Die
Alternative

Zeitschrift der  Unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB
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Die verheerende soziale Lage des Andenstaates zwang viele BolivianerInnen in die Schattenwirtschaft als einzige Einkommensmöglichkeit.
Von Martin Bolkovac

Bolivien:
Koka, Neoliberalismus und Widerstand

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Das Straßenbild des bolivianischen Regierungssitzes La Paz wird von unzähligen StraßenhändlerInnen geprägt, die ihr umfangreiches Warensortiment bis spät in die Nacht hinein anbieten. Von Batterien und Kugelschreibern über raubkopierte Musikkassetten und Textilien bis hin zu Elektrogeräten zweifelhafter Herkunft kann alles erworben werden. Eine Indianerfrau verkauft Süßigkeiten und Hygieneprodukte direkt vor einem Supermarkt, wo die selben Produkte, allerdings weitaus teurer, in den Regalen liegen.

Die verheerende soziale Lage des Andenstaates zwang viele BolivianerInnen in die Schattenwirtschaft als einzige Einkommensmöglichkeit. Auch die Jüngsten müssen, u. a. als VerkäuferInnen oder SchuhputzerInnen, zum bescheidenen Familieneinkommen beitragen, nicht einmal die Hälfte der Kinder und Jugendlichen im Alter von 5-19 Jahren besucht die Schule. Bolivien gilt immer noch als ärmstes Land Lateinamerikas. Über 100 von 1000 Neugeborenen überleben ihr erstes Lebensjahr nicht und fast 70 Prozent der BolivianerInnen leben in Armut. Durchschnittlich werden nur 80 Prozent des täglich empfohlenen Kalorienbedarfs gedeckt. Nur ein Viertel ist an die Kanalisation angeschlossen, die Wenigsten besitzen Strom oder Heizung. Letzteres führt zu regelmäßigen Erkältungskrankheiten, denen vor allem Kinder und alte Menschen zum Opfer fallen. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat außerdem keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung.

Seit über einem Jahr ist mit Hugo Bánzer einer der brutalsten Ex-Diktatoren des Landes als demokratisch gewählter Präsident wieder in Amt und Würden. Von 1971 bis 1978 herrschte er mit eiserner Hand über Bolivien, ließ politische GegnerInnen und DemonstrantInnen foltern und ermorden. Den nach Südamerika geflüchteten Naziverbrecher Klaus Barbie, der Bánzers erste Machtübernahme finanziell gefördert hatte, setzte er als hohen Diplomaten ein. Bánzers Partei ADN erreichte bei den Wahlen von 1997 zwar nur rund 20 Prozent der Stimmen, wurde damit aber zur stärksten Kraft des politisch zersplitterten Landes.
Von der Aussichtsplattform des Flughafens von Trinidad aus beobachten Passagiere amerikanische Militärmaschinen beim Starten und Landen. Die Militarisierung der Drogenbekämpfung ist in der Hauptstadt des Dschungel-Departamentos Beni unübersehbar. Schon Anfang der 90er Jahre hatten die USA unzählige Militärberater, Hubschrauber, Flugzeuge und Schnellboote in den Urwald geschickt, um die bolivianische Regierung bei der Drogenbekämpfung zu unterstützen. Die USA fordern eine jährliche Vernichtung von 7000ha Kokapflanzungen, davon wird auch der Zugang zu internationalen Krediten abhängig gemacht. Hugo Bánzer hat daher versichert, den US-Forderungen bedingungslos nachzukommen.

Koka-Bauern, denen die Abfertigung der Regierung zu bescheiden ist, machen schon mal Bekanntschaft mit der gefürchteten Antidrogen-Sondertruppe UMOPAR ("Einheit des Militärs zur Drogenbekämpfung"). Koka, das zwar auch unverarbeitet gekaut, als Tee getrunken oder in diversen Produkten verarbeitet wird, dient natürlich in erster Linie als Rohstoff zur Kokainherstellung. Allerdings ignoriert die Drogenvernichtungspolitik Bánzers und seiner nordamerikanischen Verbündeten, die nicht fähig sind, das Drogenproblem auf ihrem eigenen Territorium zu lösen, die soziale Lage der Landbevölkerung. Um ihre Familien zu ernähren, bleiben den Campesinos nämlich meist überhaupt keine Alternativen zum Kokaanbau. Durch den Verkauf der lorbeerartigen Blätter verdienen sie ein Vielfaches dessen, was der Anbau von Alternativprodukten wie Kaffee, Bananen oder Orangen einbringen würde. Selbst viele arbeitslose Arbeiter aus der Stadt wählen daher die Migration in die Kokaanbauzonen des Tieflandes.
Wenig besser geht es den Minenarbeitern der zahlreichen Zinn- und Silberbergwerke. Sie müssen oft kilometerlang durch dunkle, enge Gänge zu ihren Arbeitsplätzen marschieren, wo ihre Körper durch sauerstoffarme Luft, Staub und harte Arbeit zerstört werden. Javier Suárez ist Minero in einer Privatmine im über 4000 Meter hoch gelegenen Potosi. Er verdient im Moment umgerechnet 1000 Schilling im Monat und gehört damit schon zu den Besserverdienenden "seiner" Mine. Denn wer eine ergiebige Ader findet, hat auch das Recht, diese auszubeuten, allerdings muß er 80 Prozent des Fundwertes an den ausländischen Minenbesitzer abtreten. Wer weniger Glück hat als Javier, muß Überstunden machen und auch am Sonntag zu seinem Arbeitsplatz herabsteigen, um ein ausreichendes Einkommen zu erhalten. Javier und seine Kollegen, die mit ihren Familien in einer Barackensiedlung nahe dem Haupteingang leben, essen nur wenig während der Arbeit. Vielmehr kauen sie den ganzen Tag lang Kokablätter, was den Hunger vertreibt und ihre Leistungsfähigkeit steigert.
Oft entlädt sich die Frustration der Armen in Streiks und Demonstrationen. In regelmäßigen Abständen marschieren die Campesinos zum Teil mehrere hundert Kilometer durch das Land nach La Paz, von GewerkschafterInnen und StudentInnen unterstützt. Letzten April legte ein Generalstreik das halbe Land lahm. Allerdings ohne Erfolg. Die Regierung ließ Polizei und Militär aufmarschieren. Etliche Menschen kamen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ums Leben.

Statt die soziale Situation der breiten Bevölkerung zu verbessern, befolgt auch die jüngste bolivianische Regierung, wie zu erwarten, artig den vom Internationalen Währungsfonds vorgegebenen Sparkurs: Privatisierung, Erhöhung der Preise für Treibstoff und Gas, Reduzierung der Beschäftigten im staatlichen Sektor usw. Bildung, Gesundheit und Soziales werden weiterhin vernachläßigt. Wie es aussieht, wird Bolivien auch weit über das Jahr 2000 hinaus das sozialpolitische Schlußlicht Lateinamerikas bleiben.


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