Ausstellungsmacher, dem Besucher auch noch vorzuschreiben, wo er die Halle zu verlassen hat und wo nicht, und obwohl die Halle 7 reichlich über andere Ausgänge verfügt, sind diese gesperrt, und die Besucher werden gezwungen, sich die Treppen hoch zu quälen und draußen die Aussicht vom Hochplateau zu genießen - von dem herab es keinen Fahrstuhl gibt (oder hätte ich den übersehen - trotz meiner Rundumschau ?).

Welch' eine brutale, anmaßende und verachtende Erniedrigung des Besuchers zum willfährigen, beliebig lenkbaren Objekt eines miesen, pädagogischen Experiments: Da fehlt jedes Konzept, jede sinnvolle Gestaltung des "Themenparks" bzw. des Themas "Mensch": Robotörchen, Wasserspeier, Chormteilchen, Guck-ins-Nix-Löcher ...   und dann wird noch dem letzten Alten, dem letzten Fußkranken, dem letzten Rollstuhlfahrer vorgeschrieben, sich die Treppen hoch quälen zu müssen !?

Wie ist das mit den Besuchern, die diese Halle vielleicht erst am Ende ihres Rundgangs betreten und die eigentlich schon auf dem Weg nach Hause sind?, die müde sind und fußlahm?, die mit ihrer Kraft viel lieber haushalten würden? Sollten diese, während beim Einlass die Außentüren hinter ihnen geschlossen werden, unter Protest den Auslass begehren, bevor sie richtig eingelassen wurden, um sich das Hochsteigen zu ersparen, auf das sie mit freundlichem Singsang hingewiesen werden? Welch' bizarre, groteske Szenerie.

Birgit Breuel gehört nicht nur täglich, sondern stündlich diese Treppen hundert Mal hoch und wieder runter gehetzt.

Sitzgelegenheiten in Halle 7 ? Die gibt es hier nicht, wie andernorts auf der Expo auch nicht. Es gibt vor dem Ozean-Riesen genügend Platz unter den Video-Leinwänden, aber ein paar Bänke gehören wohl nicht zum "Mensch"-Konzept. Müde Menschen gehören wohl grundsätzlich nicht in die "schöne, neue Welt" (A.Huxley) der Expo-Leitung unter Birgit Breuel. Offenkundig setzen sich Menschen-in-Unrast nie hin. Vielleicht sind die Proto-Typen, die sich die Expo-Leitung so vorstellt als "Mensch", mal-hier-mal-da wie Lichtblitze auf den Data Highways des Internets. Vielleicht sind wir alle nur noch jung, dynamisch, heimatlos. Wer will schon sitzen nach einem langen Wandertag? Birgit Breuel !?

Ausstellungen, die dem Menschen vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat, die ihm seine Wege völlig unnütz vorschreiben, und das noch Kräfte zehrend ("Treppe-hoch", nur um anschließend wieder "Treppe-runter" zu haben !?) - solche Ausstellungen gehören geschlossen und verboten.

Halle 7 / "Mensch": Das ist das überwältigende Zeichen einer an ihrer eigenen Hybris erstickenden Ausstellungs-Leitung, die nicht weiß, wie ein "Themenpark" in Szene zu setzen ist. Man sollte ihr einen Besuch im Deutschen Museum in München empfehlen. Das wäre wenigstens ein denkbares Vorbild gewesen.

Nein, noch drastischer: Es gibt in Cuxhaven, gegenüber der Insel Neuwerk, nahe dem Strand ein kleines Watten-Museum mit vielleicht gerade mal 20 x 20 Quadratmetern. Hier wird erklärt, anschaulich gemacht, interessiert, neugierig gemacht, aufgezeigt: Vögel, Fische, Muscheln, Würmer, Käfer, Fliegen, Flöhe. Die bescheidenen Betreuer dieses Watten-Museums und ihre bescheidenen Mittel haben in uns (Moritz und ich waren 1999 gemeinsam dort) mehr ausgelöst als der inhaltslose Bombast-Pomp der Medien-Medusa Birgit Breuel.

Nun lautet das Ergebnis leider: Wo die leere und sinnlose Bilderflut der in kurzen, rasanten Folgen geschnittenen Video-Installationen nicht für das schlechte Gefühl in Kopf und Magengegend sorgt, tun es nunmehr Glaswürfel, die eine genau so tote und leere Dinglichkeit vorgeben.

Ach!, ... Thema: "Mensch" !?

Kein Wort, kein Bild von Menschen, die sich lieben; keine Mutter, die ihren Säugling trägt; kein Vater, der sein Kind an der Hand hält; kein Blick zweier Liebender in die Augen des Anderen. Kein Wort, kein Bild von Wärme, Geborgenheit, Heimat. Keine Frage danach, wie in einer Welt des Video-Wahns die Familie überleben kann als der Ort, in den hinein der Mensch geboren wird und der allein nur Heimat und Zuhause sein kann. Nach allen den anderen "Themen" wie "Mobilität", "Zukunft der Arbeit" und so weiter, und so weiter ... nach allen den Themen wäre doch die Frage gewesen: Und wo bleiben wir, die Menschen, auf der Suche nach dem bisschen Lebensglück?

Das, was aus der Sicht der Expo-Macher bleibt, ist die Verhöhnung und Verarschung der Besucher:

Glaskasten "Guck-in-die-Röhre", Glaskasten "Hundert-kleine-Robotörchen", Glaskasten "Wasser-hin-und-Wasser-her", Glaskasten "Chrom-und-dein-Körper-wird-glänzend-künstlich"... Glaskästen, Glaskästen, Glaskästen... wie die Organsammlung der Charité in Berlin: Entartete Einzelteile nicht lebensfähiger Organismen, aufgereiht nach Art der Wucherung und Krankheit. Eine Zivilisation sieht sich selbst beim Sterben zu.

Es ist zum Kotzen. Mir wird schlecht. Ich brauche frische Luft. Mir vergeht die Lust, womöglich noch den "Planet of Visions" zu besuchen (Halle 9), da das Ergebnis kaum anders sein dürfte als hier. Meine Kraft reicht nicht, gegenüber einer offenkundig ebenso dummen wie anmaßenden Expo-Leitung auch noch so etwas wie Wut zu empfinden. Es reicht nur zum passiven Reflex einer Abkehr von diesem Bild des "Menschen".

Ich verlasse mit Moritz tief enttäuscht die Halle und trete in die Sonne.

Sonne! Wärme auf der Haut. Ein Lichtblick. Auf den Stufen:

Menschen, die sich im Arm halten, liebkosen, lachen.

Welch ein Kontrast.

Birgit Breuel bräuchte nur aus dem Fenster zu sehen.
Aber sie sieht nur in den Spiegel.

 


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Die stumme Telefonzelle .

Auf dem Weg zu Halle 2 bzw. dem Eingang Nord (den wir suchen in seiner Eigenschaft als Ausgang Nord) erblicken wir vor dem eigenwillig gebauten (und schon älteren) Convention Center eine der alten, gelben "Bundespost"-Telefonzellen.

Moritz merkt erst gar nichts.

Die Zelle ist voller Wasser, von unten ragen Wasserplanzen hoch, Fische bestaunen die Welt rings umher, und aus dem Hörer des Telefons blubbert Luft in die Höhe... Passanten bleiben kurz stehen, freuen sich, gehen weiter, heiter ...

Man sollte die Glaskästen der Halle 7 mit Wasser füllen und Fische hinein setzen.

Nein, besser: Man sollte alle Hallen des "Themenparks" komplett mit Wasser füllen und Fische hinein setzen.

Wir schreiten vorüber, halten nur kurz, heiter, lachen ... und genießen die Sonne.

Sommer nach Regentagen ... wir gehen zum Ausgang, denn wir können heute noch Besseres tun, als in die Glaskästen der Expo-Leitung zu stieren. Am Ende des Tages erwarten uns liebe Menschen, die uns in die Arme schließen werden. Zeit für die Abfahrt.

Um 13.50 Uhr verlassen wir das Expo-Gelände.

 


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Die Abfahrt .

Als könnte es nicht anders sein, verfahren wir uns auch noch auf dem Weg von Park-Ebene 1 zur Ausfahrt. Erst ist die Ausfahrt nicht da, wo sie sein soll; dann folgt die Umleitung auf Ebene 2; dann ist das aber auch nicht richtig, sondern die ist auf Ebene 3; da ist sie auch nicht dort, wo sie sein soll; und als wir endlich da sind, wo sie wirklich ist (oder sein soll: "das Imaginäre wird real" ... Arkadia... ), ist die Ampel permanent auf "rot" gestellt, obwohl nirgends ein zweiter Wagen die Abfahrt benutzen will. Irgendwann warte ich nicht mehr und fahre hinaus, hinaus, hinaus in die Freiheit, hinaus - dorthin, wo Menschen auf uns warten.

"Menschen" ... Menschen.

Vor, bei und um Hamburg stehen wir eine Stunde im Stau.

Welche gute, beruhigende Nachricht:

Tausende von Menschen haben sich entschlossen, das Wochenende an der See zu verbringen, und nicht etwa auf der Expo.

Die Welt ist (fast) wieder in Ordnung.

Und in Lübeck warten liebe Menschen auf uns. Johannisbeertorte, Sahne, Kaffe, Kakao für Moritz ... hmmm! Jetzt kann mich die ganz Expo mal kreuzweise. Es scheint noch über Stunden die Sonne über dem Teich hinterm Garten, Wasservögel schnattern, Reiher ziehen vorüber. Mein Themenpark "Umwelt" liegt hier hinter Lübeck, nicht in Hannover in einem der Glaskästen B.Breuels.

 


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Am Ende: Heimat .

Die Expo?

Eine Mischung als Video-Installationen, Internet-Hype (besser: Hysterie), Dritte-Welt-Bazaar, Tourismus-Börse, verlängerte CeBIT am Ende. Die Expo? Braucht doch kein Mensch. Und wenn schon nicht Wasser in die Hallen gegossen und Fische hinein gesetzt werden, sollte man sie schließen und für die Letzte ihrer Art erklären. Das neue Jahrtausend braucht sie nicht mehr. Dinosaurier sterben eben aus, und Jahre später gibt es sie (nur) noch als Puppen für Kinder. Birgit-Breuel-Puppen: Das wär's! Damit wäre ihr Nachruhm gesichert.

Was bleibt: Heimat.

Das sind Menschen, die sich in Liebe zugetan sind, die sich in die Augen sehen und ihren Tag mit einander verbringen. Kinder, die Eltern haben; Enten, die schnattern; Fledermäuse, die mit der Dämmerung fliegen.

Schade um den Tag und um das Geld?

Nein - ich bin froh, erkannt zu haben, dass und worüber ich glücklich bin. Der Ausflug in die bizarre und groteske Schein-Welt der Birgit Breuel und ihrer völlig planlosen "Themenpark"-Konzeptkünstler hat einen Kontrast geschaffen, der erschreckend ist (für den, der den Schrecken nicht wahrnimmt) oder beglückend (für den, der sein Glück kennt).

Provinz ist Heimat.

Provinz-Possen aber  - und nichts anderes ist das Millionen-Grab "Expo" -  sind eine Schande.

 


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Fazit zur Expo: Nie wieder .

Die Expo2000 ist ein Dokument der rasend fortschreitenden Entfremdung des Menschen von sich selbst; von seiner durch Technik bewirkten und sodann wieder durch Technik verbrämten Uneigentlichkeit; von der Ersetzung eigener Einsichten und Sichtweisen durch Video-Clips und laute, bunte, lärmende Bilder; von seiner Vereinsamung vor halluzinativen, hypnotisierenden Bildwänden, die nur zerrissene Fetzen der Welt sichtbar werden lassen; von seiner Heimat- und Familienlosigkeit; von einer Welt, in der sich nicht Völker friedlich verständigen, sondern in der Rechner über Data Highways ihre digitalen Signale austauschen; von einer Welt, in der die Zukunft nicht aus der Sicherung der natürlichen Grundlagen unserer Existenz besteht, sondern aus der weiteren Profit-Maximierung der großen Konzerne, deren Herrschaft sich die Länder endgültig unterworfen haben (mit Ausnahme von Afrika, dem ewigen Verlierer, dessen Menschen zur Hälfte von Aids ausgerottet sein werden).

Expo2000?

Das ist der in rasenden Digital-Bildern gefrorene, neue Dekonstruktivismus eines zukunftslosen Planeten, ohne Hoffnung auf ein Überleben in Würde. Lärmend und bunt geht die Welt zu Grunde. Die Lemminge kommen durch den Eingang-Nord und schauen in die Glaskugel der Prophetin, die da heißt Birgit Breuel; sie stürzen sich hinein in das Spiegelbild ihrer Zukunft, die keine ist, die aber Birgit Breuel als solche verkauft. Die Bilder brauchen den Menschen nicht mehr als Gegenstand der Betrachtung, sondern nur noch in der Rolle des zahlenden Betrachters. Wie die Borg bekommen die Menschen demnächst den Direkt-Anschluss an den digitalen Datenstrom ins Gehirn. Birgit Breuel kommt mit dem Klingelbeutel vorbei, während wir schreckensstarr auf der Bank vor dem Altar des "Planet of Visions" knien.

Expo2000?

Schließen, Abdichten, mit Wasser auffüllen, Fische hinein setzen - und durch die Bullaugen via WebCam das Ganze ins Internet übertragen. In Echtzeit. Und täglich um fünf ist Fütterung durch Birgit Breuel. Dabei erläutert sie uns das Konzept dieser pädagogisch-didaktisch streng durchdachten Themen-Installation, während die Video-Lichtblitze die Fische hypnotisieren. Wer im Internet-Chat die Marke des Fischfutters errät, darf Birgit Breuel mit "du" anreden und sogar noch die Werbebanner offline klicken. Wenn die Zahl der Online-Besucher mehr als sechzehn beträgt, darf Birgit Breuel sogar vor Mitternacht ins Bett, sonst erst um eins. Die Birgit-Breuel-Gedächtnispuppe gibt's im Online-Shop per 24-Stunden-Service gratis: Wer nicht extra "nein" anklickt, bekommt sie frei-Haus zugeschickt, koste es, was es wolle. Wer Glück hat, bekommt einen der Video-Fische dazu gelegt, mit Widmung von Birgit Breuel. Und zwei Freikarten. Mit Widmung. Von Birgit Breuel. Wow, so ein Hype. Wenn wir das gewusst hätten. Dass das Imaginäre so real ist. Arkadia. Wir wären nie da gewesen.

Expo? Nie wieder.

 


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Lübeck/Bonn, Sonntag, d. 16. Juli 2000

Frank R. Walther
[email protected]

http://www.zeit-kritik.de/