Die Bagdadbahn

von Karsten Brandt


Bei der Planung der berühmten Bagdadbahn waren, wie schon beim Bau des Orientexpress zwischen Wien und Istanbul, wirtschaftliche Argumente nur Nebensache.


Abb.:Übersichtskarte der Planungsvarianten der Bagdadbahn durch Ostanatolien
nach Persien. Weiße Linie heutige Bahnlinie in den Südosten.

Die ersten Gedanken einer Bahn zum Persischen Golf stammen von den Briten, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bemüht waren den Weg zu ihrer Kolonie in Indien möglichst offen zu halten. Zum Schutz vor Rußland, dem Expansionen zum Golf nachgesagt wurden, überlegt man schon 1829 eine schnelle Verkehrsverbindung zwischen Syrien und dem Golf zu bauen, um hier militärisch wirkungsvoll aktiv zu sein.

Nach der Besetzung Ägyptens ließ das Britische Interesse an dieser Bahnstrecke nach, nachdem die Suezkanalroute absolut gesichert war

Abdülhamit II.maß der Eisenbahnpolitik zentrale Bedeutung bei – nach der katastrophalen Niederlage nach 1878 gegen Rußland war die Entwicklung des Landes auch bitte nötig gewesen.

Durch die Bahn sollte, Handel, Gewerbe und damit das gesamte Land besser vernetzt und verbunden werden

Aber entscheidende Argument für den Sultan waren wieder militärische und innenpolitische Gründe. Eisenbahnen sind in der Lage Truppen schnell über das ganze Land transportieren. Für die innenpolitischen und außenpolitischen Konflikte des Staates war dies nun sehr wichtig.

Da auch bei diesem Projekt wieder mal kein Geld für so einen Bau vorhanden war, wandte sich das Reich wieder an Finanzspekulanten. Anderseits erkannte er auch, daß das Land technologisch nicht in der Lage wäre so ein Projekt zu steuern. Bis 1890 gab es im Osmanischen Reich keine einzige Fertigung von Eisenbahnteilen oder Zubehör, obwohl die ersten Stichbahnen seit 1863 in Anatolien fuhren.

Von britischen und französischen Plänen wandte sich der Sultan aus Furcht vor Ablösungstenden ausgelöst durch die europäischen Großmächte ab.

Der im türkischen Auftrag handelnde Eisenbahndirektor Österreicher Pressel hatte schon seit Jahren Vorschläge zur Streckenfindung nach Südosten gemacht. In drei Stufen sollte die Strecke über 6000 km zum Golf zu bauen sein. Der Türkische Staat gefiel die Planung Pressels und schickt Ihn zur Kontaktaufnahme nach Deutschland.

Die deutsche Bank lehnte ein Engagement 1887 gegenüber Pressel ab – Türkengeschäfte galten immer noch als nicht seriös. Über Wiener Freunde, wurde die Deutsche Bank zur Teilnahme an dem Projekt in Anatolien gebracht.

So schrieb der Direktor des Wiener Bank-Vereins an seinen Freund v. Siemens, dem damaligen Deutsche Bank Chef "Wer die Bahnen in Anatolien unternimmt, wird ein besseres und größeres Geschäft machen, als der Erbauer der Bahnen in der europäischen Türkei...."

Die Beteiligung der Deutschen Bank kam nach viel hin und her endlich im September 1888 zu Stand. Dabei garantierte die hohe Pforte der Deutschen Bank jährliche Bruttoeinnahmen 12500 Mark für jeden genbauten Kilometer Bahnstrecke. Zudem wurde als Sicherheit der Zehnt der Provinzen als Sicherheit an die Deutsche Bank aufgelegt.

Am 4.10.1888 erhielt die Deutsche Bank gegen die Zahlung von 6 Mill frs das Eigentums- und Betriebsrecht der Strecke Haydarpasa – Izmit verbunden mit einer Einnahmegarantie von 10 300 frs jährlich für jeden Kilometer - Auch der Ausbau nach Ankara über 500 km wurde festgelegt. Darüber hinaus drängten die Türken auf einen Ausbau bis zum Golf

Im Dezember 1892 war die Strecke in Normalspurweite von 1,44m bis Ankara fertig gestellt.

Die politischen Verwicklungen dieser Bahn sind spektakulär, denn immer mehr rückten nach 1900 strategische Interessen der Militärs beim Bau der Bahn in den Mittelpunkt. Diese sollen uns jetzt nicht weiter beschäftigen, interessant ist allerdings die Auswirkung der Bahnteilstücke auf die Wirtschaftsstruktur im Osmanischen Reich.

Die Balkanstrecken, die bis 1890 gebaut wurden zeigten nur wenig positive Effekte auf die lokale Wirtschaft.

Auf dem Balkan war die Bevölkerungsdichte gering und eine große Eisenbahnstrecke der Orienteisenbahn reicht nicht aus, um ein Verkehrsnetz zu spinnen. Diese Hauptstrecke hätte mit kleinen Nebenstrecken vernetzt werden können, was aber erst später vollzogen wurden. Ein wesentlich Grund für den mangelhaften Erfolg der Bahn war die Rückständigkeit der Bevölkerung, die durch das rigorose Steuersystem ausgepreßt wurden und so keine Möglichkeit hatten Waren über die Bahn auf interessant Märkte zu transportieren.

Tabelle : Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben der Orientbahn zwischen Wien und Istanbul (Quelle: Krauss, S.71)

Jahr Betriebseinnahmen Betriebsausgaben Gewinn

1889 12,976 6,661 6,315

1890 12,984 5,986 6,999

1891 12,990 6,466 6,524

1892 13,262 6,478 6,784

1893 12,614 6,672 5,942

1894 11,294 6,551 4,743

1895 11,718 6,537 5,181

1896 12,445 6,597 5,848

1897 13,040 6,511 6,529

1898 11,596 6,369 5,226

1899 10,340 5,987 4,353

Die Bahn erwirtschaftete auf den ersten Blick jedes Jahr satte Gewinne. Diese kamen aber nur durch die Kilometergarantien zu Stande, die der Osmanische Staat für den Betrieb der Bahn zahlte. Während in Deutschland sämtliche Strecken ohne staatliche Hilfe sich finanzierten, klappte dies im Osmanischen Reich nicht. Besonders in Jahren mit Mißernten oder Unruhen wie 1894 und 1898 gingen die Einnahmen extrem zurück. Das Transportangebot bewirkte keine wirtschaftliche Belebung auf dem Balkan, so daß die Bahnbetreiber über eigene Maßnahmen zur Belebung nachdachten, denn sonst würde der Betrieb auf Jahrzehnte hinaus staatlicher Zuschüsse bedürfen.

Noch während des Baus der Strecke von Instanbul nach Ankara wünschten sich die Türken den Weiterbau der Strecke bis nach Bagdad. Hauptgrund für den Wunsch des Sultans für die Bahnlinie war, daß die Feinde es schwer hätten, so eine Bahnlinie im Binnenland zu unterbrechen. Zahlreiche andere Konsortien versuchten während des Bau der Strecke nach Anatolien andere Eisenbahnprojekte durchzuführen. Der Hof zu Istanbul lehnte diese Projekt unabhängig von der Wirtschaftlichkeit ab.

Eine Studienkomission, die das Land, die Menschen, die Topographie usw. 1892 untersuchte, stellte fest, eine Weiterführung der Strecke über Ankara nach Sivas hinaus ist vollkommen unwirtschaftlich. Der Hauptgrund lag in dem schwierigen Gelände, welches hohe Baukosten verursachen würde. Die Deutsche Bank, der Betreiber der Anatolischen Eisenbahnen wollte darauf hin das Projekt beenden. Durch politischen Druck aus Istanbul und Wien wurde die Deutsche Bank gezwungen weiter zu planen. Schon die Strecke Eskisehir – Ankara sei kaum rentabel und hier müßten Verbesserungen vorgenommen werden. Erst dann sei über Projekte nach Südosten weiter zu denken.

So wurde eine Strecke bis nach Konja gebaut, wieder mit erheblichen Kilometergarantien. Das Material für diese Bahn wurde zu fast 100 % in Deutschland bestellt. Aus der Türkei wurden nur wenige Arbeiter für die Strecke beschäftigt unter Aufsicht deutscher Planungs- und Baufirmen. Aufträge von über 15 Millionen Mark flossen somit in die deutsche Eisenbahnindustrie für das 200 km Schienenstück.

Insgesamt wurden von der deutschen Bank bis zur Jahrhundertwende über 1000 km Schienenstrecke im asiatischen Teil des Osmanischen Reiches gebaut.

Wie im europäischen Teil kehrte rasch Ernüchterung über die wirtschaftlichen Aussichten ein, denn allein von den Einnahmen der Landwirtschaft hing der Erfolg der Bahn ab. Östlich von Istanbul durchlief die Bahn über 100 km ein Anbauland über Adapazari mit Getreide, Gemüse, Obst, Wein, Baumwolle usw..). Hier wurden viele Güter nach Istanbul transportiert. Auf dem anatolischen Hochland fällt nur wenig Regen und der ausgedörrte Boden läßt sich nur schwer kultivieren. Die von der Ankarabahn berührten Gebiete waren extrem trocken und dünn besiedelt. Die Strecke nach Konya führte wieder durch bessere Anbaugebiete. Zudem gab es hier zahlreiche Gewerbebetriebe (Teppichknüpfereien, Fayencenhersteller und Lederwarenproduktion).

Durch die Bahn war in diesem Gebieten kein Aufschwung zu spüren. Der Verfall der letzten zwei hundert Jahre war nicht einfach mit der Bahn zu ändern. Die muslimische Bevölkerung stand der Neuerung der Bahn zudem sehr skeptisch gegenüber, so daß die Erträge in den ersten Jahren schwach blieben. Die Bahnlinie erkannte die Schwäche und um die eigenen Umsätze zu steigern baute sie einen Agrarkulturdienst ein, der die Mechanisierung der Landiwrtschaft am Rande der Strecke und den Einsatz von Düngemitteln förderte. Bis 1890 wurden in diesem Gebiet nur 10 % der Fläche bewirtschaftet. Bis 1900 stieg die Fläche auf 20-25 % an.

Die Bahn profitierte davon, denn verderbliche Ware (Eier, Milch) konnte nun mit der Bahn rasch zu den Märkten in Istanbul oder anderen Städten weitertransportiert werden. Damit konnte sogar nach und nach Agrarprodukte ausfuhrfähig gemacht werden. Zudem erhöhte sich der Wohlstand um die Bahn herum merklich.

Die Konkurrenz durch den Karawanenhandel wurden durch billigere Bahnpreise ausgeschaltet. Diese Karawanen sollten der Bahn zuliefern. Zahlreiche Sammelstellen wurden eingerichtet, die Waren sammelten und sie per Bahn weiter transportierten.

85 % der Güter der Bahn gingen nach Istanbul, während umgekehrt kaum Waren ins Binnenland transportiert wruden. Die Kaufkraft war dafür nicht hoch genug. Ähnlich wie auf dem Balkan sorgten Mißernten für Einbrüche bei den Gewinnen der Bahn. Insgesamt läßt sich folgende Statistik für die 1000 km in der asiatischen Türkei erstellen :

Das Transportaufkommen bei Baumwolle erhöhte sich innerhalb von zwanzig (1893-1914) Jahren um über 300 %, der Transport von Früchten um 111 %, der Transport von Gemüsen von 108 %, der Transport von Getreide um 410 %, der Transport von Ölsamen um 242 %, der Transport von Salz um 280 % und der Transport von Tabak um 81 %.

Durch das steigende Verkehrsaufkommen mußte die Anzahl der Lokomotiven auf 120 von anfangs 30 gesteigert werden. Während nur 100 Personenwagen mehr benötigt wurden, steigerte sich die Anzahl der Güterwagen von ca. 500 auf 1500. Das steigende Steueraufkommen durch den Aufschwung in den Bahnbezirken freute die Pforte. Sie mußte dadurch weniger garantiertes Kilometergeld zahlen. Von 1911 an war die Linie Istanbul-Ankara profitabel, auch ohne staatliches Kilometergeld. 1912 wurde auch die Linie nach Konya alleine von den Einnahmen getragen. 1914 konnte der Osmanische Staat sogar einen Überschuß auf dieser Linie erzielen.

Die Gesellschaft war aus Sicht der Deutschen Bank erfolgreich. Schon 1894 konnte eine Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Die Ergebnisse wurden allerdings durch Mißernten und Kriegseinwikrungen häufig geschmälert.

Das erste Teilstück der Bagdadbahn nach Ankara und nach Konya ist ein Beweis dafür, daß auch in Anatolien mit der Innovation Eisenbahn Geld zu verdienen war. Gäbe es geordnete Rahmenbedingungen in diesem Staat hätte die Landwirtschaft im ganzen Land von einem dichten Verkehrsnetz profitieren können. Da die Geldverschwendung in diesem Land so immens war, konnten nur wenige Projekte von außen gestartet werden. Eindrucksvoll läßt sich belegen, daß die Landwirtschaft mit dramatischen Produktionssteigerungen auf die besseren Transportmöglichkeiten der Eisenbahn reagiert hat. Hätte es schon Anfang des 19. Jahrhundert säkuläre Schulen und etwas mehr Gewerbe in Anatolien gegeben wäre auch eine Entwicklung wie in Deutschland denkbar gewesen, die zuerst das gekaufte Material nutzen und später es kopieren und selber herstellen.

So blieb das Osmanische Reich trotz der Bahnen ein verarmter Agrarstaat.

Der weitere Ausbau der Bagdadbahn diente dann hauptsächlichen politischen und militärischen Zwecken. Das Osmanische Reich wollte eine strategisch unangreifbare Strecke nach Bagdad und Deutschland eine Verbindung zum Persischen Golf um dort politisch aktiv zu werden. Mit der Bahn hoffte man direkten Einfluß auf dieses Gebiet haben zu können. Nur der Betreiber, die Deutsche Bank setzte beim Ausbau auf eine ökonomische sinnvolle Lösung und wollte die Gegend um Adana, die Gebiete am Oberlauf der Flüsse Euphrat und Tigris und die Bodenschätze Südanatoliens anbinden, um auch hier Transportmöglichkeiten über die Bahn zu schaffen. Zudem würde der Reiseweg von Istanbul nach Bombay von 14 Tagen per Schiff auf 7 Tagen per Bahn und Schiff verkürzt.


Kössler, Armin, Aktionsfeld Osmanisches Reich, Diss., 1981

Krauss, Deutsch-türkische Handelsbeziehungen, 1980

Pohl, Manfred, Von Stambul nach Bagdad – Die Geschichte der berühmten Bahn, 2000

Internetquellen :

www.bankgeschichte.de

www.baumer.net

www.lokomotive.de


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