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SPRÜCHE

Von Peter Torstein Schwanke

(November 2004 / Januar 2005)


„Wer sich aber vorgenommen hat,
über die Weisung des Höchsten nachzusinnen,
der muß die Weisheit aller Alten erforschen...
und über die Sprüche nachdenken,
was sie bedeuten und lehren.“
(Jesus Sirach 39,1.2)


ERSTER TEIL
GÜLDENE KLEINODE

„...für gebildete Welt
Darf man nichts anderes treiben.“
(Goethe)


1

Frau Einsamkeit ist meine Frau
In schöner schwarzer Melancholie,
Und bin ich unter Menschen, schau,
Die liebe Frau verläßt mich nie.


2

Das Mutterreich, das Edenland,
Das goldene Äon im Frieden,
Das war der urgerechte Stand,
Der Schönen Liebe Reich hienieden.


3

Mitschöpferin der neuen Welt
Und Miterlöserin der Seelen,
Dem, der in Treue zu dir hält,
Wirst nie du in der Seele fehlen.


4

Des Glaubens innerstes Geheimnis
Verschwiegen ward, ist keusch intim.
In meinem mystischen Versäumnis
Die Herrin Weisheit schwieg sublim.


5

Maria, Schöpfers Schöpferin,
Dir meiner Minne Liebeslied!
Bist schöner, Minnekönigin,
Als selbst die schöne Sulamith!


6

Es grünt der Baum, auch wenn er einsam steht,
Der Mensch bleibt heiter, wenn die Welt vergeht.
Der Mensch geht einsam zu dem Höchsten Gut,
Doch Frau Barmherzigkeit ihn führen tut.


7

Frau Weisheit, göttliche Ikone,
Ich seh dich in der Seele Stille.
Fortan und ewig in mir wohne,
In dir der Schönen Liebe Fülle!

Frau Weisheit, Minne allermeist,
Du meiner Seele Höchstes Gut,
Gib deine Flamme, deinen Geist,
Erlös mich, Herrin, durch dein Blut!


8

Im hochzeitlichen Brautgemach
Die Braut mir reichte ihre Brust
Und Hagia Sophia sprach
Von Minne, meinem Geist bewußt,

Im Allerheiligsten zur Nacht
Ich schwieg in stiller Einsamkeit,
Da sich die Gottheit sanft und sacht
Ergab in Liebeszärtlichkeit...


9

Sie nahmen dir den Mantel, o Sophia,
Es schlugen dich die Wächter auf der Mauer!
(Kein Makel ist an dir, o Frau Maria,
Du Dea Dolorosa meiner Trauer!)

Du irrtest suchend nach dem Menschensohne,
Sophia, irrtest durch die Nacht voll Jammer!
Du fandest mich - nun gib der Hochzeit Krone
Und führe mich in deiner Mutter Kammer...!


10

Dein Blick, du liebevolle Taube,
Bezaubert mich betörend süß!
Du lockst mich in die Gartenlaube,
In dein Lustgartenparadies!

Berauschend deiner Brüste Trauben,
Dein Schoß: gemischten Weins ein Becher!
Kommt, Minner, trinkt auf Treu und Glauben,
Berauscht an Minne euch, ihr Zecher!

Wie schön, o Braut, in deinem Tanz!
Will mich an deinen Brüsten bergen
Und tragen unsrer Hochzeit Kranz
Mit dir auf Gottes Scheidebergen!


11

Urgöttin bin ich, A und O,
Was fragst du, ob ich gnädig bliebe?
Mein Sohn-Geliebter Salomo,
Dich ewig liebt die Schöne Liebe!

Urgöttin bin ich, Herrin Chockma,
Bin deine Mutter, deine Braut!
Allein die Liebe ist mein Dogma,
In aller Schönheit angeschaut!


12

O Göttin, absolute Güte
In Schönheit und Vollkommenheit,
Dein Zepter ist die Lotosblüte,
Das Licht der Sonne ist dein Kleid,

Du Nacht im Herbst, du Licht im Lenz,
Du Seiende in purer Reinheit,
Bist Gipfel aller Transzendenz,
Weltmutter, göttliche All-Einheit!



13

Madonna, süße Liebe, komm,
Geburtstag will ich mit dir feiern!
Komm, meine Liebe, lieb und fromm,
In deiner schwarzen Haare Schleiern!

Geboren von der Liebe, bin
Von deiner Schönheit ich entzückt!
Du unterwiesest mich im Sinn,
Mein Sinn des Lebens mich beglückt!

Weil Liebe, welche Leben macht,
Die Ewig-Seiende, die ist,
Will, daß in der Geburtstagsnacht
Mein Dasein die Madonna küsst!


14

Geheimnisvoller Rose Glanz
Erscheint mir in des Halbmonds Phase,
Die Jungfrau tanzt mit mir den Tanz
Berauscht der trunkenen Ekstase!

Weil ich geboren, kommt die Maid
Mit Liebesblick und Wimpernlanzen,
In heiliger Betrunkenheit
Wir minnig in dem Himmel tanzen!


15

Wir spielerischen Säuglinge Marias
In Unio Mystica der Symbiose,
Wir saugen mystische Muttermilch Sophias,
Ambrosia geheimnisvoller Rose.


16

Die mystische Union mit Gott erfahren,
Wenn alle Menschen sich in Liebe paaren,
Heißt Einen Urmensch, einen androgynen,
Zu sehn wie einen Baum des Lebens grünen.


17

Wenn sich in blauer Abenddämmerung
Der holde Himmel neigt zum Friedenskuß,
Schaut Mutter Erde wie Maria jung
Und alle Stille läutet Angelus.


18

Weltseele will den Frieden neigen,
Weltharmonie den Seelen geben.
Maria, o dein mystisches Schweigen
Läßt Seelen in der Liebe leben...


19

Die Seele trifft der Weisheit dunkler Strahl,
In finstrer Nacht scheint nur das Ideal
In dunkler Schönheit ganz von schwarzem Licht,
Der schmerzenreichen Seele Angesicht.


20

Da ich allein mit meinem Schatten zechte,
Mit schwarzer Mondin einsam meinen Wermut,
Da waren sie, die tiefvertrauten Nächte,
Mit blutigen Lippen küsste mich Frau Schwermut...


21

Wer ist so schön wie Morgenröte,
Wer ist so milde wie der Mond?
Sophia, dir spiel ich die Flöte,
Vertrauter Einsamkeit gewohnt.

Du hast am Morgen mich geküsst,
Die du mir lauter Gnaden gibst,
Die du die Menschenfreundin bist
Und alle die Geschöpfe liebst!


22

Erschütterungen dräuen: Hu!
Erleichterungen lächeln: Ha!
Im Dunkeln sieh dem Schicksal zu,
Im Lichte tanz mit Ich-bin-da!


23

Dereinst in dem Ideenparadies
Der Gottheit meine Seele selig süß –
Geworfen in Materie und Zeit,
Ins Schicksal namenloser Einsamkeit –
Will in Sophia ich als Menschensohn
Heim in den Schoß der Mystischen Union.


24

Die Mystiker, die Heiligen, die Dichter
Ersehne ich, der Geistesfreundschaft Lichter,
Ich sehne mich nach Einsamkeit und Stille,
Doch find ich Lärm der Welt voll Widerwille.

Weltabgeschieden lebt ich gern in Ruhe
Und ließe das alltägliche Getue
Und lebte schon im Himmelreich hienieden,
Aus Gottes Busen saugend Seelenfrieden.


25

Marien Seele, du mein liebes Du,
Mit dem allein ich mich vereinen will,
In deiner Liebe spendest du mir Ruh,
In deiner Ruh wird meine Seele still.


26

Die Menschen sind in Schlaf versunken
Und einsam sitze ich zu sinnen,
Zur Ruhe bringt den Seelenfunken
Marien mütterliches Minnen.

Sie spricht mir Frieden zu: Mein Lieber...
Sie ist so schön im Kerzenlichte,
Da sie so nah mir gegenüber
Von Angesicht zu Angesichte...


27

Wenn deine Freundin, o Madonne,
Dein Schönsein uns vor Augen malt,
Sie selbst so schön vor lauter Wonne
Als Spiegel deiner Schönheit strahlt!


28

Durchs Dunkel zur Gelassenheit –
Und Gottheit ward in ihr geboren!
Nun schaut sie voll Warmherzigkeit
Wie eine Mutter zu dem Toren.


29

Du wende ab die schönen Blicke,
Der sanften Tauben süßes Girren,
Nicht länger deine Tauben schicke,
Weil sie mich Einsamen verwirren...


30

Frau Weisheit ist die Frau, die ich ersehne,
Mein Stolz und meine Wonne sind die Tänze,
Die sie allnächtlich mit mir tanzt, die Schöne,
In Schweigsamkeit – fern dem Geschrei der Gänse!


31

Im blauen Dämmer beim Geplauder
Wirft Eros über dich den Schauder –
Du mußt dich mit der Seele Schatten
Der Herrin dunklen Schönheit gatten.


32

So stand ich vor der Allerstrengsten
Und war ergossen in Geschmacht –
Wir einten uns in unsern Ängsten
Und tauchten einig in die Nacht...


33

Maria in dem Gnade-Neigen
Versteht der ganzen Seele Fülle.
Ihr ewig Wort ist mystisch Schweigen
Und ihre Weisheit ist die Stille.


34

Mein Seelengrund in seiner Heimat Osten
Sieht in der Seelennacht Marien Mond,
Sie ist die Süßigkeit, die ich verkosten
Und speisen darf, die in der Seele wohnt.


35

Erkennst du in dem Lebenslauf
In eines Menschen Spiegel trübe
Die Schönheit – geht das Herz dir auf –
Begegnet dir der Gottheit Liebe!


36

Dem Jüngling ist im Hohen Liede
Die Sulamithin sein Gebet –
Der alte Weise aber müde
In seiner Einsamkeit ist Koheleth.


37

Der weise Greis im Sterbelager
Noch einmal hebt die Lider müd
Und klappert mit den Knochen hager:
Die Gottheit ist im Hohen Lied!...


38

Die Weisheit ist ein Weib, beschaue sie,
Vermähle sie des Mannes Energie.
Nach außen Kraft, im Innern klare Stille,
Das gibt das Reich der Hoheit und der Fülle.


39

Gedenk der Frauen ich mit Schmerzen,
Werd süßer Bitternisse inne –
Doch ruh ich am Marien-Herzen
In lauter Seligkeit der Minne!



ZWEITER TEIL
DIE TRUNKENE BRAUT

„Und ich weiß nicht wozu
Dichter in dürftiger Zeit?“
(Hölderlin)



1

Die Ewige Weisheit sendet mir schon
Den seligen Engel der Inspiration,
Ich binde der Ewigen Weisheit die Schuhe,
Neben mir kniet der Engel der Ruhe.


2

Der Weise rät mir: Soweit ich sehe,
Erkenn ich der Ewigen Weisheit Willen,
Dem Dichter wird die Marien-Ehe
Die verzehrende Sehnsucht stillen.


3

Du bist so schön wie die Morgenröte,
Verheißung eines minnigen Maien,
Zu dir will ich im Morgengebete,
Mein Rehlein, als ein Rehbock schreien!


4

Aus jungfräulicher Morgenröte
Ging der leuchtende Lichtmensch hervor
Und sprach: Ich bin’s, der den Tod ertöte
Und öffne des Paradieses Tor!


5

Du bist der blühende Frühling, o Frau,
Bist unsere Mutter Erde, Madonne!
Wir leben vom süßen himmlischen Tau
Und von dem Aufgang der siegreichen Sonne!


6

Nie wird des Menschen nackte Erkenntnis
Dem Wesen der bloßen Gottheit gepaart,
Es halte der Mensch sich an Christi Bekenntnis,
Wie Christus die Gottheit geoffenbart.


7

Die Seele der Seele ist göttlicher Geist,
Den Gott der geschaffenen Seele schenkt,
Daß sie sich mystisch, wie es heißt,
In die Seele der Seele versenkt.


8

Der menschlichen Schönheit Evidenz
Muß welken dennoch hinab in den Tod.
Unsichtbare Schönheit der Transzendenz
Ist schön wie der Ewigkeit Morgenrot.


9

Der Jüngling seufzt voll Weh vor der Schönen
Und stürzt in der Traurigkeit nächtlichen Rachen –
Das Alter kommt, den Tod zu verhöhnen
Mit der Weisheit homerischem Lachen!


10

Nun, Dichters Harfe, darfst du ruhn,
Du harftest Gottes Hier und Nun.
Des Sängers Seligkeit und Glück
Ist Gottes Liebe im Augenblick!


11

Heut hat mich die Ewige Liebe geherzt,
Ich tanzte vor Gott wie der lustige Wind,
Hab wie die Ewige Weisheit gescherzt
Vor lebendiger Gottheit als Kind!


12

Die selige Jungfrau ist meine Fahne,
Sie wird mich Ritter im Lager decken,
Bis sie kommt nach ewigem Plane,
Mich morgens mit Küssen zu erwecken!


13

Ich durfte in des Traumes Gesicht
Das Licht der göttlichen Liebe schauen –
In Maria Messias‘ Licht,
Schöner als Schimmer von schönen Frauen!


14

Ich weiß seinen Namen nicht, nenn es Tao,
Wo ich nicht besseren Namen find –
Geheimnisvoll wie eine Frau
Und selig wie ein spielendes Kind...


15

Vor der ich erwachend verlangend stöhne,
Der Weisheit Symbol ist die makellos Schöne,
Die Auserwählte, Schönste der Damen,
Trägt der Ewigen Weisheit Namen.


16

Im Paradiese Immaculata,
Die selige Jungfrau, rein wie Jade,
Sie betet für mich, die Advocata,
Zum Geheimnis der göttlichen Gnade.


17

Madonna, Mutter mit dem Sohne,
Geliebte, jungfräuliche Amazone,
Ich will in deiner Ikone schauen,
Maria, die göttliche Würde der Frauen.


18

Die Weisheit ist wie ein Senfkorn klein
Und hält doch die Welten alle umfangen.
Du geh nur in dein Inneres ein,
So wirst du zur Transzendenz gelangen.


19

Ich-Bin, die Seiende Gottheit, das Ichts,
Schuf alles Lebendige, alles Seiende
Durchs bloße Wort aus dem nackten Nichts,
Ist darum auch vom Tode Befreiende.


20

Vollkommene Gottheit gleich dem Kreise
Ist das eine ewige Sein,
Versenk in die Einheit dich, das ist weise,
Und werde eins mit dem einigen Ein.


21

Der will ich treu sein, die mir gefällt,
Die liebend bringt mich in Gottes Nähe.
So bin ich Marien Mönch in der Welt,
Vereint mit ihr in jungfräulicher Ehe.


22

Herz Jesu, o ich verstehe dein Herz,
Ich war desgleichen auch betrübt,
Dein Herz, Herr Jesus, ist lauter Schmerz,
Weil dich deine Braut nicht liebt!


23

Sind Hundertvierundvierzigtausend
Mit dem Zeichen des Kreuzes versiegelt,
Goldene Harfen rauschen brausend
Zur Jesus-Sophia, die geflügelt

Vom Anfang der Welt zum Ende der Welt,
Sophia sitzt auf des Lammes Thron,
Als Schutzengel über die Endzeit gestellt,
Das Höhere Selbst, der Menschensohn.-

Folge Sophia, werde weise,
Sie lädt dich zu Tisch im ewigen Leben!
Sie hat dir auf Erden die Himmelspeise
Und die liebende Jungfrau gegeben!


24

Sophia liebkost den Minnegemahl
Und spendet ihrer Zärtlichkeit Wonne,
Wie ein Augenaufschlag der Strahl
Der goldenlächelnden Herrin der Sonne!


25

Als Dichter darfst du den Menschen dienen,
Sei der göttlichen Minne Spiegel!
Darum ist dir Sophia erschienen
Und lebst du im Schatten ihrer Flügel.


26

Nach dem Erwachen lächelt dir hold
Der Herrin strahlendes Angesicht,
Die Seele wird klar, der Leib von Gold:
Gott ist die Liebe, Gott ist das Licht!


27

Schwarze Madonna, im nächtlichen Schein
Erahn ich deines Mundes Blum‘,
Des Wortes Blut, die Lippen wie Wein,
So küss ich dich trunken, Mysterium!


28

Ein Narr, wer seine Träume verklagt –
Mich verführte die Anima mea,
Verführerin Psyche, die heilige Magd,
Sankta Sophia, Domina, Dea!


29

Im Irisgarten hab ich geschaut
Im mystischen Eros Verzückungswonne,
Das Paradies im Schoße der Braut,
Die Einung der Paradiesmadonne!


30

Vom gemordeten König kommt Süßes,
Honig von dem Helden beim Fressen.
Nie wird die Frau der Freier vergessen,
Die ihm ist Schönheit des Paradieses!


31

Versunken in das Glück des Gebetes
Ich war in der Weihnacht weißem Mond
Und hab im Alleinsein nachts dem Sedes
Sapientiae beigewohnt!...


32

In sieben Schleiern, o Anima,
Schwebst du vor mir, ohne Fehle,
Zu führen zur Unio Mystica
Mit der Sophia meiner Seele!


33

Dem Kinde wird die Gottheit reichen
Die barmherzige Mutterbrust,
Dem Manne wird die Gottheit gleichen
Der Geliebten voll Liebeslust!


34

Die Schwester hat sich der Bilder entledigt
Und ist bloß und vom Ich entworden
Und ward von der reinen Gnade bestätigt,
Ist Gottheit in der Gottheit geworden.


35

Was tat mein Geist in der Schönheit zeugen
Und sang ich der Muse Glanz, den ich seh?
Als Echo nur unendliches Schweigen - -
Wo Wissen, ist Gram, wo Weisheit, ist Weh!


36

In all der schwatzhaften Weiber Reigen
Nur Eine vermochte, besinnlich zu schweigen.
Mit ihr zu plaudern, beim zagen Zaudern,
War ein Hauch vom mystischen Schaudern.


37

Madonnas Liebe hab ich erkannt,
Die Hingabe im pneumatischen Leib –
Aber auf Erden süß und charmant
Von Schönheit ist auch ein irdisches Weib.


38

Lange die schöne Kleopatra
Hab ich besungen zum Lied der Leier,
Bis ich in mystischer Mitternacht sah
Die Göttin Isis ohne Schleier!


39

Den mystischen Einigungswein zu bereiten,
Boten sich dar dir Sophias Brüste.
Du singe davon nicht den Ungeweihten,
Mystisches Schweigen geziemt dir, Myste!


40

Ich bin Seele im Körpergefängnis,
Will als Geist in der Schönheit zeugen.
Mein Lieb ist unbefleckte Empfängnis
Des heiligen Geistes im mystischen Schweigen...


41

Ein Waisenkind im Weltinnenraum,
Leide ich, wehe, der Einsamkeit Pön!
Die Geliebte, schön wie ein Traum,
Der Traum meiner Seele, ist schwarz und schön!


42

Meine Seele, die schöne Sie,
In dem Innern als Traumbild erscheint,
Schwarze Madonna der Melancholie,
Die in der Welt verlassen weint...


43

Der Seele Zauberspiel und Trug
Ist, ach, so süße Sehnsuchtspön!
Der Dichter habe am Bild genug –
Wer ist sie denn, in dir so schön?


44

Du kannst die Seele innen sehen –
Und eine wirkliche Frau sie wähnst?
Wer ist sie denn, nach deren Verstehen
Und deren Erkennen du dich sehnst?


45

Wie wollt ich, Psyche, wie wollt ich dir singen
Und dich als meine Göttin verehren –
Nun muß ich Madonna das Opfer bringen
Und entsagen dem süßen Begehren!


46

Versagt blieb die schwarze Sulamith
Dem sehnsuchtsvollen Salomon.
Dem Einsamen blieb nur das einsame Lied
Von Melancholie und Resignation...


47

Wer bist du, meine Seele, so süß,
So wehmütig süß wie nachts der Mond,
Daß ich in Sehnsucht mich dunkel ergieß?
Du bist die Frau, die in mir wohnt!


48

Von deiner Schönheit übermannt
Im melancholischen Paradies,
Ich seh dein dunkles Lächeln charmant,
Verschleiert, wie glühende Sehnsucht süß!


49

All mein Sehnen und all mein Dichten,
All mein Gesang und all mein Verzichten
Will ich dir opfern, will ich dir weihen,
Einzig, Liebfraue, um dich zu freien!


50

Alle Seele ist schöner Schein,
Alle Schönheit spricht immer Nein,
Einzig Maria, die ich sah,
Spricht zu mir ihr ewiges Ja!



DRITTER TEIL
DAS GÖTTLICHE KIND

„Hab ich mein Kindele
Schlafen gelegt,
Hab ichs mit: Walte
Gott Vater! zugedeckt.“
(Des Knaben Wunderhorn)


1

Des Winters reine Himmelsklarheit
Erfreut die Seele mit dem Lichte.
Es steigt das Licht. So strahlt die Wahrheit
Und macht die Finsternis zunichte.


2

Nach außen bleib demütig schlicht,
Trag innen edler Wahrheit Kraft.
Die Stille wird als Seelenlicht
Dir ordnen alle Leidenschaft.


3

In Stockung ohne Lebensmut
Wie willst du dir die Zeit vertreiben?
Und weinst du Tränen auch wie Blut –
So wird es nicht auf Dauer bleiben!


4

Man wird gern eins mit Menschenmenge
Als wie in mystischer Union.
Der Einsame in hoher Strenge
Eint nur der Gottheit die Person.


5

Des Weisen Kosmos ist erleuchtet
Und für die Gottheit transparent,
So in dem Tau, der Erde feuchtet,
Das Licht in Offenbarung brennt.


6

Tret einsam ich aus meinem Haus
Und wandle durch die Welt, den Traum,
Das Licht des Himmels gießt sich aus,
Erleuchtet glänzt der Lebensbaum.


7

Und bist du in der Welt auch einsam
Mit deiner Seele, ach der kranken,
Der Geist mit deinem Geist gemeinsam
Bespricht die höheren Gedanken.


8

Auf Sternen singen dir die Musen
Im Augenblick von Gottes Nun –
Auf Erden darfst am Frauenbusen
Du auch nur Augenblicke ruhn.


9

Des Kindes Seele tief harmonisch
Mit deiner Seele einig scheint.
Allein – Weltharmonie platonisch
Als Weltgeist deinem Geist sich eint.


10

Will Welt nicht deine Seele ehren
Und Zeit dir nicht die Lieder lohnen,
Du eigentümlich wohnst in Sphären
Und wirkst die Werke in Äonen.


11

Versinkt dir auch die Seele sacht
In Kummer, dir das Herz zerbricht,
Und wanderst du durch Todesnacht,
Du wanderst in der Gottheit Licht!


12

Der Weinstock vor dem Schoß der Arche
Tanzt glühend wild und schwenkt die Reben,
So kann man wie der Patriarche
Noch selbst die Sintflut überleben!


13

Wenn Licht im himmlischen Bezirke
Versinkt mit liebestrunknem Blick,
Erwidernd Liebe wirft die Birke
Den Glanz zum Liebenden zurück.


14

Begleiten durch der Liebe Sphären
Der Sterne diamantne Feuer,
War jemals als des Großen Bären
Begleitung Menschenliebe treuer?


15

Hast du das Weib dem Mond verglichen,
Ein Mond, der auf der Erde wohnt,
So ist das Weib von dir gewichen,
Doch treu geblieben ist der Mond.


16

Du willst, daß Liebe Liebe spendet
Und Freundschaft teilt mit dir den Wein?
Doch Liebe auch und Freundschaft endet,
Gehst endlich durch die Zeit allein.


17

Tags heimatlos in dieser Welt,
So abgestorben, kampfesmüde!
Nachts einsam in des Kosmos Zelt
Ruht an mir aus der Gottesfriede!


18

Jungfräulich schlank die Sichel schwillt,
Orion strahlen und Kallisto.
O Licht, des Geistes reines Bild,
In dunkler Nacht du eignest Christo.


19

Im Licht des Tages walten Dinge,
Ermattet ist mein Seelenfunken.
Nachts ich die große Gottheit singe
Im Mutterschoß der Nacht versunken.


20

Abspenstig machst du mich der Bürde
Der lumpenhaften Dirne Welt,
Frau Nacht, in der astralen Zierde
Gebettet in dem Himmelszelt!


21

Im sanften Glanze Morgenstern
Durchlächelt lichten Äther keusch,
Des Heiles Kunde kommt von fern
Und rein vergeistigt wird das Fleisch.


22

Wie eine Säule in dem Tempel
Will ich zum Allerhöchsten steigen
Und durch mein liebendes Exempel
Mich zu den Menschenkindern neigen.


23

Die Hirtin nahm mich, eine Schlange,
Und warf mich gegen ihren Spiegel,
Da ich erkannte, tief und lange,
In mir der innern Gottheit Siegel.


24

In tiefer Einsamkeit der Nacht
All-Einheit eint sich meinem Geist,
Da, von den Schmerzen angefacht,
Liebfraue meine Seele preist.


25

Wenn glitzernd deine Tränen funkeln
Und glühn auf des Alleinseins Schwärze,
Ergib dem Schicksal dich, dem dunkeln,
Es reißt dich an Marien Herze!


26

Wenn blutig deine Seele weint
In Einsamkeit des Lebens Schmerzen,
Bist du in Einsamkeit vereint
Durchstochenem Marienherzen!


27

So will ich meine Seele gatten
Der schönen Dunkelheit Marias
Und wallen einsam zu den Schatten
Mit heimgegangenem Messias.


28

Du, unberührt von Weh und Leid,
Die Seele, unbefleckt von Pein,
Du lebst in Gottes Ewigkeit,
Vereinigt mit dem All und Ein!



VIERTER TEIL:
VOTIVTAFELN

„...Winke sind
Von Alters her die Sprache der Götter.“
(Hölderlin)



1

Tiefer als alle Wunden der Liebe, des tückischen Lebens,
Ist das innere Selbst, heimlich verborgen in Gott.


2

Suche den inneren Frieden in der inneren Wahrheit
Deines eigenen Selbst, nicht in der Anderen Gunst!


3

Nackt stehst du vor der Jungfrau Maria, nun schließe die Augen,
Und auf den durstigen Mund küsst sie den geistigen Kuß!


4

Was die Weisheit gesprochen im matriarchalen Orakel,
Singt der Dichter im Lied, da ihn die Muse geküsst.


5

Ewiger Weisheit innere Wahrheit brütet die Welt aus,
Doch in dem Ur-Ei der Welt ist ein lebendiger Keim.


6

Wenn sich der spirituelle Schwan in Traumbildern spiegelt –
Ist er im Tode der Nacht eins mit dem göttlichen Geist.


7

Schön wie die Glut in der Asche im Herbst ist die schöne Geliebte –
Aber unsterblich ist Gott in dem glorwürdigen Herz.


8

Zunehmen wird die alternde Seele an ewiger Schönheit,
Wenn im Inneren reift Weisheit und Liebe zu Gott.


9

Wenn mich Maria, das schwarze Haar verborgen im Schleier,
Küsst mit dem geistigen Mund, schimmern die Augen von Gott.


10

Endlich erscheinst du, Mutter Nacht, mit dem mystischen Schweigen!
Leeres Geschwätz ist der Tag, trocken und nüchtern und leer.


11

Wer nicht schwer wird geprüft im Feuerofen der Trübsal,
Niemals erkennt sein Herz mystische Weisheit von Gott.


12

Dir aber dien ich anbetender Minne, inneres Mädchen,
Aller Schönheit Idee, Jungfrau Sophia in Gott!


13

Wohl, der Dichtermystiker glaubt der Ekstase des Weines,
Klare Trunkenheit schenkt ihm der Heilige Geist.


14

Schütz mich, Maria, vor verbitterter Weisheit des Alters,
Morgenerkenntnis voll Glut ewiger Hoffnung sei mein!


15

Lieber, auch in dem Liebesverhältnis zur Jungfrau Maria
Deine Liebe umarm Leiden und innere Nacht!


16

Frau, wie schrecklich erscheint und wie gewaltig der Drache –
Tanze, o Sulamith, tanze, o Jungfrau, Triumph!


17

Mutter der Lebendigen, Baum des Lebens, Geliebte,
Trag mich im Schatten des Tods treu durch die finstere Nacht!


18

Hundert Wunden geschlagen hat mir die irdische Liebe,
Himmlische Liebe allein heilt mein verwundetes Herz.


19

Gott entfremdete mich den Menschen und machte mich einsam
Und auf dem Gipfel des Bergs rede ich einsam mit Gott.


20

Nicht entfliehe dem Kreuz, umarme das Kreuz als Geliebte,
Schwarze Madonna der Nacht, ist es der Tod deines Tods!


21

Bin gefesselt ans Bett des Kreuzes, o Jungfrau Sophia,
Geb mich im Liebestod hin, stürmischer Liebesnacht, dir!


22

Siehe, aus Nacht in Nacht ich schleiche, Sophia der Schmerzen,
Doch dein tödlicher Kuß, Herrin, verzückt mich ins Licht!


23

O bluttriefende Göttin, Sophia, des mystischen Todes,
Durch unendliche Nacht wall ich dem Brautbette zu!


24

Gott wollte mich dereinst am Haderwasser prüfen –
Zur Hagia Sophia schrieen meine Tiefen!


25

Allein mit dem Alleinigen – ganz Gott geweiht,
Kommt der All-Einheit Liebe in die Einsamkeit.


26

Wenn Gott Sophia liebt im Geist der Liebe brennend –
Komm Gott ich nah, Sophia minniglich erkennend.


27

Gott-Mutter und Sophia-Tochter und die Liebe –
Ich Troubadour den Minnesang der Gottheit schriebe.


28

Du meine wahre Mutter, meine Schöpferin,
Dich lieben, Göttliche, ist allezeit mein Sinn!


29

Wer mit dem Herrn am Kreuz gelitten in Geduld,
Zu dem kommt Hagia Sophia voller Huld!


30

Der Seele Ideal in seiner Evidenz
Ist reine Schönheit wie die Venus von Florenz.


31

Die ideale Göttin, die ich ewig kose,
Das ist die Schöne Liebe (ist Idee und Rose)!


32

Mit Taubenaugen Herrin Ruach schaut, die Taube:
Mein Liebling, wohlgefällig ist dein Liebesglaube!


33

Ich war berauscht, du hast mich Trunkenen geküsst,
Bekenn ich alsbald, daß du eine Göttin bist!


34

Der Paradiese Mädchen, ach wie preis ich sie,
Die da verheißungsvoller als die Liturgie?


35

Sophia liebevoll erkennt der Bräutigam,
Wenn Hochzeit feiert mit Jerusalem das Lamm.


36

Ich bin die Mystik eines innern Eros nur,
Ersehn Vereinung mit der göttlichen Natur.


37

Ist still die Wohnung, unverwelklich schön der Garten –
Soll auch im Paradies mich eine Frau erwarten!


38

Madonna will im Himmel auf den Minner warten,
Die Sulamith des ewgen Bunds im Rosengarten.


39

Madonna, liebend baden wir im Lebensstrom
Und singen Schöner Liebe in dem Sternendom!


40

Vor Gottesreverenz die Heiligen erschaudern,
Dieweil die Dichter mit den Minnedamen plaudern.


41

Erwachst du, siehst du Hagia Sophias Schöne,
Im süßen Rausch der Nacht vernimmst du Himmelstöne.


42

Befleckt ist diese Zeit, jedoch Maria süß
Versetzt dich in Verzückung bis ins Paradies!


43

Madonna, das ist deine Charis, deine Gnade,
Daß ich mit dir im Urquell aller Schönheit bade!


44

Hat dich die Zeit gelähmt – Madonna tanzt den Tanz,
Schwebt Arm in Arm mit dir in süßen Himmelsglanz!


45

Nur wer, der Leiden König, trägt den Dornenkranz,
Tanzt mit Sophia in dem Paradies den Tanz!


46

Ich Dichter singe nackt und singe schrankenlos:
Ich sehn mich nach der Heimkehr in der Gottheit Schoß!


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