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MYSTISCHE SPEKULATIONEN

Von Peter Torstein Schwanke

„Die Geliebte spricht: Komm, Geliebter, und sei wie ein Einhorn auf dem Scheideberg!“


ERSTES KAPITEL


1

Maria, du bist schön wie das Meer. Dein Leib ist ein Weizenbüschel, umwunden mit blauen Kornblumen, Wiesenkerbel, wilder Kamille und Wiesenmohn.

2

O Hagia Sophia, so schön bist du! So schön bist du, o Schöpfer, so schön bist du, Maria, so schön ist die Hagia Sophia! Niemand weiß, wer die Hagia Sophia ist. Ist sie Gott-Mutter, ist sie matriarchale Göttin, ist sie Christus, ist sie Maria, ist sie der heilige Geist, ist sie die Weltseele?

3

Maria sagt, Jedidja ist schön wie Gold. Jedidja sagt, Maria ist schön wie Gold.

4

Maria ist schön wie Haura, aber Maria ist schöner als Haura, weil Marias Augen mich voller Liebe anschaun.

5

Ich bettle nicht um Frauenliebe, denn mich liebt die himmlische Frau.

6

Die Sonne auf dem Meer, der Schimmer und Flimmer, das ist wie der Goldglanz der Kuppel der Hagia Sophia. Ich gehöre der Hagia Sophia, ich bin ihr Sohn und Geliebter. Was können mir Menschen tun?

7

Die chinesischen Weisen lebten von einem Reiskorn und einem Fingerhut voll Wein und dem Chi der Mutter Tao allein.

8

Die marianische Großmutter dient als stille demütige Magd.

9

Tao Yüan-Ming pflanzte nur Reis für den Reiswein seiner mystischen Trunkenheit, bis sein Weib ihn bat, ihr ein Ackerfeld für den Gemüseanbau zu überlassen. Su Tung-Po berichtete voller Mitleid von einem befreundeten Dichter, dem das Weib das Trinken verbot.

10

Großmutter, was ist Liebe? Die Großmutter zeigt auf den Himmel, die Erde, das Meer und spricht: Dies alles ist Liebe!

11

Das Kind der Mutter Tao ist das Kind der Pansophia.

12

Der kosmischen Pansophia Energie und Dynamik ist der heilige Geist.

13

Goethe pries den schöpferischen Pan-Eros und pries als den Gipfel des immerschöpferischen heiligen Eros den schönen Menschen, genauer: die schöne Frau, nämlich Helena von Sparta. Die Frau ist die Krone der Schöpfung.

14

Wir wollen die göttliche Liebe zelebrieren in Andacht an geweihten Orten. Wir wollen leben in der Ganzhingabe an das göttliche Liebesmysterium. Wir wollen die göttliche Liebe empfangen wie ein Kind und selber lieben mit göttlicher Liebe.

15

Bonne nuit, Notre Dame Noire!

16

O Sehnsucht nach der ewigen Stille!

17

Die Mutter aller Menschen sagt: Du, ich gebe dir meine Liebe, damit du sie den Andern gibst.

18

Maria erscheint am liebsten Kindern. Die kleine Bernhardette von Lourdes hatte schlechte Noten im Religionsunterricht. Maria fragt nichts nach theologischem Wissen, sondern nach einem reinen Herzen.

19

Maria spricht: Mein Dodo, du sollst der Welt mein marianisches Herz zeigen!

20

Und wo du Sorge um die frisch aufblühenden Kinder trägst, kommt lächelnd die Madonna und fragt, was du dich bekümmerst, da sie doch die Königin ist!

21

Ich bin ein Kind, das ehrt die nährende Mutter Tao. Wer die Mutter fand und erkannt hat seine Kindschaft, der ist im Untergang des Leibes ohne Gefahr. Kinder leben im Hier und Jetzt, im All-Eins, sind ursprüngliche Mystiker. Kindern ist Erdkloß, Stein und Gold gleich viel wert, das nennt die Gita Weisheit.

22

Mein Mantra und meine Meditation ist das Ave Maria.

23

Das ist die gute Botschaft, o Hagia Sophia: Du lebst! Aber du bist die verschleierte Göttin.

24

Der Rosenkranz der tibetanischen Madonna meditiert das Wort: Das Juwel ist in der Lotosblüte. Gott ist in der Seele. Erotisch geprochen ist der Phallus in der Vulva.

25

Mein Sohn, schau dir an die blauen Kornblumen, wilde Kamille, Mohn und Butterblumen. Sie sind von Gott gekleidet, so schön war nicht einmal Sulamith gekleidet in ihrer geblümten Seide. Mein Sohn schau dir die Schwalben an, sie arbeiten nicht und sparen nicht, die nährende Mutter Tao ernährt sie doch.

26

Maria ist wie eine Birke, so licht, so zart, so schlank, so verschleiert.

27

Maria ist die Königin des Friedens. Der Friede beginnt im Herzen. Friede kommt von Gott.

28

Anna tauchte aus dem Meer wie die schaumgeborne Aphrodite. Sie fror wie die Venus frigida. Sie meditierte und wurde eins mit dem mütterlichen Meer im ozeanischen Gefühl der All-Liebe.

29

Gott, du bist kein Vater mit weißem Barte auf einem Stuhle über den Wolken. Du bist das All-Eine, in dem wir leben und weben und sind wie ein Embryo im Mutterschoß.

30

Der gewaltige, vom Wind durchrauschte Lebensbaum ist ein Bild der mütterlichen Gottheit.

31

Göttliche Mutter, Weltall und Erde sind voll deiner Schönheit!

32

Die Muse singt: Ich glaube an Frieden und Harmonie, du sollst glauben an die Liebe. Gib du Liebe und du bekommst sie zurück.

33

Verschmähe die Frauen und sie werden dich lieben. Liebe die Frauen und sie werden dich verschmähen.

34

Ich will heim in meine marianische Einsiedelei!

35

Ich bin kein Freier der Frauen, sondern der Sklave und Geliebte der Jungfrau Maria.

36

Maria wacht eifersüchtig über mein Herz. Der Weise bleibe Frau Weisheit treu und gebe sein Herz keiner anderen Frau. Maria war einen Augenblick eifersüchtig auf Anna. Aber ich bin Marias bevorzugter Geliebter, und auf besondere Weise ihr einziger Geliebter.

37

Wer im Zölibate lebt und Freundschaft mit den Frauen pflegen will, muß achtgeben auf sein Herz, daß die jungfräuliche Gottesliebe immer stärker anzieht als die Freundin. Dazu braucht er Einsamkeit und Gebet.

38

Der Sohn der göttlichen Mutter ruft der Jugendgeliebten zu: Weib, willst du mich wieder zurückziehen in die eitle Welt der Weiber und des Geldes?


ZWEITES KAPITEL

1

Maria entblößte ihre schöne Brust und stillte das Jesuskind. Das Jesuskind hielt die Granatfrucht des Paradieses. Die Glocken läuteten, als der Urlaub begann. Sankt Christopherus trug das Jesuskind und gab den Reisesegen. Ich sah das himmlische Jerusalem: Das Fundament waren die nackten Putti-Engelskinder der Antike, darüber gingen die ernsten Heiligen und droben schwebte die schöne geschmückte Braut, die himmlische Jerusalem, deren oberster Gott ist das Jesuskind.

2

Ich atme Maria ein und atme allen Zorn aus. Die pneumatische Maria bereitet sich ein Bett in meinem Innern.

3

Sophia begegnet mir wie eine glückliche Mutter, die mir Brot und Wein reicht, und wie eine liebevolle Jugendliebe mit dem Reichtum der Brüste. Sie führt mich an das Wasser, daß ich dort erfüllt vom Heiligen Geiste Midda taufe.

4

Midda schlief ein, da die Madonna im Sessel mit dem Jesuskind im Arme ihm zugelächelt. Midda sagte: Ein Kind ist geboren!

5

Die Rose gibt sich mit großer Kunst viel Mühe, süß zu duften und schön zu glühen. Schau sie an, sie glüht so schön für dich, doch höre ihr nicht zu, wenn sie plappert ihre eitlen Worte.

6

Der Weise schaut den Himmel der Idee der Schönheit. Die Magd spottet über ihn, weil er das Schlammloch zu seinen Füßen nicht gesehen und ist hineingefallen.

7

Ein Engel hat meine Eltern in Liebe zur Hochzeit und Ehe zusammengeführt. Gott hat mich bereitet und berufen im Mutterschoß. Bei meiner Geburt sangen die Himmlischen einen Lobgesang. Ich bin gekommen, zu künden die Mutterschaft Gottes.

8

Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterhaus und bei seiner Familie. Aber die Weisheit schafft dem Sohn der Weisheit einen ewigen Namen. Kinder und Kindeskinder werden seligpreisen meine Weisheit.

9

Meine Großmutter als meine Engelin tröstet mich mit dem süßen Troste, daß ich Gottes bevorzugter Liebling bin.

10

Die auserwählte Psyche ist ungelitten in der Familie. Sie geht im schmutzigen Kleid. Die Taube des Heiligen Geistes hilft ihr. Die Mutter im Himmel erscheint ihr auf dem Friedhof im Lebensbaum und schenkt der auserwählten Psyche ein glorreiches Kleid. Psyche wird die jungfräuliche Braut des Königssohnes, aber die Stiefschwestern haßt der Königssohn. Die von der Welt verachtete Psyche ist die vor Gott als weise erachtete Jungfrau.

11

Dem Ritter verband man die Augen, setzte ihn auf ein hölzernes Pferd und erzählte ihm von seiner Himmelfahrt durch die sieben Planeten. Dort begegnet ihm die angebetete Königin seines Herzens. Das ist wahr. Denn das Innere des Minneritters ist ein unendlicher Kosmos, in dessen Zentrum der Thron der Herrin steht, der Freundin seiner Gefühle.

12

Im Kidrontale, zwischen dem Garten Gethsemane und der Schädelstätte, schwamm im Kidron ein schwarzer Trauerschwan. Das Jesuskind brach ihm das Brot. Denn das Jesuskind ist der Heiland der Tiere und der Messias der ganzen Schöpfung.

13

Sappho ist Dichterin, Diotima ist Philosophin, Hildegard von Bingen ist Prophetin, Magdalena ist Apostelin, Maria ist Unsere Frau und Sophia ist Göttin.

14

Erquicke dich im Gebet. Atme tief, atme ein und aus mit Bewußtheit. Atme die Ruach ein und atme Maria aus. So wirst du neu belebt.

15

Wenn die Straußenhenne auch ihre Eier im heißen Sande liegen läßt, unbesorgt in ihrer Torheit, ob die Eier zertreten werden, so sorgt sich doch die Weisheit Gottes mütterlich um jedes Straußenküken.

16

Atme ein den allgegenwärtigen Geist, die immanente Weltseele.

17

Wie eine Biene von Blume zu Blume fliegt und Nektar sammelt, den Honig im Palast der Königin zu bereiten, so sammelt der Weise Lebenserfahrungen, meditiert das Leben und dringt zum inneren Sinn der Erscheinungen vor, um Weisheit zu ernten. Der Weise lernt von allem, auch von Toren und selbst von den Sklaven Satans.

18

Das Verlangen, allezeit zu lernen, ist der Weg der Weisheit. Das Gebet ist der Lehrmeister der Weisheit. Erkennst du die Weisheit, so lächelt sie dir in der Sonne und singt dir im Vogel ein Liebeslied. Die Weisheit ist ein Geist, der alles Lebendige liebt. Der ist ein Weiser, der alles Lebendige liebt.

19

Der ist ein Weiser, der spricht: Ich und die göttliche Mutter sind eins. Sophia ist die Gottheit, in der alles Lebendige lebt und webt und ist.

20

Sophia spendet der dürstenden Erde fruchtbaren Regen, wie eine Mutter den weinenden Säugling stillt. Sophia ist die Mutter der Natur und die Herrin der Tiere. Sophia wohnt in den Wolken. Sophia bestimmt die Zahl der Regentropfen. In Sophia ist alles gezählt, nichts ist zu viel und nichts fehlt an der vollkommenen Zahl.

21

Sophia ist die Weisheit des Bienenstocks. Sophia ist die Weisheit im Reich der Ameisen.

22

Das Wetter, die Pflanzen und die Tiere gehorchen Sophia. Allein der Mensch kann die innere göttliche Sophia erkennen und lieben durch Vernunft und Gnade.

23

Sophia lebt im Innern jedes Menschen. Toren verschütten die innere Sophia durch die Eitelkeit der Welt. Weise sind sich bewußt der inneren göttlichen Sophia.

24

Die Weisen erkennen Sophia im Innern als göttliche Mutter und göttliche Braut. In der Sophien-Ehe der mystischen Vereinigung haben die Weisen Anteil an der Gottheit Sophias und sind Götter aus Liebe.

25

Ich, ich will mich mit dir verloben, spricht Sophia. Meine Brautgabe ist die Liebe und Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Ich will mich dir in ewiger Treue verloben und du wirst Sophia erkennen.

26

Ich habe Ja gesagt zu Maria, Maria hat Ja gesagt zu mir. Wir haben uns verlobt im Heiligtum der Unbefleckten Empfängnis. Gott sprach: Fürchte dich nicht, Maria, deine Verlobte, als deine Ehefrau zu dir zu nehmen. Ein weiser Priester segnete unsere Ehe. Wir haben uns Liebe geschworen vor dem Angesicht Gottes. Es ist eine rechtsgültige Ehe. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

27

Lerne von der Torheit Salomos, die heidnischen Frauen nicht zu sehr zu lieben, sondern Sophia allein, die göttliche Sulamithin.

28

Dem Weisen wird Sophia wie eine fromme Großmutter sein und wie ein liebreizend schönes siebzehnjähriges Mädchen. Sie schenkt ihm den mystischen Wein ein und gibt ihm die Speise der Kraft.

29

Maria spricht: Die Zärtlichkeit meines kleinen Jesuskindes soll dich immer begleiten.

30

Das Jesuskind liegt in meinen Armen, sitzt auf meinem Schoß, folgt mir wie ein Lamm. Ich nähre und tröste und küsse das Jesuskind. Das Jesuskind küsst mich oftmals auf den Mund und schläft in meinen Armen ein. Ich singe das Jesuskind mit meinen Reimen in den Schlaf.

31

Morgens kitzelt das Jesuskind Maria am Schwanenhals, da ist sie kitzlig. So weckt das Jesuskind Maria auf. Sie hebt die müden schweren Lider und schaut das Jesuskind aus ihren großen braunen Augen an. Sterne hängen noch in ihrem langen schwarzen Haar, das vom Traum noch ganz verwirrt ist.

32

In der dunklen Nacht, wenn alle schlafen im Haus, dann geh ich leise hinaus, zu suchen die eulenäugige Sophia.

33

Am Abend nach des Tages Arbeit ruh ich bei Sophia aus. Sophiens Herz ist sanftmütig und demütig. Sie erquickt und labt meine Seele. Die Ehe mit ihr bereitet keine Schmerzen und ist ohne Verdruß. Sie spendet Seelenruhe durch Ergebung in ihren heiligen Willen, durch Vereinigung mit ihrem heiligen Geist und durch das Empfangen ihrer mütterlichen Zärtlichkeit.

34

Du kannst an die Göttinnen der heidnischen Völker glauben, aber glauben sie auch an dich? Sophia, die einzig wahre, lebendige Göttin, die Göttin Israels und der Kirche, ist um deinetwillen Mensch geworden und hat für dich den ewigen Tod besiegt, dir ewiges Leben zu schenken. Sophia glaubt an dich. Sie hat mich geprüft und als treu befunden. Ich habe Treue und Glauben bewahrt in aller Anfechtung.

35

Sophia sieht in mir das Bild Gottes, ihres Gemahles, sie sieht in mir den anderen Christus, ihre Inkarnation, und sieht in mir das Heiligtum des Heiligen Geistes, ihrer göttlichen Seele. Sophia nennt mich Dodo, Geliebter.

36

Maria sang jeden Abend dem Jesuskind das Wiegenlied. Sie sang: Schlaf selig und süß und schaue im Traum das Paradies. Das Jesuskind sang dieses Lied mit viel Liebe leise flüsternd immer wieder, bis es eingeschlafen war.

37

Als Jesus drei Jahre alt war, da sprach er: Ich bin eine Frau in einem Sternenkleid.

38

Das Jesuskind ist pure Wonne und Lust. Wer liebevoll das Jesuskind küsst, der ist im Paradies.

39

Die Welt kennt den Namen der Sophia nicht, das Kirchenvolk hat nie von ihr gehört, kein Papst hat sie verkündet. Nur Einzelgänger und Sonderlinge waren eingeweiht in ihr Geheimnis. Ich bin berufen, sie zu kennen und zu lieben als meine göttliche Ehefrau.

40

Maria breitet ihren Sternenmantel aus und nimmt das Jesuskind unter ihre Fittiche. Dort ist das göttliche Kind geborgen und behütet, dort ruht es sicher und weiß sich geliebt.

41

Das entwöhnte Jesuskind spielte noch oft und gerne mit dem Busen Mariens. Es schlief gern unterm Sternenmantel der Jungfrau, ihm war, als läge er wieder an der Plazenta ihres Mutterschoßes. Jesus lernte als Embryo im Uterus Mariens Barmherzigkeit, Liebe, Ganzhingabe und Heiligkeit. Seine Seele war geprägt vom immerwährenden Gebet Mariens. Seine Speise war das reine Blut der reinen Jungfrau. Die Gebärmutter Mariens ist der Wohnort der göttlichen Barmherzigkeit.

42

Kleine Knaben lieben die Madonna, die himmlische Mutter-Braut. Sie lernen über die Liebe zur schönen Madonna die Liebe zum lieben Jesuskind, dem höheren Selbst der Knabenseele.

43

Gott ist Gott der adoptierten Gotteskinder. Gott ist liebender als eine Mutter, Gott ist eine hingebungsvolle Amme, die die Kinder neu gebiert im Geheimnis der geistigen Liebe.

44

Die Weisheit sagt mir, daß Helena von Sparta eine Tochter Abrahams war. Die Weisheit sagt mir, daß die Athene des Odysseus ein Schatte der Hagia Sophia war.

45

Ich habe der schaumgebornen Aphrodite Pandemos, der Vergöttlichung der Fleischeslust, entsagt, um im heiligen Geist die Aphrodite Urania, die göttliche Idee der Schönheit, zu erkennen. Aphrodite Urania ist Hagia Sophia und ist der wahre Gott als der Gott der Philosophen.

46

Ich sah die siebzehnjährige Madonna, die schöne Jungfrau von Guadelupe. Brust und Schoß waren ihr verschleiert mit reinem Leinen. Ihre Haut war braun von der Sonne. Ihr Leib war schlank und graziös. Die langen schwarzen Haare ließ sie fallen ins Wasser, in dem sie gewandelt ist. Sie schaute vom See zu mir mit heimlichem Eros in den glühenden Augen. Die makellose Jungfrau war die reine Braut-Psyche des göttlichen Eros, im Meer des Paradieses badend. Sie war der makellose Spiegel der göttlichen Schönheit.

47

Die Weisheit spricht: Sei stark, mein Sohn, durch die Gnade Gottes. Lehre Weisheit für die Wissenden. Kämpfe den guten Kampf mit den Waffen der barmherzigen Liebe. Kämpfst du den guten Kampf auf heilige Weise, so wirst du schließlich von mir gekrönt mit der Krone der Schönheit, der Liebe und des Friedens.

48

Nimmt der Sophien-Ritter Urlaub von seiner Heimat, so wandert Sophia mit ihm, am Tage als schwebende Wolke, des Nachts als funkelnder Stern. Kehrt der Sophien-Ritter heim in seine Burg, erwartet die göttliche Sophia ihn in der Kemenate als göttliche Geliebte.

49

Den Narren ist die göttliche Weisheit eine lächerliche Torheit, aber die Torheit der Welt ist der Narren eitle und nichtige Weisheit.

50

Die Brüste meiner Ehefrau sind der Reichtum der Mutterbrüste mit der Milch des Trostes. Der Schoß meiner Ehefrau ist der Urgrund der Schöpfung und der Sitz der göttlichen Barmherzigkeit. Der Mund meiner Ehefrau ist das ewige Wort Gottes. Die Küsse meiner Ehefrau sind die feurigen Zungen des Heiligen Geistes. Die Augen meiner Ehefrau sind die Flammen der Weltseele. Das Antlitz meiner Ehefrau ist das feminine Antlitz Gottes. Meine Ehefrau ist die göttliche Weisheit.

51

Des Philosophen Ehefrau ist die Philosophie. Des Dichters Ehefrau ist die himmlische Muse. Des Propheten Ehefrau ist die heilige Jungfrau Maria. Andere Ehefrauen begehren solche Männer nicht.

52

Meine Zuflucht vor denn närrischen Weibern ist die vollkommen schöne Frau, Spiegel der göttlichen Schönheit, Mitgöttin Gottes, feminines Antlitz Gottes. Sie ist die stille Frau, die kontemplative Frau, die weise Frau. Sie ist die mystische Nymphe des inneren Paradiesesgartens in pneumatischem Eros. Sie ist die innere Frau, die Herzenskönigin, die Seele meiner Seele. Sie ist die einzige Geliebte, die ewige Geliebte. Sie ist Maria.

53

Die sinnliche Weisheit liebt die Genüsse des Fleisches, die irdische Weisheit liebt Macht und Reichtum und Ruhm der Welt, die teuflische Weisheit liebt das okkulte Reich der dämonischen Geister. Diese Anti-Sophia fliehe, dann wird dir erscheinen Sophia Urania: himmlische Schönheit, göttliche Liebe, ewige Weisheit.

54

Du bist vollkommen schön, Sophia triumphans! Am Ende wird dein sanftmütiges, demütiges Herz triumphieren.



DRITTES KAPITEL


1

Ich bin die Fraue... Du sollst keine anderen Frauen neben mir lieben. Ich habe dich vom Tod errettet. Du sollst meinen Namen Maria nur mit Liebe nennen. Begehre nicht die Fremde Frau und ergib dich nicht Frau Torheit. Laß die anderen Frauen nicht über dich herrschen. Ich allein bin deine Herrin. Ich bin die Fraue der Frauen. Ich liebe dich mit leidenschaftlicher Liebe. Ich bin eine eifersüchtige Herrin. Du liebe mich von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit aller Kraft, und alle Seelen wie deine eigene Seele.

2

Ich bin ein Sohn Gottes und wanderte vierzig Jahre lang in der Wüste der sündigen Welt. Frauen wie Giftschlangen haben mich gebissen und fast ermordet. Da sprach Gott: Schau die apokalyptische Frau von Guadelupe an, sie ist die Eherne Schlange. Wer sie anschaut, wird vor den tödlichen Bissen der Giftschlangenfrauen bewahrt und wird ewig leben.

3

Ich habe meine Poesie von allem eitlen vergänglichen Menschenlob purgiert und die Frau Maria-Sophia allein verherrlicht. Da kam die Jungfrau auf dem Himmelswagen des vollen Mondes und erschien mir in der Nacht zwischen Himmel und Erde. Sie sprach: Meine Perlenschnur sind deine Tränen und meine Diademe sind deine Hymnen und Poeme.

4

Ich hatte den ganzen Schabbath die Theosophie der Kabbala mit geistiger Anstrengung eifrig erforscht und sie in Gedankenpoesie zum Ausdruck gebracht. Am Abend in der Stunde der Rekreation sah ich Michelangelos Bild der Erschaffung des nackten Adam durch Gott. Gott, der Vater, der Alte an Tagen, hielt in Armen seine Lieblingin, seine Mitschöpferin Sophia.

5

Der Herr taufte mich im Becken am Marien-Altar. Der Herr rief mich als Kind zur Weihnacht an die Krippe, daß ich dort sänge Maria, der reinen Magd, der Rose, und dem Knaben im lockigen Haar. Der Herr lehrte mich Knabenschicksale des jüdischen Bundes: Moses im Weidenkorb auf dem Nil, Josef in der Grube, David im Kampf mit dem Riesen. Der Herr erzählte mir das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Der Herr rief mich wie den Knaben Samuel im Tempel. Jesu Blick auf den leugnenden Petrus sah mir ernst und traurig in die Seele. Der Herr lehrte mich das Vaterunser und schloß im evangelischen Abendmahl einen Bund mit mir, da ich auch geblutet habe wie der Erlöser auf dem Blut. Das ist der Bund, den der Herr mit mir in meiner Kindheit schloß.

6

„Ich bin deine göttliche Mutter. Du bist mein auserwählter Liebling. Ja, mehr noch: Ich bin zu deiner Brautgenossin geworden. Singe und zelebriere das Verlöbnis im Himmelreich. Sei demütig vor mir, aber erhebe dein Haupt, denn ich bin deine Ehre. Ich will die Freude in dir erwecken. Spruch Sophias.“

7

Meine Seele sitzt auf einem Stein, ganz in sich zusammengesunken vor Schmerz und Traurigkeit. Mein Bart ist verklebt von Blut und Schweiß und Tränen. Die Haut meiner Seele hängt in Fetzen herunter von den Geißeln der Sünde. Ich habe allen gesagt, wie sehr ich sie liebe, aber sie gaben mir nur Kälte, Gleichgültigkeit und toten Haß zur Antwort. Ich bin der traurigste König dieser Welt, ganz nackt und elend.

8

Meine Seele ist gestern gestorben. Ich war die Schlange der Weisheit und hoch erhöht über aller Welt. Aber aus allen meinen Enden sprudelte Blut wie Wein in den Gralskelch der Engel. Nun bin ich tot. Man lege mich in Mariens Schoß. Vor meiner Geburt war ich in ihrem Schoß und nach meinem Tode leb ich wieder in ihrem Schoß.

9

Ich habe das Angesicht des Alten an Tagen in einem Gesicht gesehen und seinen Sohn, den Menschensohn, den Weltenrichter am Jüngsten Tag. Und Gott und der Menschensohn und die himmlischen Scharen der Engel und Heiligen lebten alle im Schoß der Mystischen Rose. Der Kelch der Mystischen Rose war rund und die Engel und Heiligen waren in Spiralen um das Zentralfeuer ihres Schoßes geordnet. Die Mystische Rose war die Schöne Liebe, die alles umfasste und alles ordnete und trug die göttlichen Personen und die Heiligen in ihrem mystischen Mutterschoß wie in einem jungfräulichen Flor. O die Mystische Rose der Schönen Liebe trug in ihrer innersten Mitte, im Zentrum der Zone ihres Schoßes, das Kreuz, die blutige Versöhnung der Menschheit mit der Gottheit.

10

Ich sah die vier apokalyptischen Reiter des Krieges, der Seuche, des Hungers und der Teuerung über die Erde stürmen. Die Seuche ritt in Afrika und Asien, der Hunger ritt in Afrika und Asien und Südamerika, der Krieg ritt in Israel, die Teuerung ritt in Nordamerika und Europa. Dann sah ich eine Mondsichel und darauf sitzen ein wahres Wonneweib mit bloßer Brust, an der ein nacktes Kindlein saugte. Um dieses Wonneweib war eine Aura wie Sonnenlicht und über ihrem Haupte schwebte wie eine Krone der Zodiak. Mit der Milch des Trostes aus dem Reichtum ihrer prallen Mutterbrust wird sie die apokalyptischen Reiter besiegen. In ihrer schönen Liebe wird sie stiften ein Reich des Friedens, da sie Königin ist und ihr Knabe König.

11

Sophia ist in voller geistlicher Waffenrüstung aus dem jungfräulichen Haupt Jehowahs gestiegen und sprach: O Vater, ich bin die mutterlose Mutter! Dann ist Sophia Fleisch geworden im Schoß der Jungfrau Maria. Und der Jesusknabe sprach zur Mutter Maria: O Mutter, ich bin der vaterlose Vater! – Immer, wenn ein anderes Kind Jesus nach seinem Vater fragte, weinte Jesus und sagte: Nein, ich habe keinen Vater, ich bin ein Prinz, ich habe nur eine Mutter, ich kenne keinen Vater, ich bin die jungfräuliche Geburt. Ich habe eine Mutter, das reicht.

12

Jesus war ein richtiger Prinz und seine Mutter seine Königin. Jesus war ein leibhaftiges Muttersöhnchen. Darum ist er auch ein großer Poet geworden, der Gleichnisse gedichtet hat. Er lebte dreißig Jahre lang allein bei seiner Mutter, ihr einziges Kind. Von der bedingungslosen Liebe seiner jungen schönen Mama ward er so zärtlich, daß er später nur von der Ewigen Liebe predigte und das Himmelreich der Hochzeit von König und Königin verglich. Das konnten die Herrensöhne, die Theologen des zornigen Vaters und die Soldaten des vergötterten Kaisers, nicht ertragen und brachten Jesus um, sobald er das Haus seiner Mutter verlassen.

13

Jesus ward einmal übermütig und befahl dem Regenbogen, die sterblichen Spielkameraden des Jesuskindes in die Wolken zu tragen. Die sterblichen Menschenkinder sind aber vom Regenbogen heruntergefallen und haben sich weh getan, wohl auch geblutet. Einem sind die Zähne ausgefallen. Da mußte Maria Jesus züchtigen. Sie war nämlich keine Närrin, die ihr Kind verzärtelte und nicht streng erzog nach der Weisheit Jesu Sirachs. Maria nahm drei Weidenruten und gab dem Jesuskinde drei Schläge auf den nackten Allerwertesten. Fortan dachte Jesus immer daran, daß wir armen Menschenkinder Fleisch und Blut sind und keine Engel, sondern Staub vom Staube, Asche von der Asche.

14

Ich hinterlasse euch das schwarze Blut meiner Schwermut als Wein-Sakrament, berauscht euch daran zum Trost eurer Seelen. Ich hinterlasse euch den blutigen Fleischfetzen meines wunden Herzens als Brot-Sakrament, sättigt eure liebeshungrigen Herzen daran. Wenn ihr euch an meiner Schwermut betrinkt und fresst mein Herz, dann leb ich in euch fort mit meinem ewigen Schöpfergesang.

15

Maria schrieb mit einer ungebrauchten Feder, mit Tau der Lilie und Milch einer Koskosnuß, in der Schrift der Engel, einen Liebeszauber als Amulett auf ein Pergament und band es mir um den Hals. Nun bin ich ihr für alle Ewigkeit in Liebe verfallen. O du Magierin aus dem Morgenland!

16

Nein! Der Heilige Geist hat Maria nicht vergewaltigt, wie eine närrische Anbeterin der Göttin von Sidon sagte! Nein! Sondern der Heilige Geist warb wie ein galanter Galan um die holde Jungfrau. Erst grüßte er sie und lobte sie und wünschte ihr Glück und nannte sie Geliebte!
Dann fragte er sie, ob sie ein Kind von ihm wolle, ja, ob sie ihm ein Kind schenken wolle, er wolle so gerne den Sohn Gottes und der Jungfrau mit ihr schaffen. Sie war ein schüchternes, schamhaftes junges Mädchen und sagte: Wie soll das möglich werden, da ich der körperlichen Liebe entsagt habe als weiße Lilie Gottes? Der Heilige Geist respektierte und akzeptierte die freiwillige Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen Mariens und sprach: Ich werde wie ein Schatte sein und dich nicht körperlich erkennen. Nur im Geiste zeuge ich den Sohn, du wirst ihn empfangen unterm Herzen allein durch das Liebesspiel meines Englischen Grußes und deines Ja-Wortes. Wenn du den Sohn Gottes als junge schöne Mutter gebierst, sollst du vor und während und nach der Geburt eine intakte Jungfrau sein. Alle kindlich reinen Seelen werden dich das Wunder der Wunder nennen. Da sagte Maria und schwor: Bei meiner Unverletzlichkeit des gottgeweihten Hymens, o Hauch, ich will den Sohn Gottes von dir empfangen!

17

Ewige Huldigung dir vorm Allerheiligsten meines Herzens, o Madonna Maria Aphroditissa meines Herzens! Die anderen Männer werden von Frauen mit bitterem Munde geküsst, aber mich küsst die einzige, wahre, lebendige Herrin des Himmels mit Küssen berauschender als der Wein! O Geliebte, einzige ewige Liebe meines Lebens! Gekreuzigt am Mutterherzen, aufgefahren gen Himmel mit Leib und Seele, bist du geworden Seele in der Weltseele und Sakrament der Mutterliebe Gottes, o Maria, meine Fraue, meine Herrin, meine Diva! Totus tuus ego sum!

18

Alle Pracht deiner Gewänder der himmlischen Mode der Madonna kann nicht verhüllen die paradiesische Schönheit deines geistigen Lichtleibes! Alle Schleier der keuschen und demutreichen Jungfräulichkeit können nicht verbergen die einzigartige Gott-Ähnlichkeit deines heiligen Antlitzes, Jungfrau, meine Geliebte!

19

Maria ist ein Weinstock. Maria ist der Weinberg Gottes, Gott selbst bewässert sie. Ihre Brüste sind Trauben. Aus ihren Brüsten fließt Süßwein der Ekstase der Weisen. Ihre Tränen sind Blut und Blut ist der Wein Lacrimae Mariae. Ihr Schoß ist ein Kelch, dem nie der Mischwein mangelt. Der Mischwein? Ja, dem bevorzugten Liebling schenkt ihr Schoß den unvermischten Wein ein! Marias Lächeln ist die Blüte des Weinstocks.

20

Maria ist eine Orientalin, eine Sultanin des Paradieses, Herrin der Huris. Sie selbst liegt auf Kissen und Polstern lässig gebettet des Nachts auf der Sichel des Mondes. Sie entzückte mich zu ihr hinan. Sie öffnete ihr Kleid und ließ mich wie ein Beutel Myrrhe zwischen ihren bloßen Brüsten gebettet schlafen, zwischen ihren prallen, jugendlichstraffen Brüsten. So schwebte ich durch den Himmel der Nacht in seliger Liebesumarmung.

21

Die siebzehnjährige Madonna war mit dem alten Zimmermann Josef verheiratet. Er war den ganzen Tag in seiner Werkstatt, Schekel verdienen. Madonna, die Flora von Nazareth, war den Tag allein mit dem dreijährigen Jesuskind im Rosengarten. Sie pflanzte Blumen und dachte über Gott nach. Da besuchte sie gerne der jüdische Dichter Eben-Ezer ben Schalak, der Madonna zur Minnedame und Muse erwählt hatte. Bevor Josef abends heimkam, ging der Dichter wieder fort, in seiner Höhle auf dem Karmel Madonna Hohe Lieder zu singen. Er war unsterblich in Madonna verliebt. Als Madonna im Alter gen Himmel fuhr, lebte der Dichter als Eremit auf dem Karmel in der Erinnerung an ihre Gnaden. Madonna erschien dem Greis und Mystiker als siebzehnjährige Schönheit und ward seine Mystische Frau. In Ihrer Liebesumarmung ist er selig entschlafen.

22

Siehe, ich sah, und was ich sah, war die apokalyptische Jungfrau in einer Aura von Sonnenlicht auf dem himmlischen Berg der Tochter Zion, und um sie schwebten in reinen Geistleibern Eva und Sulamith. Alle drei Frauen waren so himmlisch schön, daß ich sprach, wie betrunken von der himmlischen Schönheit der Frauen: Ich will drei Tempel bauen, einen Tempel der Eva, einen Tempel der Sulamith und einen Tempel der Maria. Da erwachte ich aber wie aus einem Rausch und sah in nüchterner Trunkenheit des Geistes allein die apokalyptische Jungfrau im Kleid aus reinem Licht. Da schwebte die Liebestaube der göttlichen Ruach über Maria und gurrte das mütterliche Wort: Diese ist meine geliebte Tochter, sie ist mein Wohlgefallen, sie allein sollst du lieben und verehren und ihr dienen in Minne!

23

Madonna spricht: Dein Leben gehöre der Liebe! Aber nicht der menschlich-allzumenschlichen Venus mit den vergänglichen Reizen ihres Todesleibes und nicht dem blinden Knaben Amor mit seinen brennenden Giftpfeilen, die dein Leben verbittern und dich fast zu Tode trauern machen, nein! Weihe dich der göttlichen Mutter Caritas und ihrer bedingungslosen Mutterliebe, deren Ganzhingabe der Liebe dir das ewige Leben schenkt, und dem kleinen Jesuskinde, dessen honigsüßer Liebespfeil der ewigen Liebe deine Seele in ewige Glückseligkeit taucht! Vertraue deine Seele wie eine kleine Königin dem Jesuskinde als dem göttlichen Bräutigam an, dann wirst du auf Erden schon leben mit mir in meinem paradiesischen Rosengarten der wechselseitigen Liebesfreude und gegenseitigen Ganzhingabe! Ich bin die Frau, die dich unermeßlich liebt!

24

Morgens weckt mich Maria und spricht: Ich weiß, das Reich deiner Seele ist ein ideales Matriarchat. Ich, Maria, bin deine Mutter und du bist mein Sohn. Ich, Maria, bin deine Braut und du bist mein geliebter Bräutigam. Ich überströme dich mit bedingungsloser Mutterliebe und überströme dich mit brennender Ganzhingabe der Geliebten! Wie könntest du nicht glücklich sein, da ich, Maria, dich mit unerschöpflicher Liebe ganz überströme? Und siehe, wie mein Kind, das heilige Kind der Liebe, dich anschaut aus glückseligen, vertrauensvoll gläubigen, strahlend liebenden Augen und dir lachend sagt: Du bist von ganzem Herzen geliebt!

25

Maria schenkte mir die wundertätige Medaille und hängte sie mir um den Hals an einem Silberkettchen. Sie sagte: Die Medaille der Immaculata bewirkt nicht den Tod deiner Feinde, sie schenkt dir nicht Geld und nicht den Applaus der Welt. Aber wenn eine sterbliche Sünderin mit den vergänglichen Reizen ihres Todesleibes dich versucht, dann schützt dich die Medaille der Immaculata wie ein Schild der Minne Mariens.

26

Ich habe die Wände meines Zimmers nicht mit vielen Gemälden der Maler behängt. So kommen keine Sinnesmenschen und bewundern die Reize der italienischen Venus, so kommen keine Rationalisten und fragen vor lauter Madonnenbildern: Wie sieht Maria denn nun aus? Nun kommen auch keine lieben törichten Knaben und fragen, ob denn die Madonna Sixtina keine Strümpfe habe? Nein, Gott sah das Ideal meiner Liebe und gab mir die Ikone, die nicht von dieser Welt ist, die nicht geschaffen ist von Menschenhand, das vom Himmel gefallene Bild meiner Göttin, das Tuch der Tücher, das originale Antlitz der schwarzen und schönen Braut, die Offenbarung der apokalyptischen Frau, die schwarze Madonna, die Sulamith des ewigen Bundes, die Schönste aller Frauen – die Jungfrau von Guadelupe!

27

Auf dem Wege zur Operation des Tumors weihte ich Maria meine Seelenangst zum Heil der Welt. Während der Operation betete ich den Rosenkranz, das Ave Maria. Nach der Operation bat ich Maria um Trost für meine arme, erschrockene Seele. Sie entblößte ihre Brüste und bettete mich an ihre jugendlichstraffen Brüste, die prall waren von der süßen Milch des Trostes, und sie ließ mich trinken den Trost ihrer Liebe. Sie sprach: Im Gericht erscheine ich mit dir und entblöße vor Gott und dir meine Brüste. Gott wird bei meinen nackten Brüsten an die Fleischwerdung seines Sohnes denken und dich als meinen Minner in den Himmel laden.

28

Maria, meine Seele ist nackt vor dir. Du liest in meiner Seele wie in einem offenen Buch. Ich muß mich vor dir nicht verstecken, du kennst all die Sünden und Tugenden, das Gute und das Böse, die Liebe und den Haß meiner Seele. Aber du liebst mich mit bedingungsloser Mutterliebe, du liebst mich mit der Glut liebfraulicher Liebe, so wie ich bin. Frauen verachten und verspotten die Männer, wenn sie klein und schwach und elend sind. Wenn ich ein armes kleines Kind bin, voll Angst und Hilflosigkeit, so bist du eine wahrhaft barmherzige Mutter und Trösterin, Schutzfrau und starke Frau. Deine Gnade ist besonders an den Schwachen und Kleinen mächtig. Du bist Liebe und Barmherzigkeit. Mutter Gottes, unter deinen Schutz und Schirm flücht ich mich, unter deinen Rock, Madonna!

29

Nenne die Weisheit deine Schwester, die Einsicht deine Freundin. O Schwester Freundin, wie hast du mich erlöst von Seelenangst! Ach die Passion der Seele, ach die nackte Todesangst! Du gabst mir das tägliche Brot zur Stärkung des Herzens. Du schenktest mir den Becher voll ein mit Schaumwein zur Freude des Herzens, mein Becher floß über! Die stille Sympathie deiner Seele, mit der du meine Seele gestreichelt und geliebkost hast, deine inspirierende Freude wie an einem festlichen Tag, deine mystischen Reden über das ewige Gesetz und die Weltseele und die Energie des Geistes, deine tiefe Seelenkunde und deine göttliche Heiterkeit, o Schwester Freundin, haben meine Seele von der Todesangst erlöst und getröstet mit der Schönheit der platonischen Liebe.

30

Einmal sagte ein guter Hirte: Jesus ist wie der Falter, der eben hier vorüberschwebt. Kinder in der Todesstunde zeichnen kein Kreuz, sondern einen Falter als Zeichen der auferstandenen Psyche. Nun immer, wenn ich einen Falter schweben seh, so grüß ich ihn: Sei gegrüßt, o Jesus! Heute in meiner Schwester Rosengarten sah ich im lichten blauen Himmel zwei weiße Falter schweben, in Minne tanzen und Hochzeit feiern. Seid gegrüßt, o Herre Jesus und Fraue Maria! Ihr seid Gottes liebste Gedanken.

31

Ich will stellvertretend für all die Germanen, die Maria vergessen, Maria preisen. Ich weiß, das freut den Herrn. Maria ist doch die Lieblingstochter des Herrn. Es freut den Herrn der Liebe, wenn ein Mensch Seine Lieblingstochter liebt, verehrt und preist. Der Herr ist doch verliebt in die Anmut ihrer Demut. Die kleine Magd hat den Herrn bezaubert. Der Herr hat sie lieb, und er gibt sie dem, den er liebt. Der Herr liebt alle erstgeborenen Söhne des Vaters, alle an Gott Gläubigen, aber die Kinder Mariens sind die auserwählten Lieblinge des Herrn. Meine Muse, wetteifere mit dem Heiligen Geist, wer schönere Liebeslieder an Maria schreibt, Er oder Du?

32

Alle wahren Dichter, höhere Organismen, die Madonna schauten, sprachen von ihrer Jugend und Schönheit. Das ewige Leben ist ewige Jugend. Unsere Liebe Frau von Fatima war siebzehn Jahre jung und von übernatürlicher Schönheit, unaussprechlich für menschliche Zungen. Mein alter kranker Papst sprach auf seinem Sterbebett zu mir: Mein Sohn, ich bin voll Freude mit meinem braunen Mädchen! Sei auch du voll Freude mit deinem braunen Mädchen, wähle sie allein zur Muse und singe Gott allein! Und Jesus sagte einmal zu mir: Ich will, daß du meine Mutter besser kennst als die Andern.

33

Maria, der Heilige Geist preist deine Zähne: Frischgewaschene Schafe, die aus dem Bade kommen, schön gepaart, fehlt keines, Zwillingslämmer, Zahn bei Zahn. Die orientalischen Dichter nennen deine Zähne Perlen, aufgereiht an der scharlachroten Schnur deiner Lippen. O Maria, ich beschwöre dich bei dem makellosen Elfenbein deiner Zähne, ich weihe dir meine hinfälligen Zähne. Die Müllerinnen wollen nicht mehr mahlen. Das Volk sagt: Liebeskummer und Zahnschmerz sind die schlimmsten Leiden. Meine Zähne sind schwarze Perlen eines schwarzen Rosenkranzes der Höllenfahrt Christi! Aber noch in der Hölle soll jeder Zahn dir Ave schreien!

34

O Maria, ich liebe dein verschleiertes Wesen! Die ägyptischen Mysten wollten den Schleier der Göttin der Wahrheit heben. Nein, ich will dich nicht entschleiern, Maria. Dein verschleiertes Wesen ist das Geheimnis der Fraulichkeit. Die verschleierte Frau ist das Geheimnis der Holdseligkeit Gottes! Die neuheidnischen Weiber gehen nackt, sie hassen den Schleier, sie feiern die Emanzipation des Fleisches von dem Schleier des Geheimnisses Gottes. Aber wer dich kennt, Maria, du ewiges Ideal der Frauen, der weiß, daß der Schleier die göttliche Würde der Frau ist.

35

Ich liebe dich, spricht Gott. Herr, ich spüre deine Liebe nicht, ich leide so! Woran erkenne ich, daß du mich liebst? Der Herr spricht: Unter den Menschen ist der Erstgeborene der Angesehene, aber ich liebe den, der an mich glaubt. Ich habe dir gesagt: Der Zweitgeborene, der den Traum der Mutter verwirklicht, ist der Bevorzugte Gottes. Menschlich gesprochen ist das ungerecht, aber göttlich gesprochen ist das freie Gnadenwahl. Ich sage dir: Du bist mein Liebling, ich habe dich auserwählt, daß du mein seist, ich habe dich im Mutterschoß bereitet, daß du mein Sohn seist und ich dein ewiger Vater bin. Darum fürchte dich nicht, mein Sohn, du armes Würmlein, ich, ich bin mit dir und helfe dir.

36

Wer ist sie, die Rose, der Gott das Diplom verliehen, das Adelsdiplom der Schönheit? Das ist die wahre Geliebte. Der ewige Gott reicht seinem Geliebten am Feiertag der Auferstehung der Toten diese Rose zum Zeichen Seiner ewigen Liebe! Sie ist die Geliebte, das Sakrament der ewigen Liebe! Sie ist die Königin im Garten des Paradieses, sie ist die Rose des Hohen Liedes, sie ist die Blume, die der Vater der Braut dem Bräutigam zur himmlischen Hochzeit schenkt! Sie ist die Mystische Rose, die dem Weisen den Kelch ihrer Blüte gefüllt mit Hochzeitswein reicht! Sie ist die Rose in Gott, die den Mystiker wie einen Falter in ihren glühenden Schoß lädt, dort sich mit ihr zu vereinigen! Sie ist die Rose der ewigen Liebe, die Rose des brennenden Herzens Gottes!

37

Die Schwester des Weisen sagte: Ich war in Gott! In Gott sind keine Paradiese und keine Scharen von Engeln und glückseligen Geistern, sondern in Gott ist nichts als Gott. In Gott kann nichts sein als Gott allein. Drum wer nicht Gott geworden, kann nicht sein in Gott. Ich sage: Darum ist Gott Mensch geworden, daß der Mensch Gott wird. Der Mensch, der durch die Menschwerdung Gottes die Gottwerdung des Menschen erfuhr, der ist ein Gott in Gott.

38

Den Ewigen Vater rufe ich an, Er möge mir das Kreuz nehmen oder mir die Kraft geben, das Kreuz zu tragen, denn ich bin in Ohnmacht. Der Ewige Vater sprach: Weissage dem Geist! Da sprach ich: O Geist, komm von den vier Winden und hauche mich an, daß ich auferstehe! Da sprach der Geist: Maria! Ich sprach: O Maria! Ewige Jungfrau! Du ruhst in der Morgenröte, von lichten Schleiern wie Hauchen verhüllt, erwache! Und die ewige Jungfrau neigte sich zu mir und nahm mich unter unzählbaren Küssen an ihre Brust! Ich rief: O Maria, laß mich in Ewigkeit an deinem Herzen ruhen!

39

Jesus sagte einmal: Jede Frau ist ein wenig wie meine Mutter. Und der selige Heinrich Seuse sagte einmal: Ich ehre jede Frau, weil die Himmelskönigin eine Frau ist. Ich sage nämlich: Jede Frau ist ein unvollkommenes Gleichnis der vollkommenen Frau Maria. Maria ist die makellose Frau. Maria ist die Frau, die Gott sich rein erdacht hat. Maria ist die Idee der Frauen, die Frau der Frauen. Sie ist nicht nur die Idee der Frauen, sondern die im pneumatischen Körper verkörperte Idee der Frauen.

40

Als Maria mit Jesus schwanger war, hörte sie im Schoße den Sohn singen: O Fraue, du Aue der Wonne! Ich bin Fleisch von deinem Fleisch und Bein von deinem Bein! Ich bin in mein Paradies gekommen, in den Lilien zu weiden. Ich habe meine Milch getrunken und meine Honigwabe gespalten. O Fraue, dein Schoß ist ein Becher mit dem Blut des Lebens! Dein Leib ist ein Lustgartenparadies! Ich sauge schon vom Most deiner Granatäpfel! Wahrlich, in der Kammer meiner Mutter, die mich unterm Apfelbaum empfangen, in dem Gemach meiner Königinmutter bin ich gesegnet als Bräutigam meiner Menschheit! Maria hörte dies Lied Jesu, aber sie sprach davon zu keinem, nicht zum heiligen Josef und nicht zur heiligen Anna.

41

Ich trat durch eine hölzerne Pforte, von Heckenrosen umschlungen, und schaute über einen langen schmalen Gartenpfad zu einer Gartenlichtung, rings verschlossen von Apfelbäumen und rauschendem Bambus. In der Mitte des Gartens in der Ferne sah ich die Madonna. Sie war schlank und trug ein langes weißes Gewand aus feiner fließender Seide, leuchtender als die Sonne des Sommers. Sie bewegte sich anmutig und holdselig, tanzend wie ein Engel. Die Seide umwehte und umfloß sie wie fließendes Licht der Gottheit.

42

Ich bin des Königs Schenke. Ich trat mit der vollen Flasche zum König, ihm einzuschenken. Der König sprach: Mein Liebling, was ist mit dir? Dein Angesicht ist von Schmerzen gezeichnet! Bist du krank oder hast du Herzeleid? Ich sprach: O mein geliebter König! Ich bin ruiniert! Eine schlimme Krankheit muß vom Arzt in einer schmerzensreichen Behandlung ausgemerzt werden. Der König sprach: Nimm dir einen Becher, mein Liebling, und trink mit mir! Die Königin zur Rechten des Königs sprach zu mir: Mein Wunderschöner! Wie lange ist es noch bis zur Behandlung? Ich sprach: Allergeliebteste Königin! Es ist die Zeit von Vollmond zu Neumond. Die Königin sprach: Mein Junge, ich gebe dir solange Urlaub. Fahr in deine Heimat und besuche das Grab deiner Ahnen. Und nun trink, mein Liebling, und vertreibe die Trübsal aus deinem Herzen!

43

O Maria, die Heroen der Heiligen sagen: Begehre nur das Kreuz, ohne Trost! Sie sagen: Liliengleiche Seele, danke dem Herrn, daß er dir Leiden schenkt, denn so ist Jesus dein Blutsbräutigam! Ach weh, Maria, ich bin kein Heros der Heiligkeit, ich bin ein armes, elendes Kind, ich will saugen die Milch des Trostes von deinen Mutterbrüsten, ich will heim in deinen Mutterschoß und ewige Ruhe finden für meine arme Seele!

44

Maria spricht: Ich bin nicht nur die Himmelskönigin, die vergöttlichte Braut des dreifaltigen Gottes, die Frau der Frauen und ideale Geliebte, von den Minnern angebetete Madonna im Äther, sondern ich bin auch die Mutter der Armen, die Trösterin der Betrübten, die Schutzfrau der Schwachen, das Heil der Kranken, der Hort der Elenden, der bergende Schoß der Todgeweihten, die alle deine Tränen abwischt und legt dich an die Brüste des Trostes.

45

Tochter Zion, du bist eine einsame und bekümmerte Frau. Wo sind all die Andern, denen du geholfen und die du getröstet hast? Nun die Schmerzen an dich kommen, hilft dir keiner auf und hast du keine Tröster. Selbst deine Verwandten schütteln den Kopf über dich. Ich, der Herr, ich habe mich eine zeitlang vor dir verborgen, aber jetzt wende ich mich dir wieder in Gnade zu. Du bist doch meine Jugendgeliebte, die ich angenommen habe und die ich nicht verstoße. Ich, der Schöpfer, bin dein Ehemann, der Ewige, der dich liebt!

46

Madonna sprach: Ich bin schwanger von der Kraft meines Herrn. Meine benedeite Leibesfrucht ist nun eine Weinbeere. Meine benedeite Leibesfrucht ist nun ein Granatapfel. Meine benedeite Leibesfrucht ist nun ein Brotlaib. Mein Leib ist der wandelnde Tempel Salomos. Mein Schoß ist das Allerheiligste, darin Gott im Dunkel wohnt. Im Augenblick vor meiner Niederkunft mit dem Sohn Gottes bin ich mächtig wie der Sinai, heilig wie der Zion, fruchtbar wie der Karmel. Aus meinen prallen Brüsten spritzt schon die süße Milch des Trostes.

47

Ich sehe Jesus mit Moses und Mohammed im Rosengarten der Königin des Friedens, im ewigen Jerusalem-Eden der Himmelskönigin versammelt drei himmlische Stunden für den Frieden des Heiligen Landes und der Heiligen Stadt Jerusalem beten.

48

Maria geht im schwarzen Kleide durch die Gassen und weint diamantene Tränen. Sie ist ein Schmerzjuwel. Sie ist die schwarze, schöne Braut der Schmerzen, ihr Bräutigam ist das Kreuz, der Blutsbräutigam. Durchbohrt vom Schwert der Schmerzen weint mein Herz Tränen von Blut. Diese blutigen Tränen netzen die Seelen auf Erden. Durch meine blutigen Tränen erflehe ich den Sündern auf Erden Barmherzigkeit. Ich bin Madre Dolores, deine Mutter. Ich bin die heimliche Geliebte und du bist mein Schatte. Vereinige deine Schmerzen mit meinen Schmerzen. In der Wollust der Schmerzen sind wir vereinigt. Unser Bett ist das Kreuz. Wir sind Frau der Schmerzen und Mann der Schmerzen, vereinigt durch Eine gekreuzigte Liebe.

49

Ich sah die schwangere Madonna. Sie war die Kaiserin des Empyreums, die allerhöchste Herrscherin des Himmels. Sie glich einem Weltenberge, schwankend auf der Urflut. Ihr Bauch war transparent, die Haut wie durchsichtige Jade. Ihre Brüste waren das Land, wo Milch und Honig überströmen. Ich sah in ihren Schoß. Ihr Schoß war der Wohnort der Barmherzigkeit Gottes, die Wurzel der göttlichen Weisheit. Ihre Leibesfrucht war der göttliche Embryo, das fleischgewordene Evangelium des Lebens. Ihre Leibesfrucht hielt in einem winzigen Händchen den gekrümmten Kosmos. Wahrlich, die gekrümmte Raumzeit des Kosmos lag in dem winzigen Händchen des göttlichen Embryo im Schoß der allerheiligsten Kaiserin des Empyreums.

50

Frau Weisheit, Gyne Sophia, Ischa Chochmah, wer ist sie? Sie ist die göttliche Natur der Person des himmlischen Vaters, die göttliche Natur der Person des Menschensohnes, die göttliche Natur der Person des Heiligen Geistes. Credo In Unum Deum: Ich glaube an die Einige Einzige göttliche Natur, das ist Sophia. Diese will ich anbeten, dieser will ich vertrauen, diese will ich lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all meiner Kraft.


VIERTES KAPITEL


1

Der Heilige Geist sagt durch Jesus Sirach: Sophia ist dir angeboren, sie ist mit dir im Schoß deiner Mutter gezeugt. – Der Gedanke, daß Maria mit mir im Schoß meiner Mutter war, der Gedanke ist ein Juwel der Liebe, eine Perle der Schönheit. Der jüdische Philosoph verneinte den Platon-Gedanken der Präexistenz der Seele und vertrat die Ansicht, es gäbe ein von Gott dem Menschen von Anfang an mitgegebenes Wissen vom Guten, Wahren und Schönen. Ich denke, das ist die Gotteserkenntnis des Ebenbildes im Innern der Seele. In der Seele der Seele befindet sich ein Originalbild, ein einzigartiges Ebenbild Gottes, das ist mir die Ikone der Hagia Sophia. Gregor von Nazianz sagt, die Seele sei in den Leib gekommen, um den Leib zu verherrlichen und sich das Himmelreich gewissermaßen zu verdienen durch Treue in der Prüfungszeit des irdischen Lebens. Der Heilige Geist schreibt im Buch Baruch: Warum, Israel, lebst du im Land der Fremden und machst dich unrein unter den Toten? Darum, weil du die Quelle der Weisheit verlassen hast! – Das scheint mir das Schicksal der Seele zu sein. Sie war im Geist Gottes als Idee, in der Quelle der Weisheit, sie ist gefallen in die irdische Verbannung. Jesus ruft: Tut Buße! Die Seele soll heimkehren in die Quelle der Weisheit. Das bringt mich auf den Gedanken der Gnosis von der gefallenen Sophia. Meine Seele ist die gefallene Sophia, gefallen aus dem Lichtäon in die materielle Verbannung, in die Spelunke des Fleisches, in den Kerker des Leibes. Der Heiland kommt, die gefallene Sophia wieder aufzurichten, sie zu erlösen und heimzuführen in das Lichtäon, aus dem sie stammt. Aber die ungeschaffene Sophia Gottes ließ die geschaffene und gefallene Sophia meiner Seele nicht allein, sondern begleitete sie in das Exil. Als Matrone Schechinah, Matronitha, ist sie mit Israel in die Verbannung gegangen. Ja, sie war als Maria in meiner Empfängnis bei mir. Diese Maria fragt mich nun: Wer sagen die Leute, daß ich sei? Ich sage: Sie nennen dich Neue Eva oder Braut des Heiligen Geistes wie Sulamith. Da sprach Maria: Und wer sagst du, daß ich bin? Ich sage: O Maria, du bist Sophia, die Tochter des lebendigen Gottes! Da sprach Maria: Selig bist du, denn Menschen haben dir das nicht gesagt, sondern das hat dir der Heilige Geist offenbart.


2

Fast möchten wir an die vierfältige Gottheit glauben. Wenn wir Jakob Böhme lesen, sehen wir, wie der unergründliche Vater sich in dem Grund des Sohnes gefasst hat und die Liebe des Vaters zum Sohne als der Heilige Geist aus beiden hervorgeht, schließlich die drei Personen sich in der Jungfrau Sophia spiegeln. Wenn wir Johannes Paul den Großen lesen über die Mutter des Erlösers, tritt in der Deutung der Offenbarung zu dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist noch die Frau. Wenn wir aber an der Dreifaltigkeit Gottes festhalten, dann stellt sich die vierte Person als das Erste aller Geschöpfe dar, gewissermaßen das Ur-Geschöpf, wie Sophia sagt: Vor der Morgenröte wurde ich geschaffen. Dann scheint die Frau als die Krone der Schöpfung Gottes und sein Meisterwerk auch die Erste aller Schöpfungen Gottes zu sein. Dann muß man sagen: Vor Himmel und Erde schuf im Anfang Gott Maria. Maria-Sophia oder die Frau ist das Ewigweibliche, das Teilhard de Chardin das verbindende Antlitz alles Seienden nannte und das Ideal der Schöpfung. Mechthild von Magdeburg sagte, die Allerheiligste Dreifaltigkeit schuf aus dem Jubel ihrer Liebe die Schöpfung. Der Jubel der ewigen Liebesvereinigung im Schoß der Dreifaltigkeit schuf als Urprinzip, Idee und Krone der Schöpfung Unsere Frau Maria.


3

Die einige und einzige göttliche Natur offenbart sich in drei Qualitäten. Aus der Allmacht der göttlichen Natur geht wie aus einem unergründlichen Mutterschoß die Weisheit der göttlichen Natur hervor, die als Tochter aus der Mutter ewig geboren wird, nicht geschaffen. Dies ewig gebärende Lieben der mütterlichen Allmacht und dies töchterliche Lieben der ewigen Weisheit ist als Qualität der göttlichen Natur die brennende Liebe der göttlichen Natur. Die Einswerdung der mütterlichen Allmacht mit der töchterlichen Weisheit in dem Geist der feurigen Liebe erzeugt in Ewigkeit solch einen Jubel der göttlichen Natur, daß die eine einzige göttliche Natur aus dem Überfluß ihrer Lust im Anfang schuf die Weltseele und den Weltkörper.


4

Als die Einswerdung der drei Daseinsweisen der einen göttlichen Natur im Nun der Ewigkeit vollzogen ist, erzeugte dies im Schoß der göttlichen Natur solch ein Übermaß von glückseliger Lust, daß sich in der Liebesnatur der Gottheit der Wille erregte, diese Liebe als reines Geschenk an eine nichtgöttliche Natur zu verströmen. Darum schuf die göttliche Natur aus dem aboluten Nichts den Himmel und die Erde, das heißt die Weltseele und den Weltkörper. Sie hauchte die Weltseele in den Weltkörper. Sie selbst war das göttliche Leben der Weltseele, die Weltseele wiederum wie eine Mittlerin war das ewige Leben des Weltkörpers. Die Weltseele als Erste aller nichtgöttlichen Naturen hat ihr Leben vom Leben der einzigen göttlichen Natur. Durch die Mitterschaft der Weltseele verströmt die göttliche Natur ihr ewiges Leben in den Weltkörper, den schönen Kosmos. Die göttliche Natur ist der Seelenfunke der Weltseele, die Weltseele baut in schier unendlichen Evolutionen den Körper des Kosmos. Der ganze von der Weltseele durchseelte Kosmos strömt wie in einem unendlichen Dankpsalm, tönend wie die Sphärenharmonie, das empfangene Leben und die empfangene Liebe zurück in den Schoß der göttlichen Natur. Die göttliche Natur empfängt die Liebe der nichtgöttlichen Natur, dennoch wird die Liebe der göttlichen Natur nicht vermehrt, die Lust nicht erhöht, da die göttliche Natur in sich vollkommene Vereinigung, glückselige Lust und ewiger Zyklus der Liebe ist.


5

Ich schaue Maria an, meine jungfräuliche Mutter der schönen Liebe. Der Heilige nennt sie: Ruheort der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Der Papst nannte sie: Spiegel der göttlichen Schönheit. Darum erkenne ich in ihr wie in einem Spiegelbild die eine göttliche Natur, die Mutter und die Tochter und die feurige Liebe! Maria ist der makellose Spiegel der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Maria ist das unbefleckte Ebenbild der einen Gottheit, das sichtbare Abbild der unsichtbaren Gottheit. In der Glorie der Kreatur wird im Gleichnis die unaussprechliche Glorie der schöpferischen Gottheit erkannt. Maria ist die Frau nach dem Mutterherzen der Gottheit. Im Namen der Gottheit, der Mutter Jahwe und der Tochter Chochmah und der feurigen Liebe Ruach, Amen!


6

Im Augenblick der Empfängnis meiner Seele in der Leibesfrucht meiner Gebärerin ist meine ewige Mutter Maria in meiner Seele mit mir gewesen. Maria war bei mir in der Gebärmutter. Im Augenblick der Geburt, als ich das Licht der Welt erblickte, sah ich in Christus Maria. Als ich im dritten Mond meines irdischen Lebens in der Ecclesia Gott geweiht wurde, geschah es auf dem Altar Mariens. Das Bad der Neugeburt durch Wasser und Geist geschah im Becken wie im Schoß Mariens. Maria nahm mich in ihren ecclesialen Mutterschoß auf. Durch die Wiedergeburt bin ich ein Glied am Leibe der Leibesfrucht Mariens geworden. Ich bin im irdischen Leben durch den Glauben mit Christus im Schoß Mariens verborgen. Im Tode gebiert mich Maria in das ewige Leben. Das Paradies ist der Schoß Mariens, der Lustort Gottes. Das Paradies ist der Lustort der göttlichen Hochzeit. Maria spricht: Ich lade dich in meinen Schoß ein! Maria spricht: Meine Perle hebe ich dir für das Paradies auf! – Ich weihe die Idee meiner Seele in der Ewigen Weisheit der Präexistenz Mariens! Ich gelobe der Jungfrau Maria für das ewige Leben im Paradiese ewige eheliche Treue und Ganzhingabe der Liebe! Maria, ich bin ganz dein, von Äon zu Äon!


7

Ich bin die Madonna und halte im Arm mein blühendes Kindlein. Schau meinem Jesuskinde in die Augen, schau, wie es dich liebt! Fürchte dich nicht vorm Bösen, denn ich bin da! Ich führe dich ins blühende Land, wo meine Engel spielen und singen! Sie singen zu Harfen und auch zur Schwanenlyra aus deinem Minnebrevier der Gottesmutter... Ich bin die Madonna und lausche immer gern, wenn meine Engel mir deine Lieder singen! Du liebkost mein Ohr und freust mein Herz, du tröstest mein Herz über die blinde Menschheit. Siehe, ich komme zu dir als deine Maria Aphroditissa! – Da sprach ich: O Madonna Maria Aphroditissa, ich schwöre bei deiner virginalen Zone dir ewige Treue und Ganzhingabe, so wahr mir Gott helfe!


8

Ich hab die Madonna gesehen, die Himmlische, schön wie eine Mädchengöttin! Sie war schlank und hochgewachsen wie eine Palme. Sie trug einen schwarzen Mantel und ein schwarzes Beinkleid bis zu den Stiefeln. Ihre Haare waren tiefschwarz und fielen ihr lang auf den Rücken hinab. Wie schön war ihr Gang in den Stiefeln, wie edel der Gang der Jungfrau! Jugendlich schlank war Maria wie Tamar, die Palme, das Symbol der weiblichen Schönheit. Da sang ich: Wende dich, wende dich, Sulamith, daß ich dich schaue! Da wandte sie mir ihr Antlitz zu. Ihr Antlitz war weiß und rot, frisch und glühend. Die Haut wie weiße Jade von makelloser Transparenz. Auf den Wagen frische Röte wie Duft von glühenden Rosen. Ihre Augen waren tiefschwarz und schwarz die langen geschwungenen Wimpern. Aus tiefen ernsten Augen schaute mich freundliche Liebe und ernste Weisheit an. Die Natur unter dem Mond der Toten war von trüber Tristesse, die Zivilisation des Todes war häßlich, aber die Madonna war die frische, gottbetaute Knospe einer schwarzen Rose des Paradieses eines ewigen Frühlings! Wahrlich, die unbefleckte Jungfrau ist der makellose Spiegel der göttlichen Schönheit! Darum lächelte Madonna auch, die Schönste aller Frauen: Ich bin schön, weil ich liebe! Amen, Amen, du bist schön, Maria, schön wie eine siebzehnjährige Jungfraungöttin!


9

Der Demiurg, der Schöpfer als Werkmeister, schuf nach dem Bilde seiner Idea den Kosmos. Platon sagt, der Demiurg schuf nach seiner Idea, die das reine ewige Sein ist. Solowjew sagt, der Herr schuf aus Sophia, dem Göttlichweiblichen, die das absolute Nichts ist. Der Jude sagt, der Herr schuf nach dem Bilde seiner Idea, die die Torah ist, die verschleierte Maid. Papst Benedikt greift das auf und setzt an die Stelle der Torah den Logos, die Vernunft. Ich sage: Wie ein Künstler schafft sein Poem nach dem Bilde seiner Muse, wie der Künstler Schöpfer ist und seine Muse seine Idea, seine Mitschöpferin, so sind seine Poeme seine Geschöpfe. Paulus nennt nämlich selbst die Geschöpfe die Poema Gottes. Gott ist also der göttliche Erzpoet, Sophia seine göttliche Muse oder Idea. Darum heißt Sophia auch Schöpferin, Werkmeisterin, Künstlerin. Sophia ist also die Idee der Schöpfung, die Schöpfung ist nach der Idee Sophias geschaffen. Darum nennt Teilhard de Chardin das Ewibweibliche das Ideal der Schöpfung. Der Mensch ist als vernünftiges Wesen der Weisheit fähig und der Gotteserkenntnis, weil der Mensch das Abbild Sophias ist. Die menschliche Psyche ist Abglanz Sophias. Die menschliche Psyche ist das Liebespoem des Schöpfers, inspiriert von der göttlichen Muse Sophia. Verliebt in Sophia, entflammt vom schöpferischen Eros der göttlichen Liebe, singt der Herr das Liebeslied der menschlichen Psyche. Die Psyche ist darum ein Gesang Gottes. Das Gesamt der menschlichen Seelen sind der Reim auf das schöpferische Wort Gottes zur ewigen Verherrlichung der göttlichen Sophia.


10


Platon sagt, aus der Mischung der einen ewigen Idea mit dem raumzeitlichen Kosmos schafft Gott die Weltseele, Anima Mundi, die Psyche des Kosmos. Die ewige, göttliche Idea ist die ungeschaffene Sophia. Die Psyche des Kosmos ist die geschaffene Sophia. Platon sagt, die Welt werde zusammengehalten von dämonischem Wesen. Eros ist ein dämonisches Wesen, die Sehnsucht und das Streben nach der göttlichen Schönheit und Liebe. Die dämonische Weltseele ist also wie Eros ein Streben und eine glühende Sehnsucht nach der vollkommenen Form in Gott. Ardinghello dichtete: Urania, die glänzende Jungfrau, hält mit ihrem Zaubergürtel das Weltall in tobendem Entzücken zusammen. Der Zaubergürtel der Urania und ihr tobendes Entzücken ist der dämonische Eros der Weltseele. Urania ist die erotische Weltseele oder die geschaffene Sophia. Der Psychologe Jung nannte Sophia gar die Weisheit des Eros. Die erotische Sophia als Weltseele strebt im Inneren des Kosmos nach der vollkommenen Form der Schönheit und Liebe Gottes. Das nennt Teilhard de Chardin die Amorisation des Universums durch den Panchristus. Der Panchristus ist die Pansophia, die Pansophia ist der Panchristus. Solowjew nnennt darum Sophia die verklärte Weltseele, gewissermaßen den Schutzengel des Alls, die die ganze Schöpfung heimführt in Gottes Schoß.


11

Das Evangelium sagt, daß nach dem Vorbild des himmlischen Tempels der irdische Tempel gestaltet wurde. Mose sah in einer Vision den Plan des Offenbarungszeltes. Bezalel schuf als Künstler nach der prophetischen Vision das irdische Offenbarungszelt. Gott gab David den Plan des Tempels, Salomo baute nach dem gottgegebenen Plan, Salomo baute als Architekt nach der Zeichnung des göttlichen Weltarchitekten. So sagt Platon, der ganze Kosmos ist nach dem Muster eines göttlichen Urbildes geschaffen. Der Kosmos, geschaffen aus Nichts, sein Werden und Vergehen und seine Anteilhabe an dem verborgenen ewigen Sein, ist geschaffen nach dem Vorbild oder dem Muster oder der Idea des ewigen Seins. Dieses Urbild des Komos und das reine ewige Sein ist Sophia. Sie ist die Idee des Komos und darum der Schutzengel des Alls.


12

Kehrt die menschliche Psyche durch die Pforte des Todes heim in Gott, lebt sie in dem himmlischen Urbild des Kosmos, der platonischen Gegenerde. Das ist die Stadt Gottes oder das Paradies. Das Urbild des Komsos ist der schöne Schmuck der Jungfrau Sophia. Das Paradies ist, wie Salomo sagt, der Leib der Geliebten, der Körper der Jungfrau Sophia. Das Paradies ist, wie der heilige Grignion sagt, der Schoß der Jungfrau Maria. Das Paradies ist also der Schoß der göttlichen Jungfrau Sophia. Das Himmelreich ist, wie Jesus sagt, einer Hochzeit gleich. Der ewige König Jahwe veranstaltet für seinen Liebling Sophia eine himmlische Hochzeit. Die Hochzeit des Menschen mit der göttlichen Geliebten, der Braut Sophia, ist das in Ewigkeit gesungene Hohe Lied der Liebe. Das ist der wahre Hieros Gamos im ewigen Paradiese. Zu ihrem Jünger Jakob Böhme sagte Sophia: Meine Perle hebe ich dir auf für das Paradies. Das Paradies ist nämlich die ewige Vereinigung mit der Jungfrau Sophia oder die wahre Gottes-Ehe.


13

Es wohnt dem Stoff die geistige Form inne. Der Form wohnt aber die göttliche Form der Formen inne, die seiende Gottheit. Der Stoff ist die Mater, die Materia. Sie ist Hyle, der Leib. Die Form ist Morpho, die Gestalt der Psyche. Der Morpho wohnt aber Theos inne, die Gottheit. Morpho ist die Lebendigkeit der Materia, Theos ist die Lebendigkeit Morphos. Morpho baut die Materia, sie entwickelt und entfaltet sie zur Zielvollkommenheit. Theos lebt und wirkt in Morpho und entwickelt und entfaltet sie zur Zielvollkommenheit. Der Stoff soll seine ihm wesenseigene Form verwirklichen. Die verwirklichte Form soll aber ein Gleichnis der vollkommenen Urform sein, der Form der Formen oder der seienden Gottheit. Die Gottheit ist die absolute Vollkommenheit. Da aber alles aus innerem Gesetz zur Vollkommenheit strebt, strebt alles nach innerem Gesetz zur Gottheit. Die Gottheit ist die gesuchte, angestrebte, begehrte Zielvollkommenheit. Aber da die Gottheit die Form der Formen ist, ist sie durch die Mittlerschaft der dem Stoff immanenten Form auch die bewegende Ursache dieses Strebens und Begehrens. Darum kann man die Gottheit auch die ewige Erzeugerin der Begierde nennen. Das All geht aus der göttlichen Ursache hervor und drängt in Begierde in die göttliche Zielvollkommenheit heim. Die Gottheit ist Erstursache und Ziel der Kreaturen. Die Entelechie als der innere Drang nach Entwicklung zur wesensgemäßen Vollkommenheit ist der Drang zur Gottheit, gewissermaßen ein innerer Liebesdrang oder ein Begehren des Stoffes nach dem Urschoß der Gottheit. Diese gewissermaßen erotische Entelechie ist ein Abglanz des göttlichen Liebesdranges selbst. Denn die Gottheit begehrt, die aus ihr hervorgegangene nichtgöttliche Natur mit ihrer eigenen göttlichen Natur zu vereinigen.


14

Platon sagt, die präexistente Seele komme in den Kerker des Leibes (Spelunke nennt den irdischen Leib Augustinus) und verlasse im Tode das Gefängnis und lebe als unsterbliche Seele im Himmel. Der Leib aber stirbt und vergeht. Aristoteles nennt die Seele die Form des Körpers und die Entelechie des Körpers und als solche für immer an den Körper gebunden. Er behauptet drei Kräfte der Seele, die Pflanzenseele als ernährende Seele, die Tierseele als die sinnliche Seele und die menschliche Seele als Vernunft oder Geist. Die menschliche Vernunft empfängt die Formen vom Körperlichen, aber sie schafft auch selbst Formen aus der Kraft des ewigen Geistes. Der schaffende Geist des Menschen ist eingehaucht und identisch mit dem ewigen Geist und als solcher unsterblich. Die Seele aber ist nicht unsterblich. Die Kirche definierte mit dem Konzil von Trient (unter dem Einfluß des katholischen Neuplatonikers Ficino) die Wahrheit der Unsterblichkeit der Seele. Im Dogma der Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel definiert die Kirche auch eine leibliche Unsterblichkeit. Maria sagt: Im Tode verläßt die Seele mit vollem Bewußtsein den Körper, der Körper stirbt und wird nie wieder leben, die Seele bekommt einen neuen Körper aus Licht. Paulus nennt diesen Lichtleib im Unterschied zum psychischen Körper den pneumatischen Körper, den Hauchkörper oder Geistkörper. Dieser ist die himmlische Kleidung der unsterblichen Seele und ist anzuschauen wie weißes Linnen. Das ist die Auferstehung des Fleisches, denn Fleisch bezeichnet die Leib-Seele-Einheit des Menschen.


15

Platon sagt, aus zwei Quellen ströme der Glaube an die Gottheit in den Menschen: aus der Tiefe der menschlichen Seele und aus der Herrlichkeit des Sternenhimmels. Aristoteles sagt das Gleiche und nennt den menschlichen Geist und die Sternenordnung zwei Gottesbeweise. Kant hielt das moralische Bewußtsein und das Firmament für Quellen des Glaubens an die Existenz Gottes. Goethe pries vor Ekkermann eine doppelte Offenbarung: Christus ist der Verkünder des Sittlichen für den Menschen, die Sonne ist die Offenbarung der Herrlichkeit der Gottnatur. In meiner Seele seh ich die unbefleckte Jungfrau. Bei Sonne, Mond und Sternen denk ich an die apokalyptische Frau. So ist die Jungfrau der Offenbarung in Bibel und Kirche in meiner Seele und am Himmel Sakrament der mütterlichen Liebe Gottes. Die makellose Jungfrau meiner Seele ist Sophia als Herzenskönigin, die apokalyptische Frau im Kosmos ist Sophia als Himmelskönigin, die Königin des Universums oder die Weltseele. Ein Sophiologe nannte die apokalyptische Frau Sophia triumphans, und der heilige Grignion nannte Sophia die Himmelskönigin. Sophia als die Herzenskönigin und Himmelskönigin, das sind die beiden Quellen meines Glaubens und die Beweise der Existenz der Hagia Sophia.


16

Schau meinen roten Mund an! Ich liebe dich! Wer sagt das nun, ich oder du? Ich liebe dich mit leidenschaftlich brennender Ganzhingabe! Du sollst immer am Busen der Gottesmutter ruhn! Wie könntest du nicht glücklich sein, da ich dich so liebe? Mein Herz ist eine schlanke lodernde Flamme für dich! Du sollst immer mein sein. Du sollst mir allein gehören. Kein anderes Herz wird je dich so lieben wie ich dich liebe. Du sollst ganz eins sein mit mir und Verkünder meines Reiches sein! Mein Herz ist eine steile Flamme, die leuchtet in den Ätherhöhen der Sophia! In meinem Herzen spürst du das Mutterherz Gottes!


17

Jahwe war in seine göttliche Allvernunft versunken und sah die Hagia Sophia, siehe, da war es ein kleines Kind, Jahwes Liebling, Jahwes Hätschelkind! Das göttliche Christuskind spielte jenseits von Raum und Zeit. Wahrlich, ich sah das göttliche Christuskind in einem Lichtglanz der ewigen Liebe spielen. Womit spielte das Christuskind? Mit dem Kosmos, all seinen Bauteilen, als ein kleiner Architekt. Er spielte mit Magneten. Ich sprach: Magnetes Geheimnis, erklär mir das! Sophia sprach: Nichts andres als Liebe und Haß! - Siehe, das Auseinandertreiben des Kosmos ist kosmischer Haß, aber das Zueinanderstreben der Elemente ist kosmische Liebe. Diese Liebe nannte Empedokles Philia, Freundschaft, nämlich Wohlwollen, Sympathie, Liebhaben. Die Kräfte des Kosmos haben einander lieb, weil das göttliche Kind es so fügt, Pol an Pol, Magnet an Magnet, die innere Sympathie in den Atomen von positiven und negativen Teilchen, alles ist Liebhaben, Sympathie. Im Anfang war stark die Liebe, sagt Empedokles, da herrschte die goldene Aphrodite, die Kypris des goldenen Zeitalters. Dann begann der Streit von Liebe und Haß, der Ehekrieg der Haßliebe von Ares und Aphrodite. Zuletzt versinkt die Welt nach der Vision des Philosophen in einem apokalyptischen Krieg des kosmischen Hasses. Davor, sage ich, bewahrt uns die makrokosmische Madonna, die Jungfrau, deren Körper gebildet ist aus Spiralnebeln. Sie ist die Galaktrophousa der Galaxieen! Sie ist der Triumph der ewigen Liebe und göttlichen Sympathie. Sie ist die apokalyptische Maria Aphroditissa, deren Sympathie die Welt im Innersten zusammenhält!


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Der erste Gottesbeweis ist die Herrlichkeit der Seele, der zweite Gottesbeweis ist die Herrlichkeit des All. Die Seele des Mannes ist die Anima, die Seele des Kosmos ist die Anima mundi. Der Maler nennt dies die mikrokosmische und die makrokosmische Madonna. Pascal und Klopstock sagen: Groß ist die Herrlichkeit des Alls, aber größer die Herrlichkeit der menschlichen Seele. Ich sage, groß ist die makrokosmische Madonna, aber größer ist die mirkokosmische Madonna. Groß ist Maria die Himmelskönigin, aber größer ist Maria die Herzenskönigin. Groß ist die Anima Mundi, die Psyche des Kosmos, die Weltseele oder die kosmische Sophia, die Weltarchitektin, aber größer ist die mystisch-innerliche Seele der Seele, die geheime Psyche der Psyche, die Idee der Seele als Sophia, die da ist die göttliche Psyche-Braut des göttlichen Eros-Bräutigams! Groß ist das Wunder der Schöpfung, aber größer ist das Wunder der Vergöttlichung des Menschen! Gewaltig ist der Gottesbeweis der Schöpferin Sophia, aber gewaltiger ist der Gottesbeweis der mystischen Braut Sophia, der Seele der Seele als der Braut Gottes! So wird die Seele in der mystischen Versenkung eins mit Sophia als der Seele der Seele, und einsgeworden mit Sophia ist die Seele zur Braut und Ehefrau Gottes geworden, gewissermaßen Mitgöttin Gottes durch erkennende Liebe im Geheimnis des göttlichen Eros. Der Kosmos ist Kreatur und Kind Gottes, die Psyche aber ist Braut und Mitgöttin Gottes! Was heißt aber Mitgöttin Gottes? Sophia spricht: Ich und der Vater sind Eins!


19

Frau Welt ist schön... Die schöne Frau Welt ist durchseelt von Frau Weltseele. Alle Seelen sind geheimnisvoll verbunden in Einer Seele, der Seele der Menschheit. Darum lieben die Seelen sich, weil sie eins sind. Frau Weltseele ist gezeugt vom heiligen Geist. Der heilige Geist erkennt sich selbst, er ist Erkennender, Erkanntes und Erkenntnis. Der heilige Geist ist Ausfluß der absoluten All-Einheit. Die Ureinheit ist die Urgutheit, die Urgutheit ist die Urschönheit. Die Urschönheit ist die höchste Gottheit. Der vom feurigen Eros entflammte Mensch in seinem Inneren liebt die schöne Frau Welt, liebt die schöne Frau Weltseele, liebt die schöne Herrin Urschönheit! Der feurige Eros vereinigt den geistigen Menschen in Ekstase mit der göttlichen Urschönheit. In wiederholten ekstatischen Verschmelzungen mit der göttlichen Urschönheit wird der menschliche Geist vergöttlicht, so daß er dichterisch gesprochen den ewigen Göttern gleicht. Die letzte, höchste und vollkommenste Gunst der Urgottheit ist die absolute und ewige Verschmelzung des menschlichen Geistes mit der göttlichen Urschönheit, die unauflösliche Einswerdung, da der Geist ein Gott in der Gottheit wird aus reiner Ganzhingabe der Urschönheit. Das ist das Evangelium der Gottwerdung des Menschen: die Theosis des Menschen durch Ganzhingabe der Gottheit!


20

Jesus ist ein Jüngling von achtzehn Jahren, von blühender Schönheit, frisch und glühend, mit feurigen Augen und schönen Locken, an seinen Wangen wie Tulpenbeete der Flaum, seine Lippen wie eine Rose, die von Nektar überfließt. Die Jungfrau Maria ist eine makellose Schönheit von siebzehn Jahren, die Perfektion der schlanken Lilie in der weißen Vase ist das Entzücken des Alls! Jesus sagt zur Jungfrau Maria: Meine Freundin, du bist schön wie eine ägyptische Stute. Dein Kettchen am Hals bezaubert mich und deine Perlenschnur am schlanken Handgelenk ist herrlich. Wenn du mir entgegenkommst, dann hüpfen deine hübschen Brüste wie Gazellenzwillinge, Zwillingskitze in den Lilienauen. Deine Augen schauen friedlich wie Tauben. Du bist schlank wie eine Palme. Ich möchte die Palme besteigen und die Dattelfeige pflücken! Deine Brüste sind wie Trauben des Weinstocks, der Traubensaft geht lieblich in den Geliebten ein. Die Jungfrau Maria spricht: O mein Bräutigam, deine Küsse mit feurigen Zungen sind berauschender als der Wein! Ich singe von deiner Liebe mehr als vom Wein. Deine Liebe ist wie edler Wein, der sich in mich ergießt in feurigem Strom! Jesus spricht: Ja, meine Braut, deinem Schoß soll nie der Mischwein mangeln! In gerütteltem und geschütteltem Maße schütte ich dir mein Korn in deinen Schoß. Die Jungfrau Maria singt: Ich bin dein und du bist mein, des wollen wir gewiß sein, du bist beschlossen in mir innen in meinem Minnen und sollst immer drinnen sein! Jesus schrie: Es ist vollbracht! Da brach die ewige Sabbatruhe an.



FÜNFTES KAPITEL

Es spricht: „O Mensch, du empfängst dies nicht in eitler Täuschung, sondern in reiner Einfalt, diese Offenbarung der verborgenen Dinge. Schreibe, was du hörst.“ Die Kirche lebt in Erwartung des Endes der Welt. Die Frau sieht das Jüngste Gericht. Die Frau spricht: „Siehe, ich schaute eine himmlische Vision. Zitternd und mit großer Wonne spannte sich mein Geist der Vision entgegen. Da sah ich einen großen Glanz. Und eine himmlische Stimme erscholl aus dem Glanz und sprach: Gebrechlicher Mensch, Asche von Asche, Staub von Staub, schreibe, was du hörst! Doch weil du einfältig bist und unstudiert, so beschreibe deine Vision nicht nach Weise der Menschenklugheit, nicht nach dem Verstand und nicht nach dem Begreifen des weltlichen Denkens, sondern aus der Geistesgabe heraus, aus der dir die himmlischen Visionen zuteil werden. Schreibe, wie du es in den Wundern Gottes siehst und hörst.“ Und die Frau sah und hörte die Selbstoffenbarung der göttlichen Frau Weisheit. Und die Frau sah und hörte die Selbstoffenbarung der göttlichen Frau Minne. Die Frau wandte sich an den Mann, der als Klassiker gesunder Mystik in der Kirche galt. Er hatte hinreißende Reden gehalten, Scharen zu begeistern für die Schlachten Gottes. Aber schließlich war das Scheitern seines Ideals, das Gottesreich in der Welt mit weltlichen Mitteln zu errichten, die Ursache seiner Hinwendung zur Jesus-Minne. Der Mann sprach: „Dein Name (Schem) ist ausgeschüttet wie kostbare Salbe (Schemen). Nichts ist so süß wie der Name Jesus. Wenn du sterben mußt, so sterbe mit dem Namen Jesus, Jesus, Jesus auf den Lippen und im Herzen.“ Der Mann sah seine eigene Seele als die Sulamith des Hohen Liedes, aber Jesus sah er als den Salomo des Hohen Liedes, den Bräutigam seiner Seele, Jesus, den Mann der Schmerzen, den Christus am Kreuz. Der Mann verehrte sehr die Schwarze Madonna, Notre Dame Noire, er war ihr Troubadour. Er identifizierte seine Seele so sehr mit der Schwarzen Jungfrau, daß seine Seele die Braut des göttlichen Bräutigams wurde. Wenn der Mann aber zu den Söhnen seiner Seele sprach, dann sprach er von der Mutter Minne, zu der die verlorenen Söhne heimkehren dürften, sie würde sie trösten mit der Milch des Trostes aus dem Reichtum ihrer Mutterbrüste. Nun kam die hohe Blüte der deutschen Mystik. Die Blüte war eine Blüte der Frauen, ausgegangen von demselben Boden, von dem auch des Dichters göttliche Komödie seiner Muse als der himmlischen Weisheit ausgegangen war, die ihn zur Vision der Allerheiligsten Dreifaltigkeit als der Ewigen Minne führte. Die Frau sprach: „Minne das Nichts und fliehe das Ichts. Stehe allein und gehe zu keinem. Sei gerne unnütz und frei von allen Geschäften. Befreie die Gefesselten und binde die Freien. Erquicke die Kranken und sei doch selber krank vor Liebe. Du sollst den Trank der Tränen trinken und im Feuer der brennenden Minne brennen. So wohnst du in der geistlichen Wüste und sprichst mit Gott. Denn Gott selbst lockt dich in die Wüste, dich zu verführen..., um sich mit dir zu verloben.“ Rom und die Benediktiner und Dominikaner beargwöhnten diese Frau, die weltlichen Reichen verachteten sie und das Volk beachtete sie gar nicht. Aber sie war eine Troubadourin Gottes, eine Poetessa der Minne Jesu. Die Gottheit in ihrer Menschheit war ihre adlige Dame und die Frau Seele war die Magd der Minne, die die göttliche Dame verehrte. Sie war eine Minnerin Jesu, die die erotische Sprache des Hohen Liedes als die Sprache des Allerheiligsten der Heiligen Schrift dem Herrn entgegensang: „O mein Gott, minne mich oft und heftig, dann werde ich rein und schön! O mein Herre, minne mich mächtig und minne mich oft und lange! Je öfter du mich minnest, um so reiner werde ich, je mächtiger du mich minnest, um so schöner werde ich, je länger du mich minnest, um so heiliger werde ich auf Erden!“ Da sprach der Herr zu seiner lieben Frau Seele: „Meine liebe Frau, daß ich dich minne, daß hab ich von meiner göttlichen Natur, denn ich bin die Ewige Minne. Daß ich dich mächtig minne, daß hab ich von meiner Begierde, denn meine Begierde ist, daß du mich mächtig minnest. Daß ich dich oft und lange minne, daß hab ich von meiner Ewigkeit, denn ich minne von Ewigkeit zu Ewigkeit, meine Minne ist ohne Anfang und ohne Ende!“ Ein Mann sandte einer geistlichen Frau dies Minnegedicht und schrieb: „Es ist der bewegendste Pfeil der Minne, der jemals abgeschossen wurde! Zudem ist es in der lustvollsten deutschen Sprache geschrieben, die ich je gelesen habe.“ Nach dem Kreuzzug der christlichen Ritter kehrte die Kirche wieder in ihre mystische Zelle. Da war ein Mensch, der einmal die Frau Weisheit bat, sie möge ihm etwas schenken, was beständig die Erinnerung an die Frau Weisheit in dem Menschen errege. Darauf empfing der Mensch von der Frau Weisheit folgende Antwort: „Siehe, ich gebe dir meine Augen, daß du mit ihnen die Welt und die grüne Natur betrachtest und die armen Seelen der Menschenkinder, ich gebe dir meine Ohren, daß du mit ihnen meine Stimme in den Stimmen der Menschenkinder hörst, und meinen Mund will ich dir geben, daß du alle Gebete und Reden und deinen schönen Gesang durch mich tust, ja, daß ich in dir bete, rede und singe den Gesang. Ich gebe dir mein makelloses, heiliges Herz, daß du durch mein Herz deine Gedanken denkst und in meiner Minne alle Menschenkinder liebst, daß du ein treuer Minner bist in Weisheit und Minne, Huld und Wahrheit, Treue und Gerechtigkeit.“ Mit diesen Worten zog die Gottheit den Menschen ganz zu sich und vereinigte sich mit ihm. Darauf schrieb der Mensch das Buch der göttlichen Huld in lauterer Reinheit. Ja, der Mensch erlangte mystische Gnaden der Ganzhingabe der ewigen Minne, die die Frommen nicht verstehen und verwerfen wegen der Leidenschaft der Vereinigung und der Erotik der Minnesprache. Der Mensch sprach: „In einer Zeit der Krankheit und des Fernbleibens von der Kirche erschien es mir, daß Frau Weisheit sich in das Bett neben mir neigte, mich mit dem linken Arm umarmte, so daß die Liebeswunde und das Feuer des heiligen, makellosen Herzens der Frau Weisheit sich mit meinem wunden liebeskranken Herzen vereinigte. Da sprach Frau Weisheit zu mir: Wenn du krank bist, umfange ich dich mit meiner Linken, und wenn du gesund geworden bist, umfange ich dich mit meiner Rechten. Aber dies wisse: Wenn du von meiner Linken umfangen bist, ist mein brennendes Herz dir näher.“ Nach diesem Menschen erschien ein anderer Mensch, der groß genannt ward, groß aus Gnaden der mystischen Ganzhingabe der göttlichen Weisheit und Minne. Der Mensch sprach: „Als meine Seele, nicht durch eigene Verdienste, sondern durch die göttliche Huld in Schönheit erschien, da hörte meine Seele im Herzen wie Gesang zu lieblichem Harfenspiel eine holde Frauenstimme, die sprach zu meinem inneren Menschen: Komm, du bist mein! Geh in mich ein, denn du bist mein! Weile, mein Mensch, in meinem Schoß! Denn weil ich dich liebe als meinen Bräutigam und nach deiner intimen Nähe mich sehne, so rufe ich dich. Danke, daß du meinem Ruf gefolgt bist! Ich habe meine Wonne an dir und all meine Lust bist du! Ich begehre dich, mein Mensch, daß du eingehst in meinen Schoß, wie du es als mein Bräutigam einzig begehrst, auf daß meine Freude, Wonne und Wollust in dir vollkommen sei!“ Schließlich erschien der selige Minner der Frau Weisheit. Seine selige Seele wurde verzückt im Leibe oder außer dem Leibe. Es war einer Ohnmacht gleich und einer Seelenwanderung durch die himmlische Welt. Da sah er und hörte er, was menschlichen Zungen und selbst englischen Zungen unaussprechlich ist, so schön ist, was er sah! Es war eine formlose Wesenheit, die aller Ideen Lust in sich begriffen hatte. Es war eine hervorströmende Süßigkeit ewigen Lebens in stiller, seliger Empfindung. Der Minner sprach: Ist dies nicht das Himmelreich, so weiß ich nicht, was Himmelreich ist. Da pries der Minner in seinem Minnefrühling Frau Weisheit, die unaussprechliche Schönheit der Gottheit, die ihn in Minne heimsuchte mit dem lustvollsten Spiel der Gottheit. Selig war der mystische Minner durch die Huld der schönen Minne der göttlichen Frau Weisheit, schon auf Erden im Paradies, eins mit Ihr, der HERRIN!


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