Die Realität: BERLIN IST PLEITE
Die Bankenkrise hat es offenbart

Von Jochim Stoltenberg (Berliner Morgenpost, 26.05.2001)

Glitzerfassaden hin, zaghafte Sparbemühungen her - Berlin ist seit Offenlegung des Gau (größter anzunehmender Unfall) bei der Bankgesellschaft elf Jahre nach der Wiedervereinigung auf dem Boden der Realität gelandet. Und der erlaubt keine Zweifel mehr. Berlin ist praktisch bankrott. Das hat fatale Konsequenzen. Für die Bürger, für die politisch Verantwortlichen im Senat wie im Abgeordnetenhaus, für den Wirtschaftsstandort Berlin, für das nationale wie internationale Ansehen der Hauptstadt. Es geht nicht länger um Millionen, es fehlen Milliarden in der Stadtkasse. Und das angesichts eines mittlerweile aufgetürmten Schuldenberges, der täglich mit elf Millionen Mark Zinsen zu bedienen ist.

Eine Stadt, die davor steht, einen Offenbarungseid zu leisten, ist politisch kaum noch handlungsfähig. Sie muß zudem ihren Bürgern neue schmerzliche Opfer verordnen und gerät in Abhängigkeit von denen, mit deren Hilfe allein sie finanziell mehr schlecht als recht überleben kann. Zu lange hat Berlin versucht, sich an der Wahrheit vorbei zu wurschteln. Vor der Wende haben West- wie Ost-Berlin wie selbstverständlich auf staatliche Subventionen gebaut. Die einen (im Westen) besser, die anderen, na, Sie wissen schon . . .

Mit der Wiedervereinigung hat sich fast alles grundlegend verändert. Auch die Bereitschaft der damaligen Bundesregierung, die Zahlungen an die vereinigte Stadt mit ihren enormen teilungsbedingten Lasten weiter sprudeln zu lassen. Binnen Jahren wurden in wilder Hast die Subventionen gestrichen, ohne dass sich Berlin neue Einnahmequellen hätte erschließen können. Andererseits fehlt der großen Koalition aus CDU und SPD bis heute der Mut, den neuen Realitäten wirklich ins Auge zu schauen und einen harten, konsequenten Sparkurs einzuschlagen.

Es wäre ungerecht, die Anstrengungen des Senats, sich über die Runden zu retten, unter den Tisch zu kehren. Von rund 160.000 Beschäftigten im öffentlich Dienst hat sich die Stadt seit 1991 vorzeitig getrennt. Aber noch immer stehen bei ihr 145.000 "Arbeitnehmer" [gemeint ist wohl "Gehaltnehmer", denn produktive Arbeit leistet ja kein einziger von den Sesselpupsern, Anm. Dikigoros] in Lohn und Brot. Sie kosten fast die gesamten Steuereinnahmen von etwa 14 Milliarden Mark und haben zudem eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2004. Mit diesem Versprechen hat sich der Senat selbst gefesselt. Das kann kein Gemeinwesen mit welcher Vorgeschichte auch immer verkraften. Viel zu spät und dann zu zaghaft hat sich die große Koalition an die Beschneidung sozialer Zusatzleistungen gewagt. Und dann die gegenseitigen Blockaden in den nächtlichen Haushaltsberatungen mit Kompromissen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, wenn es Jahr für Jahr darum ging, der bitteren finanziellen Realität zumindest ein Stückchen Rechnung zu tragen.

Diese letztlich bequeme Politik in unruhigen Umbruchzeiten hat zweifellos dazu geführt, dass die Stadt sozial einigermaßen befriedet geblieben ist. Aber diesese Politik des möglichst geringen Widerstands hat viel Geld gekostet. Berlins Schuldenberg wuchs von 30 Milliarden Mark Anfang der 90er Jahre auf mittlerweile gut 70 Milliarden Mark.

Keine Frage - und auch die Verantwortlichen vom Regierenden Bürgermeister Diepgen bis zum SPD-Fraktionsvorsitzenden Wowereit wissen es seit langem - Berlin lebt seit Jahren über seine Verhältnisse. Das Fiasko bei der Bankgesellschaft allein ist nicht der Grund für die Finanzkatastrophe. Der drohende Zusammenbruch der Bank hat sie weiter verschlimmert, zugleich aber auch endlich offengelegt und amtlich gemacht, dass Berlin allen Glitzers zum Trotz ein Armenhaus ist.

Die Bürger werden es bald noch härter spüren als bisher schon. Senat und Bezirke werden ihre Leistungen und Angebote weiter einschränken müssen, die Beschäftigungsgarantie im öffentlichen Dienst wird nicht einzuhalten sein, weitere Privatisierungen sind unausweichlich. Die kulturellen Einrichtungen der Stadt, ihre Universitäten, die Wirtschaftsförderung - sie alle werden noch mehr vom Rotstift bedroht. Jetzt helfen keine Finten und keine früheren Versprechungen mehr. Denn Berlin, der Senat, das Abgeordnetenhaus, die Parteien entscheiden künftig nicht mehr allein über den Haushalt der Stadt. Ob die laufenden Neuverhandlungen über den Länderfinanzausgleich oder neue Bundeshilfen im Falle eines festgestellten «Haushaltsnotzustandes», der zweifellos bevorsteht, - die künftigen Geldgeber in den reichen Ländern wie im Kanzleramt und im Bundesfinanzministerium werden dem Senat Sparauflagen verordnen, die die große Koalition unerbittlich durchzusetzen hat. Die Länder Bremen und Saarland haben diese bitteren Erfahrungen bereits gemacht.

Erst wenn der Berliner Haushalt auf dem Wege der Gesundung ist, besteht eine ernsthafte Chance, mit dem Bund aussichtsreich über dessen dauerhafte finanzielle Mitverantwortung für die unbestreitbaren Hauptstadtkosten, die einen armen Stadtstaat überfordern, zu verhandeln.

Über die Länderfusion mit Brandenburg dagegen ist vorerst ernsthaft nicht weiter zu reden. Sie müsse sich «rechnen», haben Diepgen und Stolpe immer wieder bekräftigt. Sie wird sich angesichts des wachsenden Schuldenbergs in beiden Ländern auf absehbare Zeit nicht «rechnen». Das ist bitter, aber auch eine Realität, die es endlich zu akzeptieren gilt.

Und wer trägt die politische Verantwortung für die Pleite? Seit 1991 regieren CDU und SPD gemeinsam die Stadt, der Regierende Bürgermeister hat anders als der Kanzler in der Bundesregierung keine Richtlinienkompetenz im Senat. Also ist die große Koalition gemeinsam in der finanziellen Sackgasse angekommen. Aber das ist natürlich zu einfach. Der Regierende wird eine personelle Konsequenz ziehen müssen, wenn er nicht selbst ins Zentrum der Krise geraten will. Die niederschmetternden Erkenntnisse über Ex-Hypobank Chef Klaus Landowsky zwingen Diepgen geradezu, sich ganz schnell von seinem Stellvertreter im CDU-Landesvorsitz zu trennen.

Der SPD andererseits ist dringlich anzuraten, das parteipolitische Süppchen auf allenfalls kleiner Flamme zu kochen und sich mit aller Energie zusammen mit dem Koalitionspartner auf die Sanierung des Berliner Haushalts und damit auf die Realitäten in der Stadt zu konzentrieren. Zu diesen Realitäten zählt auch, dass ein Koalitionswechsel hin zu den Grünen und der PDS die Bereitschaft von aussen, Berlin zu helfen, schwinden lassen würde.


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