DAS "GROßE HEER"

Die Zwölf Nächte und der Wilde Jäger

von Anton Markmiller

Im Volksglauben und Brauchtum ist der Zeitraum zwischen Weihnachten und Dreikönigstag mit der Bezeichnung „Zwölfnächte“ oder „Raunächte“ besonders hervorgehoben. Diese Spanne galt noch bis in die jüngste Vergangenheit hinein als die Zeit von Spukgeistern, die allerorten ihr Unwesen treiben. Um Schaden von Häusern, Höfen und Amtsgebäuden zu wenden, versprengte man in katholischen Gegenden Weihwasser und verbrannte Weihrauch.
Das noch heute übliche Beräuchern und Weihen der Häuser mit Gebeten und Liedern im Zusammenhang mit den Sternsingern am Dreikönigstag geht direkt auf diesen Brauch zurück, der seine Wurzeln in vorchristlicher Zeit hat. In den Raunächten trieben nicht nur bepelzte Dämonengestalten (rau: haarig, behaart) allerlei Schabernack mit den Menschen, auch die Wilde Jagd sauste durch die Lüfte und verbreitete Angst und Schrecken, die Seelen Verstorbener erschienen und künftiges Geschehen wird im Traum sichtbar.

Das Wilde Heer

Das Wilde Heer ist im deutschen Volksglauben ein Geister- beziehungsweise Totenheer, das nachts mit Jagdrufen und Hundegebell durch die Luft braust, geführt vom Wilden Jäger, der teils mythische (Wotan oder Odin), teils historisch bezeugte (Jäger Maltiz im Saarland) Namen führt. Vor allem im Wintersturm, in den heiligen zwölf Nächten, zieht das Geisterheer unter ungeheuerem Tosen durch den Himmel, Schrecken und Unheil unter Mensch und Tier verbreitend.

Diese Vorstellung von den Toten und ihrem Spuk ist bei allen Völkern der Erde bekannt. In europäischen Ländern wird die Wilde Jagd von jagdlustigen Rittern, grausamen Vögten oder leidenschaftlichen Jägern angeführt, die zur Strafe für Untaten, die sie zu Lebzeiten begangen haben, auf ewig durch die Luft fahren müssen. Der Mythos selbst ist aber noch wesentlich älter. Das Geisterheer war ursprünglich zusammengesetzt aus selbständigen Dämonen, niederen Gottheiten, die zu den Menschen in keiner näheren Beziehung, weder in guter noch in böser Absicht, standen. Die Toten und ihr Spuk wurden erst später zum Gegenstand des primitiven Glaubens und in den uralten Mythos hinein gedeutet.

Der Wilde Jäger und der nächtliche Heerzug

Der Wilde Jäger ist der Anführer des Geisterheeres, dem er voranreitet und dessen Zug durch die Luft er bestimmt. Er ist ein Dämon, der aus der Masse des Geisterheeres heraus gewachsen war und zu einem echten Hochgott wurde. In christlichen Ländern hat der Anführer der Geister die Entwicklung vom Dämon oder Gott zum Teufel und dann zu einer verdammten geschichtlichen Person durchgemacht. Er ist ein verdammter Toter.

Die Geistererscheinung tritt immer unter ungeheuerem Lärmen auf, unter Peitschenknallen und Hundegebell, Jagdrufen und Schüssen, was an eine Jagdgesellschaft denken lässt. Die Verbindung der nächtlichen Stunde, in der das Geisterheer seinen Umzug hält, mit dem unheimlichen Lärmen in der Luft musste auch unwillkürlich die Vorstellung von einer feindlichen Erscheinung wachrufen. Aus der Furcht vor dem wütenden Herr, der wilden Gefahr, gehen jene Sagen hervor, in denen der Wilde Jäger mit seinem Gefolge hinter Menschen und Tieren herjagt, unfreiwillige Zuschauer seines nächtlichen Heerzuges verfolgt und ihnen zu schaden versucht.


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