Dunkle Wolken am Bosporus

von Gerd Höhler (FR, 15. April 2006)

Viele Urlauber kehren der Türkei den Rücken. Vogelgrippe, Alkoholdebatte und Kurdenkonflikt lassen die Buchungen drastisch zurückgehen.

Die Grenzbeamten am Flughafen von Antalya haben weniger zu tun als im Vorjahr. Rund 491 000 Reisepässe stempelten sie in den ersten drei Monaten 2006 ab. Im ersten Quartal der Vorperiode waren noch 685.000 Flugurlauber in der türkischen Tourismus-Hochburg gelandet - ein Rückgang von 28%.

Landesweit betrug das Minus zwar nur 7,4%. Aber zusätzliche Einbußen drohen: In den westeuropäischen Ländern, aus denen die Mehrzahl der Türkei-Touristen kommt, liegen die Buchungen für die Monate Mai bis August derzeit um rund 40 Prozent unter dem Vorjahreswert, wie der Verband der türkischen Touristik-Investoren (TYD) meldet. Dessen Präsident, Oktay Varlier, sieht mehrere Gründe für die Flaute: die starke Lira, die Türkei-Reisen in diesem Jahr verteuert, die Angst vor der Vogelgrippe, an der Anfang des Jahres in der Osttürkei vier Jugendliche gestorben waren, aber auch den Streit über die Mohammed-Karikaturen, der in zahlreichen türkischen Großstädten Massenproteste empörter Muslime auslöste. Auch die Diskussion über angeblich geplante Alkoholverbote in der Türkei könnte die Reiselust gedämpft haben, glauben Tourismusexperten.

Dabei hoffte die Branche, in diesem Jahr einen neuen Reise-Rekord aufstellen zu können. 2005 war die bisher beste Saison für die türkischen Hoteliers: 21,1 Millionen ausländische Gäste kamen ins Land. Für dieses Jahr rechnete man damit, dies noch einmal toppen zu können: 26 Millionen Besucher wurden erwartet. Doch jetzt wäre DYT-Präsident Varlier froh, wenn wenigstens das Vorjahresergebnis gehalten werden könnte.

In der Branche hofft man, dass die bisherige Reservierungsflaute in den nächsten Monaten durch Last-Minute-Buchungen zumindest teilweise ausgeglichen werden kann. Um die Nachteile durch den hohen Kurs der Lira, die seit Anfang 2005 gegenüber dem Euro um 15 Prozent aufwertete, etwas ausgleichen zu können, rufen die türkischen Touristikunternehmer jetzt nach einer Mehrwertsteuersenkung von 18 auf zehn Prozent. Einen solchen Abschlag hatte die Regierung kürzlich für die von billigen Asien-Importen bedrohte Textilindustrie beschlossen. Ob auch die Hoteliers in den Genuss einer ähnlichen Vergünstigung kommen, ist noch ungewiss.

Hilfe könnte die Branche gut gebrauchen, denn am türkischen Tourismus-Himmel tauchen bereits die nächsten dunklen Wolken auf: der wieder aufgeflammte Kurdenkonflikt verunsichert die Urlauber. Von den Südostprovinzen droht er auf den Westen und Süden überzuspringen. In Istanbul gab es bereits blutige Unruhen und Anschläge, auch in Antalya zündeten kurdische Extremisten Sprengsätze. Die Terrorgruppe "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), die schon im vergangenen Jahr im westtürkischen Kusadasi mit einer Bombe fünf Insassen eines Touristenbusses tötete, droht mit weiteren Attentaten: "Wir werden Hotels, Vergnügungsparks und Tourismusunternehmen angreifen", warnt die TAK.

Weitreichende Folgen

Eine Krise im Tourismus würde die gesamte türkische Wirtschaft treffen, denn die Branche ist einer der wichtigsten Wachstumsmotoren des Landes. Seit 1980 stiegen die Urlauberzahlen im Mittel um 17,5% pro Jahr. Der Fremdenverkehr erwirtschaftete in der vorigen Periode Deviseneinnahmen in Höhe von 18,2 Milliarden Dollar und trägt fast fünf Prozent zum türkischen Bruttoinlandsprodukt bei.

Die meisten Hoteliers hoffen aber, dass der gegenwärtige Einbruch nur eine vorübergehende Flaute ist. Diese Hoffnung ist nicht ganz unbegründet. Denn der türkische Tourismus hat sich in der Vergangenheit von Rückschlägen stets schnell erholt. So ließ zwar die schwere Erdbebenkatastrophe in der Nordwesttürkei 1999 die Touristenzahlen um 23% einbrechen. Im Jahr darauf wurde aber bereits wieder ein Plus von fast 40% erzielt. Auch die Serie von Terroranschlägen in Istanbul im November 2003 dämpfte die Reiselust nur einige Monate.


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