"DIE BENESCH-DEKRETE SIND NICHT TOT"*
*(solange noch Tschechen leben, Anm. Dikigoros)

Sudetendeutsche Initiative klagt gegen Tschechische Republik vor
Europäischem Gerichtshof - Ziel ist Rückgabe des Eigentums

von Gernot Facius (DIE WELT, 7. Juli 2004)

Bonn. Der pensionierte Bankkaufmann Erich Högn (70) aus dem feinen Taunusort Königstein vor den Toren der Finanzmetropole Frankfurt ist seiner Profession nach ein realistisch kalkulierender Zeitgenosse. Risikogeschäfte sind nicht seine Sache. Dass er sich nun im Ruhestand einer brisanten Sache verschrieben hat, von der man nicht weiß, wie sie ausgehen wird, hat mit seiner Herkunft und seinem verletzten Rechtsempfinden zu tun: Högn ist Heimatvertriebener aus dem sudetendeutschen Erzgebirge, und mit gleich Gesinnten aus Deutschland und Österreich hat er die Tschechische Republik vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt. Das Ziel: Rückgabe des nach 1945 auf Grund der umstrittenen Benesch-Dekrete konfiszierten Eigentums bzw. eine finanzielle Entschädigung.

Die Sudetendeutsche Initiative (SDI), deren Aktivitäten der frühere Banker koordiniert, ist zwar schon zwei Jahre alt, aber erst jetzt kann sie einen ersten Erfolg vermelden: Die Richter in Straßburg haben 79 Beschwerden "bestätigt und registriert". Das sei doch sehr bemerkenswert, sagt Högn, "denn in 95 Prozent aller Fälle scheitern solche Anträge". Seit dem EU-Beitritt Tschechiens melden sich immer mehr Sudetendeutsche bei der SDI in Königstein: "Wir haben inzwischen deutlich mehr als 100 neue Interessenten. Wir rechnen damit, dass 90-95% mitmachen." Unter den Klägern sind Landwirte, ehemalige Immobilienbesitzer, aber auch Eigner von Sanatorien in den westböhmischen Kurbädern und Industrielle. Der Bundesverband der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) gibt sich abwartend, möchte sich mit der Initiative nicht identifizieren, erlaubt aber immerhin Högn, eine eher unauffällige Anzeige in seiner Wochenzeitung zu schalten: "Sudetendeutsche! Eigentum ist Menschenrecht! Fordert euer rechtmäßiges Eigentum ein. Wir helfen euch!"

Die Landsmannschaft kann das nicht, sie kann nur politisch argumentieren. Eigentum ist ein Individualrecht. Nur individualrechtlich lässt es sich einfordern, umgekehrt kann auch nur der Eigentümer darauf verzichten, aber kein Staat und keine gesellschaftliche Gruppe. "Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass auf dem politischen Weg nichts mehr zu holen ist", sagt SDI-Chef Högn. "Deshalb unser juristischer Vorstoß." Der österreichische Anwalt Thomas Gertner vertritt die sudetendeutschen Kläger.

Gertner war bereits in Straßburg für die Erben der enteigneten "Neusiedler" in der ehemaligen DDR tätig. Er beantragte nun festzustellen, dass Prag in der Eigentumsfrage gegen Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention und gegen Artikel 14, der ein Diskriminierungsverbot enthält, verstößt. Gertner und Högn rechnen mit einer Verfahrensdauer von bis zu drei Jahren. Sind tatsächlich primär materielle Interessen im Spiel, wie die Forderung nach Eigentumsrückgabe vermuten lässt? "Nein", antwortet Högn. "Es geht uns vor allem um den Freispruch von einer Kollektivschuld der Sudetendeutschen, wie sie von Benesch postuliert worden ist." Und es müsse in Europa ein Druck auf die Tschechische Republik erzeugt werden, die Benesch-Dekrete aufzuheben: "Denn es ist ja nicht wahr, dass diese Dekrete tot sind. Sie werden in der tschechischen Rechtspraxis noch immer angewandt. Und vom Prager Parlament sind sie 2002 ausdrücklich bestätigt worden." In der Landsmannschaft gibt man sich skeptisch. Man fürchtet, dass Prag die Aktivitäten der SDI als Vorwand nehmen werde, um das Zerrbild einer "sudetendeutschen Gefahr" zu verfestigen. Der Bundesvorstand der SL hat allerdings ein Gutachten in Auftrag gegeben über die europarechtlichen Perspektiven nach dem EU-Beitritt Tschechiens - und zwar nicht nur zur Eigentumsproblematik, sondern zu allen die Sudetendeutschen betreffenden Fragen.

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