Die Birke - Symbol des Neubeginns

von Doris Laudert (Universität München)

Was für die Deutschen die Linde darstellt, ist den Nord- und Osteuropäern die Birke: Baum der Liebe, des Lebens und des Glücks. Ihre überragende symbolische Bedeutung jedoch liegt im Licht, im Frühjahr, im Neubeginn, weshalb der Maibaum, Sinnbild des Frühlingserwachens nach alter Tradition ein Birkenbäumchen ist. Auch die Wiege des Neugeborenen baute man nach alter Überlieferung aus Birkenholz. Wurde in Rom ein neuer Konsul eingesetzt, trug man ihm dabei 12 Birkenstämmchen voran, und sein Liktorenbündel war mit Birkenzweigen geschnürt. In der Zeit um den 1. April, dem Beginn des neuen Geschäftsjahres in Großbritannien, beginnen dort die Birken auszutreiben. Junges Birkenlaub bezeichnet in Skandinavien den Anfang des landwirtschaftlichen Jahres, weil sich die Bauern bei der Aussaat des Sommerweizens nach ihm richten, denn abgesehen vom Holunder ist sie der erste Baum im Wald, der neue Blätter ansetzt:

"Wenn der Winter von dannen scheidet
und die Blumen im Grase blühn,
Wer ist lieblicher gekleidet
als die Birke im lichten Grün..."
Johannes Trojan

Sie ist Wahrzeichen von Estland, aber auch Finnen, Litauen und Polen ehren den Baum als nationales Pflanzensymbol.
An Lichtmess (2. Februar), dem Beginn des früheren Arbeitsjahres im bäuerlichen Leben, wurde das Wiedererwachen des Lichtes mit der Lichtmess-Birke gefeiert. Dieser Festtag galt der Heiligen Brigitte (wie der Name Birke vom indogermanischen "bhereg" abgeleitet) zu Ehren, die im 5. Jahrhundert in Irland lebte. Die heilige Brigitte hatte eine ursprüngliche keltische Gottheit der Wiedergeburt abgelöst.

Der Maibaum

"April ist Verheißung und tastender Neubeginn, Mai aber Vollendung" meint HAL BORLAND und ERICH KÄSTNER umschwärmt denselben Monat als "Mozart des Kalenders". Der mit bunten Bändern verzierte, umtanzte Maibaum personifiziert den "Wonnemonat", die schönste Zeit des Jahres und mit ihr die sich verjüngenden Kräfte der Natur. Meist war es eine junge Birke, welche man sich aus dem Wald holte, schälte (damit sich die Hexen nicht unter der Rinde festsetzen konnten) und aufastete, wobei der oberste Wipfel als wahrer Träger der Segenskraft stehenbleiben musste. Mit vielerlei Schmuckwerk, Eiern und Brezeln behängt, wurde er am 1. Mai in der Dorfmitte aufpflanzt.

[Dorfjugend]

Abb. 1: Dorfjugend stellt den Maibaum auf, alter Stich

In Russland war es Sache der Mädchen, die Maibirke zu holen. Dabei sangen sie:

"...Freut euch ihr Birken,
Freut euch ihr grünen!
Zu euch gehen die Mädchen,
Euch bringen sie Kuchen,
Backwerk und Omletten".

"Dieser Monat ist ein Kuss,/ den der Himmel gibt der Erde,/ dass sie jetzo seine Braut,/ künftig eine Mutter werde", beschreibt FRIEDRICH FREIHERR VON LOGAU [1604-1655] den Mai treffend.
Das ursprüngliche Frühjahrsfest unserer Vorfahren begann bereits in der Nacht zum 1. Mai, wenn die Vermählung der Erdmutter mit dem Himmel zur Förderung der Fruchtbarkeit feierlich begangen wurde. Als "Hieros gamos", heilige Hochzeit, wurde sie von einem Priesterpaar stellvertretend vollzogen, und erst in christlicher Zeit zur wilden, orgiastischen Walpurgisnacht umgemünzt. An der segensspendenen Kraft dieser Vereinigung, der Gewissheit der neuerwachten Lebenskraft, sollte das Volk in Dorf- und Feldbegehungen teilhaben. Die Tatsache, dass bei den Germanen der Tag mit der vorangegangenen Nacht begann (wie TACITUS in seiner "Germania" verständnislos feststellte), macht verständlich, dass natürlich auch große Festtage bereits in der Nacht davor anfingen.
Übrigens fielen die alten Fruchtbarkeitsfeste nicht überall auf die ersten Maitage. In Nordeuropa beispielsweise, mit seinem kälteren Klima und somit verzögertem Vegetationsbeginn, verlegte man die Feierlichkeiten auf einen späteren Zeitpunkt entweder Pfingsten oder Fronleichnam.
Erstmals schriftlich festgehalten wurde der Maibrauch in einer Aachener Urkunde aus dem Jahre 1225. Als der Dorfpfarrer den Tanz um den "gottlos aufgerichteten Baum" als von Dämonen beherrscht verdammte und ihn ohne langes Federlesen fällte, kam es zu Handgreiflichkeiten. Der schnell herbeigerufene Vogt allerdings fand Gefallen an der Feierlichkeit und ließ einen noch größeren Baum vom Wald holen, ganz im Sinne eines damaligen Bauernspruches: "Wer arbeitet, und niemals feiert, Lust und Kräfte bald verleiert".

"Ein schädlich und unnütz ding"

Warum zwischen diesem heidnischen Fruchtbarkeitszauber und der christlichen Anschauung große Diskrepanz herrschte, wird unter anderem aus einer Nachricht des Jahres 1585 deutlich: "...die Ausgelassenheit bei der Einholung des Maibaumes unter zahlreichem Geleit sei so groß, dass von den zum Walde gehenden Mädchen der dritte Teil die Ehre verliere". Da aber der Brauch auf längere Sicht nicht auszurotten war, erkannte die Geistlichkeit mit der Zeit, "dass man die Feste der Heiden allmählich christlich umwandeln solle und in manchen Themen nachahmen müsse". Nicht zum erstenmal in der christlichen Geschichte wurde aus der Not eine Tugend gemacht, indem man die heidnischen Dorfumgänge zu christlichen Maiprozessionen umfunktionierte.

Liebesbeweis
"Im Frühling, eh er Bletter gwinnt,
der Safft süß aus dem Stammen rint.
Grünt er, so setzt ihn mit Gebühr
der Hans der Greten vor die Tür."
Martin Mylius 1621

Aber nicht nur stattliche Bäume, sondern auch kleine Stämmchen werden im "Wonnemonat" aufgestellt. Bis zum Anfang unseres Jahrhunderts setzten Dorfburschen ihrer Angebeteten in der Nacht zum 1. Mai eine kleine Birke oder Fichte vor die Tür oder das Kammerfenster, in deren Rinde zuweilen der Name des Verehrers geschnitzt war. Diese Ehre wurde allerdings nur dem anständigen und treuen Mädchen zuerkannt. Das liderliche Mädchen musste sich gar einen "Schandmai", meist ein dürrer Baum, gefallen lassen. Damit dieses Zeichen der Schmach nicht so schnell entfernt und von den morgendlichen Kirchgängern noch gesehen werden konnte, steckte man ihn nicht selten auf den Dachgiebel.

Segenspendende Lebensrute

Der wissenschaftliche Name der Birke, Betula, soll vom lateinischen "batuare" abgeleitet sein und bezieht sich auf den alten, magischen Brauch des Schlages mit der Lebensrute, nicht auf die Züchtigung der Kinder. Dazu band man frischgrüne Birkenzweige zu einem Bündel zusammen und berührte oder schlug damit Menschen und Tiere, um sie vor Krankheiten und Gefahren zu schützen.
Viel häufiger denn als Lebensrute wurden Birkenzweige allerdings zur "Erziehung der störrischen Kinder" missbraucht. Zur Züchtigung sollte man sich jedoch nur der "Birkenruthen" bedienen, andernfalls gerieten die Kinder schlecht. Der deutsche Arzt Lonicerus war im 16. Jahrhundert des Lobes voll für diese Bestrafungsweise: "Die Birke ist auch heut zu Tag in großer Ehr, dieweil sie die böse und ungehorsame Kinder und Jugend straffet".
Daher man dann in Teutschen Reimen sagen:

"O du gute Bircken Ruth,
du machst die ungehorsamen Kinder gut!"


Wie hoch die Bedeutung der Rute in damaliger Zeit eingeschätzt wurde, wird aus folgendem Lied (ebenfalls 16. Jahrhundert) deutlich:

"Ein Biedermann soll in sein Haus
Des Brods viel lieber mangeln,
Denn dass die Ruth sei drauß."

Beim Anzapfen eines Birkenstammes rächt sich ein einst mit der Birkenrute gequälter Mensch mit folgenden Worten:

"O Birke, grausam durstiger Baum,
Mein ist nun Recht und Rache,
Oft trankest du mein junges Blut, Nun trink ich deins und lache."


Baum des Nordländers
In den nordischen Ländern spielte die Birke eine besondere Rolle. Bei den Letten bedeutet Birke nicht nur der einzelne Baum, sondern auch Birkenhain, Laubwald und Gehege überhaupt. Holz, Rinde, Wurzeln, Blätter, Knospen - alle Teile des Baumes waren verwendbar. Weil Birkenrinde den sogenannten Birkenteer eingelagert hat, brennt das Holz sogar im frischen, feuchten Zustand und ist somit dem Nordländer von unschätzbarem Wert. Bis in unser Jahrhundert fertigte man Fackeln aus spiralig gedrehten Birkenrindenstreifen, welche vor dem Gebrauch in Öl getaucht wurden. Wasserundurchlässige Rindenstücke wurden in Skandinavien beim Hausbau unter den Sohlbalken gelegt, um diese vor der vom Boden aufsteigenden Feuchtigkeit zu schützen. Auch Häuser deckte man damit. Ebenfalls aus Birkenrinde waren die besonders leichten Kanus der kanadischen Indianer gebaut. Die Rinde junger Birken findet in der russischen Hausindustrie vielseitige Verwendung. Sie ist weich und geschmeidig und lässt sich ähnlich wie Leder verarbeiten. Schuhe, Umhänge, Gamaschen und sogar Schmuck werden daraus gefertigt. Die Lappländer verstehen es sogar, aus den feinen Wurzeln der Zwergbirke (Betula nana) Decken zu flechten. Die Abkochung der Birkenblätter mit Alaun ergab eine grüne Farbe, das Schüttgrün und mit Zusatz von Kreide das Schüttgelb, welches früher bekannte Malerfarben waren. Nach ADELBERT VON CHAMISSO sollen die in Wasser abgekochten Blütenkätzchen eine Art Waschseife liefern.
Die innere, gelbe Rinde des Baumes, das sogenannte Kambium enthält außer Vitamin C und Zucker noch Öl. Manchen Indianern und Goldsuchern hat sie wahrscheinlich in harten Wintern das Überleben ermöglicht. Man bewahrte sie, in kleine Stücke zerschnitten, getrocknet und pulverisiert, auf und buk bei Bedarf eine Art Pfannkuchen.


Pech der Gallier und Postkarten aus Birkenrinde
Bereits die Alten Griechen kannten die Gewinnung des Birkenteers durch trockene Destillation der weißen, sich in horizontalen Streifen ablösenden Rinde. PLINIUS nennt den Baum "betulla", weil "bitumen ex ea Galli excoquunt", d. h. weil die Gallier aus diesen (den Birken) das Pech herauskochen. Das gewonnene Produkt fand vielseitige Verwendung. Unsere Vorfahren dichteten damit hölzerne Gefäße und Boote ab und verkitteten ihre Feuersteinspitzen mit Speer und Pfeil. Dem Vieh auf Wunden gestrichen, sorgte er für raschere Heilung. Aus Birkenteer wurde das Juchtenöl hergestellt, zum Einfetten des Juchtenleders mit seinem charakteristischen Geruch (auch Russisch-Leder genannt), welches dadurch nicht nur konserviert, sondern außerdem wasserdicht wird. Juchtenöl soll zudem Insekten abweisend sein.
Ein russisches Sprichwort besagt, die Birke leiste vier gute Dinge:
Als deutsche Soldaten im 1. Weltkrieg aus Russland Postkarten aus Birkenrinde in die Heimat schickten, war man über deren Erfindungsgabe sehr erstaunt. Die Idee dazu ist jedoch viel älter. Bereits PLINIUS erwähnt im ersten nachchristlichen Jahrhundert die Bücher des NUMA POMPILIUS, welche auf Birkenrinde geschrieben waren.
Der Kräutervater HIERONYMUS BOCK stellt dazu im 16. Jahrhundert fest:

"Der Birkenbaum ist vor zeitten in grosser würde gewesen/ darumb das man auff die weissen Rinden des selben baums etwan geschrieben/ ehe dann die lumpen zum Papyr erfunden seind worden/ wie ich danselbs zu Chur im Schweitzerland etlich Carmina Vergilii auff weisse Birkenrinden geschriben/ gesehen und gelesen hab".



Dem Russen die Birke
Dass ein Volk sich mit einem bestimmten Baum auf eine besondere Weise verbunden fühlt, liegt uns nicht fern. Was dem Griechen der Ölbaum oder dem Deutschen die Linde (bzw. Eiche), ist dem Russen die Birke. Der französischen Schriftsteller MANÈS SPERBER berichtet über eine kleine Begebenheit bei der es den Anschein hat, als könnten Bäume in den Herzen der Menschen Wurzeln schlagen. 32-jährig besuchte Lenin im Jahre 1903 als Exilrusse einen politischen Kongress in London. Wie es seine Art war, brachte er dabei mit nervöser Feder plötzliche Einfälle und Entwürfe zu Papier. Zwischendurch jedoch kritzelte er, seine Schriftart dabei ständig verändernd, das russsiche Wort "brjosa", Birke auf seine Zettel. Die endlosen Birkenwälder seiner russischen Heimat hatten sich, so vermutet SPERBER, fern über tausende Kilometer einen Platz in Lenins Herzen erobert.

Kosmischer Baum des Schamanismus
Nicht nur im skandinavischen, sondern auch im gesamten nordasiatischen Gebiet ist die Birke eng mit der Kulturgeschichte der einzelnen Völker verwoben. Verschiedene mongolische Stämme verehren die Birke sogar als Weltenbaum. Bei den Chakassen steht die heilige, sieben-ästige Birke auf einem eisernen Berge in der Mitte des Erdkreises. Die Tataren von Minusinsk huldigen der göttlichen Birke ebenfalls auf einem Berg:

Über zwölf der Himmelsgeländer
wächst auf eines Berges Höhe
eine Birke in die Lüfte.
Golden sind der Birke Blätter,
Golden ist der Birke Rinde.


Im Schamanismus, einer in verschiedenen Religionen auftretende magisch-ekstatische Praxis, begegnet der Initiierende in seinen Träumen manchmal "dem Baum, der allen Menschen das Leben geschenkt hat". In Sibirien, wo sich eine lange schamanistische Tradition bewahren konnte, handelt es sich häufig um eine Birke, dem "kosmischen Baum des Schamanismus". Wenn der Schamane in Trance während der Initiantionsriten die Weltenbirke besteigt, schneidet er dabei neun Kerben in den Stamm, Symbol für die neun Himmelssphären. Dabei gewinnt er die nötige Kraft, sich einen Weg zu den Göttern zu bahnen, beispielsweise um die Genesung eines Kranken zu erbitten. Aus einem Ast dieses heiligen Baumes muss sich der junge Schamane die Trommel, welche ihm sein Leben lang dienen soll, schnitzen. Beim Schlagen der geheimnisvollen Trommel wird der Trommler magisch zum Ursprungsbaum der Trommel versetzt, zum Weltenbaum, der zugleich Mittelpunkt der Erde ist. Dies ist der einzige Ausgangsort, um den Himmel zu erreichen. Übrigens glaubt man inzwischen zu wissen, warum in Sibirien gerade die Birke zum Weltenbaum avancierte. Birken leben nämlich in Symbiose mit dem Fliegenpilz, der wichtigsten Droge, die dem Schamanen ermöglicht, in höhere Welten zu entrücken.
Nicht nur der Baum selbst, sondern auch Teile von ihm wurden und werden als überirdische Werkzeuge benutzt, so der Besen, der ursprünglich viel mehr als ein einfaches Küchenutensil war. In den antiken Heiligtümern galt das Kehren mit dem Besen als kultische Handlung, und in buddhistischen und hinduistischen Tempeln wird es noch heute so gehandhabt. In unseren Breiten band man zu diesem Zweck Birkenreisig zusammen. Geschah dies zur Zeit der "Zwölften" (zwischen Weihnachten und Epiphanias), waren die Besen unverwüstlich.


Kostbarer Baumsaft
Birken besitzen die Fähigkeit, den Wasserhaushalt des menschlichen Körpers zu beeinflussen. Tee und Baumsaft regen aufgrund ihres Gehaltes an Flavonen und Saponinen Blase und Nieren an, ohne diese zu reizen, und eignen sich besonders als Frühjahrskur. Die Birke ist ein Heilmittel bei Wassersucht, Rheuma, Gicht, Arthritis, Nieren- und Blasensteinen.
Während weniger Wochen im Frühjahr steigt der bis 2% Traubenzucker enthaltende Saft in den Bäumen, wo er durch Anzapfen gewonnen werden kann. Dazu bohrt man den Stamm der Birke in etwa 1 m Höhe etwa 0,5 cm breit und einige Zentimeter tief an. Dann steckt man ein Glasröhrchen in die Öffnung und fängt das Birkenwasser mit einem darunter befestigten Gefäß während der nächsten 2 Tage auf. Um der Birke keinen größeren Schaden zuzufügen, muss die Wunde sofort mit Baumwachs verschlossen werden. Eine weit einfachere Methode ist es, einen jungen Zweig abzuschneiden, und die aus der Schnittstelle tropfende Flüssigkeit in einem Gefäß aufzufangen. Mit ein paar Zimtstangen und Gewürznelken kühl gestellt, hält sie sich eine gute Woche, geht dann aber bald in Gärung über. Bereits ALBERTUS MAGNUS erwähnt das Birkenwasser im 13. Jahrhundert, doch soll es schon germanischen Stämmen als belebender Frühlingstrunk gedient haben. Seit alters her wird er zum Säubern schlecht heilender Wunden und Ausschläge und als Gesichtswasser angewendet. Bei Schuppen und Haarausfall massiert man es als Haarwasser in die Kopfhaut ein.
HIERONYMUS BOCK scheint den Birkensaft oftmals verkostet zu haben, wie er in seinem Kreuterbuch dem Jahre 1551 vermeldet: "Under allen beumen ist kaum einer der den safft im Frühling so bald und uberflüssig an sich ziehe/ als eben der Birkenbaum... solchen süssen saft pflegen die dürstigen hirten in den wäldern zu drincken und hab mich selbs vilmal darmit erlabet."
Dass das Anzapfen dem Baum schadet, auch wenn das Bohrloch wieder sorgfältig mit Baumwachs verschlossen wird, weiß der russische Bauer, wie er in einem Sprichwort treffend ausdrückt: "Birkenwasser gewinnst du für einen Groschen und vernichtest den Wald für einen Rubel". Nichtsdestotrotz gilt der Birkenwein, nämlich vergorenes Birkenwasser, in Russland als berauschender, beliebter bäuerlicher Haustrunk. Früher wurde er "brüchigen" (impotenten) Männern zur allgemeinen Stärkung verabreicht.


Heilende Blätter, heilendes Holz
Die jungen, noch klebrigen, etwas bitteren Blätter werden im Mai geerntet und können frisch als Salatzutat gegessen werden. Getrocknet und zusammen mit Brennesselblättern als "Blutreinigungstee" aufgebrüht, trinkt man sie am besten innerhalb einer mehrwöchigen Frühjahrskur. Weil sie diuretisch wirken und zudem die Ausscheidungstätigkeit der Haut positiv beeinflussen, werden Birkenblätter in Form von Tee auch bei Hautkrankheiten angewendet. ADELBERT VON CHAMISSO beschreibt den Birkenbalsam, aus trockener Destillation der harzigen Birkenknospen hergestellt, als vorzügliches Wundmittel.
Als sehr alte Anwendung gegen Wadenkrämpfe legt man in manchen Gegenden kleinen Kindern und Schwangeren Birkenzweige ins Bett, eine Methode, welche bereits KONRAD VON MEGENBERG in seinem "Buch der Natur" [1349-1360] erwähnt: "pirkenholz, wer daz pei im tregt, daz ist für den krampf guot." Aus demselben Grund bezeichnet FABRICIUS das Birkenholz im 17. Jahrhundert gar als "lignum nervinum" ("nervenheilendes Holz"). Nach dem Volksglauben musste es am Gervasiustag (19. Juni) geschnitten werden, um seine Wirkung voll entfalten zu können.

Birken
Es decken Augen, Ringe, Striche,wie Götzendienst indianerhaft
mit Grau und Schwarz den Birkenschaft.
Als ob er einer Seele gliche, in der ein alter Weihekult,
noch nicht verdarbt sei vor dem neuen.
Das Krongrün flüstert über scheuen und blinden Zeichen der Geduld.
Das Laub summt für die stille Schar.
"Was wahr gewesen ist, bleibt wahr.
Die Erde leitet das Geschehen
mit Augen, die ihr Licht nicht sehen."
Oskar Loerke