WERDET WIE WIR!

Europa hat eine Chance, mit BSE fertig zu werden -
wenn es von Indern und ihren heiligen Kühen lernt

von Sudeep Chakravarti (DIE ZEIT 49/2000)

Es gab da diese fette Kuh, die auf dem Grünstreifen in der Nähe meines Apartments in Neu-Delhi herumstand. Ich sah sie morgens auf dem Weg zur Arbeit und abends, wenn ich nach Hause fuhr. Ich kannte sie so gut, dass ich ihr einen Namen gab: Usha, Göttin der Dämmerung.

Eines Tages fing ein kenianischer Freund an, sich für Usha zu interessieren. Er fuhr mit zu mir, betrunken, sehr hungrig. Er sah Usha und brachte nur ein einziges Wort hervor: »Dinner.« Ein paar Tage später verschwand Usha. Mein kenianischer Freund war nach Nairobi abgereist, wo er eine gut gehende Anwaltskanzlei besitzt, und ich hörte nichts mehr von ihm. Vielleicht hatte man Usha auf einer Party kenianischer Studenten als Hauptgericht verteilt; vielleicht war sie krank geworden, gestorben und als meine Brieftasche wiedergeboren worden. Jedenfalls habe ich meinen Freund im Verdacht.

Sie müssen wissen: Wir Inder haben diese quälenden Schuldgefühle gegenüber Kühen. Weil die Kuh Teil unseres Karmas ist, Teil unserer Kultur - und ein Politikum. Deshalb könnt ihr Europäer einiges von uns lernen: die Engländer, die als Erste unter der Seuche litten (einige Inder behaupten, die Engländer seien verrückt, nicht ihre Kühe) ebenso wie Franzosen und Deutsche. Die Kuh steht bei uns unter dem Schutz des Gesetzes. In den meisten indischen Bundesstaaten darf man sie nicht schlachten, um sie zu essen (höchstens, um ihr das Fell abzuziehen).

Einer glaubwürdigen Schätzung nach kommt auf drei Inder eine Kuh. Unsere dreihundertmillionenköpfige Kuhherde sichert uns die weltweit größte Milchproduktion. Experten behaupten sogar, dass wir, wenn wir uns mal richtig ins Zeug legten, der weltgrößte Exporteur von Milch und Milchprodukten werden könnten. Stellen Sie sich vor, dass das kleine holländische Mädchen mit den blonden Zöpfen auf Ihrer Edamer-Verpackung bald durch ein braunhäutiges Mädchen mit Punkt auf der Stirn ersetzt wird!

Die Kuh spielt eine große Rolle in unserer wichtigsten Religion, dem Hinduismus; seinen Anhängern gilt sie als heilig. Sie würden ihr nie ein Haar krümmen, in einigen Regionen Indiens steht sie im Mittelpunkt religiöser Rituale. Amerika hat sie eine der dauerhaftesten Redewendungen geschenkt, »holy cow!« - was so viel heißt wie »gütiger Gott!«. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Unsere Kuhverbundenheit stammt aus jener Zeit, als die im Indus-Tal ansässigen Kulturen den Indo-Ariern wichen, die sich in den Ebenen des Ganges niederließen und von dort auf den ganzen indischen Subkontinent ausbreiteten. Wie der Mongole sein Pferd anbetet und der Beduine sein Kamel, verehrte der Hindu die Kuh - einfach, weil sie für alles sorgte. Kühe geben Milch, man gewinnt Jogurt und Butterschmalz, eine heilige Substanz bei religiösen Zeremonien. Einige alte Texte behaupten, dass das Trinken von Kuhurin gut für die Gesundheit sei. Aus dem Kuhfell ließ sich Leder gewinnen, aus den Hörnern machte man Schwertknäufe. In den Texten wird im Übrigen auch erwähnt, dass man Kühe nicht nur ausbeutete und opferte, sondern auch aß.

Wir fürchten nicht BSE, aber 330 Hindugötter

Im 7. Jahrhundert vor Christus drängten frühe Vegetarier wie der Buddha Gautama die Gläubigen, kein Fleisch mehr zu essen, um des spirituellen Friedens willen. Einer der größten Hinduweisen, Vasishta, schrieb: »Man sollte niemals auf die Kuh herabsehen. Kühe sind die Mütter der Vergangenheit und der Zukunft. Kühe sind die Zuflucht der Welt. Aus diesem Grunde sind sie gesegnet, geheiligt und das Höchste aller Dinge. Kühe stehen am höchsten von allen Kreaturen. Jeden Morgen sollten sich die Menschen mit Respekt vor der Kuh verneigen.« Als vor 300 Jahren die Europäer anrückten, übernahmen sie die Praxis ihrer muslimischen Vorfahren: Rindfleisch nur, wem Rindfleisch gebührt.

Heute hat Indien nach Indonesien die zweitgrößte muslimische Bevölkerung der Welt, etwa ein Fünftel der Bevölkerung. Sie alle essen Rindfleisch, ebenso die Christen. Leute wie ich, die zu den anderen vier Fünfteln gehören, die Hindunamen haben, aber es mit der Religion nicht so ernst nehmen, gönnen sich dann und wann schon mal ein leckeres T-Bone-Steak. Wir denken dabei nicht an BSE, sondern an die Gefahr eines hohen Cholesterinspiegels und den Fluch von 330 Hindugöttern. Sie werden uns zur Strafe für unsere Blasphemie in der Hölle schmoren lassen, bis wir medium durchgebraten sind.

Wer gerne mal ein richtiges Stück Fleisch auf dem Teller hat, kann sich in einem der luxuriösen Hotelrestaurants von Delhi jederzeit ein Steak servieren lassen, es stammt wahrscheinlich aus Australien oder Südamerika. Die meisten Inder essen allerdings nur Hühnchen, Ziege oder das Fleisch der armen Wasserbüffel, von denen es Hunderte von Millionen gibt. Doch selbst der Genuss von Büffelfleisch ist umstritten, schließlich ähneln die Tiere den Kühen. Manche Restaurants in Delhi oder Mumbai setzen Büffelfleisch als »bœuf« auf die Karte, weil sie hoffen, ihre Gäste damit zu locken, ohne den Priester aus der Nachbarschaft zu verstimmen. Sogar multinationale Konzerne passen sich hiesigen Gewohnheiten an: Die Hamburger aus indischen McDonald's-Filialen enthalten nur Lamm oder Hühnchen, und auch auf den Pizzas von Pizza Hut sucht man vergeblich nach einem Fitzelchen Rindfleisch.

Unsere Kultur ist auf Beschränkung aufgebaut und auf Vegetarismus. So schützten wir uns schon vor BSE, bevor wir davon hörten (die Engländer sind wir bereits 1947 losgeworden). Aber auch wir machen Fehler, aus denen Sie vielleicht lernen können. Wir wissen nicht, was wir mit unseren vielen Kühen anfangen sollen. Die Stadtverwaltung von Delhi müht sich sehr, die 400.000 Kühe zusammenzuhalten, die auf Gehwegen und Kreuzungen herumstehen und -sitzen. Kaum ein Politiker wagt es, sich mit ihren Besitzern anzulegen, dieser Lobby städtischer Cowboys. Sogar die großen Highways, die man jetzt bauen will, um das Land voranzubringen, müsste man einzäunen, um sie vor den Kühen zu schützen (stellen Sie sich vor, eine Kuh trottet über die Autobahn, während Sie in Ihrem BMW mit mehr als 100 Sachen vorbeiflitzen). Außerdem fressen die Kühe alles kahl.

Ein anderes Problem ist, dass wir nicht wissen, wie wir mit den Fanatikern umgehen sollen, die die Kühe unbedingt beschützen wollen. Einige hinduistische Extremisten wollen das Schlachten von Kühen völlig verbieten, ebenso das Essen von Rindfleisch. Ihre Argumente:

1. Die Panik der Kühe im Schlachthaus löse Erdbeben aus.

2. Kuhurin helfe gegen Krebs, Impotenz, sexuell übertragbare Krankheiten, Leberkrankheiten, Tuberkulose, Polio und Fettleibigkeit.

3. Rotes Fleisch verursache Blindheit, Hautkrankheiten und Herzinfarkt.

4. Rotes Fleisch lasse Kinder früher geschlechtsreif werden. Impotenz und Scheidungen seien die Folge.

Punkt drei kann man vielleicht noch glauben. Kaum glauben kann man, dass fundamentalistische Hindus mit diesem Programm zur Wahl antraten und nicht in der Psychiatrie landeten - der Beweis, dass Indien ein wahrhaft demokratisches und liberales Land ist. Man muss Mut haben, um Kühe und Verrückte auf den Straßen herumlaufen zu lassen. Ob Deutschland das fertigbrächte?

Sie haben drei Möglichkeiten. Erstens, Sie konvertieren zum Hinduismus und verehren Kühe, statt sie zu essen. Zweitens, Sie beantragen die indische Staatsbürgerschaft. Drittens, Sie essen weiter Rindfleisch und laufen Gefahr zu sterben - oder demnächst geschieden zu werden.

Es gibt noch eine vierte Möglichkeit. Sagen Sie einfach nein zu Rindfleisch.


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