Panik statt Ruhe in Argentinien

von Toni Keppeler (taz Nr. 6593 vom 6.11.2001)

Land ist de facto bankrott. Umschuldungspaket löst Run auf Sparkonten aus: Schon 500 Millionen Dollar abgehoben

Die Wirtschaftskommentatoren sind sich einig: Argentinien ist faktisch zahlungsunfähig. Die Regierung traut sich nur noch nicht, das hässliche Wort in den Mund zu nehmen. Präsident Fernando de la Rúa hat mit dem am Donnerstag präsentierten Wirtschaftspaket genau das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte: nicht Ruhe, sondern Panik.

Bis zum Wochenende hatten Sparer schon 500 Millionen Dollar von ihren Konten abgehoben. Die Zinsen für kurzfristige Anleihen schossen auf über 200% in die Höhe. Der Risikofaktor für das Land erreichte fast 2.500 Basispunkte. Das bedeutet, dass Argentinien für Anleihen 25 Prozentpunkte höhere Zinsen bieten müsste als vergleichbare Papiere in den USA.

De la Rúa hatte angekündigt, er wolle hochprozentige Anleihen gegen 7-prozentige Neuemissionen tauschen und damit allein 2001 bis zu vier Milliarden Dollar sparen - fast ein Drittel der Summe, die Argentinien jährlich an Zinsen zahlt. Die Umschuldung soll mit inländischen Banken und Pensionsfonds beginnen und später die ausländischen Gläubiger einbeziehen. Von den 132 Milliarden Dollar Staatsschulden entfallen zwei Drittel auf Anleihen, der Rest auf Kredite beim Internationalen Währungsfonds und bei Banken.

Als Garantie bietet der Staat den Gläubigern Steuereinnahmen an. Doch die Steuerperspektiven sind alles andere als rosig: Allein im Oktober sanken die Einnahmen der Regierung im Vergleich zum Vorjahr um 11,3%. Auch hat de la Rúa gleichzeitig mit der Umschuldung eine teilweise Senkung der Mehrwertsteuer angekündigt, um den Konsum zu beleben. Obendrein weigern sich die Provinz-Gouverneure, eine Verringerung der Steuertransfers vom Bund an die Provinzen hinzunehmen, wie die Zentralregierung sie plant. Wo also sollen die Garantien herkommen? Horacio Liendo, Berater von Wirtschaftsminister Domingo Cavallo, sagte kleinlaut: "Wenn wir nicht mindestens Anleihen über 15 Milliarden Dollar tauschen, wird der Plan scheitern." Bis letzte Woche war noch von einem Schuldentausch von bis zu 92 Milliarden Dollar die Rede.

Analysten gehen inzwischen davon aus, dass Argentinien Zahlungsunfähigkeit für 95 seiner 132 Milliarden Dollar Schulden erklären muss. Dies wäre der weltweit größte Fall einer Insolvenz. Den bislang umfangreichsten Crash hatte Russland 1998 hingelegt. Obwohl es sich dabei um nicht einmal die Hälfte dieser Summe gehandelt hatte, wurden Lateinamerika und Asien mit in die Krise gerissen.

Argentinien steht eine turbulente Zukunft bevor. Weil fast alle nationalen Banken auf jeder Menge staatlicher Schuldentitel sitzen, wird ein Sturm auf die Sparkonten erwartet. Bankenpleiten als Folge werden nicht mehr ausgeschlossen. Schon letzte Woche hat sich die Provinz Chaco für zahlungsunfähig erklärt. Und am Donnerstag, etwa zeitgleich mit der Ankündigung des Wirtschaftspakets, zündeten mehrere hundert Staatsangestellte in der Provinz San Juan ein Regierungsgebäude an. Sie hatten zwei Monate kein Gehalt bekommen.


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