Argentinien sendet Schockwellen aus

Experten befürchten größere Finanzkrise

Risikoaufschlag der Anleihen klettert auf 20 Prozent

Von Holger Zschäpitz (DIE WELT, 31.10.2001)

Das hat den Märkten gerade noch gefehlt. Als ob es nicht schon genügend Probleme weltweit gibt, braut sich in Argentinien eine handfeste Krise zusammen, die weltweit neue Schockwellen aussendet. Das Land steht vor dem finanziellen Abgrund, und nicht wenige Marktteilnehmer rechnen tagtäglich mit einem Absturz. Vor allem der sensible Anleihemarkt reagierte in den letzten Tagen mit Abschlägen von über 20%. Dies zeigt sich auch in einer Ausweitung der Renditedifferenzen zwischen US-Staatsanleihen und argentinischen Papieren. Zu Wochenbeginn kletterten die Spreads erstmals seit acht Jahren wieder über 2000 Basispunkte. Damit muss Argentinien für seine Staatsanleihen 20% mehr berappen als die Vereinigten Staaten.

Der Risikoaufschlag ist nicht nur weit über das Niveau der Russland-Krise 1998 von 1570 Basispunkten hinaus geschossen. Er hat inzwischen fast das Rekordniveau von 2214 Basispunkten erreicht, als ganz Lateinamerika im März 1995 während der mexikanischen Tequila-Krise vor dem Kollaps stand. „Die Situation von Argentinien ist gegenwärtig äußerst prekär“, sagt Günther Köhne, Analyst bei Dresdner Kleinwort Wasserstein. „Es hat sich eine gefährliche Abwärtsdynamik entwickelt, die weitere Kreise ziehen könnte.“

Die Wirtschaftsdaten klingen nach einem Horrorkatalog. Bereits seit Mitte 1998 befindet sich Argentinien in einer Rezession. Und die Zahlen werden nicht besser. Allein im September fiel die Industrieproduktion um 7,1%. Schuld an der Misere hat der an den Dollar festgezurrte Wechselkurs. Der dadurch stark gemachte Peso hat das Land zum einen gegenüber anderen Ländern der Region im Wettbewerb zurückgeworfen. Auf der anderen Seite konnte Argentinien zur Finanzierung keine eigenen Peso drucken, sondern musste sich im großen Stile in Dollar verschulden. Und diese Last von mittlerweile 140 Mrd. Dollar droht jetzt das Land zu erdrücken. Insbesondere nachdem ein Kompromiss zwischen der Zentralregierung und den argentinischen Provinzen über eine Umschuldung im Inland nicht zu Stande kam, flüchten Investoren in Scharen. Nach einer Reuters-Umfrage rechnen 50% der US-Investoren inzwischen mit einem Zahlungsausfall Argentiniens, die Ratingagentur Standard & Poors beurteilt die argentinischen Anleihen mit CCC+ nur eine Stufe über Totalausfall. Damit ist das Land in eine Liga mit Indonesien abgerutscht.

Selbst für Finanzminister Domingo Cavallo ist eine Umschuldung unausweichlich. Doch die Konditionen sind unklar. Für eine Stabilisierung der Finanzen müssten nach Berechnungen von HSBC 50 Mrd. Dollar Schulden gestrichen werden, denn dann könnten die Schulden durch Exporte erwirtschaftet werden. Legt man diese Zahlen zu Grunde, hätten die Argentinien-Bonds, die einen Schuldenschnitt von 70 Mrd. Dollar eingepreist haben, sogar wieder Potenzial. „Argentinien-Anleihen sind nur etwas für Zocker“, warnt aber Stefan Grothaus, Bondexperte der WGZ-Bank.

Denn im schlimmsten Fall könnte das Land im Chaos versinken. Längst ist nicht klar, ob der IWF Argentinien bei der Umschuldung behilflich ist. Und auch die Währungsanbindung könnte in Gefahr geraten und den Peso auf einen Schlag um 30 bis 50% abwerten.

Die Auswirkungen der Argentinien-Krise sind noch nicht abzusehen. Da der Andenstaat ein Viertel aller Schwellenländer-Bonds emittiert hat, könnte ein Bankrott Argentiniens einen katastrophalen Zusammenbruch aller Emerging Markets hervorrufen. Klar ist, dass vor allem Unternehmen mit einem hohen Lateinamerika-Geschäft Probleme bekommen dürften. Hier trifft es insbesondere spanische Banken wie BSCH und BBVA oder Versorger wie Telefónica Repsol, Endesa und Gasnatural. Goldman Sachs hat wegen der Argentinien-Krise den gesamten spanischen Markt auf „Untergewichten“ zurückgestuft. Doch auch andere Unternehmen wie der Nahrungsmittelkonzern Unilever dürften in den Abwärtssog geraten. In Deutschland steht VW wegen des hohen Brasilien-Geschäfts unter verstärkter Aufmerksamkeit der Börsianer. Analysten rechnen in diesem Jahr sogar mit Verlusten von bis zu 270 Mio. Euro.


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