AUS DER TRAUM . . .

Ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Athen sind viele Sportanlagen
verödet, andere verfallen sogar - geblieben sind vor allem Schulden

von Gerd Höhler (FR vom 12.08.2005)

mit einer Nachbemerkung von N. Dikigoros

Der Polizist döst in seinem Unterstand. Aus einem kleinen Radio dudelt Bouzoukimusik. Ein paar hundert Meter hinter dem hohen Stahlgitterzaun ragt die kühne Dachkonstruktion des Athener Olympiastadions auf. "Gehen Sie ruhig rein", sagt der Beamte und winkt den Besucher mit seiner Maschinenpistole durch das angelehnte Tor. Viel ist hier nicht los an diesem Nachmittag. Nur ein paar Dutzend Menschen verlieren sich auf dem riesigen Areal. Mehrere Touristen irren durch das verwaiste Olympia-Gelände, auch ein paar Griechen machen hier ihren Sonntagsspaziergang. Einer von ihnen ist Theodoros Reppas. Er war zuletzt am 13. August 2004 hier, zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. "Damals sah es hier ganz anders aus", erinnert sich der junge Grieche wehmütig. "Da drängten sich die Menschen aus aller Welt, es war ein verzaubertes Fest: die Lichter, die Musik, das Feuerwerk..."

Ein Windstoß wirbelt eine Staubwolke auf. Viele der erst im vergangenen Jahr angepflanzten Bäume und Sträucher sind schon verdorrt, weil die Bewässerung offenbar nicht funktioniert. Die Agora, jene breite, von elegant geschwungenen Stahlfächern überspannte Promenade, die der spanische Architekt Santiago Calatrava entwarf, ist menschenleer. Müll liegt herum. An die Spiele erinnern ein paar herrenlose Kioske und Erfrischungsbuden. Kein Wunder, dass die Regierung vor allem ausländischen Besuchern diesen Anblick ersparen wollte. "Zutritt verboten" hieß es deshalb bisher am Athener Olympia-Zentrum, auch für Journalisten. Jetzt zum Jahrestag hat sich die zuständige Vize-Kulturministerin Fani Palli-Petralia einen Ruck gegeben und die mit dicken Eisenketten und großen Vorhängeschlössern gesicherten Eingangstore öffnen lassen. Allerdings nur für kurze Zeit. Anfang September wird das Gelände erneut abgeriegelt. Dann werden die Athener und Athen-Besucher das Olympia-Gelände wieder nur aus der Ferne sehen.

Eine knappe Autostunde nordöstlich des Olympiazentrums liegt an der Bucht von Marathon die olympische Regattastrecke. 76,3 Millionen Euro hat der Bau des riesigen Beckens gekostet. Aber ein Jahr nach den Spielen ist es bereits unbrauchbar. Schilf überwuchert vielerorts die Rennstrecke. Hier solle nach den Spielen ein "Biotop" entstehen, versprach die Regierung seinerzeit den Umweltschützern, die gegen das Mammutprojekt protestierten. Geschehen ist bisher nichts. Die Anlagen am Ufer verfallen. Zurückgelassene Container rosten vor sich hin.

"Eine Schande", sagt kopfschüttelnd der Taxifahrer Takis Konstantinidis. Aus seiner Sicht ist die Olympia-Bilanz "durchwachsen". Die Medaille habe zwei Seiten, meint er. Einerseits sind da die Milliarden teuren Sportstätten, mit denen jetzt niemand etwas anzufangen wisse. Andererseits: "Die Straße hier gäbe es nicht ohne die Olympischen Spiele", sagt Takis bei der Rückfahrt in die Stadt. Sie führt über die sechsspurige "Attiki Odos", die neue Athener Ringautobahn.

Tatsächlich haben die Spiele Athen endlich zu einer seit Jahrzehnten überfälligen Modernisierung der Verkehrs-Infrastruktur verholfen: der neue Flughafen, die Autobahn am Hymettos-Massiv, die kreuzungsfreien Unter- und Überführungen an zahlreichen Hauptverkehrsstraßen - all das hätte es ohne die Olympischen Spiele wohl nicht gegeben. Allerdings haben nicht alle Verkehrsprojekte wirklich Sinn. Die neue Straßenbahn zum Beispiel, die das Stadtzentrum mit der Küste verbindet, wird täglich nur von etwa 40.000 Fahrgästen genutzt. Die Planer hatten mit 80.000 gerechnet. Im Schneckentempo schlängeln sich die silbernen Gliederzüge durch enge Straßen und bleiben an den Kreuzungen immer wieder im Stau stecken. Die Fahrt vom Syntagmaplatz nach Faliron dauert deshalb viel länger als im Fahrplan vorgesehen.

In Faliron befindet sich ein weiteres Olympia-Zentrum. Hier wurden unter anderem das Beach Volleyball-Turnier und die Taekwondo-Wettbewerbe ausgetragen. Doch ein Jahr nach den Spielen sind auch diese Anlagen in einem traurigen Zustand. Roma-Familien haben sich in den leerstehenden Gebäuden einquartiert. Müll und Abfälle, soweit das Auge reicht. Die meisten öffentlichen Toiletten sind zerstört.

Rund 125 Millionen Euro kostet der Unterhalt der Olympia-Anlagen pro Jahr, rechnet Vize-Ministerin Palli-Petralia vor. Einige Stadien und Hallen konnten zwar sporadisch für Ausstellungen, Sportveranstaltungen oder Rockkonzerte vermietet werden. Aber dadurch kamen nur drei Millionen in die Kasse. Damit schwillt die Olympia-Rechnung immer weiter an. Das Erbe der "magischen Traum-Spiele", wie IOC-Präsident Jacques Rogge bei der Abschlussfeuer lobte, besteht vor allem in Schulden. Rund 13 Milliarden Euro kostete das Großereignis, mehr als drei mal so viel, wie ursprünglich veranschlagt. Die Olympia-Ausgaben sind ein Hauptgrund für den desolaten Zustand der griechischen Staatsfinanzen. Im Olympia-Jahr 2004 verzeichnete Griechenland ein Haushaltsdefizit in Höhe von rund 6,5% des Bruttoinlandsprodukts - den höchsten Fehlbetrag aller EU-Staaten. Die Kosten für Olympia werden die Griechen noch auf Generationen abzustottern haben.

Die seit März 2004 amtierende konservative Regierung macht ihre sozialistischen Vorgänger für die Misere verantwortlich: "Die Olympia-Anlagen wurden geplant und gebaut, ohne über eine spätere Nutzung nachzudenken", kritisiert Palli-Petralia. Nun bemüht sich die Regierung, wenigstens einige Bauten an private Investoren zu verpachten. Eine erste Ausschreibung läuft bereits: man sucht Interessenten für den Olympia-Yachthafen von Aghios Kosmas, die Badminton-Halle im Stadtteil Goudi und die künstliche Wildwasser-Strecke auf dem Gelände des alten Athener Flughafens. Hier könnte ein großer Freizeitpark entstehen. Weitere Olympia-Anlagen will die Regierung bis Ende dieses Jahres zur Verpachtung ausschreiben.

Sicher ist aber auch, dass es für eine Reihe von Hallen und Stadien gar keine Interessenten geben wird. Als "weiße Elefanten", als gigantische Fehlinvestitionen gelten vor allem die viel zu groß dimensionierten Fußballstadien, die in griechischen Provinzstädten für das olympische Fußballturnier gebaut wurden, aber schon während der Spiele nur spärlich besetzt waren. In den Stadien von Patras und Volos haben die Wasserwerke bereits die Leitungen abgesperrt, weil seit Monaten die Rechnungen nicht bezahlt sind. Aus dem gleichen Grund drohen die E-Werke jetzt, dem weitläufigen Olympia-Reitgelände bei Markopoulo mit seinen Parcours und Stallungen den Strom abzudrehen.


Nachbemerkung:
Gewiß, die Olympischen Spiele von 2004 waren für Griechenland eine "gigantische Fehl-Investition", die sich ein Land in einer ohnehin prekären Wirtschaftslage nicht hätte leisten sollen. Aber so zu tun, als sei dies der alleinige oder jedenfalls der "Hauptgrund" für die griechische Finanzkrise, wie dies speziell seit der faktischen Zahlungsfähigkeit Griechenlands nur 7 Jahre später gelegentlich geschieht, ist verfehlt. Auch wenn es deutschen und französischen Lesern nicht schmecken mag: Griechenland ist vor allem bankrott, weil es in ungeheurem Umfang teure Waffensysteme in der BRDDR und Frankreich gekauft hat - es ist der größte Importeur von Rüstungsgütern in der ganzen EU. (Nicht ohne Grund, denn fast ebenso viele Waffen kauften die Türken ein, die überhaupt keinen Hehl daraus machten, gegen wen sie die einsetzen wollten - wegen Cypern, aber das ist eine andere Geschichte.) Die Griechen kauften notgedrungen auf Pump, da sie selber kaum etwas produzierten, was sie auf dem Weltmarkt hätten absetzen können - der harte Euro machte ihre ohnehin bescheidenen Exportchancen zunichte, da sie nicht mehr wie früher mit einer weichen, regelmäßig abgewerteten Drachme wenigstens billiger anbieten konnten als die bessere Konkurrenz. Und gepumpt wurde ihnen dieses Geld wiederum hauptsächlich von deutschen Banken - auf mehr oder weniger sanften Druck der Regierung, die wiederum von der Rüstungs-Industrie "geschmiert" wurde, die ja für jeden Auftrag aus Griechenland dankbar war, solange er - notfalls vom deutschen Steuerzahler - bezahlt wurde. Daß darob auch die deutschen Banken eine nach der anderen de facto zahlungsunfähig wurden (staatliche "Garantien" verdeckten und verdecken das nur notdürftig - und auch nur, bis der Staat BRDDR selber pleite ist) ist nur eine weitere Folge dieses Irrsinns - gegen den sich die 13 Milliarden Euro für die Olympischen Spiele von 2004 nur wie "Peanuts" ausnehmen.
Nikolas Dikigoros


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