Was ist Plautdietsch???

von Peter Wiens

Die Sprachinselmundart Plautdietsch ist die Umgangssprache fast aller Russland-Mennoniten. In linguistischen Abhandlungen wird dieser Dialekt als niederpreußische Mundart bezeichnet, die sich im 16. und 17. Jahrhundert im westpreußischen Weichseldelta herausgebildet hat. Viele Anhänger der im Zuge der Reformation entstandenen protestantischen Freikirche der Mennoniten, die sogenannten Wiedertäufer, siedelten sich in dieser Gegend an und ließen die mitgebrachten Mundarten in Anlehnung an die neue (sprachlich ähnliche) Umgebung zur neuen Umgangssprache werden. Gleichzeitig wurde das Niederländische als Kirchensprache beibehalten.

Auf Einladung von Katharina II. bzw. Paul I., also Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, wanderten Tausende dieser Mennoniten von Westpreußen nach Südrussland aus. Die neuen Siedler niederländisch-niederdeutscher Herkunft - versehen mit Privilegien wie Religionsfreiheit und Aussicht auf Landerwerb - sollten die von den Türken zurückeroberten Landstriche urbar machen und den ukrainischen Nachbarn als Muster-Landwirte dienen. Im Laufe einiger Jahrzehnte gründeten die Russland-Mennoniten in ihrer neuen Heimat am Dnjepr in Südrussland zwei große "Mutterkolonien" mit insgesamt fast hundert Dörfern. Die erste, auch "Alt-Kolonie" genannt, ist als die Chortizaer Ansiedlung bekannt geworden. Die zweite, entsprechend als "Neu-Kolonie" bezeichnet, lag an dem Molotschna-Flüsschen und wurde daher Molotschnaer Ansiedlung genannt. In diesen Kolonien wurde ziemlich bald der Landmangel, der in der Erbteilungstradition begründet war, zu einem großen Problem. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (und später) entstanden daher unzählige "Tochterkolonien", die über weite Gebiete des Russischen Reiches verstreut lagen.

Da sich am Ende des 18. Jahrhunderts in der Kirchensprache Westpreußens gerade ein Wandel vom Niederländischen zum Hochdeutschen hin vollzog, nahmen die Auswanderer größtenteils schon deutsche Bibeln und Gesangbücher mit nach Südrussland. In den folgenden Jahrhunderten war nun Hochdeutsch die "geistliche Sprache", vor allem in den Predigten und Gebeten. Plautdietsch blieb nicht nur Umgangssprache, es wurde neben den religiösen Traditionen auch zu einem Faktor, der wichtig für Identität und Selbstbewusstsein wurde. Diese gemeinsame Sprache war ein starkes Bindeglied und deutliches Erkennungsmerkmal einerseits, aber es bot auch eine (hauptsächlich aus religiösen Gründen erwünschte) Abgrenzung von den übrigen deutschstämmigen Siedlern in Russland.
Wenn man sich von der aktuellen Situation des Plautdietsch ein Bild verschaffen möchte, muss man wissen, dass die Mennoniten schon im 19. Jahrhundert aus den russischen Siedlungsgebieten zunächst hauptsächlich nach Kanada und in die USA ausgewandert sind. Von dort aus gingen die Wanderströme später auch nach Mexiko, Paraguay und in andere Länder Mittel- und Südamerikas. Größere Migrationsbewegungen in die verschiedensten Richtungen gab es auch infolge des zweiten Weltkrieges, vor allem auch über Deutschland nach Lateinamerika. Schon in den 1970er Jahren begann zudem auch die Aussiedlung von den im Sowjetreich eingeschlossen gebliebenen Russland-Mennoniten, die inzwischen größtenteils in Deutschland leben.

Plautdietsch wird also heute auf dem gesamten Globus, vor allem aber in Kanada, in den USA, in Paraguay und (hauptsächlich von dem russland-mennonitischen Teil der Aussiedler) auch in Deutschland gesprochen. Geschrieben und gelesen wird in dieser Mundart traditionellerweise kaum, obwohl es immer schon einzelne Personen gegeben hat, die auch in ihrer Muttersprache dichteten und schrieben. Während man für das Plautdietsch insgesamt feststellen kann, dass die Zahl der aktiven Sprecher langsam (aber sicher) abnimmt, lässt sich auf der anderen Seite ein leicht gegenläufiger Trend konstatieren: Es wird versucht, eine Lese- und Schreibkultur ins Leben zu rufen, wie sie bisher nicht existiert hat.

Inzwischen gibt es ein breitgefächertes Angebot an plautdietscher Literatur, das vor allem auch im oder übers Internet zu bekommen ist. Die Nachfrage steigt - sei es zum Zwecke der Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und Traditionen, sei es einfach aus Gründen der Unterhaltung innerhalb der eigenen Subkultur. Auch die Zahl derjenigen nimmt zu, die sich mehr oder weniger wissenschaftlich für die verschiedensten Aspekte dieser Mundart interessieren, nicht zuletzt auch, um eine aussterbende Sprache für die Nachwelt zu dokumentieren.


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