Diskurswerfer

Zur Wahrnehmung der Doping-Fälle Katrin Krabbe
und Dieter Baumann in der Öffentlichkeit

von Martin Krauß {Der Freitag, 22.09.2000}

Robert Voy, früherer Arzt des US-Olympiateams, hat eine Sorge: "Die Gefahr ist doch die: Wenn es nicht gerade einen Dopingskandal gibt, deutet das olympische Publikum dies als Anzeichen dafür, dass es bei den Spielen kein Doping mehr gibt."

Die Gefahr ist unbegründet. Doping, das weiß die Sportöffentlichkeit, ist immer dabei, wenn, wie jetzt in Sydney, um Medaillen gekämpft wird, es braucht keine positiven Befunde. Öffentlichkeit funktioniert anders: Wer als gedopt gilt, wird im Diskurs und nur im Diskurs entschieden. Wenn die Gesellschaft einen prominenten Sünder benötigt, findet sie einen. Wenn sie gerade partout keinen gebrauchen kann, lässt sie sich auch von positiven Urinproben nicht schrecken. Der Internationale Leichtathletikverband hat zu Beginn dieser Woche entschieden, dass der deutsche Langstreckenläufer Dieter Baumann für zwei Jahre gesperrt /bleibt. Ende April dieses Jahres erklärten 60 Prozent der Bundesbürger, sie glaubten Baumanns Einlassungen, seine Zahnpasta sei manipuliert worden. Mitte September, also wenige Tage vor Olympia, waren es nur noch 34%, und schon eine einfache Mehrheit von 39% sah in ihm den Lump. Ihm wird noch mehr gesellschaftlicher Abstieg bevorstehen, übrigens auch dann, wenn sich in ein paar Jahren tatsächlich ein schuldiger Zahnpastamanipulator finden sollte.

Im öffentlichen Diskurs über Baumann werden nämlich die gleichen Mechanismen zu beobachten sein wie in früheren Fällen. Bei Katrin Krabbe zum Beispiel. Die leichtathletische Sprinterin aus Neubrandenburg war, beginnend 1992, in fünf nationalen und internationalen Verfahren, die zwei Vorgänge betrafen, vom Vorwurf des Dopings freigesprochen worden. Verurteilt wurde sie im ersten Vorgang - die so genannte "Pipi"-Affäre um gleiche Urinproben - gar nicht, und im zweiten Vorgang - die Einnahme eines Asthmamittels, das nicht auf der Dopingliste stand - wurde sie nur wegen sportwidriger Medikamenteneinnahme und nicht erbrachter Vorbildfunktion belangt. Katrin Krabbe beendete nach beiden Skandalen ihre Karriere und prozessiert noch heute um Schadensersatz, der ihr von einem Gericht auch zu gesprochen wurde.

Aus so billigen Beweggründen heraus darf halt kein Berufsverbot ausgesprochen werden. Im öffentlichen Diskurs aber gilt Krabbe bis heute als überführte Dopingsünderin. Das hat Baumann, der zwar anders als Krabbe positive Urinproben aufweist, was aber letztlich egal ist, noch vor sich.

Doping ist nämlich ein "kulturelles Konstrukt", wie es der amerikanische Sportsoziologe John Hoberman ausdrückt, und es handelt sich also, anders als es durch naturwissenschaftliche Literatur gern suggeriert wird, nicht um einen zeitlosen, ahistorischen und objektiven Tatbestand. Im Dopingdiskurs wird vielmehr über die Körper von öffentlichen Personen verhandelt, was man von ihnen zu halten hat, ob man sie toleriert.

Katrin Krabbe galt, als sie 1991 in Tokio Doppelweltmeisterin wurde, mal als Greta Garbo der Leichtathletik, mal als Grace Kelly, in jedem Fall als Schönheit. Im Zusammenhang mit dem ersten Skandal der Urinmanipulation 1992 wandelte sich ihre öffentliche Wahrnehmung, wie drei Jahre zuvor bei Johnson: Auf einmal "sieht man klar im Gesicht, dass die Krabbe dopt", wie es Hans Evers, damaliger Anti-Doping-Funktionär ausdrückte. Experten verwiesen in Fernsehdiskussionsrunden auf scheinbar entstellende Steroidakne im Gesicht der Athletin. Dass dies bislang noch niemand bemerkt hatte, erklärte die Doping-Expertin Brigitte Berendonk damit, dass in Westdeutschland "die Kameraleute des Fernsehens (...) instruiert (würden), bei Nahaufnahmen von Spitzensportler(inne)n die verräterisch aufflammende Steroid-Akne zu vermeiden".

Der Dopingdiskurs hatte mit Katrin Krabbe, solange sie als ungedopt galt, etwas produziert, was es nicht gibt: eine übernatürliche, reine Schönheit. Und als sie plötzlich als gedopt galt, machte der Dopingdiskurs aus Krabbe über Nacht ein pickliges, chemiegetränktes Monster, das man sich lieber nicht zu nah anschaut. Dieter Baumann galt bislang zwar nicht gerade als schöner Mann, aber er besaß den Ruf eines introvertierten, intelligenten und eher linksliberalen Zeitgenossen. Der Diskurs wird aus ihm einen zu verabscheuenden Betrüger machen, dem man besser nicht die Hand gibt.

Wer gedopt ist, wird im Diskurs entschieden - nicht im Labor und nicht vor dem Sportgericht. Krabbe hat nicht gegen Regeln verstoßen, gilt aber gedopt. Ob Baumann selbst manipuliert hat oder Opfer eines Attentates ist, weiß man nicht, aber in den nächsten Wochen wird er wohl zum Doper gemacht werden. Aus dem Diskurs geworfen.


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