Weshalb sollte eine Regierung, die der Meinung ist, dass sie das Richtige tut, zulassen, dass sie dafür kritisiert wird?" Nach dieser
Leninschen Devise scheint Russlands Präsident
Putin
seine Medienpolitik momentan auszurichten. Mit diesem Eindruck zumindest führte Falk Bohmsdorf von der Friedrich-Naumann-Stiftung in die Diskussion über die Situation der Medien in Russland ein. Unter dem Titel Im Schatten der Macht hatte die Stiftung - in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle und der
Gesellschaft für Osteuropakunde - Journalisten aus Russland, der Ukraine und Weißrussland zur Tagung geladen. Die Übernahme des Fernsehsenders NTW durch den Staatskonzern Gasprom erregte im Westen zwar die meiste Aufmerksamkeit, wie der Skandal um die Ermordung des Journalisten Georgij Gongadse in der Ukraine oder auch das Verschwinden gleich mehrerer Journalisten in Weißrussland zeigen, ist es dort um die Pressefreiheit noch sehr viel schlechter bestellt als in Russland. So zumindest könnte ein Fazit der Tagung lauten, die mit den Berichten aus erster Hand eine hervorragende Gelegenheit bot, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Situation zu diskutieren.
Denn so deutlich sich die Tendenz abzeichnet, dass zehn Jahre nach Abschaffung der Zensur die neuen
Machthaber teils raffiniertere und teils grobschlächtigere Mittel und Wege
zur Handhabung der "vierten Macht" gefunden haben, so verschieden ist
immer noch der Handlungsspielraum, in dem die Journalisten jeweils
agieren. Welches Land welchem anderen dabei in der Negativ-Entwicklung
hinterherhinkt, diese Frage stand bei den jeweiligen Diskussion stets im
Hintergrund.
Nicht ohne Zynismus beanspruchten die Teilnehmer aus
Weißrussland, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Präsident Lukaschenko sei
es bereits gelungen, die Medien weitestgehend unter seine Kontrolle zu
bringen. "In den Massenmedien wird keine Information mehr verbreitet,
sondern reine Propaganda", so Zhanna Litwina, Präsidentin der
weißrussischen Journalistenassoziation.
Dabei sind in Weißrussland
- wie im übrigen sowohl in der Ukraine als auch in Russland - Meinungs-
und Pressefreiheit von der Verfassung garantiert. Fragt man nach den
realen Behinderungen, denen sich um Unabhängigkeit bemühte Journalisten
ausgesetzt sehen, bekommt man ein ziemlich raffiniertes bürokratisches
Räderwerk geschildert, in dem komplizierte Registrierungsprozesse
Lizenzvergaben endlos hinauszögern oder erhöhte Gebühren für Post und
Vertrieb dafür sorgen, dass Zeitungsmachen ein unrentables Geschäft
bleibt.
Die düsteren Schilderungen aus Weißrussland - die
paradoxerweise von einer heiteren Grundstimmung begleitet waren, die daher
rührte, dass sich trotz aller medialen Anstrengungen Präsident Lukaschenko
in einem absoluten Popularitätstief befindet - wurden von den Kollegen aus
der Ukraine noch überboten. "In der Ukraine nach dem Zustand der
Pressefreiheit zu fragen, das ist, als ob man sich in einem Totenhaus nach
der Gesundheit der Leiche erkundigt." In diesen drastischen Worten
beschrieb Sergij Kisseljow, Journalist aus Kiew, die Lage. Die Phase der
Pressefreiheit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei kurz und von
geringer Reichweite gewesen. Da es - anders als in Russland, wo sich ein
professionelles Pressewesen ausgebildet habe - um die Medien im Land nie
gut stand, sei die Verschlechterung kaum bemerkt worden, erzählte Sergij
Rachmanin, Redakteur der Kiewer Wochenzeitung Zerkalo Nedeli, die in
diesem Jahr mit dem Gerd-Bucerius-Förderpreis ausgezeichnet wurde. Die
Gongadse-Affäre aber hat die Situation zumindest für kurze Zeit
entscheidend verändert: Wo früher Ereignisse einfach ignoriert wurden, war
das in diesem Fall nicht mehr möglich. Obwohl der Mord an Georgij Gongadse
einschüchtern sollte, wurde faktisch das Gegenteil bewirkt: Gesellschaft
und Berufskollegen fühlten sich zur Solidarisierung herausgefordert.
Was die Arbeit von Gongadse so besonders machte, davon erzählte
Olena Prytula, Chefredakteurin der Internetzeitung Ukrainska Prawda, und
gab damit einen Einblick in das eingespielte System von Drangsalierungen
von oben und den Mechanismen der Selbstzensur. Es sei üblich, dass Fragen
vor jeder Pressekonferenz mit dem Pressereferenten abgestimmt werden, wer
sich daran nicht halte, und Gongadse habe sich daran nicht gehalten, der
komme schnell auf die schwarze Liste und werde zu weiteren
Pressekonferenzen nicht mehr akkreditiert.
Eine weitere gängige
Praxis der indirekten Zensur sowohl in der Ukraine als auch in Russland
geht über die Steuerbehörde: Firmen, die auf bestimmten Kanälen Reklame
platzieren, werden vom Finanzamt bedroht. So kann sich selbst ein
"Altai-Gussinski", wie sich Jurij Purgin scherzhaft bezeichnet, der stolz
darauf ist, in seiner Region ein kleines, aber schuldenfreies
Medienimperium aufgebaut zu haben, sehr schnell vor dem finanziellen Aus
befinden.
Die alles überlagernde Frage der Diskussionsrunden war
schließlich die danach, was der Westen zur Unterstützung der unabhängigen
Medien beitragen könne. Mit einem Ausschluss etwa der Ukraine aus dem
Europarat werde nicht viel erreicht, darüber war man sich weitgehend
einig. Gerne wurde hier die Familienmetapher bemüht: Nur die eigenen
Sprösslinge könnten schließlich wirkungsvoll erzogen werden. Aber um so
mehr gelte, dass Versprechen nicht nur ausgesprochen, sondern auch
gehalten werden müssen, sonst verliere man an Glaubwürdigkeit. Wenn es
dafür nicht schon zu spät sei. "Die Ukrainer waren früher stolz darauf,
ein europäisches Land zu sein, aber mittlerweile ist eine anti-westliche
Hysterie ausgebrochen, schlimmer als in den Zeiten des Kalten Krieges", so Rachmanin.
Als gemeinsame Tendenz in allen drei Ländern stand so am Ende die zunehmend antiwestliche Haltung sowohl der Regierungskreise als auch der oppositionellen Medien. Zwar wünscht man sich vor allem in Russland mehr westliche Investitionen in den Medienbetrieb, um unabhängig von der Willkür der eigenen Steuerbehörde zu sein, gleichzeitig schottet man sich aber gegen westliche Ansprüche zunehmend ab. Den Grund dafür schilderte Mariana Maksimovskaja, frühere Nachrichtensprecherin bei NTW, eindringlich auf dem Russlandpodium: Den eigentlichen Schlag gegen die freie Presse in Osteuropa nämlich habe der Westen selbst verübt - mit dem Kosovo-Krieg.
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