Polemisch geht die Welt zugrunde

Rezension zu "Hurra, wir kapitulieren!"

von Johanna Adorján (FAZ, 08.10.2006)

Henryk M. Broder hat ein neues Buch geschrieben, gegen das man nicht viel sagen kann. Leider

Es gibt Nervensägen, und es gibt Nervensägen, und Henryk M. Broder ist mit Sicherheit eine Nervensäge. Er schreibt für "Spiegel" und "Spiegel online", hat eine eigene Homepage, auf der er alles und jeden verdammt, und in Talkshows gibt er den selbstzufriedenen Provokateur, wobei seine Haltung klar umrissen ist: Er ist gegen Gutmenschentum und Claudia Roth, gegen Iris Berbens Hilfe für Israel und im Zweifel immer für Amerika. Sein neues Buch, das er sich gut gelaunt selbst gewidmet hat ("Für mich, zum Sechzigsten"), handelt "Von der Lust am Einknicken", wie der Untertitel verrät, und ist, auch das steht auf dem Umschlag vorne drauf: "Der ultimative Albtraum für alle Verfechter der Political Correctness". Dabei besteht kein Grund zum Zwinkern: Das Buch ist eine scharfsinnige Gesellschaftsanalyse, deren Argumentation so einleuchtend, so klar, konzise und gnadenlos zwingend ist, daß selbst ärgste "Verfechter der Political Correctness" Probleme haben dürften, dagegen anzukommen. Sie werden versuchen, Broder Polemik vorzuwerfen. Aber ist etwas weniger wahr, wenn jemand es amüsant auf den Punkt bringen kann?

"Hurra, wir kapitulieren!" handelt vom Umgang Europas mit den Herausforderungen des Islams, wobei Herausforderungen hier ein Euphemismus ist. Es handelt von den Menschen, und es waren ja nicht wenige, die nach dem 11. September als erstes sagten: "Ja, aber irgend etwas müssen wir ihnen ja angetan haben, daß sie uns so hassen." Es handelt davon, daß der Westen sich gewaltbereiten Moslems gegenüber nachsichtiger verhält als gegenüber gewaltbereiten Hertha-Fans. Es handelt vom ewigen Mantra, nur ja nicht die "religiösen Gefühle" der Moslems zu verletzen, die ja aber doch dauernd verletzt werden, zumindest die von einigen von ihnen, und daß diese einigen aber nicht alle Moslems sind, davon handelt das Buch auch.

Broder beginnt mit dem Eingeständnis, auf Terroristen immer ein wenig neidisch zu sein. Weil die von unserer Gesellschaft so viel netter behandelt würden als andere. "Wer ein Auto klaut und damit einen Menschen an einer Kreuzung totfährt, der ist ein Verbrecher", schreibt Broder: "Wer sich mit einer Bombe im Rucksack in einem Bus in die Luft sprengt und andere Passagiere mitnimmt, der ist ein Märtyrer, ein gedemütigter, erniedrigter, verzweifelter Mensch, der sich nicht anders zu helfen wußte." Hätten sie erst einmal ein paar Menschen in den Tod gerissen, würden sofort Stimmen laut, die sagten: Man darf sie nicht provozieren. Man muß den Dialog mit ihnen suchen. Man muß ihnen helfen, ihr Gesicht zu wahren. Darf ihre religiösen Gefühle nicht noch weiter beleidigen. Sie nicht reizen. Was eben, Broders Buch war da bereits gedruckt, in der grotesken Absetzung einer "Idomeneo"-Inszenierung gipfelte, diese vorauseilende Kapitulation vor vermeintlich beleidigten Islamisten, fing eher harmlos schon vor Jahren an: 1996 ließ das Berliner Landschulamt ein Plakat abhängen, das in vielen Schulen hing und eine Schultheateraufführung ankündigte und auf dem ein nacktes junges Paar zu sehen war. Es sei dazu angetan, so die Begründung, "die Gefühle islamischer Schüler" zu verletzen. Dabei hatte sich niemand beschwert. Die deutsche Behörde hatte fürsorglich für die religiöse Minderheit im Land mitgedacht und deren Weltanschauung über die eigene gestellt. Solche Demonstration von Schwäche habe dem Islamismus den Weg bereitet, meint Broder.

In seinem Buch geht es um die Rütli-Schule, um Europas laxen Umgang mit Ahmadineschad, um die Hamas, die Unruhen in den Pariser Vorstädten. Und um den Karikaturenstreit. Daß kaum eine deutsche Zeitung es wagte, die dänischen Mohammed-Karikaturen nachzudrucken, hält Broder für einen großen Fehler. In vorauseilendem Gehorsam habe man das Recht auf freie Meinungsäußerung aufgegeben und damit den Kern der Aufklärung und der Demokratie. Es frage sich, "ob Respekt, Rücksichtnahme und Toleranz die richtigen Mittel im Umgang mit Kulturen sind, die sich ihrerseits respektlos, rücksichtslos und intolerant gegenüber allem verhalten, das sie für dekadent, provokativ und minderwertig halten".

Und weil Broder immer auch sehr lustig schreibt, noch etwas weiter in seinem Text: "Die Diskussion darüber, welche blasphemischen Provokationen wir unterlassen sollten, damit sie sich nicht gekränkt fühlen, führt zwangsläufig in das Reich des Absurden. Dürfen fromme Juden von Nicht-Juden den Verzicht auf Schweinefleisch verlangen? Und mit Sanktionen drohen, wenn ihre Forderung nicht erfüllt wird? Darf ein Hindu Amok laufen, weil die Schweizer die Heiligkeit und Unantastbarkeit der Kuh nicht anerkennen? Wer Moslems das Recht einräumt, sich darüber zu empören, daß die Dänen sich nicht an ein islamisches Verbot halten, muß solche Fragen mit einem klaren Ja beantworten. Und schließlich auch Analphabeten erlauben, Buchhandlungen zu verwüsten, denn in einer Welt, in der sich jeder gekränkt und gedemütigt fühlen darf, darf auch jeder entscheiden, welche Provokation er nicht hinnehmen mag."

In einem Radiointerview hat Broder neulich einer vollkommen überforderten Radiomoderatorin zu erklären versucht, worauf er insgesamt hinauswill. Er habe ja überhaupt nichts dagegen, daß bis auf winzige Sehschlitze in ihren Burkas vollkommen verschleierte Frauen durch Berlin laufen, sagte er - nur würde er dann schon darum bitten, daß seine Tochter ihrerseits im Bikini durch Riad spazieren darf.

Auch ein Sieg nach Punkten ist ein Sieg. Kann das mal jemand gewaltbereiten Moslems erklären?


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