Vor 99 Jahren: Bau der Bagdad-Bahn beschlossen (05.03.1903)

von Hans Werner Gille/BR (Redaktion: Renate von Walter)

"Mache Reisen. Versuche es wenigstens. Es gibt nichts anderes." Für Globetrotter sind diese Sätze des amerikanischen Dramatikers Tennessee Williams eine echte Botschaft. Sie lieben solche Sätze, und es ist ihnen egal, ob sie zu Fuß, zu Pferd, mit dem Auto, einem Dampfer oder mit der Bahn reisen. Unterwegs sein, das ist die Hauptsache, Fremden begegnen, Grenzen überqueren. In den Tropen schwitzen und in Grönland frieren - macht nichts, lieber Abenteuer mit Strapazen als geordneter Alltag ohne. Aber ein bisschen Komfort darf schon dabei sein. Auch in den Wüsten sind schließlich die Oasen die Sahne im Kaffee. Für Eisenbahnfans sind es die transkontinentalen Luxus-Züge. Wem schlägt nicht das Herz schneller bei dem Gedanken an eine Fahrt mit dem Transsibirien-Express von Moskau nach Wladiwostok oder an die 4000 Kilometer lange Reise mit dem "Indian-Pacific" quer durch Australien?
4000 Kilometer mit der Bahn! Das entspricht der Strecke Berlin - Bagdad. Und genau diese Bahn wollten die Deutschen bauen - das wurde am 05. März 1903 in Berlin beschlossen.

Der Schienenweg führte zunächst über den Balkan bis nach Istanbul. Von der türkischen Hauptstadt ging es dann in die Stadt der "tanzenden Derwische" - nach Konia - und von dort aus durch das wild zerklüftete Kurdengebiet über Adana nach Aleppo. Von der syrischen Handelsmetropole wurden die Gleise weiter nach Mossul verlegt. 1914 war Bagdad erreicht. Aber Bagdad, die heimliche Königin des Orients, war nur das erste Ziel. Von hier aus sollte der Schienenweg bis tief in den Süden führen. Basra, die Hafenstadt Sindbads des Seefahrers am Persischen Golf, war als deutscher Flotten- und Handelsstützpunkt vorgesehen.

Wunder wurden erwartet. Die Bagdad-Bahn würde Menschen, Arbeit, Geld bringen - bescheidenen Wohlstand für viele, echten Reichtum für wenige und Abenteuer für all jene, denen wochenlange Bahnfahrten, Sandstürme, Lasterhöhlen, Bauchtänzerinnen und die 1001 Erlebnisse am Schienenweg das Wichtigste waren.

Mit allen Mitteln wurde der Bahnbau vorangetrieben - und mit allen Mitteln bekämpften Engländer, Russen und Franzosen dieses "deutsche Nahostprojekt". Die Deutschen in der Nähe der Ölquellen der arabischen Staaten, das sollte unter allen Umständen verhindert werden.

Berlin nahm Warnungen auf die leichte Schulter. Berlin sprach von gleichen Rechten und von Geschäften. Russland hatte um die Jahrhundertwende mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn den Weg nach Asien gebahnt, Frankreich Indochina unterworfen, die englische Königin schon Jahrzehnte zuvor den Titel "Kaiserin von Indien" angenommen - nun pochte Deutschland auf gleiche Rechte beim Zugang zu den Schätzen Asiens und des Orients.

Doch der 1. Weltkrieg zerstörte das gesamte Schienennetz. Erst in den 30er Jahren wurde die Arbeit wieder aufgenommen, und 1940 standen die Signale dann endlich auf "Freie Fahrt". Aber wieder zerstörte ein Krieg, was mit unendlichen Mühen und riesigen Kosten geschaffen worden war.

Eine der letzten Lokomotiven des Zuges steht heute vor dem Bahnhof der syrischen Stadt Aleppo. Kinder toben darin herum und spielen Lokführer und Heizer. Wer hätte gedacht, dass dieses technische Großprojekt einmal als Kinderspielzeug enden würde?

Doch nichts ist endgültig in unserer Welt. Vielleicht fährt einesTages auch wieder die Bagdad-Bahn. Wer es nicht glaubt, der sollte den Märchenerzählern in Damaskus und in Bagdad zuhören. Sie schwärmen von den Wundern und Abenteuern, die wir bei einer Fahrt mit diesem Zug erleben werden. Dass es die Strecke noch gar nicht gibt - egal, wenn wir zu Füßen der Geschichtenerzähler sitzen, dann hören wir das Rollen der Räder dieses deutsch-arabischen Nahost Express ganz deutlich... wetten?


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