BERLIN VOR DEM FINANZKOLLAPS
Spekulative Immobilienblase geplatzt

von Lothar Komp (Neue Solidarität Nr. 23/2001)

Der Einsturz des Weltfinanzsystems hat die Bundeshauptstadt erreicht. Die Beinahe-Pleite der Berliner Bankgesellschaft infolge windiger Geschäfte mit aussichtslosen Immobilienprojekten reißt den Haushalt des Bundeslandes mit in den Abgrund.

Wenn spekulative Blasen platzen, dann muß der Steuerzahler bluten. Getreu diesem Prinzip hat die japanische Regierung in den vergangenen zehn Jahren ein Rettungspaket nach dem anderen für die gescheiterten Privatbanken des Landes verabschiedet und dabei eine derart gigantische Staatsschulden aufgehäuft, daß zusätzlich zu den Banken nun auch der japanische Staat am Rande des Bankrottes steht. Besonders schlechte Karten hat der Steuerzahler dann, wenn die Regierung selbst Milliarden mit Fehlspekulationen in den Sand setzte. So mußte die kalifornische Landgemeinde Orange County im Dezember 1994 Konkurs anmelden, nachdem sie 2 Mrd. Dollar aus einem Fonds für Schulen, Wasserversorgung und öffentliche Nahverkehrsunternehmen bei Spekulationen mit Finanzderivaten verzockte.

Jetzt hat es Berlin getroffen. Die Berliner Bankgesellschaft, mit einer Bilanzsumme von 400 Mrd. DM die zehntgrößte Bank Deutschlands, steht wegen fauler Immobilienkredite vor dem Zusammenbruch. Um ein Haar wäre am 31. Mai bereits die größte Bankenpleite Deutschlands in der Nachkriegszeit eingetreten: Nachdem die Berliner Bankgesellschaft zwischen 1994 und 1999 schon 7 Mrd. DM an Krediten abgeschrieben hatte, mußte sie in diesem Jahr weitere 5 Mrd. DM an Krediten als "beobachtungswürdig" einstufen. Daraufhin drohte das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BA-Kred) mit der Schließung der Bank zum 31. Mai, weil ihr Eigenkapital infolge der Abschreibungen auf weit weniger als das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von 8% des Kreditvolumens zusammen geschmolzen war. Dabei wären nicht nur 16000 Arbeitsplätze vernichtet worden, sondern auch der größte Kreditgeber der Berliner Wirtschaft.

Nur durch eine förmliche Garantie des Berliner Senats am 22. Mai, binnen weniger Wochen die Milliardenlöcher bei der Berliner Bankgesellschaft zu stopfen, konnte die Pleite einstweilen verhindert werden. Wieviel Steuergelder das Land jetzt in die Bank, an der es zu 56% beteiligt ist, hinein pumpen muß, steht noch gar nicht fest. Mitte April hatte der Vorstandsvorsitzende der Bankgesellschaft, Wolfgang Rupf, den Fehlbetrag beim Eigenkapital der Bank auf 2 Milliarden DM geschätzt. Finanzsenator Peter Kurth sprach dagegen am 22. Mai von "mindestens vier Milliarden DM", während andere Mitglieder der Berliner Landesregierung eher mit 5 Mrd. DM rechnen. Und bis zum Abschluß der Sonderprüfung durch die Aufsichtsbehörden Anfang Juni wird dieser Betrag wohl noch weiter ansteigen. Beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband kursiert bereits die Zahl von 8 Mrd. DM.

Verschleierung fehlgeschlagener Spekulationen

Der Berliner Immobilienboom unmittelbar nach der Wiedervereinigung fand im Jahr 1994 ein jähes Ende. Während die Berliner Industrie abgewickelt wurde, ergoß sich ein riesiger Kreditstrom in den Bau unzähliger Büropaläste, die dann niemand haben wollte. Anstatt ständig weiter zu steigen, kollabierten die Immobilienpreise, und heute stehen 1,3 Mio. Quadratmeter Bürofläche in Berlin leer. Das Platzen der Berliner Immobilienblase hinterließ Spuren im Bankensektor, welche man dann nach Kräften zu verwischen versuchte. So wurden im Jahre 1994 die bereits schwer angeschlagene Berliner Bank und die Berliner Hyp mit der Landesbank Berlin zur Bankgesellschaft Berlin verschmolzen. Um mit den Großbanken in Frankfurt gleichzuziehen, wurde das Kreditvolumen weiter aufgestockt. Und da es in Berlin nun einmal kaum noch industrielle Investitionen gab, floß das meiste wiederum in den Bausektor. Neben dem Kreditgeschäft florierte das Fondsgeschäft. Die zur Landesbank Berlin gehörende IBG stieg zum größten deutschen Emissionär von Immobilienfonds auf, indem sie 70.000 zahlungskräftigen Anlegern großzügige Garantien versprach.

Unterdessen gingen immer mehr Kredite zu Bruch, was die mit der Berliner Regierung verquickten Vorstände der Bankgesellschaft zu bizarren Verschleierungsbemühungen veranlaßte. Beispielsweise wollte die Führung der Bankgesellschaft Ende 1999 den Totalverlust von Krediten in Höhe von 660 Mio. DM an die Aubis-Gruppe auf derart abenteuerliche Weise kaschieren, daß die Kreditabteilung der Berlin Hyp sich geschlossen geweigert hatte, bei dem Deal mitzumachen. Er wurde dennoch durchgeführt.

Besondere Kreativität bewiesen die Manager der Bankgesellschaft auch bei dem Versuch, Anfang dieses Jahres im Komplott mit der US-Investmentbank J.P. Morgan die Tochter IBG zu "verkaufen". Zu diesem Zweck fand man einen "Käufer" im Steuerfluchtparadies der Cayman-Inseln, eine Finanzgruppe namens Greico. Diese hatte freilich keine Lust, die IBG mit eigenem Geld zu erwerben, sofern sie denn überhaupt welches besitzt. Statt dessen sollte J.P. Morgan dem windigen Unternehmen 300 Millionen Dollar leihen, und für den Rest des Betrages sollte der "Verkäufer", die Bankgesellschaft Berlin, einen Kredit an Greico ausstellen. Wegen Einspruchs der deutschen Aufsichtsbehörden kam das Scheingeschäft allerdings nicht zu Stande.

Inzwischen hat die Berliner Staatsanwaltschaft 23 Ermittlungsverfahren gegen Manager der Bankgesellschaft wegen des Verdachts krimineller Tätigkeiten aufgenommen.

Schuldenmoratorium statt Kahlschlag

Bis die Machenschaften, die zu den Milliardenverlusten bei der halbstaatlichen Berliner Bankgesellschaft führten, alle aufgeklärt sind, wird noch einige Zeit vergehen. Ganz unmittelbar droht aber der finanzielle Kollaps der Stadt Berlin. Am 28. Mai gestand der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen ein, daß für die kurzfristige Rettung der Bankgesellschaft, zu der man sich am 22. Mai verpflichtet hat, und zur Deckung von Einnahmeausfällen aus dem zur Zeit nicht möglichen Verkauf von Anteilen an der Bankgesellschaft, Berlin in diesem Jahr dreimal so viel neue Schulden machen muß wie geplant, 9,6 Mrd. DM statt 3,6 Mrd. DM.

Dabei befand sich Berlin auch ohne die Bankenkrise schon in extrem prekärer Finanznot. Selbst wenn man die Bankgesellschaft fallen ließe, so heißt es jetzt in der Berliner Finanzverwaltung, wäre Berlin dennoch spätestens im Herbst zahlungsunfähig und könnte Beamtengehälter und die Rechnungen von Bauunternehmen und Lieferanten nicht mehr zahlen. Trotz massiver Haushaltskürzungen in den vergangenen Jahren sind die Schulden Berlins auf 65,4 Mrd. DM angestiegen. Am Jahresende wären es dann schon 75,0 Mrd. DM. Von den für nächstes Jahr erwarteten Steuereinnahmen in Höhe von 17,1 Mrd. DM werden 4,6 Mrd. DM gleich wieder für Zinszahlungen an die Banken abfließen.

Allein schon die Aufbringung der zusätzlichen 300 Mio. DM pro Jahr an Zinsen (für die 6 Mrd. DM zusätzlicher Neuverschuldung) durch Ausgabenkürzungen der Berliner Bezirke hätte katastrophale Folgen. Der Bezirksbürgermeister für Berlin-Mitte Zeller erklärte: "Dann würden bei uns keine Straßen mehr ausgebessert, auf den unbepflanzten Grünanlagen könnten Gärtner nur noch Staub zusammenfegen, an den Schulen gebe es von der Tafelkreide bis zum Schulbuch nichts mehr, und auch die Jugendeinrichtungen bekämen kein Geld." Bezirksbürgermeister Klett von Marzahn-Hellersdorf betonte, wenn sein Bezirk nach den dramatischen Einsparungen der vergangenen Jahre nun noch einmal 25 Mio. DM einsparen müßte, "dann können wir alle Schulen dicht machen, denn das ist genau die Summe, die uns für die Ausstattung und Erhaltung der Schulen zur Verfügung steht".

So weit darf es nicht kommen. Berlin muß jetzt die finanzielle Notbremse ziehen und bis zur Klärung der Lage nötigenfalls ein Schuldenmoratorium erklären. Berlin erfüllt längst die beiden Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht im Mai 1992 für die Feststellung einer "extremen Haushaltsnotlage" angab: Erstens liegt die Kreditfinanzierungsquote, also der Anteil der öffentlichen Ausgaben, die über Kredite finanziert werden, über dem Doppelten des Bundesdurchschnitts. Tatsächlich übertrifft Berlin hier mit 9,3% sogar mehr als das Dreifache des Bundesdurchschnitts von 3,0%. Und zweitens liegt auch die ins-Steuer-Quote, das Verhältnis von Zinsausgaben zu Steuereinnahmen, weit über dem Bundesdurchschnitt. In Berlin werden 24,5% der Steuereinnahmen für Zinsausgaben verbraucht, im Bundesdurchschnitt sind es 11%.

Bei einem Schuldenstand in Berlin von 19400 DM pro Einwohner, doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt, und einem Pro-Kopf-Steueraufkommen, das noch nicht einmal ein Drittel so hoch ist wie in Hamburg, ist offensichtlich, daß die Bundeshauptstadt unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht in der Lage ist, ihren Verpflichtungen ohne zusätzliche Hilfen von außen nachzukommen. Aber mit ein paar weiteren Milliarden pro Jahr vom Bundesfinanzminister ist es nicht getan.

Das Problem der verfehlten Wirtschaftspolitik des vergangenen Jahrzehnts muß grundsätzlich angegangen werden. Statt brutaler Sparpolitik, die wie im Falle Berlins am Ende nur noch mehr Schulden produziert, muß jetzt die Reindustrialisierung des Berliner Umfelds voran getrieben werden, die wiederum nur im Rahmen eines längst überfälligen transeuropäischen Wiederaufbau- Programms stattfinden kann.


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