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WEISHEIT ASIENS

Von Peter Torstein Schwanke


DIE ALTEN BAMBUSANNALEN

1

Dreiunddreißig Himmel waren geschaffen worden durch einen wunderbaren Gesang des Tian-Zhu, und im obersten Himmel, dem Himmel der Himmel, stand inmitten der prächtigen Jadestadt sein Jadethron, auf dem er sich niederließ und sandte seinen Hauch hinab.

2

Drunten da wallte und wogte das Chaos, die finstere Urflut, fließend von Abgrund zu Abgrund, brüllend wie Donnersturm, höhnisch wie Drachenlachen, aber über dieser schwarzen Nacht aus feindlicher Flut flog der Hauch von Tian-Zhu, der schöpferisch zu singen begann.

3

Und da teilte sich Yang von Yin, das Lichte vom Finsteren, die Sonne von der Nacht, der liebliche Mond von den Wolken des Donners, da entstanden Großer und Kleiner Bär, da flog der schwarze Rabe der Sonne, da war der weiße Hase des Mondes, Meere und Berge schieden sich, zwischen den vier Meeren entstand das Trockene, des Herbstes Chrysantheme blühte und des Lenzes Pfingstrose.

4

Mitten auf dem Trockenen trat aus dem Morgennebel der erste Mensch, Pan Ku. Sein Haupt war umflogen von Himmel (seine Haare Wolkenschwaden), sein Leib war wie von Erde (seine Knochen Gebirge).

5

Und Pan Ku sang einen Gesang, fast so wunderbar wie der Gesang von Tian-Zhu: "O Allerhöchster, wunderbar ist mir deine Ode sichtbar geworden, dein Wort nahm mir Gestalt an. Siehe, an der Mittelsäule der Erde seh ich den Sohn des Himmels herrschen und siegen über Kung Kung, den Drachen. Aya, Tian-Zhu, Gott des Reiches der Mitte, dir will ich singen Lobpreis zehntausend Jahre! Aya, Aya!"

6

Und um das Reich der Mitte ordneten sich die Elementargeister: Im Norden wohnte der Dunkle Herr, der Herrscher über die Wasser, im Süden herrschte der Rote Herr, der Beherrscher des Feuers, im Westen befand sich die Mutter der Metalle und im Osten der Prinz des Waldes, der das Holz verwaltete; aber in der Mitte, im Reich der Mitte, waltete der Gelbe Alte, der Herr der Erde.

7

Tian-Zhu gab dem Gelben Alten den Auftrag, die Menschen die Künste zu lehren. Er wohnte mitten unter den Menschen, den Söhnen und Töchtern der Nü Wa, und lehrte sie Oden und Hymnen dichten, naturbesingende Lyrik und Geschichtswerke zu schreiben, Aquarelle zu malen von Dichtern und schönen Frauen, und die Saiten zu zupfen der Chin. Zuerst aber lehrte er sie, den Lobpreis zu singen jeden Morgen dem strahlenden Gott in der Höhe.

8

Aber da tauchte Kung Kung auf, der Satan. Er war der Drache. Seine Augen waren Dämonenaugen und sein Nacken der einer Schlange. Viele Teile vieler böser Biester vereinigte er in seiner antigöttlichen Person. Er war der Fürst vieler weiterer Drachen, die alle seine finsteren Engel waren, die alle aus dem Meere stammten.

9

Um die Menschen zu versuchen, hielt der Drache in seinem Maul Perlen, die kostbarer waren als hundert Silbertaels. Er selbst war über und über bedeckt mit Gold. So dachten die Menschen, der goldene Drache sei ein Segen. Sie fingen an, ihm ihre erstgeborenen Söhne zu opfern. Da ward der Mensch aus dem Garten des Ursprungs, von der Quelle des Lebens vertrieben.

10

Da errichtete der Drache seinen Drachenthron in der Welt, umgeben von einem pandämonischen Hofstaat, vielen Drachen als seinen finsteren Mandarinen, vielen Schlangen und Geisterfüchsinnen als Kaiserinnen und Konkubinen, aber der Drache war Kaiser der bösen Welt.

11

Aber Tian-Zhu wollte die Menschheit segnen und weiter begleiten, so sandte er ihnen das Feuer. Er unterwies den heiligen Herrscher Sui Jen, er offenbarte sich ihm im Feuer, da brachte Sui Jen der Menschheit im Reich der Mitte das Feuer, auf daß sie Reis und Tee kochen können.

12

Aber Tian-Zhu war so gütig, er wollte sein Volk mit Köstlichem nähren, darum lehrte er den heiligen Herrscher Fu Hsi, Tiere zu fangen und Fische mit Netzen. Das Volk nannte Fu Hsi den Göttlichen Kaiser, den Heiligen Herrscher, den Überwinder der Tiere.

13

Als Fu Hsi nicht nur lehrte, Tiere zu fangen, sondern auch, diese Tiere zum Mahl zuzubereiten, da nannte man ihn auch Po Hsi, den Schlachter der Tiere. Aus den Därmen machte Po Hsi Saiten, denn er hatte erfunden die Leier mit fünfunddreißig Saiten.

14

Po Hsi, oder auch Fu Hsi, erfand die frühe Schrift, eine Bilderschrift, die er entwickelte aus dem primitiven System des Knüpfens von Knoten. Er legte so die Grundlage für das Schreiben von Psalmen und lieblicher Lyrik sowie alten Überlieferungen in Spruchform.

15

Auf Fu Hsi folgte der heilige Herrscher Shen Nung, den Tian-Zhu unterwiesen hatte in der Kultur des Landbaus. Die ersten Götzendiener, vom Drachen verleitet, nannten diesen Lehrer ihren Erdgott, aber in Wahrheit war er ein Mensch, der Gott gesucht hatte. Tian-Zhu hatte sich ihm offenbart und ihn auch den Gebrauch von Kräutern zu medizinischen Zwecken gelehrt.

16

Dann aber kam im Reich der Mitte die Zeit des Huang Di. Es gab die große Dreieinigkeit Gottes: den Strahlenden des Himmels, den Strahlenden der Erde und den Großen Strahlenden. Und Gott liebte Huang Di, den Gelben Kaiser, und machte ihn über alle Maßen herrlich.

17

Zu der Zeit eroberten die Chou-Kiang-Leute von Westen her das Yin-Reich. Sie brachten ihren Glauben an Gott mit. Herrlich und strahlendes Licht sei der Herr. Gelb aber sei der Kaiser. Sie sangen darum eine Ode am Hofe des Gelben Kaisers: "O Strahlender, o unser Gott in der Höhe, schau herab, o Herr!"

18

Und Gott stand inmitten der Engel und Götter auf dem Taishan, dem Berge des Ostens, er fuhr im Elfenbeinwagen, den Einbeinkraniche zogen. Der Satan stand da, der große Fürst der Göttersöhne, als Drachenlenker. Phönixe füllten den Himmel, Vögel der Auferstehung. Zur Großversammlung der Engel schuf der Gelbe Kaiser die Melodie Tsing-Küeh.

19

Hien Yüan zeugte Hüan Hiao, der zeugte Kiao Ki, der zeugte Kao Sin. Hien Yüan aber war Huang Di, der Gelbe Kaiser, der den Hien-Yüan-Berg bewohnte mit seinem Weibe, der Tochter des Herrn vom Westlichen Hügel, welche Lei Tzu hieß, diese gebar dem Kaiser Tsing Yang und Chang Yi.

20

Der Vater des Gelben Kaisers war Shao Tien (Kleines Gesetz), seine Mutter war Fu Pao (Amulett-Kleinod). Der Vater war wie ein Blitz, der von Westen nach Osten zückt, die Mutter war wie der Polarstern, der in der Mitte des Kreises der Sterne ruht.

21

Der Gelbe Kaiser konnte schon als Säugling reden. Er unterrichtete Panther und Tiger und zog mit ihnen in den Kampf gegen seinen bösen Halbbruder Yen Ti. Sie kämpften in der Ebene Pantsüan. Nach drei Jahren Kampf siegte der Gelbe Kaiser. Daraufhin huldigten alle Fürsten dem Gelben Kaiser als dem Himmelssohn.

22

Huang Di fastete mit dem Meister Jung Cheng auf dem Gipfel des Kungtung, da sprach der Meister: "Der Himmel hat Tao, auf der Erde wirkt sie, Huang Di weiß von ihr, darum ist er Himmelssohn, darum steigt er auf zum Wolkenhimmel."

23

Er lehrte die Menschen, Boote zu bauen, Pfeil und Bogen zu machen, Holzwerkzeuge zu fertigen und Geschirr aus Ton. Er entwickelte für die Menschen einen Kalender und teilte das Jahr in zwölf Abschnitte, die er astronomisch begründete.

24

Er baute einen Palast und einen Tempel. Im Palast herrschte er über die Erde, im Tempel opferte er dem Himmel, dem Gott des Himmels, das ist Tian-Zhu. Dieser segnete die Regentschaft der Gelben Kaisers hundert Jahre.

25

Des Gelben Kaisers Frau gab den Menschen die Seide. Sie ist die Patronin aller Seidenspinnerinnen. Sie lehrte die Kultivierung des Maulbeerbaumes und des Seidenwurmes. Sie lehrte das Trennen der Seide vom Cocon, das Spinnen des Fadens und das Weben der schönsten Gewänder. Seit jener Zeit ist die Sorge für die Seidenwürmer Sache von Frauen.

26

Die religiösen Legenden sagen, daß Huang Di ein Schaf opferte und gen Himmel fuhr. Andere Legenden sagen, er habe seinen Aufenthalt im paradiesischen Gefilde auf dem Kunlun-Gebirge.

27

Der Kunlun ist der Weltberg der Mitte, das paradiesische Gottesgebirge, wo der Gelbe Strom entspringt. Es ist ein jadereiches Land. Huang Di bestieg den Kunlun und schaute gen Süden und ließ da eine Perle liegen, die Tao darstellen sollte. Aber Herr Wissen findet sie nicht, sondern Treue und Trauen, Liebe und Hingabe.

28

Huang Di sagte zum Verrückten Krummen: "Weißt du um Tao? Tao des Himmels ist die Tochter Gottes. Weißt du um Ruhe in Tao? Durch Ruhe wirst du gerettet, in Stille liegt deine Stärke. Tao ist unsichtbar, man erkennt sie durch Vertrauen ins Nichtsichtbare. Glaube an Tao, und du kehrst in Gottes Palast, da ist Wahrheit, Ohne-Ende, Großer Beginn."

29

In späterer Zeit besuchte König Mu auf dem Kunlun die Königinmutter Hsi Wang Mu, die manche für die Königin von Saba halten, die den König von Ju-te-a um Weisheit aufsuchte.

30

Der Kaiser späterer Zeit schlug sein Lager auf am Fuß des Kunlun, am Ufer des Roten Flusses. Dann bestieg er den Kunlun und besah sich das Haus von Huang Di. Anschließend brachte er dem Himmel Rauchopfer dar auf dem Hügel. Im Norden ließ er zu jener Zeit die Jade bewachen, die man am Frühlingsberg fand.

31

Auf dem Kunlun befand sich die Halle des Lichts aus der Zeit von Huang Di. Sie war nach allen Seiten offen und mit Riedgras bedeckt. Um die Halle war ein Wassergraben geführt. In dieser Halle opferte der Himmelssohn dem Gott der Götter, Tian-Zhu!

32

Am Kunlun befanden sich auch die Hängenden Gärten des Frühlingsberges, die man auch die Gärten von Huang Di nannte. Das war ein Ort paradiesischen Lustwandelns. Man meinte diesen Lustgarten, wenn man sagte: "Meine Schwester ist ein verborgener Lustgarten".

33

Die Dichter sangen: "Ich bin zum Jadegarten gewandert, habe den Kunlun bestiegen, Jadeknospen gegessen. Werde ich langlebig sein wie der Himmel? Wo ist der Gottesberg und der Lustgarten?"

34

In Gottes Ebenem Garten fließt ein Fluß, daneben ist ein Berg, reich an Blauspat, und ein anderer Berg am Sonnenhang, reich an Jade. Der Engel Ying Shao führt dort die Aufsicht, er hat ein Menschenantlitz und Vogelfittiche. Am Jadefluß Yao Shuei lebt ein Himmelsengel (Tien Shen). Dort züchtete Huang Di Jadeknospen, welche der Dichter essen möchte, um unsterblich zu werden.

35

Hsi Wang Mu, die Feenkönigin oder Königin von Saba, hat ihren Aufenthalt am Jadeteich zwischen fließendem Sand. Ebenfalls findet man einen Jadeteich neben dem Mostquell auf dem Kunlun. Sind diese beiden Jadeteiche identisch?

36

Vom Kunlun, von Gottes Ebenem Garten kann man schauen in seine zehntausend Welten. Ein Engel verwaltet dort die neun Abteilungen des Himmels und die vier schönen Jahreszeiten im Park des einzigen Gottes.

37

Vom Fließenden Sand, der am Glockenberg beginnt, zum Kunlun sind es vierzig Jahre. Der Kunlun, sich erhebend zwischen den vier Meeren, Quelle von vier Strömen, ist Gottes irdische Welt. Auf seinem Gipfel wachsen Wasserhalme, an den Hängen befinden sich neun Brunnen mit Geländern aus Jade, daneben befinden sich neun Tore. Hier wohnen hundert Engel.

38

Zwischen Perlen- und Jadebäumen sitzt Hsi Wang Mu an einem Tisch, sie stützt sich auf, eine Dienerin fächelt ihr, drei blaue Vögel besorgen ihr Nahrung. Ein Engel ganz in Weiß bewacht den Ort. Jenseits sind das Schwache Wasser und die Berge Flammenden Feuers. (Das Schwache Wasser hat nicht die Kraft, Schwanenflaum am Sinken zu hindern.) Mit Hsi Wang Mu wohnen dort zehntausend Dinge der Schöpfung.

39

In einem Traum überquerte der Dichter das Schwache Wasser (zarter als Schwanenflaum ist ein Poet), wandelte zwischen den Bäumen der Unsterblichkeit, am Jadefluß des Langen Lebens, stieß sanft die Himmelspforte auf, betrat den Palast des Gottes des Himmels. Schön wie himmlische Jademädchen waren die Engel, zehntausendmal schöner war Tian-Zhu!

40

Und es kam der Himmelssohn Yao, ein Vorbild an Tugend! Yao war eine heroische Figur, er trug einen gelben Hut und eine dunkle Tunika, er fuhr in einem Triumphgefährt, von weißen Rossen gezogen.

41

Aus Demut benutzte Yao keine Juwelen, seine Kleider waren schlicht und ohne Vielfalt. Im Sommer trug er ein einfaches Hemd aus Hanf, im Winter Kleider aus Hirschfell. Er löffelte Reissuppe aus tönerner Schale mit hölzernem Löffel, nur Trockenfleisch, Kleinfische und einfache Phönixperlen würzten seine Reissuppe. Dennoch war er fromm, intelligent und gedankenvoll.

42

Yao war so gut, daß sein Volk gut wurde, das Volk der Schwarzhaarigen. Sie waren so gut und tugendhaft, daß keiner mehr nachts seine Türen zu schließen brauchte, denn es gab weder Diebe noch Mörder unter Yaos Tugendherrschaft.

43

Wenn die Menschen etwas wünschten, konnten sie es auf eine Tafel vor dem Palast Yaos schreiben; wenn sie etwas begehrten, brauchten sie bloß die Trommel vor dem Herrscherhaus zu rühren. Sein Volk begehrte wenig. Nur wenn die Nahrung knapp war, suchten sie den Herrscher, aber das kam selten vor.

44

Yao ward genannt der Urahn der Schrift. Und es steht geschrieben: ER, der die Erde schuf, ER gab die Gebote des Himmels, ER ist der Herrscher! Da man aber abwich von seinem heiligen Weg und seiner Normen Fäden verwirrte, folgten mit der Sünde Untergang, Vernichtung und Tod.

45

Yao suchte einen Nachfolger, da er sich dem Übergang in Gottes andere Welt nahe fühlte. Die Weltenberge lobten den Sohnesgehorsam des Mannes Shun. Gott beschloß, Shun zu prüfen, so schickte Yao zwei seiner Töchter zu ihm, daß sie ihm als Haupt- und Nebenfrau dienten. Shun bewährte sich in den folgenden drei Jahren beispielhaft.

46

King Tu war Yaos Mutter, sie hatte ihn mit zwanzig Jahren empfangen, als ein Märchenwesen sie überschattete, das auf der Brust ein Bild trug, einen Herrn mit leuchtendem Antlitz zeigend.

47

Ein jeglicher kam und bekehrte sich zu Yao, als er das Unter-dem-Himmel leitete, allein seiner großen Liebe wegen. Er gebot den Feuerhunden, liebkoste die Verkreuzten Füße und starb am Schattenhang des Kiungshan.

48

Er wurde in drei Leichentücher gehüllt, sein Sarg war ein hohler Baum, von Stricken umschlungen. Hundert Volksstämme trauerten um Yao wie um einen starken Vater, wie um eine gütige Mutter. Der hohle Maulbeerbaum Kungsang war ihm aber eine Himmelsleiter, an deren oberen Ende Tian-Zhu erschien.

49

Shun, der von Yao erwählte Nachfolger, war sehr weise. Er sorgte sich sehr um die Wohlfahrt des Volkes. Neue Methoden des Lobpreises für den Allerhöchsten improvisierte und erprobte der Himmelssohn. Das Land teilte er in zwölf Provinzen, deren weises und gerechtes Oberhaupt der Herrscher Shun war.

50

Zum Minister der Erziehung sagte Shun: "Sieh, daß die Menschen auf die fünf Beziehungen achten und der Pflicht der Tugend Genüge tun." Zum Minister der Agrikultur sagte Shun: "Die schwarzhaarigen Menschen haben Hunger. Säet, o Prinz, die fünf Getreidesorten für sie." Seine Herrschaft und Yaos, das war das Goldene Zeitalter Chinas.

51

Shun hieß mit Vornamen Chung Hua, er hatte doppelte Pupillen in den Augen, darum hieß er "Doppelter Glanz" oder "Doppelblüte". Shun war der Eibisch mit seinen schönen, dem Morgenlicht entgegenblühenden Blumen, die abends sinken, wenn die Sonne sinkt.

52

Zu jener Zeit sang man dies Lied: "Es gibt eine Frau, die fährt einen Wagen, ihr Antlitz ist wie die Blüte des Eibisch, wie die Blüte des lichten Shun. Gleich schwebt sie empor, gleich schwingt sie sich auf wie mit Vogelschwingen, am Gürtel klingt ihr Jadeschmuck. Sie, die schöne Kiang, sie ist wahrlich hübsch, ja schön. Sie ist wie die Blüte des Eibisch, wie die Blüte des lichten Shun."

53

Die vier Weltenberge sprachen: "Shuns Vater war blind und starrköpfig, seine Mutter ein Schandmaul, sein Bruder ein halsstarriger Elefant. Aber Shun folgte dem Kindesgehorsam."

54

Mit fünf Gesetztafeln zog Shun in die Tiefe und war bei den vier Welteingangstoren zu Gast. Die Tiefe ward ihm untertan, die Welteingangstore harrten in Demut vor seinem Gesetz. Unangefochten betrat er die Hölle der Glut.

55

Shun schaute von ferne auf die Berge und Ströme, er besuchte reihum die Engel der Herden, belud den Wagen des Mondes mit der Jade der Fruchtbarkeit. Nach drei Jahren absoluter Stille ernannte Shun zwölf Hirten.

56

Shuns Frauen waren Yaos Töchter. Die eine hieß Ngo Huang, die Jüngere hieß Nü Ying. Die beiden Frauen dienten Shun auf den Feldern, da er mit Elefanten pflügte; sie waren nicht träge und hochmütig, nur weil sie Bräute des Himmelssohnes waren.

57

Die Fürsten statteten Shun Besuch ab und nicht Yaos Sohn, die Barden priesen Shun und nicht Yaos Sohn. Der hieß Tan Chu, der Zinnoberrote, er hatte einen roten Schlangenleib und ward an den Zinnoberfluß Tan-shuei verbannt, zum Volk der Schlangen-Man des Südens in die höllische Hitze.

58

Shun besaß eine Chin-Zither. Ku Sou schuf eine Se-Zither mit fünfzehn Saiten. Als Shun herrschte, befahl er Yen, der Se-Zither acht Saiten zusätzlich aufzuziehen, so entstand die Wölbbrett-Zither.

59

Yü war Shuns General. Er war Chinas Noah. Es hieß in einem Lied zu jener Zeit: "Wie groß war die Leistung des Mannes Yü, wie groß war seine Energie! Aber für Yü sollten wir alle Fische sein."

60

Die Wasser stiegen über die Hügel, über die Gipfel der Berge und reichten bis zum Himmel. Yü sprach: "Ich öffnete Wege für die Ströme, abzufließen. Zu jener Zeit wurde das Volk wieder gelehrt, Getreide anzubauen und Fleisch zu züchten. Man begann, Handel zu treiben. Die Staaten der Völker Chinas kamen unter eine gute Regierung."

61

Auf Yü folgte Tang, ein virtuoser Prinz des kleinen Fürstentums von Shang, eines Teiles des heutigen Honan. Er ward berufen vom Himmel, das Reich zu retten. Er überwand das Heer und bestieg den Thron in seiner Hauptstadt Po.

62

Er sagte: "Ich wollte nicht einfach den Thron usurpieren, sondern handeln auf Geheiß des Himmels!" Aber bald wetterte des Drachen Zorn, und eine große Hungersnot währte sieben Jahre.

63

Man mußte dem Himmel ein Opfer darbringen zur Versöhnung der Welten. Tang, der Himmelssohn, erbot sich, dies Opfer zu sein. Er fastete sieben Tage, dann ging er in weißen Trauergewändern in einen Maulbeerbaumgarten, geopfert zu werden. Er kniete nieder und betete, da intervenierte der Himmel. Tang ward das Fundament eines neuen Volkes, das da lobte Tian-Zhu, den Herrn des Himmels.



MO DI UND DIE DAME NAN


1

Die Dame Nan nannte den Himmel eine schwarze Wolke und konnte nicht glauben, daß der Himmel lächle. Mo Di sprach: Darum weint der Himmel, weil du ihn für eine schwarze Wolke hältst.

2

Mo Di zitierte einen Klassiker: Was mich flieht, das verfolg ich; was mich verfolgt, das flieh ich. Die Dame Nan fragte: So sprech ich besser nicht mit dir?

3

Mo Di liebte Pflaumenblüte. Sie fuhr mit ihrem Mann, einem Beamten, in die Berge. Schön, sagte sie zu Mo Di, daß ich dich heute noch sprechen durfte. In sieben Tagen sehen wir uns wieder. Dafür liebte Mo Di Pflaumenblüte.

4

Mo Di war ein Dichter. Er nahm sich vor, nicht allein Pflaumenblüte zu singen, sondern auch die Worte der Dame Nan zu überliefern. Diese unterrichtete die Grammatik des Mandarin, sprach oft über den Himmel und die Poeten der alten Zeit.

5

Mo Di war ein Dichter, seine Zeit verbrachte er damit, nach Pflaumenblüte zu seufzen und mit Dame Nan über Poesie und Philosophie zu reden. Er litt immer. Da sagte er zu Dame Nan: Das Leid ist Gnade, eine Rettung ist nicht erlaubt, die Verzweiflung ist das Siegel der Erwählten. Da sagte Dame Nan: Das ist schön.

6

Dame Nan sagte: Ich liebe Klostervorsteher und Poeten. Einmal liebte ich einen Dichter, ich gab ihm schöne Verse ein. Aber ich machte den Fehler, ihn heiraten zu wollen. Poeten müssen wie Klostervorsteher Jungfrauen sein, sagte Mo Di.

7

Dame Nan sprach: Alles scheint mir sinnlos. Da trug Mo Di ihr eine Hymne an den Himmel, ein Liebeslied an Pflaumenblüte vor. Und Dame Nan sprach: Danke, ich bin erbaut.

8

Mo Di sagte: Es gibt ein Volk, das gilt als höflich. Pflaumenblüte sagte: Das Volk ist sehr herzlich. Pflaumenblüte segnete Mo Di mit den Worten jenes Volkes: Wird es dunkel, trage dich die Mutter Erde; leidest du Verlust, hülle Liebe dich in ihren Mantel...

9

Dame Nan war verzweifelt am Leben. Mo Di riet ihr, ins Theater zu gehen und die Komödie eines Klassikers anzuschauen. Die Heiterkeit der leichten Muse möge durch ihre schwermutvolle Seele mit erfrischendem Winde wehen. Denn ein Heiliger sagte: Es ist vernünftig, zeitweise nicht so vernünftig zu sein.

10

Mo Di sah gern den singenden Tänzerinnen, tanzenden Sängerinnen zu und erzählte Dame Nan von vielen anmutvollen Mädchen. Dame Nan sprach: Erstaunenswert, daß du dich nicht auch gleich in mich verliebt hast. Mo Di sagte: Ich liebe seit drei Jahren keine als Pflaumenblüte. Aber mit dir tausch ich mich gerne aus.

11

Dame Nan sandte Mo Di einen Morgengruß. Mo Di sandte Pflaumenblüte einen Mittagsgruß. Pflaumenblüte ließ am Abend Dame Nan grüßen. So war Mo Di der Dichter der allgemeinen Menschenliebe.

12

Mo Di ward von Pflaumenblüte sehr liebenswert behandelt, aber sie war dennoch sein Schmerz, darum liebte er sie... Dame Nan behandelte ihn mit Respekt und Freundlichkeit, aber sie war nicht sein Schmerz, darum behandelte er sie mit Respekt und Freundlichkeit.

13

Pflaumenblüte war schön wie Hsi-Shy, die schönste Frau Chinas; sie badete in Stutenmilch wie Yang Guefe, die schönste Frau Chinas nach Hsi-Shy. So war Pflaumenblüte schöner als die schönsten Frauen Chinas. Mo Di trank mit einem Dummkopf Wein, der sagte, Pflaumenblüte sei wohl nicht die schönste Frau Chinas. Da hasste Mo Di den Dummkopf. Pflaumenblüte aber wünschte, daß Mo Di alle Menschen liebe, auch seine Feinde.

14

Die Nonne Mi schrieb: Sehr geliebter Mo Di! Ich will nicht mit dir reden und mag keine Briefe mehr von dir bekommen. Ich liebe dich eben, wie ich dich liebe. Mo Di sagte traurig: Was ist das für eine Liebe?

15

Dame Nan sagte: Ich halte mich ans geschriebene Wort. Mo Di sagte: Weißt du nicht, was geschrieben steht im Himmlischen Buch? Die Meeresgöttin Ma-ku werden die Chinesen aller Zeiten seligpreisen als die Allergesegnetste! Da schenkte Mo Di der Dame Nan einen tibetanischen Rosenkranz. Auch Pflaumenblüte ehrte das Bild der schönen Meeresgöttin Ma-ku.

16

Dame Nan fragte: Ist der Wille des Menschen frei? Mo Di sagte: So lehrten alle Taoistenpäpste mit dem Gelben Turban. Ob ich das Tao des Himmels suche oder nicht, ist frei dem Willen des Menschen. Aber bin ich auch frei, die Geliebte zu lieben oder nicht zu lieben?

17

Mo Di sprach: Dame Nan, ich schrieb ein Gedicht über dich. Sie freute sich: Dann bin ich verewigt!

18

Ein Beamter hatte ein Gedicht fabriziert und sagte Mo Di, er wolle Geld dafür, eine Menge Silbertaels. Mo Di verzog angewidert das Gesicht und dachte bei sich: Ich will das Bild der Geliebten der Nachwelt überliefern.

19

Dame Nan las einen Lobpreis des Himmels und sagte: Es ist mystische Abkehr von der Welt darin. Mo Di sagte: Das ist nicht das Verkehrteste. Der weise Tschuang Tse hat dasselbe gelehrt.

20

Dame Nan fragte nach Mo Di’s Versen. Er sprach: Die freien Fu-Verse liegen mir nicht; die archaischen Verse des Shi-Jing sind zu schwer und fremd; aber im klassischen Shi-Gedicht der Tangzeit leist ich Bedeutendes.

21

Mo Di machte seinem Unmut über die Sekten Luft. Dame Nan sprach: Halte nur fest am Geheimnis, daß der Himmel vom Herzen verspeist wird in einem Reiskorn und einem Fingerhut voll Reiswein.

22

Mo Di sagte: Alle Tage meiner Zukunft erwarte ich, unglücklich zu sein, aber heute bin ich glücklich. Dame Nan freute sich und sagte: Das ist weise, denn die Weisheit sagt: Anfang und Ende kennst du nicht; aber ehre den Himmel, indem du deinen Jadebecher mit Reiswein im Mondschein trinkst allein mit deinem Schatten, und mit Bambuspinsel und Tusche auf Seide süße Liedeslieder pinselst für Pflaumenblüte.

23

Mo Di las Dame Nan ein Gedicht vor. Sie sagte: Du bist ein wahrer Chinese!

24

Dame Nan fragte Mo Di, was er im tiefsten Winter dichten werde? Mo Di sagte: Ich werde das Lied von der Süße des Sommers singen, vom Strande von Sanya und der sommerlichen Schönheit Pflaumenblütes im Garten.

25

Mo Di sprach: Meine Heimat ist der Himmlische Garten, in dem ich nach dem Tode leben will. Aber schon im Lächeln Pflaumenblütes seh ich auf Erden den Himmlischen Garten. Dann sehne ich mich um so mehr!

26

Mo Di sagte der Dame Nan: Pflaumenblüte und du, ihr seid in dieser Zeit meine einzigen Freunde. Jede liebe ich auf eine andre Art. Dame Nan sprach: Nicht daß wir dich zerreißen! Mo Di spürte, während er mit Dame Nan sprach, die ätherische Gegenwart, den Duft Pflaumenblütes und hörte Dame Nan einen Augenblick lang nicht zu, weltvergessen sich am Duft der Liebe berauschend; denn Pflaumenblüte war berauschender als dreihundert Kufen gelben Weines.

27

Pflaumenblüte ward von Mo Di so genannt, weil die Pflaume eine der vier „Reinen des Winters“ war. Pflaumenblüte war rein wie der Schnee, wie der Mond, wie des Himmels Kristall.

28

In der Nördlichen Hauptstadt fiel der kalte Regen. Mo Di sehnte sich nach dem Mekongdelta und der Insel Hainan im Südchinesischen Meer. Aber er konnte nicht reisen, denn all seine Silbertaels waren draufgegangen für Wein und Jadeschmuck als Geschenk für Pflaumenblüte. Da wußte Dame Nan ihm nicht anders zu helfen: Lies die trunkenen Lieder Li Bais!

29

Dame Nan sagte: Heilige wandten sich ab von der Sinnenwelt und sich allein dem Geist des Himmels zu. Ich aber sage dir: Auch in deiner Pflaumenblüte offenbart sich dir der Himmel. Mo Di sagte: Das freut mich in meiner Trübsal.

30

Mo Di sprach: Wir dürfen nicht glücklich sein, wir müssen die Sehnsucht nach der Seligkeit am Leben halten. Das Leid ist uns lieb. Dame Nan sprach: Muß das Leben so grausam sein? Aber dem Weisen ist Glück und Unglück eins, er sucht nur den Himmel.

31

Mo Di sagte: Die Sektierer fragten, ob ich auch brav im Kloster der Barmherzigkeit und Gnade gewesen (welches sie selber doch nie besuchen würden). Sie runzelten die Stirn, als ich sagte: Nein, ich war in der Schenke. Ach Dame Nan, wieviel mehr sind die Trinker meine Brüder, die so traurig aus den warmen Augen schauen, als die Sektierer mit den kalten Herzen!

32

Mo Di sprach: Ich träumte von den Menschen der Urzeit, wie sie sich vom Himmel abwandten, ich sagte der Frau: Ach Frau, du bist all mein Unglück! Dame Nan sagte: Selige Schuld unserer Vorfahren! Denn sonst wüssten wir nicht vom Gottmenschen, der das Tao selbst ist!

33

Dame Nan sagte: Eine barmherzige Heilige sprach: Ihr Chinesen! Ihr sprecht von Konfuzius, Lao Tse, Buddha und Mohammed; geht euren Weg und sucht in allem aufrichtig Gott! Ich für meinen Teil häng mit Liebe dem Gottmenschen an. Dame Nan sprach: So mag es gehen. Mo Di setzte hinzu: Welche Liebe zu Gott und den Menschen hatte jene mütterliche Heilige aus dem Kloster der Barmherzigkeit und Gnade! Nicht nur Mantou-Brote verteilte sie an die Armen, sondern gab auch den Seelen Worte der Liebe!

34

Mo Di sprach: Meine Gedichte beinhalten nichts, sondern sind! Dame Nan verstand ihn und lobte den Seienden.

35

Und Dame Nan rief eine Schar von Dienern, die sie in einer Sänfte die Seidenstraße hinauftrugen, denn sie wollte nach Griechenland. Mo Di lernte zu jener Zeit eine jüdische Amazone kennen, die ihm vom alten Glauben ihres Volkes erzählte. Die Gedichte an Dame Nan fasste Mo Di in einem kleinen Büchlein zusammen, und mancher Poet und manche Jungfrau las es beim Weine oder auf dem Bette liegend mit großem Gewinn. In allem, sagte Mo Di, suchte Dame Nan den Willen des Himmels zu ergründen. Das ist der Wille des Himmels, daß wir den Gottmenschen lieben!

PFLAUMENBLÜTE IM WINTER

Geliebte Pflaumenblüte! all mein Sehnen
Ist es, im Lenze deinen Duft zu schauen...
Geliebte Pflaumenblüte! meine Tränen
Als Flocken dir auf deinen Wimpern tauen...
Geliebte Pflaumenblüte! meine Venen
Dein Bildnis tragen auf dem Blut, dem blauen...
Geliebte Pflaumenblüte! wie bei Schwänen
Sei treu der Dichter Unsrer Lieben Frauen!



DIE WEISHEIT DES MO TI UND EUROPA


1

Es war einmal ein Mann, der drang in den Garten seines Nächsten ein und stahl ihm Äpfel und Pflaumen. Alle verurteilten diesen Mann. Und wenn die Obrigkeit diesen Mann erwischt auf frischer Tat, wird sie ihn zu strenger Buße verurteilen. Denn er suchte sich selbst Vorteil zu verschaffen, indem er seinem Nächsten schadete. Das ist verwerflich. Wenn aber gar ein Mann einen andern Mann tötet, um seine Frau an sich zu reißen, so ist das noch weit verwerflicher. Warum? Weil eine Frau mehr wert ist als eine Pflaume. Je schwerwiegender der Fall ist, in dem man sündigt, desto verwerflicher die Sünde. Darum unterscheidet man zwischen lässlichen (nicht lässigen) und schweren und Todsünden. Doch wenn nun Vater Staat einen andern Staat überfällt, so sei das nicht zu verwerfen? Dann wird der Eroberer noch als großer Kriegsheld gefeiert? Wenn ein Mann einen andern Mann tötet, so verurteilen die Regierenden ihn zur Todesstrafe. Wenn aber Vater Staat Millionen Menschen tötet, so wird der Eroberer noch angebetet? Dann stellen sie seinen mumifizierten Leichnam zur Verehrung aus und die Poeten sudeln ihm Oden zum ewigen Angedenken?


2

Wenn einer eine schöne Landschaft erobert hat, dann betrachtet er die schöne Landschaft und findet sie gar nicht mehr so begehrenswert. Im Gegenteil merkt er, dass er viel mehr verloren hat als gewonnen, denn er hat die ganze Jugend seines Volkes geopfert, um diese Landschaft zu erobern.


3

Wenn heutzutage in unserm Lande die Menschen etwas loben, warum tun sie es dann? Loben sie es, weil es Gott gefällt, weil die Engel ihre Freude daran haben und weil es den Menschen zum Heil gereicht?


4

Wenn in den frommen Zeiten die Menschen etwas unternehmen wollten, dann schauten sie zuerst, ob es mit Gottes Geboten übereinstimmt. Wenn es mit Gottes Geboten übereinstimmte, dann handelten sie entschlossen und tatkräftig. Immer achteten sie darauf, Gottes Wohlgefallen zu finden, in Übereinstimmung mit dem Vorbild der Heiligen zu leben und dem Heil der Menschen zunutze zu handeln. Das ist der Weg der Weisheit.


5

Die Männer des Mittelalters einten das Reich und brachten alle Stände dazu, durch Gebet und Arbeit Gott dem Herrn zu dienen und den Heiligen ein Wohlgefallen zu sein. Sie sorgten sich auch um das Wohlergehen des ganzen Volkes. Daher segnete Gott sie und die Engel beschützten sie und die Menschen des Volkes verehrten sie. Sie wurden mit der Bezeichnung: Kaiser von Gottes Gnaden geehrt und wurden angesehen als Königliche Stellvertreter des Königtums Christi. Ihr Name wurde zu den Namen von Heiligen gezählt. Ihr Name blieb bis zu den heutigen Tag in ehrendem Angedenken. Das ist der Weg der Weisheit. Es war die Macht der Weisheit, durch die die Könige des Mittelalters herrschten.


6

Den Soldaten sagt man aber: Süß ists und ehrenvoll, fürs Vaterland zu sterben! Verliert ein Soldat sein Bein oder sein Auge im Krieg, so bekommt er einen Orden. Ein Fahnenflüchtiger wird aber standrechtlich erschossen. Das Gesetz in der Armee lautet: Die Soldaten sollen ihre Offiziere mehr fürchten als den Feind!


7

Menschen sind Kinder Gottes. Wenn nun die Kinder Gottes andere Kinder Gottes angreifen und ermorden, meinen dann diese Kinder Gottes, sie hätten Gott einen guten Dienst erwiesen? Womit dienen die Kinder Gottes denn Gott, wenn sie Gottes Kinder ermorden und ihre Kirchen verwüsten? Die ermordeten Kinder Gottes können Gott nicht mehr auf Erden dienen und den Vater im Himmel als Gottes Volk auf Erden anbeten. Sie können ihm nicht mehr das Opfer von Brot und Wein bringen! Ist das ein guter Dienst? Wenn das ein guter Dienst ist, Gottes Kinder zu ermorden, um Gott anzubeten, dann hat man in unserm Jahrhundert wahrlich Gott sehr gut gedient!


8

Als die Revolutionäre die Revolution unternahmen, gab die Gottesmutter den Befehl, die Revolution zu verhindern. Die Sonne tanzte am Himmel und die Mutter Gottes weinte blutige Tränen. Es schneite am fünfzehnten August und Quellen brachen aus Felsen. Das Volk Europas geriet in großes Entsetzen. Rasputin befahl dem Heiligen Nikolaus persönlich, den Zepter zu nehmen und die Revolutionäre in die Schranken zu weisen. Ein Gewitter mit Blitzen mahnte den Heiligen Nikolaus an sein Amt. Es erschien ein Engel in silberner Rüstung auf weißem Pferd, dem Heiligen Nikolaus zu dienen. Die Clique der Revolutionäre geriet in große Verwirrung. Glänzend regierte der Heilige Nikolaus von Sibirien bis Sankt Petersburg, von Archangelansk bis an die Krim.


9

Im Falle der Reformation erließ die Gottesmutter einen Befehl. Sie weinte blutige Tränen, die Heiligen weinten im römischen Reiche, die Kraniche schrien. Da trug die Gottesmutter Kaiser Karl dem Fünften auf, das Mandat des Christkönigs zu übernehmen. In Deutschland, sprach die Gottesmutter, ist das Reich in Unordnung geraten, ich habe Martin Luther seine Mönchsgelübde brechen sehen und ihn die Kirche und den Stellvertreter Christi lästern hören. Meine Gnade ist von ihm gewichen. Geh, mein Karl, und züchtige die deutschen Protestanten, ich werde dir die nötige Kraft dazu verleihen. Erst auf dieses Wort der Gottesmutter hin wagte Kaiser Karl sich an die Spitze seiner Truppen zu stellen und gegen den Schmalkaldischen Bund der Protestanten zu ziehen. Kaiser Karl nahm die Grabstätte Luthers ein. Da erschien der heilige Petrus und sprach: Die Tugend der Deutschen ist in rasantem Verfall. Geh und züchtige sie, ich werde dir die Kraft dazu verleihen. Ich selbst erhielt dazu den Auftrag von Christus. Daraufhin gebot der Himmel dem Generalissimus Tilly, die Magdeburg zu erobern. Dann versammelten sich alle Fürsten in Münster und beschlossen den Frieden.


10

Herrscher, wenn du durch Gerechtigkeit und Tugend siegen wolltest, durch den Rosenkranz, statt durch Waffen, dann würde sich die ganze Welt dem himmlischen König unterwerfen. Schon lange, Herrscher, führst du in der ganzen Welt Angriffskriege und die Welt ist erschöpft wie ein Knabe, der den ganzen Tag Kampfkunst gespielt hat.


11

Herrscher, wenn du wohltätig bist und der Not der Armen abhilfst, wirst du dein Volk für dich gewinnen. Statt Angriffskriege in der ganzen Welt zu führen, solltest du deinen Staat in Ordnung bringen und die soziale Frage mit Gerechtigkeit lösen, dann wirst du erfolgreich sein. Rechne einmal aus die Ausgaben für deine Armee und vergleiche sie mit den Ausgaben anderer Staaten. Wer zuviel für die Armee ausgibt, wird sich ruinieren. Wenn man ehrlich ist und handelt nach den Geboten Gottes, wenn man mildtätig zu dem Volk ist und sparsam mit militärischen Maßnahmen, dann gewinnt man unter den Regierenden der anderen Länder Freunde. Der Nutzen für das eigene Reich ist unermesslich. Und Gott hat daran sein Wohlgefallen.


12

Wenn ein Philosoph dem Staat vorsteht, ist das gut. Wenn ein Weiser die Kirche führt, ist das für die Menschheit von Segen. Die Weisheit rät nicht zu Kriegen und Eroberungen, sie warnt auch vor sinnloser Verschwendung der Ressourcen des Staates.


13

Einst erließ die heilige Kirche folgendes Gebot: Die Menschen sollen heiraten, wenn sie einander lieben wollen. Sie sollen einen Menschen allein und für immer heiraten, es gibt keine Scheidung. Es soll keine künstliche Verhütung betrieben werden und kein Kind im Mutterschoß ermordet werden. Dann wird das Volk gedeihen und Gott gibt seinen Segen. Aber seit man auf die heilige Kirche nicht mehr hört, schläft jeder mit jedem, viele mit vielen, aber es werden keine Kinder mehr gezeugt, und selbst wenn Kinder gezeugt werden, werden sie ermordet. Desweiteren liebt der Mann den Mann und die Frau die Frau. Und darum stirbt das Volk aus.


14

In Afrika herrscht Bürgerkrieg. Groß ist die Zahl derer, die nicht genug zu essen bekommen. Viele werden krank und sterben. Groß ist die Zahl derer, die in Bürgerkriegen und Völkermorden getötet werden. So vermindern die korrupten Herrscher die Bevölkerung.


15

Im Mittelalter herrschten die heiligen Könige und frommen Fürsten über das römische Reich. Die Fürsten führten durch loyale Treue zum König das Volk, das sie liebten. Sie erhielten dem Volk die Ordnung, in der sich das Volk entfalten konnte. Sie zeigten in ihrer Weisheit, gelenkt von den Weisen und Heiligen, den rechten Weg des Lebens, des Gebets und der Arbeit. Die Fürsten wirkten für das Volk und ermüdeten nicht bis ans Ende ihres Lebens. Die Weisheit Gottes war es, durch die die Könige und Fürsten im Mittelalter das Volk regierten.


16

Die Handwerker und Bauern sollen arbeiten und erzeugen, bis die Bedürfnisse des Volkes gestillt sind, aber nicht mehr. Die Weisen gaben auch ein Gesetz zur Herstellung von Speisen und Getränken. Speis und Trank sollen ausreichend sein zur Stillung von Hunger und Durst und zur Fortführung des Lebens bemächtigen. Speis und Trank sollen die Glieder stärken, dem Auge und dem Ohr die Sinne schärfen. Aber damit ist es denn auch genug.


17

Die Weisen erließen auch Gesetze die Kleidung betreffend. Im Winter soll man sich in warme Mäntel hüllen und im Sommer sich in leichte Seide kleiden, die kühlt und nicht erhitzt. Damit soll es genug sein.


18

Die Fürsorge eines Gerechten für das Reich ist gleich der Sorge eines Vaters für seinen Sohn. Doch wie wird sich ein herzlich-liebender Vater zu seinem geliebten Sohn verhalten? Wenn der Sohn in Armut lebt, wird er ihm Güter verschaffen, wenn es wenige Söhne sind, wird er suchen, die Zahl der Söhne zu vermehren. Wenn Unordnung herrscht, wird er die gute Ordnung herstellen. Wenn Streit und Unfriede herrschen, wird er den Frieden stiften. Bei seinen Bemühungen mögen seine Weisheit und seine Kraft vielleicht nicht ausreichen, dann kann er nicht mehr tun, aber soweit ihm seine Weisheit und Kraft bringen, wird er alles zum Wohl des geliebten Sohnes unternehmen. Er wird es nicht wagen in Verantwortung vor Gott, seine Kraft und Weisheit nicht zum Wohl des Sohnes zu verwenden. So verhält sich ein Gerechter zum Reich. Wenn das Volk arm ist, wird er sich um Wohlfahrt bemühen. Wenn die Bevölkerungszahl abnimmt, wird er die Familie und die Kinderzeugung fördern. Wenn die Menge rebelliert, wird er Ordnung wieder herstellen. Wenn Streit herrscht in der Gesellschaft, wird er Versöhnung stiften. Bei diesen Bemühungen mögen seine Kraft und Weisheit nicht genügen, aber er wird doch alle seine Kraft und Weisheit zum Wohl des Volkes einsetzen. Das übrige überlässt er betend der Weisheit und Kraft Gottes.


19

Wenn das Volk verelendet, dann schreien die Opfer von Brot und Wein zum Allerhöchsten. Wenn aber keine Kinder mehr geboren werden, dann bringen zu wenig Menschen dem Allerhöchsten und der Jungfrau das Opfer von Brot und Wein. Wenn Unordnung herrscht im Tempel und der große Abfall, dann werden die Opfer von Brot und Wein nicht mehr in der rechten Weise dargebracht. Wenn das Volk von der herrschenden Klasse so geführt wird, dass sie dem Allerhöchsten und der Jungfrau nicht mehr dienen, dann werden der Allerhöchste und die Jungfrau von oben eingreifen. Dann wird der Allerhöchste sich fragen: Ist es gut, dass solche Menschen existieren, oder ist es böse? Dann wird der Allerhöchste sagen: Es ist besser, dass es solche üblen Leute nicht mehr gibt. Dann wird der Allerhöchste ein Strafgericht über die Welt herabsenden, diesen üblen Leuten Unglück bringen, sie züchtigen und viele verwerfen. Hat der Schöpfer dazu etwa kein Recht?


20

In finsteren Zeiten lebten die Menschen in Deutschland so: Wenn ein Sohn im Schoß empfangen war, dann sagten die Mütter: Es ist besser, diesen Sohn im Schoß zu ermorden, dann kann ich vielleicht glücklich werden. Und wenn der Großvater gestorben war, dann nahm der Schwiegersohn die Großmutter auf den Rücken und trug sie in den kalten Wald, wo sie erfror. Denn es sagte der Schwiegersohn: Was soll ich mich um die Alte kümmern? Sie bringt mir keinen Nutzen und keinen Gewinn. Dazu ist mir mein liebes Geld zu schade. Die Regierung betrachtete das als ein Wohlverhalten eines aufgeklärten modernen Volkes und es gab keine Gesetze gegen solch ein Verhalten. Doch war dies Verhalten in Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes? Solches Verhalten nennt man: Den Zeitgeist an die Stelle Gottes zu setzen.


21

Die Menschen wissen heute nicht mehr das Gute zu tun. Wenn ein Sohn den Vater und die Mutter nicht ehrt, kann er zu einer fremden Familie gehen und mit ihnen leben, aber dann wird ihm sein Bruder sagen: Denke doch daran, dass dein Vater und deine Mutter dir das Leben geschenkt haben! Womit könntest du ihnen das vergelten? Und wenn ein Revolutionär gegen den Vater Staat aufbegehrt, dann kann er aus den Grenzen des Vaters Staats und aus dem Bereich der Muttersprache fliehen und in ein Exil gehen. Dann werden ihm seine Brüder sagen: Hast du nicht Sehnsucht nach deiner Heimat? Aber wenn die Menschen heute gegen Gottes Gebote sündigen, wohin wollen sie dann fliehen? Es gibt keine Kammer, die der Ewige nicht sehen würde, es gibt keinen Wald, den er nicht durchdringen würde, es gibt keine Insel am Ende der Welt, wo Gottes Auge nicht wachte.


22

Was wünscht Gott? Gerechtigkeit und Frieden wünscht Gott! Wenn ich also Gerechtigkeit übe und Frieden stifte, tu ich, was Gott wünscht. Dann wird Gott aus reiner Gnade tun, was ich wünsche.


23

Der Vater im Himmel entschied, was der Menschensohn tat. Die heiligen Könige David und Salomo opferten im Heiligtum dem Vater im Himmel, dass er ihnen Segen spende. Ich habe nicht gehört, dass der König den Herrn im Himmel gesegnet hat, sondern der Herr im Himmel segnet den König. Daher weiß ich, dass der Vater im Himmel alles gebot, was der Menschensohn tat.


24

Wenn der Mensch sich der Weisung Gottes fügt und Gott über alles liebt und alle Menschen liebt wie sich selbst, dann wird Gott den Menschen in der Ewigkeit belohnen. Wenn der Mensch aber in der Sünde lebt und sich von Gott scheidet, Kinder tötet, Krieg beginnt und die Natur zerstört, dann wird Gott ein Strafgericht ergehen lassen.


25

Wie wurden die heiligen Könige gesegnet? Die heiligen Könige dienten Gott, verehrten die Jungfrau, die Engel und die Heiligen und liebten alle Menschen. Darum segnete Gott die heiligen Könige mit vielen Kindern und Kindeskindern und einem dauerhaften Namen. Wie wurden die ungerechten Könige gestraft? Die ungerechten Könige setzten sich selbst an die Stelle Gottes, riefen die bösen Teufel an und mordeten die Menschen. Darum erhängten sie sich in der Mitte ihres Lebens und hinterließen ihren Namen als einen Fluch.


26

Wenn Gott die Menschenkinder nicht lieben würde, warum sollte er dann ein Strafgericht ergehen lassen, wenn er sieht, dass die Menschenkinder ermordet werden? Ich weiß aber, das Gott die Menschenkinder liebt. Und die die Gerechtigkeit tun, die tun den Willen des Himmels, und die barmherzig sind, die ähneln dem Herzen Christi. Aber die den Krieg und den Kindsmord lieben, die sündigen schwer gegen Gottes Liebe!


27

Das Gesetz Gottes ist für mich das, was für den Architekten der Zirkel und für den Zimmermann das Winkelmaß ist. Was stimmt, ist richtig; was nicht stimmt, ist falsch. Es gibt so viele Bücher von Leuten, die meinen weise zu sein, dass man nicht weiß, wo einem der Kopf steht. Ich aber halte mich an das Maß der Weisung Gottes. Denn die Schriften der Klugen sind weit entfernt von der Gottesliebe und der vollkommenen Menschenliebe. Woher weiß ich das? Vom Maß der Weisheit Gottes.


28

Wenn die Menschen sich gerecht verhalten wollen, müssen sie den Ursprung der Gerechtigkeit kennen. Was ist der Ursprung der Gerechtigkeit? Die Gerechtigkeit findet man nicht bei den Gemeinen, den Toren, sondern bei den Erhabenen, den Weisen. Doch wer ist erhaben, wer ist weise? Nur Gott ist erhaben, nur Gott ist weise! Darum ist Gott der Ursprung der Gerechtigkeit.


29

Gott steht über dem Papst. Wenn der Papst gesündigt hat, muß er beichten, Buße tun, fasten und das Sühneopfer darbringen. Ich habe noch nie gehört, dass Gott sich Glück vom Papst erbeten hat, nein, der Papst erbittet sich Glück von Gott. Darum ist Gott weiser als der Papst. Darum heißt es bei den Alten: Licht und weise ist allein Gott, vom Himmel herab regiert er die Welt.


30

Wenn die Edlen wirklich die Weisheit verehren, den Menschen nützen wollen und die Wurzel der Liebe und Gerechtigkeit ergründen wollen, dann müssen sie den Willen Gottes tun. Was ist denn der Wille Gottes? Gott will nicht, dass große Staaten kleine Staaten angreifen, dass große Familien kleine Familien in Unordnung bringen, dass die Starken den Minderheiten übel mitspielen, dass die Schlauen die Einfältigen überlisten und die Vornehmen die Geringen verachten. Doch damit nicht genug! Gott will, dass die Starken den Schwachen beistehen, das die Gebildeten ihre Mitmenschen belehren und die Reichen den Armen von ihren Gütern geben.


31

Wenn man weiß, was Gott will, aber nicht tut, was Gott will, wird Gott auch nicht tun, was der Mensch will. Dann wird Gott tun, was der Mensch nicht will. Und was will der Mensch nicht? Der Mensch will kein Unheil. Darum gehen die Völker zugrunde, die nicht nach Gottes Geboten leben. Im Mittelalter wussten die heiligen Könige sehr wohl, was der Wille Gottes war, und sie taten den Willen Gottes und taten nichts, was dem Willen Gottes widersprach.


32

Gott liebt die Menschenkinder und will allen seinen Kindern helfen. Man könnte diesem Satz widersprechen, wenn man auch nur etwas von der Größe einer Haarspitze fände, das gut wäre und nicht von Gott uns geschenkt. Aber die Menschen danken Gott nicht und sind darum lieblos, und darum sind sie auch unglücklich.


33

Wenn ein Vater seinem Sohne von Herzen alles schenken würde, was dieser braucht, wenn er den geliebten Sohn großzieht, stark macht und ihn versorgt mit allem, was ihm gut tut, und der Sohn würde den Vater anschreien: Geh weg von mir, ich will mit dir nichts zu schaffen haben!, dann würde man den Sohn undankbar nennen. Aber so sind die Menschen mit Gott. Dabei hat Gott ihnen das Leben geschenkt und schenkt ihnen täglich die Schöpfung.


34

Es war einmal ein Tyrann, der diente nicht Gott, der ehrte nicht die Jungfrau und die Heiligen, sondern richtete Unheil an und sagte: Ich bin der Herrscher! Daher entzog Gott ihm seine Gnade und ließ ihn zugrunde gehen.


35

Sei achtsam und vorsichtig und tue Gottes Willen. Was liebt Gott und was verabscheut er? Er liebt Gerechtigkeit und verabscheut die Ungerechtigkeit. Woher weiß ich das? Wenn Gerechtigkeit herrscht, dann ist das Reich in Ordnung, wenn Ungerechtigkeit herrscht, verfällt das Reich. Gott ist aber ein Gott des Friedens, und nicht der Unordnung. Daher weiß ich, dass Gott das Tun der Gerechtigkeit liebt.


36

Heute wissen alle, dass der Papst die Kirche regiert, doch nur die wenigsten wissen, dass Gott den Papst regiert.


37

Wie kann man den Willen Gottes tun? Indem man jeden Menschen wie sich selber liebt.


38

Gott liebt die Menschen. Gott belohnt die Guten und bestraft die Bösen. Das wissen wir von den heiligen Kaisern. Denn Otto der Erste, Otto der Zweite und Otto der Dritte taten, was Gott gebot, sie regierten das heilige römische Reich deutscher Nation mit Weisheit und Gerechtigkeit. Und Gott segnete sie und nannte sie: Kaiser von Gottes Gnaden!


39

Als der Herzog von Oldenburg in Oldenburg im Tempel Unserer Lieben Frauen war, trat ein Engel durch das Osttor und stellte sich neben ihn. Der Engel hatte die Gestalt einer weißen Taube und war in ein goldgesäumtes Gewand aus weißer Seide gewandet, und richtete sein liebestrahlendes Antlitz direkt auf den Herzog. Als der Herzog den Engel sah, erschrak er, aber der Engel sprach: Fürchte dich nicht! Gott freut sich an dir, und dein Werk hat ihm schon lange wohlgefallen. Er hat mich gesandt, dir zu sagen, dass du noch länger auf der Erde leben sollst und dass er deine Kinder segnet mit der Gabe des Heiligen Geistes. Dein Name wird nicht untergehen. Und der Herzog verneigte sich tief vor dem Engel und sprach: Darf ich nach deinem Namen fragen? Und der Engel sprach: Mein Name ist Mahanajim.


40

Einst war ein kleiner König, der noch in den Windeln lag. Sein Vormund opferte nicht in der rechten Weise im Tempel. Da kam ein heiliger Greis und sprach zu dem Vormund: Warum ist das Opfer von Brot und Wein nicht richtig? Warum wird das kanonische Buch nicht richtig ausgelegt? Warum wird das Weihnachtsfest nicht heilig begangen? Bist du dafür verantwortlich oder der kleine König? Da sprach der Vormund: Der kleine König saugt ja noch an den großen Brüsten seiner Mutter, nein, ich bin dafür verantwortlich. Da nahm der heilige Greis seinen Hirtenstab und erschlug den Vormund. Wer kann da noch an der Existenz der Heiligen zweifeln?


41

In den alten Büchern heißt es: König Christus in der Höhe strahlt im Himmel glorreich! Alt ist das Volk der Kinder Gottes, aber neu und ewig ist der Bund, den Gott in Christus mit seinen Kindern schloß. Die Welt strahlte auf, als sie Christus empfing, das Wort Gottes. König Christus stieg herauf und thront zur Rechten Gottes und wird wiederkommen zum Gericht! Wenn die Seele nicht unsterblich wäre, wie könnte dann die Jungfrau Maria zur Rechten Christi stehen? Daher weiß ich, dass die Seele unsterblich ist.


42

In der Zeit der Herrschaft der heiligen Mutter Eva lebte die Welt in Frieden. Die Fische des Meeres, die Tiere des Feldes und die Gefiederten des Himmels lebten in Frieden und Harmonie miteinander. Und die heilige Mutter Eva und der heilige Vater Adam lebten in vollkommener Liebes-Ehe zusammen. Auch die Engel waren Engel des Friedens und beteten für die Welt. Die Erde bebte nicht und das Meer überflutete nicht das Land. Denn Mutter Eva lebte in Harmonie mit Gott und regierte als Mutter aller Lebenden die ganze Welt mit ihrer Weisheit.



DAS EVANGELIUM M NACH RAMAKRISHNA


1

Ein Milchmädchen brachte dem Priester täglich Milch. Sie musste einen Fluß überqueren. Eines Tages war der Fährmann abwesend, da versäumte das Mädchen, dem Priester seine tägliche Milch zu bringen. Der Priester rügte sie: Wie kann ein Scheidefluß dich hindern, einem Priester Gottes seine tägliche Milch zu bringen, Milchmädchen! Was bist du so kleingläubig? Rufe den göttlichen Namen an und du wirst sicher über das Meer des Lebens geführt. Nun brachte das Milchmädchen dem Priester täglich die Milch und sagte: Ich überquere den Scheidefluß allein durch die Macht des göttlichen Namens. Da wollte der Priester Gottes das gleiche Wunder tun, er raffte seinen Talar auf, dass er nicht naß würde, rief den Namen Jesu an, betrat den Fluß und versank. Da sprach das Milchmädchen: Ehrwürdiger Priester Gottes, wieso, wenn du den göttlichen Namen anrufst, sorgst du dich, ob dein Talar naß wird? Du bist in Wahrheit der Kleingläubige! Man muß Vertrauen zu Gott haben wie ein unschuldiges Kind zu seiner Mutter Vertrauen hat. Denn es heißt im Buch der Psalmen: Siehe, meine Seele ist getrost wie ein gestillten Kind in den Armen seiner Mutter, Israel, so hoffe auf JHWH!


2

Ein Pharisäer namens Simon sah dem Treiben einer Hure namens Maria Magdalena zu. Sie war eine Hetäre und hatte viele Freier. Da rief der Pharisäer Simon: Du Sünderin, tu Buße, kehre um und bereue deine Sünden! Da bereute Maria Magdalena von ganzem Herzen ihre Sünden. Von da an zählte der Pharisäer die Freier der Hetäre, und die Zahl der Männer wuchs von Tag zu Tag, die die Hure Maria Magdalena besuchten. Da rief der Pharisäer Simon: Maria Magdalena, siehst du, wie sich täglich deine Sünden mehren? Da rief Maria Magdalena: Jesus, sei mir armen Sünderin gnädig! Erbarme dich, Jesus, erbarme dich, denn ich bin eine arme Sünderin! Erlöse mich von diesem Todesleibe und denke an mich in deiner Herrlichkeit! Im selben Augenblick starb Maria Magdalena. Da sprach Simon der Pharisäer: Jetzt hat die Sünderin den Sold der Sünde erlangt, welches ist der Tod. Im selben Augenblick starb auch Simon der Pharisäer. Da sah er von weitem Maria Magdalena im Schoße Abrahams sich der paradiesischen Wonnen erfreuen. Aber zu Simon sprach Jesus: Geh weg von mir, du Heuchler! Du siehst den Splitter im Auge deiner Schwester, aber den Balken in deinem Auge siehst du nicht? Du hast die Sünden meiner Schwester berechnet, aber dich selbst hast du für heilig und gerecht gehalten. Sie war bußfertig, du warst unbußfertig. Ich kenne dich nicht, hinweg von mir in das ewige Feuer!


3

Es waren zwei Freunde, die kamen an einen Ort, da aus der Bibel vorgelesen wurde. Da sagte der eine: Ich will hören, was in der Bibel steht! Der andere sagte: Ich will ins Bordell und mich von den Huren befriedigen lassen. Als der Mann nun im Bordell mit den Huren geschlafen hatte, war er unbefriedigt, denn der Liebeshunger seiner Seele war nicht gestillt worden. Da dachte er: Hätte ich doch zugehört, wenn man aus der Bibel von Jesus vorliest! Und er dachte die ganze Zeit im Bordell an Jesus. Der Mann aber, der aus der Bibel vorlesen hörte, dachte nur: Ach, was entgehen mir doch für Freuden und Wonnen im Paradies des Bordells! Was ist ein Buch und was ist ein Wort gegen ein weiches warmes Weib und den Schoß und die Brüste einer Hure? So war dieser Mann im Geist im Hurenhaus und beging alle Sünden der Unzucht, die sich ein Wollüstling ersinnen kann. Aber Jesus sprach den gerecht aus Gnade durch Glauben, der im Bordell über des Heilands Leben meditierte.


4

Jesus sprach: Gott gibt euch, was ihr euch wünscht: Wenn ihr euch Geld wünscht, gibt Gott als gerechter Vater euch Geld. Wenn ihr euch ewige Liebe wünscht, gibt Gott euch wie eine göttliche Mutter ewige Liebe. Ihr aber sollt erkennen, dass die Schätze dieser Welt nicht sind, aber Gottes Liebe ist.


5

Jesus sagte: Ich sage euch ein Gleichnis: Der Wurm sitzt im Kot und hält sich nicht für schmutzig. Die Fliege sitzt einmal auf dem Misthaufen und einmal auf dem Zucker. Die Biene aber saugt nichts als Honig. Da sprachen seine Jünger: Meister, erkläre uns dies Gleichnis. Jesus sprach: Die Somatiker leben in der Welt und merken nicht, wie sie sich mit Sünden beschmutzen. Die Psychiker genießen die Welt und suchen doch auch die Geheimnisse des Himmels, aber sie entscheiden sich nicht, sie sind di-psychos. Die Pneumatiker aber saugen den süßen Honig der Mutterliebe Gottes aus der Rose des Herzens Gottes und nähren sich von Gott allein.


6

Der Heilige Franziskus kam einmal zu einer Schar Hirten, die ihre Schafe weideten. Da sprachen die Hirten: Franziskus, hier lebt eine Schlange, die gefährlich ist. Franziskus sprach: Ich habe keine Angst, denn das heilige Herz Jesu schützt mich. Da ging Franziskus zu der Schlange und lehrte sie, den süßen Namen Jesus anzurufen. Die Schlange bekehrte sich und fügte keinem mehr Schaden zu. Da wandten sich die Hirten um und steinigten die Schlange, denn nun konnten sie sich rächen. Da sprach Franziskus zu der Schlange: Selig bist du, Schlange, denn du wirst erhöht im Reiche Jesu zu einer ehernen Schlange am Kreuz!


7

Salomo sprach: So lange du lebst, so lange sollst du lernen. Bitte Gott, und Gott gibt dir Weisheit.


8

Maria sprach: Die Nächstenliebe, mit der ihr euren Nächsten Gutes tut, ist gut. Liebt die Nächten mit selbstloser Liebe. Wisst, dass ihr selbst gar nichts tun könnt, dass es Gottes Liebe allein ist, die alles tut. Durch Nächstenliebe verwirklicht ihr die Gottesliebe. Wenn ihr die Nächsten liebt, werdet ihr Gottes Liebe besser erkennen. Die Liebe zu Gott zieht euch auch zur Kontemplation. Aber die guten Werke im Geist der selbstlosen Liebe läutern euer Herz. Gottes Liebe erfüllt die Herzen der Menschen guten Willens mit Barmherzigkeit und die Herzen der Heiligen mit brennender Liebe. In euren Herzen liegt der Schatz verborgen, die Perle des Himmelreiches liegt im Acker eures Herzens verborgen. Habt ihr erst den Schatz in eurem Herzen entdeckt, dann werdet ihr nicht mehr von der Arbeit allein leben, sondern es wird euch mehr und mehr dahinziehen, Gottes Schönheit zu beschauen. Gott offenbart sich aus reiner Gnade, wann er will. Dann könnt ihr Gottes Schönheit schauen und mit dem Wort Gottes sprechen, so wie ich jetzt mit euch spreche.


9

Einer der Jünger fragte Jesus: Meister, kann ich Gott finden und fühlen, wenn ich arbeite? Muß ich nicht ganz in vollkommener Muße allein kontemplieren? Jesus sprach: Alles ist Arbeit, auch das Gebet ist Arbeit, wie das Atmen Arbeit ist. Tu nur alle Arbeit, dein Gebet und dein Atmen in Gott, mit Gott, durch Gott und für Gott.

10

Jesus sprach: Sünde ist die Selbstverkrümmung und Selbstverliebtheit des Ich. Der Egoismus macht blind für Gottes Liebe. Wird eine Seele durch Gottes Gnade erleuchtet und erkennt die Liebe Gottes im Innern des Selbst, so wird die Seele erlöst. Dann beginnt diese Seele das ewige Leben schon auf Erden. Die Sünde ist das Ego, der Satan ist das Ego. Das Ego muß sterben, dann kann Gott in euch leben. Das Ego ist eine dunkle Wolke, die die Sonne der Schönheit Gottes verhüllt. Die Gnade eures Meisters zerteilt und vertreibt die Wolke, dann kann die Schönheit des Antlitzes Gottes über euch leuchten! Dann werdet ihr Gott in seiner Schönheit schauen!


11

Jesus sprach: Ein kleines Kind braucht nur seine Mutter, es fragt nicht danach, ob die Mutter viel Geld besitzt, es muß nur wissen: Ich habe eine Mutter, alles ist gut. Und auch das Kind der Magd vertraut seiner Mutter. Und wenn der Sohn des Reichen das Kind der Magd beleidigt, sagt das Kind der Magd: Das sag ich meiner Mama! Und Jesus sprach: Und so auch sollst du Gott vertrauen.


12

Jesus sprach: Es ist ein Unterschied, ob du Gott durch das Denken ergründen willst oder ob du Gott durch das Gebet erkennen möchtest. Aber noch etwas ganz anderes ist es, wenn Gott selbst aus reiner Gnade sich dir offenbart. Wenn Gott in seiner Menschwerdung sich einem Menschen offenbart, hört alles Zweifeln auf. Der innere Raum der Seele ist von Licht überflutet. Andere Menschen suchen magische Kräfte, aber der wahre Gläubige sucht nichts als allein die Liebe Gottes.


13

Ein Mann sandte seine beiden Söhne zu Jesus, der die Söhne unterwies in der Offenbarung Gottes, der die Liebe ist. Nach drei Jahren kam der Vater der Söhne und wollte wissen, was die Söhne gelernt hatten. Der ältere Sohn zitierte die Bibel auswendig und zog daraus logische Schlüsse, die Existenz Gottes zu beweisen. Der jüngere Sohn aber lächelte und schwieg. Da sprach Jesus: Siehe, dieser hat Gott erfahren.


14

Ein Junge namens Jedidja musste allein durch einen dunklen Wald zur Schule gehen, aber auf dem Wege bekam er immer Angst. Da sprach seine Mutter: Hab keine Angst, mein Kind, ruf nur den süßen Namen Jesus an! Da sprach Jedidja: O Mutter, wer ist Jesus? Die Mutter sprach: Mein Kind, Jesus ist dein Freund und Bruder. So ging Jedidja wieder durch den finsteren Wald zur Schule, und als er wieder Angst bekam, rief er: O mein bester Freund Jesus! Beschützte mich, ich habe Angst! Und Jesus hörte den Ruf Jedidjas und erschien Jedidja als ein Knabe, der ihn begleitete auf dem Weg durch den finsteren Wald. Nachdem Jesus den Knaben Jedidja zur Schule gebracht hatte, sagte Jesus zum Abschied: Mein Kind Jedidja, wann immer du mich brauchst, dann ruf mich, und ich werde zu dir kommen!


15

Ein Wasserglas, das im Wasser steht, ist mit Wasser gefüllt und vom Wasser umgeben. Dies sagte Jesus zu seinen Jüngern. Meister, was soll das heißen, fragten die Jünger. Jesus sprach: Wer eins geworden ist mit Gott, der erkennt Gott im Innern und im Äußeren.


16

Gott der Herr hörte die Psalmen, Hymnen und spirituellen Oden eines Frommen und freute sich. Da sprach Gott der Herr zu dem Frommen: Was willst du von mir? Da sprach der Fromme: Herr, mein Gott, verzeihe denen, die mich ausgenützt haben. Denn wenn du sie in deinem Zorn bestrafen würdest, bestraftest du dich selbst, der du in allen Menschen auf Liebe und Barmherzigkeit wartest.


17

Ein leidenschaftlich Liebender namens Dodo wollte zu seiner Geliebten namens Mora. Er hielt in seiner Hand süße Feigen und Rosen, sie ihr zu schenken. Seine Eltern hatten ihn aufgehalten mit nichtigen Dingen, darum eilte er spät um so sehnsüchtiger seiner Geliebten entgegen. Da traf er einen Mönch, der auf einer Bank am Wegesrand saß und den Rosenkranz ableierte. Dodo stieß gegen den Mönch in seiner Eile. Der Mönch störte sich und zürnte mit dem jungen Toren: Bist du blind? Ich meditiere über das evangelische Leben des Sohnes Mariens und du störst mich, weil du zu einer irdischen Geliebten hastest! Da sprach Dodo zu dem Mönch: Verzeih mir, Pater, ich hatte nichts im Sinn als meine Geliebte und war für alles andre blind! Aber du, wenn du in Gottes irdisches Leben versunken gewesen wärest, wie hättest du dann mich wahrgenommen? Wie betest du den heiligen Rosenkranz? So sprach Dodo. Der Pater aber sprach: Ich sehe, du bist nicht fern von Gott! Wie ein Liebender von Liebe besessen zu seiner einzig Geliebten eilt, so muß der Beter zu Gott eilen! Nimm du mich als deinen Schüler an.


18

Ein junger Mann bat einen weisen Priester um Rat. Der weise Priester sprach: Liebe Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all deinem Denken und all deiner Kraft und den Nächsten liebe wie dich selbst! Der junge Mann sprach: Wie kann ich Gott lieben, den ich noch nie gesehen habe? Da sprach der weise Priester: Hast du denn nicht ein Kind, für das du sorgen kannst? Hast du denn nicht eine Frau, der du dienen kannst? Da sprach der junge Mann: Ich habe nichts auf dieser Welt, als das Lamm Petra in meinem kleinen Garten. Da lächelte der weise Priester und sprach: So sorge dich um dein kleines Lamm und liebe in der Kreatur den Schöpfer. Der junge Mann kümmerte sich nun liebevoll um sein Lamm Petra. Nach drei Jahren kam der weise Priester an dem Garten des jungen Mannes vorbei. Ehrwürden, sprach der junge Mann, ich erblicke mein Lamm wie auf Gottes Thron mit sieben Hörnern und goldenen Kronen, es ist mir mein Christus, dem ich diene! Seit ich Christus dem Lamm Gottes diene, geschehen lauter Wunder, Gnaden und Segnungen in meinem Leben.


19

Jesus sprach: Ist ein Mann fromm und doch liebt er sehr eine Frau oder ein Kind, so soll er in der Frau und in dem Kind das Abbild Gottes verehren und dem Bilde Gottes dienen. Ein Mensch, der ein Liebhaber Gottes ist, der liebt Gott wie seine Ehefrau oder wie seinen eigenen Sohn. Da sprach Maria Magdalena: Herr Jesus, so liebe ich dich auch weniger als den König des Weltalls, vielmehr als meinen ewigen Geliebten! Da lächelte Jesus erfreut.


20

Als der selige Seuse gefragt wurde, warum er nicht mit einer Frau in der heiligen Ehe zusammenlebe, sprach er: Ich sah einmal auf der Straße eine Frau, die kam mir auf einer schmalen Straße entgegen. Die Straße war aber voll Schlamm. Ich trat aber in den Schlamm, um die Frau den schmalen trockenen Streifen beschreiten zu lassen. Am Abend desselben Tages erschien mir die Jungfrau Maria und bedankte sich, dass ich ihr Platz gemacht. Da erkannte ich, dass jede Frau die Jungfrau Maria ist. Welche Frau hätte ich da noch heiraten können? Ich verehre in allen Frauen die Jungfrau Maria. Da sprach der Dichter Dodo: Auch ich bin wie der selige Seuse. In jeder Frau erkenne ich die Jungfrau Maria. Jede Frau ist eine lebendige Ikone der Jungfrau Maria und soll darum wie die Himmelskönigin verehrt werden.


21

Jesus, der fleischgewordne Logos, sprach zu Johannes: Johannes, wer meinst du, dass ich sei? Da sprach Johannes: Meister, einmal meine ich, du seiest der Logos und ich sei ein Gedanke in dir, und dann wieder sehe ich dich als meinen Herrn und König an und ich sei dein Diener. Aber wenn ich an das Letzte Abendmahl denke, so sage ich: Du bist in mir und ich bin in dir! Du wirst Ich, damit Ich Du werde!


22

Frauen vergießen Ströme von Tränen, weil sie keinen Mann bekommen oder weil sie kein Kind bekommen. Aber wo ist die Frau, die Ströme von Tränen vergießt, weil sie Gott noch nicht schaut? Jesus sprach: Wer mich sucht, der wird mich finden, und wer mit Tränen des Verlangens nach Gott weint, der hat Gott gefunden.


23

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Seht ihr dort das kleine Kind? Es weint und mit den Tränen schmeichelt es dem barmherzigen Herzen seiner Mutter alles Spielzeug ab, das es haben will. So sollt ihr beten. Wer zur Liebe Gottes fleht wie zu einer barmherzigen Mutter und bittet mit flehenden Tränen, der wird beschenkt mit der Gnade, dereinst die göttliche Schönheit zu schauen von Antlitz zu Antlitz!


24

Jesus sprach: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einer Frau, die den König sehen wollte. Sie trat zum Schloß des Königs, betrat das erste Gemach und sah einen überaus herrlichen Mann mit großem Gefolge. Da fragte die Frau: Bist du der König? Nein, sprach der herrliche Mann, ich bins nicht. Da trat die Frau in das zweite Gemach und sah einen Mann, der war noch vielmals herrlicher als der erste und vielmals größer war sein Gefolge. Da fragte die Frau: Bist du der König? Nein, sprach der, ich bins nicht. Und so erging es der Frau auch in der dritten, vierten, fünften und sechsten Kammer. Immer herrlicher wurden die Männer, die sie sah, immer unermesslicher das Gefolge, aber immer sprachen die Männer: Ich bins nicht. Schließlich kam die Frau in das letzte Gemach, das innerste, das siebente. Da sah sie, und siehe, was sie sah, ließ sie vor Seligkeit verstummen. Sie fragte nichts mehr vor lauter Glück, und der König musste ihr nicht sagen: Ich bins, denn sie wusste: Das ist der Ich Bin!


25

Ein junger Schüler der Philosophie sprach zu Sokrates: Meister, wie kann ich die göttliche Weisheit erkennen? Da nahm Sokrates den Schüler und tauchte ihn im Fluss unter. Dann holte er den Schüler wieder aus dem Wasser und sagte: Wie ist es dir ergangen? Was hast du gedacht? Da sprach der Schüler: Ich dachte: Ich ersticke und sterbe, und all mein Verlangen war allein Atem zu holen, Luft zu schöpfen! Da sprach Sokrates: Siehe, mein Sohn, wie ein Ertrinkender nach Luft schnappt, so begierig musst du nach der göttlichen Weisheit sein, dann wirst du Frau Weisheit gewinnen zur Braut!


26

Platon sprach: Man sagt vom Schwan, er könne die Milch vom Wasser trennen. Er trinkt die Milch und verschmäht das Wasser. So auch die reine Seele: Sie lebt in der Welt der Schatten, aber bleibt unberührt von der irdischen Welt, sondern sie lebt allein für die Idee der Schönheit, das ist Gott.


27

Ein Dogmatiker fragte einmal Johannes Paulus den Großen: Was ist der Denker, das Gedachte und das Denken? Da sprach Johannes Paulus der Große: Ich weiß nur, dass die himmlische Mutter mich liebt.


28

Salomo sprach: Die Erkenntnis Gottes und die Liebe Gottes ist das selbe. Wer Gott erkennt, der liebt Gott, und wer Gott liebt, wird Gott erkennen.


29

Salomo sprach: In den heiligen Jungfrauen im Tempel schaue ich Sophia, aber in den Tänzerinnen aus dem Harem des Königs schaue ich auch Sophia.


30

Jesus sprach: Nur der Mensch, der heilig einfältig ist wie ein Kind, wird vom Licht der Welt erleuchtet. Das Wissen bläht auf. Werdet wie Kinder, die ihre Mutter über alles lieben, dann werdet ihr Frau Weisheit erkennen.



AUS DEM TAO TE KING


1

Ist Frau Weisheit im Wesen sagbar, ist Sie nicht die Ewige Weisheit, ist Ihr Name aussprechbar, so ist es nicht Ihr wahrer Name. Als Unaussprechliche ist Sie die Schöpferin aller Himmel und der Erde, als Sagbare ist Sie die Mutter aller Geschöpfe. Ihr Einssein ist dunkel, das Ur-Mysterium aller Mysterien, aller Geheimnisse Schoß.


2

Frau Weisheit ergießt sich und bewirkt doch, dass man nicht erfüllt bleibt. Sie ist tief wie Wasser, Sie ist die Ahnin aller Lebewesen. So frisch wie Tau ist Sie, so scheint Sie zu dauern. Wer weiß, wessen Tochter Sie ist? Sie ist, so scheint es, die Ahnin aller Geister.


3

Die Güte steht Frau Weisheit nah, beim Geben ist Sie gut der Menschlichkeit, beim Reden ist Sie gut der Wahrheit, beim Walten ist Sie gut der Ordnung, bei der Arbeit ist Sie gut der Begabung.


4

Kannst du den Geist der Seele eingießen und die Einheit bewahren? Kannst du den Atem regulieren und die Sanftmut bewahren und sein wie ein Kind? Kannst du purgieren deine Beschauung und ohne Irrtum sein? Wenn sich die Pforte des Himmels öffnet, kannst du dann wie eine Taubenmutter sein? Gebären und nähren, handeln, aber nicht stolz darauf sein, fördern, aber nicht beherrschen, das ist die mystische Kraft.


5

Man schaut nach Ihr und sieht Sie nicht, man lauscht nach Ihr und hört Sie nicht, man tastet nach Ihr und fasst Sie nicht. Drum vereine die Drei und du erhältst die Eine. Ihre Höhe ist nicht das Licht, Ihre Tiefe ist nicht die Finsternis. Wie ein endloser Lebensfaden, ach, man kann Sie nicht sagen. Sie geht ein zum Überwesentlichen, Sie ist gestaltlos und Gestalt, Sie ist erscheinungslose Erscheinung. Sie ist das Dunkel des Urbeginns. Begegnet man Ihr, sieht man nicht Ihr Haupt, folgt man Ihr, sieht man nicht Ihren Rücken. Hält man aber an dem Weg der Alten fest, das Leben von heute zu meistern, so kann man der Urzeit Schöpferin wohl erkennen: Das ist der unendliche Lebensfaden der Frau Weisheit.


6

Ein weites Herz führt zu Gerechtigkeit, Gerechtigkeit führt zu Beherrschtheit, Beherrschtheit führt zum Himmel, der Himmel führt zu Frau Weisheit, Frau Weisheit führt zum ewigen Leben. Selbst im Tode ist man dann ohne Lebensgefahr.


7

Die Menschen sind allesamt nützlich, ich allein bin ein Taugenichts, ich allein bin anders als die andern, aber ich ehre die nährende Mutter.


8

Der Inhalt der ewigen Kraft ist Folge der Frau Weisheit. Frau Weisheit ist eine Lebendige, aber dunkel und geheimnisvoll. O Dunkel, o Geheimnis! In Ihrem Inneren gibt es Urbilder, dunkel und verborgen, in Ihrem Inneren gibt es Urformen, ganz verborgen und dunkel, in Ihrem Inneren gibt es Urkeime. Diese Urkeime sind die höchste Wirklichkeit. Sie sind gewisslich wahr.


9

Wer in seinem Tun Frau Weisheit folgt, wird als Geführter eins mit Ihr. Wer in seinem Tun der Kraft folgt, wird als Kräftiger eins mit Ihr. Wer eins wird mit Frau Weisheit, den zu gewinnen freut sich Frau Weisheit. Wer eins wird mit der Kraft, den zu gewinnen freut sich die Kraft.


10

Es gibt ein ewiges Wesen, aus dem Unaussprechlichen im Geheimnis gezeugt, so still, wie das Nichts! Allein ist das Wesen und unveränderlich. Es schreitet die ewigen Kreise ab und ist unsterblich. Das Wesen ist die Mutter des Alls. Sie benennend, sag ich: Frau Weisheit! Gewillt, ihr einen Namen zu geben, sag ich: die Kraft! Des Menschen Richtmaß ist die Mutter Erde, der Mutter Erde Richtmaß ist der Vater Himmel, des Vaters Himmels Richtmaß ist Frau Weisheit, Frau Weisheit hat Ihr Richtmaß allein in Ihrer eigenen göttlichen Natur.


11

Frau Weisheit, die Ewige Weisheit, hat einen unaussprechlichen Namen. Sie ist wie ein schlichtes Holz, Sie ist unscheinbar einfach. Dennoch kann kein Geschöpf Sie unterdrücken. Gebiert Sie aber die Geschöpfe, so ist Frau Weisheit erkennbar.


12

Frau Weisheit ergießt sich, Sie ist ein Beistand zur Rechten und Linken. Die Lebewesen alle sind auf Sie gegründet, Sie versagt ihnen nicht die Hilfe zum Leben. Ist Ihr Werk gestaltet, nennt Sie es nicht Besitz. Sie liebt und nährt die Lebewesen alle und spielt nicht ihre gestrenge Herrin. Stets will Sie nichts für sich selber, so könnte man Sie unbedeutend nennen, aber alle Lebewesen kehren zu Ihr heim, so muß man Sie nennen: Die Ewige Mutter!


13

Bei Musik und köstlichen Speisen bleiben die Weltmenschen stehen. Spricht man aber von Frau Weisheit, so heißt es: Langweilig finden wir das.


14

Frau Weisheit tut nichts und doch ist nichts, was Sie nicht täte.


15

Wer die Kraft erhebt, der weiß nichts von der Kraft, und ist doch kräftig durch die Kraft. Kindisches Wissen aber ist der Trugschein der Weisheit und die Mutter aller Torheit.


16

Heimkehr ist die Bewegung zu Frau Weisheit, Zartsinn ist das Wesen der Frau Weisheit. Die Lebewesen entspringen aus dem Sein, das Sein aber ist gezeugt aus dem ewigen Nichts.


17

Erleuchtung durch Frau Weisheit ist wie die dunkle Nacht, eindringen in Frau Weisheit ist wie Rückkehr. Frau Weisheit ist verborgen, Ihr Name ist unaussprechlich, aber dennoch ist Sie die Ewige Weisheit, reichlich spendend und weise vollendend.


18

Frau Weisheit bringt das Erste hervor, das Erste zeugt das Zweite, die Zwei ergießen sich in das Dritte, aus den Dreien stammen alle Lebewesen.


19

Wer der Vielwisserei sich widmet, bläht sich auf. Wer in Frau Weisheit webt und lebt, ist wie nichts.


20

Zu den Guten bin ich gut und zu den Nichtguten bin ich auch gut, denn die ewige Kraft ist Güte. Den Treuen bin ich treu und den Nichttreuen bin ich auch treu, denn die ewige Kraft ist Treue.


21

Frau Weisheit gebiert, Ihre Kraft ernährt, Ihr Wesen gestaltet, Ihre Macht vollendet. Unter den Myriaden Lebewesen ist keins, das nicht Frau Weisheit und Ihre Kraft verherrlichte. Die Anbetung der Frau Weisheit und Ihrer Kraft geschieht allein aus freiem Willen. Frau Weisheit gebiert und ernährt in der Kindheit, Sie lässt wachsen und pflegt in der Jugend, Sie vollendet und reift in der Lebensmitte, Sie bedeckt und schirmt im Alter.


22

Die Welt hat eine Schöpferin, das ist die Mutter der Welt. Hat einer seine Mutter gefunden, so erkennt er dadurch sein Kindsein. Hat er sein Kindsein erkannt und bindet sich an seine Mutter, so ist er im Tode gerettet. Benutze das Licht deines Geistes, kehre wieder ein in deine Erleuchtung, so verlierst du dein Leben nicht im Tod und gewinnst als Erbe das ewige Leben.


23

So ich den Verstand besitze, zu wandeln in den Wegen der Weisheit, so fliehe ich die Geschäftigkeit.


24

Behält man die Fülle der ewigen Kraft, so gleicht man einem neugebornen Kind. Es weiß noch nicht von der Vereinigung von Mann und Frau, doch richtet es sich vollkommen empor durch die Fülle der Lebenskraft. Es schreit den ganzen Tag und doch wird seine Kehle nicht heiser, nämlich durch die Fülle der Lebenskraft. Die Kraft zu kennen, bedeutet, das ewige Leben zu kennen. Das ewige Leben zu kennen, bedeutet Erleuchtung.


25

Wer die ewige Mutter des Reiches besitzt, der vermag in Ewigkeit zu dauern. Sie ist die Wurzel und der Stamm, die Retterin in das ewige Leben der ewig-glückseligen Schau!


26

Wer waltet im Geist der Frau Weisheit, dem werden die heimgegangenen Lieben nicht zu dämonischen Mächten. Die heimgegangenen Lieben schaden dann nicht, sie segnen vielmehr. Auch der Heilige schadet den Menschen nicht, sondern segnet vielmehr. Eben weil die heimgegangene Seele und der Heilige segnen, darum segnet in ihnen die ewige Kraft.


27

Frau Weisheit ist der Myriaden Lebewesen Ahnin. Daß die Alten Frau Weisheit so tief verehrten, was war der Grund? Wer Sie sucht, der wird Sie finden. Sie ist die Erlöserin aller Sünder, Sie ist der kostbare Schatz des Himmelreichs.


28

Zu verstehen, Beispiel und Vorbild zu sein, das heißt die mystische Kraft. Mystische Kraft ist abgrundtief und unendlich. Sie ist anders als die Lebewesen. Drum folge du Ihr nach.


29

Wer der Menschheit Unheil auf sich nimmt, der ist der König des Himmelreichs!



VOM QUELLENDEN URGRUND


1

Es ist ein Zeugender, der ein Unerzeugter ist. Es ist ein in allem Wandelnder, der ein Unwandelbarer ist. Der Unerzeugte ist frei, zu zeugen. Der Unwandelbare ist frei, alles zu wandeln. Das Erschaffene schafft weiter, das Wandelbare wandelt sich fort und fort. Immer ist ein Schaffen und Wandeln im Gange. Der Erzeuger aller Erzeugnisse hört nicht auf zu zeugen, der Unwandelbare hört nicht auf, das Wandelbare fort und fort zu wandeln. Der Unerzeugte ist einzig. Das Unwandelbare füllt die ganze Schöpfung und ist doch selbst grenzenlos. Das ist die ewigweibliche Weisheit. Der alle Wesen erzeugt, ist selbst unerzeugt. Der alles Wandelbare fort und fort wandelt, ist selbst unwandelbar. Von ihm geht alle Form aus, alle Erkenntnis, alle Ruhe.


2

Was geschaffen ist, ist für den Tod geschaffen, aber der Schöpfer ist unsterblich.


3

Der geistige Teil der Menschennatur ist himmlisch, der leibliche Teil der Menschennatur ist irdisch. Das Himmlische ist rein, das Irdische trübe. Das Himmlische ist leicht, das Irdische belastend. Wenn der Geist die Form verlässt, so kehrt er heim zu seinem himmlischen Wesen. Das nennt man: Er ist heimgegangen. Denn die Seele ist heimgegangen zu ihrer Idee in Gott.


4

Wie kannst du den Tod für Freude ansehen? Salomo sprach: Leben und Sterben ist ein Gehen und Heimkehren. Wer hier stirbt, wird dort geboren.


5

Dodo war des Studierens müde und sprach zu Salomo: Ich sehne mich nach Ruhe. Salomo sprach: Das eitle Leben schenkt keine Ruhe. Dodo sprach: So ist keine Ruhe für mich vorhanden? Salomo sprach: Aber ja doch, siehe nur den Friedhof, im Grab ist Ruhe. Dodo sprach: O groß der Tod, er bringt die Gerechten zur Ruhe, die Frevler unterwirft er. Salomo sprach: Wahrlich, du hast Erkenntnis gefunden. Die Menschen dieser Welt halten das Leben auf der Erde für eine Lust, aber sie kennen nicht den bitteren Kelch der Schmerzen. Die Menschen dieser Welt kennen nur die Gebrechlichkeit des Alters, aber sie wissen nicht von der goldenen Weisheit des Alten. Die Menschen dieser Welt halten den Tod für ein Übel, aber sie wissen nicht, dass er den Gerechten die ewige Ruhe schenkt.


6

Salomo sprach: Der Tod ist die Heimkehr zur Versammlung der Ahnen. Die Toten nennt man die Heimgegangenen. Sie haben ihre ewige Heimat gefunden. Wir Lebenden auf der Erde sind wie ruhelose Wanderer. Einen Wanderer, der seine Heimat verloren hat, nennt man einen bösen Burschen. Wie aber, wenn die Mehrheit der Menschen ihre Heimat im Himmel verloren hat!


7

Alles, was Form und Stoff hat, ist ein Ding. Die Urdinge sind nicht von einander entfernt, sondern sind Dinge an sich und eins in dem einen allerhöchsten Ur-Ding. Die Dinge entstehen im Ur-Ding, nehmen Form und Stoff an und enden wieder in dem Ur-Ding. Der Weise, der sein Wesen entzieht den Stoffen und Formen und wandelt unter Urdingen, der gewinnt eine Einheit in seiner Natur mit der göttlichen Ur-Natur des Menschen und dringt vor zum Ursprung des Urdings, Gott.



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