[Inhalt]

SCHECHINA

Von Peter Torstein Schwanke

(Februar/März 2005)

„...darum eben richte, wer sich auf einen Weg begibt, ein Gebet an den Allheiligen, daß Er ihm die Schechina selber geselle.“
(Buch Sohar)



ERSTER TEIL


DIE MUSE SPRICHT

O holder Sterblicher, sing weiter Mir,
Wenn ich dich wecke mit der Morgenröte,
Heimsuche im Mysterium der Nacht!
Ich will dir Minne hauchen aus den Blumen,
Wenn sie erwachen auf der Mutter Erde,
Ich will dir lächeln von dem Thron des Mondes,
Wenn du mir deine Lieblingssterne schenkst.
Wann warst du je so einsam, o mein Dichter,
Mit deiner Muse im vertrauten Umgang?
Ich weiß, du bist geboren für die Liebe
Allein zum genialen Ideale,
Der Geistin, die in mir dich inspiriert.
Ja, schlummere am Hang des Helikon,
Ein Lämmerhirte, weidend in den Lilien,
Ich öffne dir die Augen deiner Seele,
Daß du mich schaust, die Königin der Musen,
Die, siehe, schöner als ist als selbst die Phryne!
Die Schönste aller Frauen nennt man mich,
Weil ich die Mutter bin der schönen Liebe,
Weil ich die ganz vollkommne Schöne bin,
Den schön bin ich, Geliebter, weil ich liebe!
Vertrau, ich liebe dich mit heißer Liebe,
Mit Inbrunst, brennender, und reiner Weisheit,
Ich liebe dich mit Kraft und Ganzhingabe,
Wie niemals eine Schöne dich geliebt!
Nimm meine Liebe an, dein Paradies,
Und singe wie im Paradiese schon
Der Muse dein, des Himmels Maid und Mutter!


DIE MUSE TRÖSTET

Was fragst du nach dem abgeschmackten Dank
Der eitlen Welt und dem Applaus der Narren?
Was kümmert dich, daß die Verstandesmenschen
Nicht glauben an die heilge Poesie,
Daß eitle Weiber, Närrinnen und Püppchen,
Nichts fragen nach dem Minnedienst des Weisen?
Ich, deine Muse, führe dich hinweg
Ins Reich der Weisheit, wo die Dichterpriester
Brahmanen waren, heilige Rhapsoden,
Die Gottes Stimme in dem Innern hörten
Und gaben Weisheit in der Schönheit wieder.
Ich bin die Himmlische, des Geistes Muse,
Mir singe schönen Wortes Prophetie,
Tritt in die Chöre ein der Seraphim
Und die Gesänge der Glückseligen
Und sing Jerusalemer Liturgie
Und Liebeslieder aus dem Garten Eden!
Sei jedes deiner Lieder eine Perle,
Ein Tropfen Gottes, im Gebet gereift
Als in der Meeresmuschel deiner Seele,
Und reih die Perle auf an einer Schnur
Und schenke mir die Perlenschnur zur Schönheit!
Schau, ich bin dankbar, die ich inspiriere
Und dann empfang das Hallen deines Wortes.
Nur Eine inspiriert dich, Eine singst du
Und singst allein um Minnesold der Einen –
Die Weisheit ich und du das Wort, mein Dichter,
Der Liebe Sprache ich und du das Echo,
Ich schwebend Säuseln, du das mystisch Schweigen,
Die Hand des Himmels ich und du die Harfe –
In ewger Liebe wir ein Parallelismus,
Wir, Muse und Poet, zur Ehre Gottes!


DAS MÄDCHEN HOFFNUNG

Spes nostra, tugendhafte Jungfrau Gottes,
Der süßen Mutter Liebe kleine Schwester,
Großmutter Glaube hat dich unterwiesen,
Nun unterweisest du mich selbst, o Hoffnung,
In allen dunklen Nächten der Verzweiflung
Zu hoffen auf die kommende Geliebte:
O Primavera, künftige Geliebte,
Die Müdigkeit des Mannes, welcher alt wird,
Verscheuche wie ein Wind von Morgenrot
Und sei ein lebensvoller Gartenbrunnen
Der Neugeburt für den, der da verwelkte,
Noch einmal leben soll auf dieser Erde,
Noch einmal leben soll von deinem Leben,
Noch einmal lieben soll von deiner Schönheit,
Noch einmal lieben soll – bis er verstirbt,
Spes nostra, da erst tust du Wunderwerke,
Verheißungsvolle, du vom Paradies,
Ein Paradiesesgarten ist dein Leib,
Verheißungsland von Muttermilch und Honig,
Da tust du erst die wahren Wunderwerke,
Denn perlenreine Knaben schenken Wein
Dem Märtyrer der Minne in den Becher,
So inspiriert und dennoch nicht betrunken
Tritt er ins Himmelszelt im Garten Eden,
Da ruhen auf brokatnen Kissen Huris,
Die Königin der Huris aber, Haura,
Läßt seine Manneskraft ihm nicht ermatten,
Wird dennoch unbefleckte Jungfrau bleiben,
Da sie im Eros ewger Liebesnacht
Ekstatisch Gottes Einheit innewerden!


LIEBESLIED DES MÖNCHS

Ich sehnte mich zum Hain der heilgen Mädchen,
Doch wählten sie die Männer schwarzer Haare
Und sahen schmähend meinen grauen Bart.
Süßapfel du! Du hingst im höchsten Baume,
Ich rüttelte und schüttelte den Baum,
Du wolltest mir nicht fallen in den Schoß!
Ich ging auf Pilgerfahrt zum heilgen Grabe,
Beim Tod des Herrn die Leiden zu vergessen!
Dann trat ich zu dem heilgen Berge Athos,
Wo alles animalisch Weibliche
Und alles menschlich Weibliche entfernt
Und nur das göttlich Weibliche verblieb
In der Gestalt jungfräulicher Maria!
Für sie schloß ich mich in der Zelle ein!
Da gab ein alter herzensweiser Mönch
Mir die Ikone Hagia Sophias –
Sie war so schön wie du, mein innres Mädchen,
Süßapfel war sie aus dem Paradies!
So in der Zelle Enge war die Weite
Der ersten Liebesnacht der Weltenschöpfung,
Da Jahwe in Sophia Welten zeugte!


DIE KÖNIGIN DES SÜDENS

Im Süden bis zum Quell des Weißen Nil,
Arabien im Osten, Saba-Jemen,
Äthiopien in Afrika im Westen,
Da lag das Reich der Königin von Saba.
Sie, die jungfräuliche Prinzessin, trat
Mit bloßem Fuß der Schlange auf den Nacken,
Daß aus dem Grab der Schlange Hirse wuchs.
Sie, die gekrönte Jungfrau Königin,
In dem Gefolge wunderschöner Frauen,
Vergnügte sich in ihrem großen Bad
Und trat gereinigt in der Mondin Tempel –
Bilkis, die Mondin, war ja selbst ihr Name –
Als Hudhud kam herein, der Wiedehopf,
Mit Briefen von dem weisen Salomon,
Der lud sie in das Haus der Ruach, Jahwe
Zu huldigen, zu lauschen seiner Chochma.
Der Engel Gabriel trug selbst ihr Thronbett
Zu Salomon, der ihre Beine sah
(Wie Ebenholz und glatt wie schwarze Jade),
Als ihn durchglühte Wollust wie ein Feuer!
Sie aber sprach: Ich bin die Schwarze, Schöne,
Vom Lichte Schwarze, Heilige und Reine,
Mein Leib ist nicht gebildet für das Bett! –
Der Weise aber schlief mit offnen Augen,
Geschlossen seine Augen, wenn er wachte...
Sie sprach: Wie kannst du eine Schlange fangen?
Er sprach: Tu in ein Tuch den Mannessamen
Und wirf das feuchte Tuch der Schlange über,
Da wird sie zahm wie eine Turteltaube.
Sie sprach: Die sieben fließen und die neune
Erscheinen, zwei sinds, die da schenken aus,
Das Eine aber trinkt. Was ist denn das?
Er sprach: Die sieben sind die Frauenblutung,
Die neun die Schwangerschaft, die zwei die Brüste,
Das Eine ist der Säugling, der da saugt. –
Sie lächelte, empfing, gebar den Sohn,
Der Erster Kaiser ward von Afrika,
Dem schenkte Salomon die Bundeslade.
Das ist das Lied der Königin von Saba,
Die wird erscheinen an dem Jüngsten Tag
Als Richterin, die heilge schwarze Mutter!


RELIGION DER SCHÖNHEIT

Die Bibel, die der Geist im Geiste fortschreibt,
Die spricht von einem innern Heiligtum,
Bei dem das Herz des Menschen Treue schwört.
(Ein Wunder mir geschieht und mir erscheint
Maria in dem himmelblauen Mantel
Und weißen Linnenkleid, und melancholisch
Ist der Madonna sanftes Angesicht
Und sanft ist ihre Schönheit melancholisch,
Die sie ist meiner Seele Ideal
Und meines innern Herzens Heiligtum.)
Was ist die Sünde? Da ich selig bin
Und schau die Königin der schönen Liebe?
Die Schönheit, meines Herzens Religion,
Die Charis, die beseligt im Vertrauen,
Die ist mein Himmel und mein Paradies,
Die gnadenvolle Königin der Liebe,
Mir himmlisches Entzücken, Seligkeit!
Weil ich der Grieche bin, der Weisheit sucht,
Ich preise die Urania Sophia
Im Gleichnis der Madonna voller Schönheit.


WINTER UND FRÜHLING

Lebendger Gottheit Schönheit, o Sophia,
Ich schaute dich in deinem weißen Kleide,
Als Schnee auf Tannenbäumen lag und Feldern
Und zarter Zweige feines Filigran
Das Wunderwerk, verschleiert von dem Schnee,
Gen Himmel hob, daher die Flocken tanzten
Wie die Glückseligen im Himmelreich.
Da sah ich auch das Kind, das selige,
Sich betten in dem reinen weißen Schnee,
Als wollt es sich vereinigen der Erde,
Der Mutter, deinem Sakrament, o Mutter
Sophia, denn du wohnest in der Erde
Verborgen, eine Blumenkönigin,
Die vorbereitet in Verborgenheit
Den neuen Menschheitsfrühling auf der Erde!
Schon sehe ich dein Gartenparadies,
Madonnas weiße, rote, goldne Rosen,
Die Iris einer heimlichen Geliebten,
Orangne Malve auch von Magdala,
Rühr-mich-nicht-an, Je-länger-desto-lieber,
Den Fliederbaum der Seelenschmetterlinge,
Das alles blüht um Hagia Sophia,
Die lächelnd in der Primavera Kleid
Des Himmels Minne ist auf dieser Erde,
Die Schöne Dame, göttliche Geliebte,
Die ewig unaussagbar schöne Gottheit!


LEIDENSCHAFT

Ja, Gottheit, das hat Kirche mich gelehrt,
Daß du, o Gottheit, seist die Herrin Weisheit.
Wohin denn führte dies die arme Seele?
Nun schaut sie nur Gedanken und Ideen
Und ist zu Gast bei alten Philosophen,
Bei ihren Streitgesprächen um die Wahrheit,
Da niemand weiß wie nichts und dumm ist alles!
Erhabne aufgeblähte Seifenblasen
Der intellektuellen Abstraktionen
Von Sein und Nichts, Weltgeist und Gottnatur,
Von Ich und Nicht-Ich, von dem Übermenschen,
Von hypostatischer Union, Union
Der zwei Naturen einiger Person,
Von Transubstantiation – doch still!
Lebendige, o Gottheit schöner Liebe,
Heut ahnte ich: Du bist die Leidenschaft,
Umarmt wirst du in irdischer Geliebter,
Die irdische Geliebte wird zur Gottheit,
Die Gottheit zur Geliebten!... Schöne Liebe,
Wen machte je die Weisheit selig? Wer
War selig nicht im Anschaun der Geliebten?
Wem war der Körper der Geliebten nicht
Ein Corpus Christi und ein Paradies?
Wer zündete an ihrem Leib den Himmel
Nicht an und war vereinigt mit der schönen
Weltseele oder Hagia Sophia
In trunkner Liebe der Begeisterung,
Im Geiste, in der Kraft der Leidenschaft,
Verwirklichend das Leben schöner Liebe,
Ein selger Gott von seiner Gottheit Gnaden?


EIN TRAUM

So seh ich nun im Traume die Geliebte,
Fleisch meines Fleisches, Bein von meinem Bein,
Geschnitzt aus meiner Rippe, Herz des Herzens,
Die Traumgeborne, die Lebendige,
Die sich vereinigte dem andern Manne,
Im Sakrament der Ehe, männlich-weiblich,
Verkörperte der Gottesliebe Einheit.
Mich aber rief zum Studium der Weisheit
Und zum geheimnisvollen Buch der Gottheit
Mein Gott, zu dem ich mich im Traum bekannte.
Hier finde ich der Offenbarung Sphären,
Da Gottheit sich ergießt durch alle Sphären.
Vertraut vitale Kraft des Mannes, Eros,
Sich doch der Schönheit weiblicher Genossin
Im Einen Grund, dem grünen Liebesbett.
Die Seele ist bedingungslose Liebe,
Bedingungslose Liebe, allumarmend,
Vereinigt männlicher Gerechtigkeit
Im Brautbett seelischer Barmherzigkeit,
Im Herz des Himmelreichs, der Harmonie
Der seelischen Vollkommenheit, dem Frieden.
Im geistigen Bereiche eint Frau Weisheit
Dem Logos sich, der männlichen Vernunft.
Die mystische Vereinigung im Geiste
Stellt dar des Lebensbaumes Lebenskrone,
Die grün- und goldne Krone der All-Einheit,
Der Seienden, der absoluten Gottheit.


DIE WAHRHEIT

Als Sokrates den Schierlingsbecher trank,
Sprach er zum Abschied zu der Freunde Schar:
In meiner Jugend voll Begeisterung
Erforschte ich die alten Philosophen.
Das Sein war ewig und das Sein war zeitlich,
Erkenntnis nur ein Funken der Atome,
Im Wandel alles, aber ewig nichts,
Daß ich verzweifelte! Doch warn ich euch,
O Freunde: Seht ihr Irrtum über Irrtum,
So zweifelt doch nicht an der Allvernunft
Und der Erkennbarkeit der ewgen Wahrheit! –
Wohlan, ein Geist ergriff mich bei den Haaren
Und auf dem edlen Rosse meiner Seele
(Nicht auf dem faulen Esel meines Leibes)
Bin ich geritten durch das Reich der Nacht
Und kam zum philosophischen Gebäude,
Da alte Pforten rasselnd aufgesprungen,
Da sah ich auf dem Thron – die Göttin Weisheit!
Sie sprach zu mir: Du zweifelst an der Wahrheit?
So ist doch wahr: Du zweifelst, weil du denkst,
Du zweifelst, weil du willst die Wahrheit kennen,
Und weil du willst und denkst, so bist du auch,
Und weil du bist, so ist ein Sein, das ist.
Und weil du nachdenkst, was die Wahrheit ist,
Und ob erkennbar Wahrheit ist, so lebt
In deiner Seele die Idee der Wahrheit.
Gewiß bei aller Eitelkeit der Welt
Ist doch Vollkommenheit im Geiste, ist
Vollkommenheit der reinen Wesenheiten
Der Wahrheit, Gutheit, Schönheit in der Gottheit,
Die, weil vollkommen sie, ist liebenswert! –


EINWOHNUNG GOTTES

Einwohnung Gottes ist die Schechina,
Einwohnung Gott des Schöpfers in der Schöpfung,
Die göttliche, die immanente Mutter
Ist so geworden dieses Kosmos‘ Seele,
Weltseele ist die immanente Mutter,
Die hält die Welt im Innersten zusammen.
Einst hat sich Gott ein auserwähltes Volk
Berufen, jene Samen Abrahams,
Gab Weisung ihnen im Propheten Mose,
Ein Königtum im guten Hirten David,
Ein Gotteshaus im weisen Salomon.
Da nannten Mystiker die Schechina
Die Seele Israels, des Bundesvolkes.
Gott aber im Messias, Christus Jesus,
Schloß mit der Menschheit einen ewgen Bund,
So daß der Heilge Geist mir sagen kann,
Die Schechina sei Seele aller Menschheit,
Die immanente Mutter Menschheitsseele.
Wohlan, auch ich war in der goldnen Wolke
Der Schechina, der Glorie der Gottheit,
Und schaute meiner Mutter Wunderschönheit
Und ahnte meiner Herrin Harmonie.
Wer tritt in meiner Kammer Andachtszelle
(Einwohnung Gottes wohnt in meiner Wohnung),
Der tritt vor Gottes Mutterangesicht.


DAS WORT

Das Wort der Weisung in der Heilgen Schrift
Ging aus vom Munde des Allheiligen,
Erfüllt von den Mysterien der Weisheit
Der höheren, geheimnisvollen Gottheit.
Der Urlaut ist darin, der schöpferische,
Der Weisheit Werde tönt in Maß und Chiffre
Bis in die Seelenohren der Gerechten,
Wo sie das Wort bewegen (wie Maria)
Im Schoß der Seele und das Wort erneuern
Und wie die Nymphe Echo Antwort geben
Der schöpferischen Weisheit mit dem Wort
Des Dankes und des Lobes und der Liebe;
Wie Geistes Sprache spricht in die Natur,
Formgebende Gestalterin, die Sprache,
Küsst Küsse der geschöpflichen Natur,
Daß küssend auch die Seele der Natur
Hauch glühend ihre Sprache in den Geist.
Wort aber aus der Seele des Gerechten
Ist immer noch das schöpferische Wort,
Nun angekleidet mit dem Fleisch der Menschheit
Kehrt heim es zu dem Thron des Ewigen
Und tritt liebkosend vor der Gottheit Lächeln
Und wendet sich von dort in Himmelstiefen,
Der Gottheit und der Menschheit zu erschaffen
In Ewigkeiten neue Himmelreiche.
Sei, Seele, dein Gebet ein Hohes Lied,
So wird das Wort in Küssen deiner Liebe
Vor Gottes Antlitz Paradiese schaffen,
Dir Edens Gärten einst zum Aufenthalte,
Wo du dem Wort vermählt wirst, o Gebet,
Wo deine Sprache küsst der Gottheit Mund!


BIBLIA

Lobpreise die Dreifaltige, die Herrin:
Das Alte Evangelium des Vaters,
Das Neue Evangelium des Sohnes,
Das Evangelium des Heilgen Geistes
Als offne Tradition der Weisheitslehre!
Lobpreise sie, die Jungfrau Biblia,
Die ruft dir zu ein Wort, um dich zu prüfen,
Da sei kein Tor, erweis dich ihrer würdig
Und suche sie, umwerbe sie und schaue
Mit Liebesaugen nach der schönen Jungfrau!
Sie zeigt dir ihre Kleider, ihren Mythos,
Doch sei kein Narr, verlieb dich nicht in Schmuck,
Sei Liebender, begehre ihren Leib,
Das sind die Weisungen und die Gebote
Der Liebe, der Erlösung und der Freiheit!
Erforsche alle ihre Glieder einzeln
Und preise alle ihre Glieder einzeln
Als wie den Körper einer nackten Frau!
Doch nicht in Wollust ruht der Sinn der Liebe,
Sie will dir ihre Seele offenbaren!
Ehrfürchtig sei und fromm und treu der Jungfrau,
Dann wirst du ruhn auf ihrer Brüste Bergen,
Dem Busen Sinai und Golgatha!
In Wüste und Olivengarten küsst
Sie dich zur Mitternacht in Einsamkeit,
Sie flammt vor Liebe in dem Dornstrauch auf
Und öffnet dir ihr Herz am Marterpfahl!
Vereine deine Seele ihrer Seele,
Sei ein Geliebter du der Biblia,
Sei ein Vermählter du der Biblia,
Als Herzensweiser an dem Herz der Weisheit
Ruh du mit ihr vereint im Bett des Todes,
Dann wird sie dir zum Lebensbaum von Eden
Und offenbart dir rein im Paradies
Als paradiesische Geliebte küssend
Die Seele ihrer Seele – ewge Gottheit!




ZWEITER TEIL


DIE NACHTIGALL

In dunkelblauer Abenddämmerung
Die stillen Schatten senkten sich
Auf meine Lebensbäume vorm Balkon,
Die schon den Schnee geschüttelt von den Zweigen.

Verklungen war der Glocke Angelus
Und Segen sank auf Mutter Erde nieder,
Vom Himmel lächelte die reine Venus
Und sprach im Untergang: Ich komme wieder!

Da lauschte ich dem Lied der Philomele
Wie einer reinen philosophischen Idee,
Der absoluten Schönheit Ideal,
Dem Stern-Sirenen-Sang der Sphärenharmonie.

Ihr Lied so süß wie jugendliche Freude
Und unbefleckter Liebe Spiel,
So melancholisch heiter ihre Schöne
Wie einer Jungfrau erste Minne.

Sie frug nicht nach dem Nutzen ihrer Kunst
Und auch nicht nach Applaus der andern Schwätzer,
Sie unterwies mit ihrer Weisheit
Das Weltall und ergötzte Mutter Nacht.

Ein stiller priesterlicher Gottesdienst
Der Hohenpriesterin der Nacht
Ward nur vernommen von den Sternen
Und von dem Beter, welcher lauschte.

O feierliche All-Musik der Liebe!
Die Weisheit gab dir deine Kunst,
Nun singest du der Weisheit deine Lieder
Mit süßem Schmachten, Philomele, selig!


DEBORAH

Als war in den Gerechten Wildheit
Und Gottes Gnadentor verschlossen,
Verschlossen in begierdevollen Seelen
Die Gnadenpforten der Gebete,

Als ohne Richter, aufzurichten
Die Elenden von ihrem Elend,
Verschmachteten die Frommen vor den Brüsten
Der schönen Töchter Kanaans –

Erhob sich Deborah, die Mutter,
Erhabne Mutter Israels,
Die Richterin, um aufzurichten
Das matte Volk des Bundes.

Fortan soll in der Mutter
Der Bund des Bundesvolkes sein,
Der Siegerin in Schlachten Gottes
Verpflichten sich die Söhne Jakobs.

Denn nicht die Töchter Kanaans
Sind das Geschenk der Gottheit,
Allschenkende, die große Gottheit
Uns schenkte Deborah, die Biene!

Als Biene wird sie Honig sammeln
Aus des Gelobten Landes Blüten,
Als Mutter überströmt sie Milch
Aus des Verheißungslandes Brüsten.

Allschenkende, o Gottheit, im Geschenk
Der Mutter Israels erneuert
Sich unser Bund mit dir,
Geheime, Offenbare, Ewige!


LAYLA

Gott rief die Finsternis
Mit ihrem Namen Layla,
Er nannte sie die schwarze Jungfrau
Und rief sie Große Mutter Nacht!

Des Urlichts goldne Krone
Versenkte Gott in Finsternis.
Nun Layla im Geheimnis ihres Schoßes
Bewahrt des Ursprungs Quelle.

Ich bin gegangen in die stille Wohnung
Der schwarzen Jungfrau Layla,
Ich war im Haus der großen Mutter Nacht
Und trank aus ihrem Born.

Ja, ich versenkte meinen Samen
Im Schoß der Jungfraumutter Layla!
Ich einigte die blaue Seele mein
Dem ewigen Gemüt der Mutter Nacht!

Ich nannte sie Geliebte mein
Und meine süße Mutter,
Die schöner als die lichten Götter
Die dunkle Mutter meiner Seele ist.

Dazu hat Gott die Finsternis gerufen,
Daß ich erkenne das Mysterium
Der Mutter und Geliebten und beiwohne
In ihr dem göttlichen Geheimnis.

Das unausschöpfliche Geheimnis,
Das unausforschliche Mysterium,
Das Nichts, das göttliche, gab mir sich hin
Im Sakrament der dunklen Mutter.


ESTHER

Hör mein Gebet, o Ewiger,
Die Königin erhebt das Wort zu dir!
All meine schönen Blumenkleider
Hab ich getauscht in Sack und Asche!

All meinen schönen und gesalbten Leib
Hab ich gegeißelt mit der Peitsche,
Die Augenschminke ist verlaufen
Vom Wasser meiner bittern Tränen.

Nun ich verlassen bin,
Erhöre die Verzweifelnde,
Die hasst die Götter und Dämonen
Und hasst die Eitelkeit der Toren!

Mein Fürst im Himmel, o Geliebter,
Seit meiner Lebensänderung
Ward keine andre Freude mir zuteil
Als nur vom süßen Honig deines Wortes.

Nur deine Liebe, o Geliebter,
Ist meine Freude, sie allein,
Sonst in dem Lande der Verbannung
Ist alles eitel, alles eitel!

Verachtet habe ich die Betten
Gottloser Bräutigame,
Ich habe ihre Feste nicht gefeiert
Und nicht mit ihnen Wein getrunken.

Ich trug die Krone einer Königin,
Doch nicht vor dir, vor dir war ich die Magd,
Die Sklavin deiner Ganzhingabe,
Das Mädchen deiner treuen Allmacht!

Gebieter, o Geliebter,
Erhöre in Verzweiflung mein Gebet
Und tröste die Verlassene,
Die niemand hat als dich, o Gott!


DIE FRAUEN ISRAELS

Dieweil sich Moses in dem Zelt
Der Herrin Schechina vermählt,
Sah Jakob sie die Himmelsleiter
Hernieder steigen und hinan.

Und Jakob diente sieben Jahre
Um Rahel, um das süße Lämmlein,
Und ward zuerst vermählt mit Lea,
Der blinden, aber fruchtbarn Mutterkuh.

Doch so ist Schechina, die Herrin,
Verkörpert in den Frauen Israels.
Sie kontempliert in Rahels Augen
Und ist in Leas Brüsten fruchtbar.

Im Lämmlein Rahel schaut die Herrin
Mit sanften Augen voller Gottheit,
In rindergleicher Lea reicht die Herrin
Die Mutterbrüste ihren Menschenkindern.

So faste geistig und du wirst erschauen
Mit Rahels Augen Gottheit
Und iß an Leas Tisch dein Rebhuhn
Und diene in der Welt der Gottheit.

Willst du die Schechina dir freien,
Als ob die Gottheit deine Braut sei,
Glückselig sei in ihrer Augen Schauen
Und auch ergötze dich an ihrer Brust Erbarmen!


JAKOBS MORGENGEBET

Ich, Jakob, träumte einen Traum,
Ich schaute Gott im Kleide einer Schöpfung,
Den Ewgen im Gewand der Schönheit,
Und frug: Wann, Gottheit, schaue ich dich bloß?

Da neigte sich die Hagia Sophia
In meinem Traum zu mir und Mund an Mund
Wir tauschten Küsse wie des Geistes
Inspirationen, süß wie Myrrhenöl.

Ach, daß ich doch erwachen muß
Von solchem Traum! Doch hier ist Gottes Wohnung
Und hier des Himmels Perlenpforte,
Wo Schechina herniedersteigt zu meinen Zelten!

Mein Trost, mein Trost ist Leas Busen,
Die Kinder trösten mich, die ruhn an ihren Brüsten,
Die fruchtbare Natur der Mutter
Beweist, daß sie die Tochter ist der Schechina.

Mein Glück ist Rahels Schönheit!
Schon bin ich selig, wenn süßgirrend meine Traumfrau
Hold lächelnd tritt an meinen Diwan
Mit einem Liebesapfel in der Hand!

Wie schön ist doch dein Schleier, schöne Rahel,
Wie schön dein langes schwarzes Haar,
Die du vor Liebe nackt in meinen Armen liegst,
In dir erkenn ich meine Gottheit!


SIMSONS LIED

Ich, Simson, sah ein Weib mit meinen Augen,
Ein Wohlgefallen meiner Seele,
Dem Traumbild meiner Seele gleich,
Sie schien die rechte Frau für mich zu sein.

Mit meinem Vater sprach ich, meinem alten Herrn,
Ich wandte mich zu meiner Mutter, zu der milden,
Ich wollte freien diese schöne Frau,
Die aus dem Volke der Philister war.

Ich sagte: Mutter, bitt den Vater,
Daß er mir freie diese Frau!
Die Mutter sprach mit mildem Lächeln:
Mein Sohn, die soll es sein und keine andre?

Sind denn nicht Frauen in dem Bundesvolk,
Die Gott ehrfürchten in dem Herzen?
Nur Schönheit ist so flüchtig wie ein Traum
Und nichts als Anmut trügerische Illusion. –

Wohl kam das Weib an meine Seite,
Entlockte mir Geheimnisse der Weisheit,
Verriet mein Rätsel: Fraß vom Fresser
Und Süßigkeiten von dem Starken!...

Da ward das Weib, die Schönheit selbst,
Gegeben einem der Gemeinen.
Mein Antlitz flammte auf
Und auf mich kam herab der Geist des Ewigen!


MARIA

Du bist mein erster Gruß am Morgen,
Wenn ich vom Traum erwache,
In dir ist meine Sammlung,
Du meine Traumfrau, meine Morgenandacht.

Du bist die Streiterin der Schlachten
Am grellen Tag des Marktes und der Mühsal,
Schutzhimmlische auf allen Wegen,
Stoßseufzer jeder Stunde.

Du bist der Sehnsucht blaue Dämmerstunde,
Wenn alle Vesperglocken läuten
Maria und des Friedens Engel
Sich breitet schweigend über Mutter Erde.

Du bist der Schoß der Mutter Nacht,
Weinselige Begeisterung und schwarze
Madonna meiner Poesie und Weisheit
Und bist das Amen meiner letzten Stunde.


TRAURIGKEIT

Ertrunken in dem Meer der Traurigkeit,
Madonna steht am Ufer meines Meeres,
Das Jesuskind in ihren Armen,
Untröstlich schau ich auf zum Tröster.

Ich habe keine Rechte, Liebling,
Weil Liebe reine Gnade ist.
Und wird die Gnade auch verheißen,
So kann der Zorn sie doch entziehen.

O Jesuskind, du spielst mit mir,
Dann lässest du dein Spielzeug liegen?
Doch dank ich dir für meine Traurigkeit,
So will ich lieben dich mit meiner Sehnsucht!

Ich sehn mich nach dem Paradies
Als wie der Insel der Glückseligkeit,
Ich wollte an der Bucht der Wonnen
Im Licht der Liebe Gottes mit dir spielen!

Doch du in deinem Willen, Jesuskind,
Läßt einsam mich in der Verbannung?
Wie kann man anders, als im Tal der Tränen
Vor Elend der Verbannung weinen?


DIE HIMMELSKÖNIGIN

Die in der Himmel Himmel du
Bist die von Gott gekrönte Königin,
Die du bist Himmelskönigin,
Der Engel und Erlösten Königin!

Du legst die Krone deiner Weisheit ab
Und wirst aus Liebe Närrin,
Du legst die gottgeweihte Schönheit ab
Und annimmst meiner Anima Gestalt,

Du legst den Kranz der Hochzeit mit dem Herrn ab,
Um meine Braut zu werden,
Du legst den Schleier der Verborgnen ab,
Auf daß ich dich erkenne,

Dann bettest du in deinen Armen mich
Und bettest mich an deinen Brüsten,
Wir tauschen Mund zu Mund das Gotteswort
Und schauen Aug in Aug Unsterblichkeit!

Du legst den Schleier wieder an
Zur Feier der geheimnisvollen Gottheit,
Du setzt den Kranz der heilgen Hochzeit auf
Zum Preis der Hochzeit mit dem Lamm,

Du setzt die Krone gottgeweihter Schönheit auf,
Auf daß ich bin glückselig in Beschauung,
Du setzt die Krone ewger Weisheit auf,
Daß ich im Paradies erkenne meine Gottheit!


DIONYSISCHE MADONNA

Ich bin gesegelt mit der schönen
Geliebten mit den langen schwarzen Haaren
Durch sieben Meere, bis wir kamen
Zur blauen Insel meiner Kindheit.

Weinrosen wuchsen da mit weißen Kelchen
Und rosanen und lilanen,
Ich speiste purpurrote Hagebutten
Und schlief vor Wohlbefinden ein.

Als ich erwachte, sah ich mich allein
Am öden Strande meines Lebens,
Verlassen von der reizenden Geliebten,
Die war wie alle Weiber falsch und untreu!

Da brausten krachend Wogenbrecher auf
Und spritzten ihre Flut gen Himmel,
Da blies der Sturmwind Wolken an –
Und plötzlich war es alles still!

Vom Himmel kam in einem Chariot,
Gezogen von zwei schwarzen Pantherweibchen,
Madonna, frei umweht vom langen schwarzen Haar,
Der grüne Schleier flatterte im Winde.

Sie stieg mit bloßen Füßen aus dem Wagen,
Ihr Busen bebte voller Wonne,
Die Blicke blitzten diamanten,
Die Lippen glühten rot wie süßer Wein!

Sie nahm mich in das himmlische Triumphgefährt,
Die schwarzen Pantherweibchen sprangen schnell,
Wir sausten Sphäre über Sphäre aufwärts
Zum allerhöchsten Gottesberg!

Dort jauchzten wir in freien Tänzen
Zu Flötenspiel und Zymbelrhythmen
(Madonna ihren Bräutigam umfangend)
Dem Löser Jubelschall, dem Gott der Wonnen!


DER KUSS DER MADONNA

Ich war in einem dunklen Tempel,
Der war erfüllt von Nacht und Andacht,
Ich war allein im Schoß des Heiligtumes
Als in dem Mutterschoß der Makellosen.

Die Kunst war Priesterin, Prophetin,
Darbrachte Offenbarungen der Schönheit,
Ikonen überall der heiligen
Allmutter mit gemordetem Adonis!

Der schönen Liebe Mutter ich beschaute,
Die hohe reine Stirn von Elfenbein,
Melodisches Gefäll des Schleiers,
Barmherzigkeit der sanften Augen,

Als mich vom marmornem Idol
Wie Urlicht strahlend aus der Nacht
Der makellose Mund anlächelte
Als sei die Herrin eine Küsserin!...

Da sank ich vor dem Kusse der Madonna
Von Schauern überwältigt in die Knie,
Aus meiner Stirne trat der Schweiß hervor
Und meine Glieder zitterten im Fieber

Und meiner Zunge ist in heißen Flammen
Der Liebesseligkeit entquollen Zungenrede,
Ich pries die rote Rose in der Tiefe,
Die unbefleckte Lilie aus dem Tal von Lourdes!

Ich sang der Allgeliebtesten ein Liebeslied,
Weil ihre Lippen sind wie Lilien,
Die fließen über von sehr süßer Myrrhe,
Ist wahrlich Milch und Honig unter ihrer Zunge!


AN DIE PARADIESMADONNA

Nun kann ich sterben, weil sie bei mir ist,
Die Paradiesmadonna!
Sie ist die Königin des ewgen Lebens,
Sie ist der Auferstehung Mutter!

Ich lebe, o Geliebte, für das Paradies,
Das Paradies, das ist dein Schoß,
Dein Schoß ist doch ein wonnevoller Paradies
Als je könnt sein der Schoß des Vaters Abraham!

So weihe ich mich deinem Schoße,
In dem ich sterbend will versinken als im Grab,
In dem, als wie der Unbefleckten Grotte,
Ich werd vom lichten Tau des Lebens neugeboren!

Und sei es bei Saturn und bei der Venus,
In dem Orangenhain des Morgensternes,
Sei’s auf dem Stern der Rose
In deinem Rosengarten, o Maria,

Und sei dein Reich auch Stella Matutina
Und dein Palast der Vatikan der Venus,
Ich bitt dich: In der Bibliothek des Paradieses
Bewahr mein Lied auf Himmelspergament!


LIEBE UND SCHÖNHEIT

Dich will ich feiern, absolute Liebe,
Du meiner Seele tiefste Sehnsucht!
Ist außer dir nur alles Ungenügen mir,
Weil du mich schufest, dich zu lieben!

Gepriesen sei, vollkommne Schönheit,
Mein Herz ist nichts als Durst nach dir,
Ich röhre und ich schmachte nach der Quelle
Der Schönheit in der Gottheit!

O Chochma, nicht nur Weisheit du,
Der Gottheit Liebe zu der Schöpfung
Und Wille zur Vereinigung bist du
Und die Idee der Schönheit, Göttin!

Wie lieb ist deine menschliche Gestalt
Maria, welche sprach im Osten:
Warum ich Schönste bin der Frauen?
Ich bin so schön, weil ich so liebe!


IN DEN JAHRESZEITEN

Ihr Kinder, schaut die Mutter Weisheit,
Wie sie im Mai so lieblich ist
Und glüht so süß in ihren Rosenkränzen,
Geliebte Frühlingsnymphe,

Und schaut, wie sie im Sommer ist so herrlich,
So schrecklich wie die Herrin Sonne,
So furchtbar und so fruchtbar,
Erquickend wie ein Bad im kühlen See,

Und schaut sie an im Herbste
In ihren goldenen Gewändern,
Geschmückt mit Rose und mit Rebe,
Wenn sie so weise alte Sagen weiß,

Und schaut sie an im klaren Winter,
Die Himmelskaiserin im Hermelin,
In schrecklicher Erhabenheit
Und hoheitvoller Geistesmajestät!

Ihr Kinder, traut der guten Mutter –
Wer nämlich euch verführt zum Bösen,
Dem hängt sie einen Mühlstein an den Hals –
Weil sie so mütterlich die Kinder liebt!


AN DIE GÖTTLICHE MUTTER

Ganz reine Majestät der Ewigkeit,
Ich weih dir meine Seele,
Ich weih dir die Unsterbliche
Bis hin zu ihrer geistlichen Vollendung!

Seit Seele sich dem Leib vereint,
Wenn Seele sich vom Leibe scheidet,
Wenn Seele wieder sich dem Leib vereinigt
In Leibes Auferstehung: Ich bin dein!

Ich sehne mich nach Mutterworten
Der herzlichen Barmherzigkeit,
Dem Trost der Mutterliebe meiner Gottheit,
Doch finde ich nur Väterworte.

O Geist der Weisheit, inspiriere
Den feministischen Psalmisten,
Er muß den eignen Wiegensang erfinden,
O Weisheit, meine Amme!

Die Seele war im Mutterschoß
Der Gottheit vor der Zeit
Und ihre Heimat ist im Mutterschoß
Der Gottheit in der Ewigkeit!


WEISHEIT

Wer bist du, absolutes Wesen,
Unendliches, allheiliges,
Formloses Sein, bildlose Gottheit,
Urewige All-Einheit!

Du bist das Namenlose
(Der ewge Name ist nicht nennbar),
Unnennbar du, o namenloses Wesen,
Das nannte sich: Ich bin!

Urquelle bist du, die ergießt sich
In Weisheit als der Weisheit Wesen!
Die Weisheit aber nennt sich selbst
Die Mutter des Geschaffnen!

Bildloser Gottheit Ebenbild,
Formloser Gottheit Formgestalt
Erscheinest du, o Weisheit,
Als Mutter und als Braut dem Schriftgelehrten!

Dein ist die Schönheit und die Kraft,
Dein Allvernunft und Einsicht,
Dein Liebe und Erkenntnis
Und dein das Reich, o Mutterkönigin!

In deiner Schönheit sehen wir
Bildlose Schönheit unsrer bildenden
Erschafferin, der Allgestalterin, der Gottheit,
In deinem Spiegel sehen wir das Urlicht!

So singen dir die Morgensterne Preis,
So loben dich die Nächte ohne Worte,
Du Mittlerin der Gottheit und der Welt,
O königliche Mutter Weisheit!


DER LEBENSBAUM IM TRAUM

Unendliche Vermählungen
Hab ich geträumt. Der Lebensbaum
War wie des Mittlers Eros Himmelsleiter
Zur Krone ewiger Idee des höchsten Gutes.

Das Fundament ward mir zum Liebesbett,
Aus Zedern und Zypressen das Gemach,
Der Lilie in dem Tale die Geliebte gleich,
Die Schönheit, die ich voller Kraft geliebt!

Sie war die Herrin meines Fleisches,
Die Muse meines Hieros Gamos,
Da in erotischen Verzückungen
Vor ihrer Schönheit meine Kraft sich hob!

Dann wandt ich mich ins Reich der Seele,
Da schön wie Layla oder Mutter Nacht
Als blaue Blume die Allkönigin, die schwarze
Madonna liebend meiner Seele lächelt!

Sie, Königin der Schönheit und der Liebe,
Erkor den Frommen und Gerechten
Zum keuschen Bräutigame sich
Und schenkte ihm das Kind, das göttliche!

Dann stieg ich in das Geisterreich des Geistes
Und ward ein Wort des Wortes
Und ward zur mystischen Vernunft der Allvernunft
Und einte mich der Hagia Sophia,

Allweisheit, Göttin meines Geistes,
Die Schöpferin, ward meines Geistes Braut,
Da wir vereint in mystischer Erkenntnis
Als Eins geflossen in die Sphäre absoluter Einheit!


DER DICHTER

Sophia wandelt durch den Apfelgarten
Des Paradieses mit Glückseligen
Zur Mitternacht im heilgen Himmel
Und lauscht seraphischem Gesang.

Da mischt sich in seraphischen Gesang
Des Dichters Dichten in der Nacht,
Da er die mystische, die weiße Himmelsrose
Besingt, die Jungfrau Mondin.

Der Dichter hat zur Morgenröte
Im Garten ausgeschaut gen Osten
Und sah an dem saphirnen Ätherthrone
Geschrieben stehn der Namen der Sophia!

So morgens sang er mit der Menschheit Lobpreis
Der Herrin Sonne als des Urlichts Spiegel,
Des Nachts singt er mit Himmlischen vereint
Das Lied der Lieder für die Weisheit.

Da lächelt ihm die Himmelskönigin
Des Nachts im Mondlicht in dem Apfelgarten,
Im regenbogenfarbnen Kleide,
Betaut vom Tau des Himmels, spricht die Schöne:

Mein Dichter, so sehr bist du Dichter,
Daß die erhabne Religion der Menschheit
Ward dir zur Religion der Schönheit,
Zur Künstlerreligion des Ideals!

So wenig aber bist du mehr ein Dichter,
Weil du nicht singst des Weltalls Lieder
Und dienst nicht vielen Musen, sondern Einer,
Mir, als dem Urprinzip des All!

Du bist nicht mehr Poet im bunten Rock,
Du bist Prophet geworden der Sophia,
Die Stimme in der Wüste, die die Welt nicht hört,
Doch Hagia Sophia hört im Apfelgarten!


DIE MUSE ALS BRAUT

Die Dichter, die auf Amors Pfaden
Den Mädchen mit den Rosenwangen schmachten nach,
Apollon Daphne singt, die immer fliehende,
Sind Meistersänger wohl des Frauenlobes.

Wer aber sperrt die Nachtigall in einen Bauer
Und stellt den Käfig in den Rosengarten,
Dem wird die Muse bald verstummen,
Dem sie zur Hausfrau wird.

Jedoch die Himmlische, die Unberührte,
Die über Sions Hügel flüchtet,
Mit goldenem Geweih die weiße Hindin,
Lockt immer tiefer dich durch Labyrinthe,

Lockt immer höher Sphäre dich um Sphäre
Und bleibt die unberührbare Gebieterin –
Und doch die Küsserin der Musenküsse
Und doch die Streichlerin der Schwanenleier!

Verzeih mir, heilige Gebieterin,
Vergleich ich dich den Huris in dem Paradies,
Beiwohnerinnen der Geretteten,
Erheben sie vom Akte wieder sich jungfräulich!

Jungfräuliche Beherrscherin der Harfe,
Dem Minnesänger religiöser Minne
Bist du die Nahe, innig Nahe,
Doch fern auch, wohnend in der Himmel Himmel!

Inspiration und ruhevolles Minnen
Der Künstlerin und Minnerin Sophia
Ist, wie ein Eheleben in den Himmeln,
Ein wonnereicher Brautstand, ewiglich jungfräulich!


LIEBESLIED

Nun säugt und nun ernährt mich Weisheit,
Sie füttert mich, die Felsentaube,
Ihr Speisen ist ein Schnäbeln
Und ihre Unterweisungen sind Küsse!

Nun darf ich von mir werfen meine Krücken,
Weil mir des Geistes Flügel wachsen!
Auf sieben Säulen ruht ihr goldnes Haus,
Die sieben Säulen ruhen auf dem Grundstein,

Der Grundstein ruht im Nabel dieser Welt,
Im Schoß des Tempelberges,
Der ist gegründet auf dem Geist,
Der tanzt in Freiheit in dem absoluten Nichts!

Ha! Trunkener Begeisterungen Flug
Ist mehr als Kleben an dem Blei der Lettern!
Wohlan! Und reißt mich auch der Flug
Mit Eros‘ Schwingen zu der Gottheit!

Allgöttin, harfen will ich dir
Das Lied der Lieder! Trunkne Liebe singen
Und dir die Religion der Religionen
Mit meiner Inbrunst, meiner brennenden, erfüllen!

So trunken von geträumten Küssen,
Von Lilien, welche fließen über von der Myrrhe,
Hinreißt es mich an deinen Busen
Zu höherer Begattung!

Durch deines regenbogenfarbnen Kleides Hauch
Scheint deines lichten Leibes Sakrament,
Ein Leib aus Licht, zu süßer Wonne,
Wie absolute Schönheit Einer Gottheit, o Geliebte!


DRITTER TEIL


MEINE SELIGE GROSSMUTTER SPRICHT

Ich war ja auch so allein, mein Junge,
Und doch war mir lieb das einsame Schweigen,
Die Stille tönt doch schöner als Mozart,
Die Abenddämmerung sendet Engel.

Sei nur geduldig! Wie schnell flieht das Leben,
Des Menschen Leben ist wie ein Traum...
Im Erwachen verschmäht man die Schatten
Und schüttelt den Traum ab und sieht das Licht!

Hier oben aber ist es so schön!
Ich bin nun eingetaucht in die Freiheit,
Die himmlischen Wesen sind alle Liebe
Und schöne Freuden sind hier und Wonnen!

Ich liege nun mit Jesus zu Tische,
Spaziere im mystischen Rosengarten
Deiner himmlischen Mutter Maria,
Und schau durch die Fenster des Himmels zu dir!

Nun ich dein seliger Großengel bin,
Vertraue mir deine Einsamkeit an!
Sei mein majestätischer Schwan
Und singe nichts als Unsterblichkeit!


MORGENANDACHT

Mit den Lobgesängen des Morgens
Heiligen deinen Namen will ich,
Himmel, als dein Pilgrim und Bürger,
Fremd in dieser Kultur des Todes.

Tod – o Schauer und Wonne von Gott!
Steht doch an der Pforte des Friedhofs:
Wir haben hier keine bleibende Stätte,
Sondern wir suchen das kommende Reich!

Darum, o Himmel der Himmel, o Liebe,
Mein Los bewahr mir, mein liebliches Erbteil,
Im Lande der wahrhaft Lebendigen will ich
Heiligen deine Liebe, o Himmel!

Im majestätischen Marmorpalast
Mariens und ihrem Rosengarten
Ein Hüttchen von Zypressen und Zedern
Gib mir, die Eremitage von Eden!

Tritt Madonna auf den Balkon,
Die Königin mein, die Rose der Rosen,
Sing inbrünstige Minnelieder
Ich als himmlische Nachtigall!

Könnt ich einsam mit Maria
Im Reiche der Himmel leben, o Herr,
Ich fragte nichts nach Göttern und Menschen,
Dies gewähr mir, dreieiniger Gott!


DIE MUSE SPRICHT

Ich, Maria, bin deine Mutter,
Mein Geliebter, ich glaube an dich!
Will niemand an meinen Dichter glauben,
Sei nur stille und diene mir!

Was du den Minnedamen gesungen,
Hast du in Wahrheit doch mir gesungen!
Sie wollten nicht angehimmelt werden,
Lieber von Kerlen mit Füßen getreten...

Aber die Himmelskönigin ist
Deiner anhimmelnden Harfe würdig!
Ich zahl dir nicht mit der Währung des Spottes –
Ich belohne mit Minnesold!

Wirst du im Himmel die Liebe schauen,
Fragst du nichts nach dem Beifall der Welt,
Nicht der Gegenwart, nicht der Zukunft,
Aber was Liebe verherrlicht, dauert!

Ich will aus deiner schmeichelnden Stimme
Ewig himmlische Arten ziehen
Und idealisiert soll die Minne
In den Hymnen des Himmels tönen!

Sei nur wie neulich die Nachtigall,
Die unschuldig dem Himmel sang,
Unberührt von der Schwätzer Geschwätz,
Einsam süße Lieder dem Himmel!

Ich, die Himmlische, will dich hören,
Du darfst mich schauen, die ewige Schönheit,
Ich inspiriere dich geistlicher Küsse,
Dann singe mir deine Minnepsalmen!


MADONNA TRÖSTET

Ich weiß, du sehnst dich nach einer Frau,
Du sehnst dich nach Leiblichkeit, Schönheit.
Und darum bin ich zu dir gekommen,
Deine ewige Frau zu sein!

Dich verdrießt es, nur Schatten zu schauen
Im hohen Schattenreich der Ideen?
Du, selbst ein Schatte, siehst nur die Schatten
Im Dunkel deiner Höhlenwand?

Aber die Ideen sind Licht!
Strahlend, unvergänglich die Weisheit!
Du magst ein Schatte sein, Geliebter,
Ich bin das pure, ewige Leben!

Soll ich dir einen Kessel brauen
Deiner musischen Inspiration?
Soll ich dir aufbewahren die Äpfel
Ewiger Jugend im ewigen Leben?

Soll ich dir reden von Sittlichkeit
Und den Geboten moralischen Lebens?
Soll ich dir reden vom Namenlosen
Und der ewigen Mutter der Wesen?

Soll ich dir singen den Hymnus der Weisheit,
Die war lebendig im Anbeginn,
Die war scherzend charmant vor der Gottheit,
Sie, die Weisheit, die ewige Herrin?


MARIA ERSCHEINT

Traurig sann ich – da mir erschienen
Vor den Augen der frommen Seele
Madonna im Schleier der schwarzen Haare,
Meine Lieblingin, süß charmante!

Und sie sprach mit schwebendem Säuseln:
Soll ich dich deinem Bruder vergleichen,
Der der Sohn ist der irdischen Mutter
Und des Vaters Stempel und Abbild?

Aber ich rief: O Mutter Maria!
Du bist meine wahre Mutter!
Sie lächelte süß: So willst du mein sein?
Versprich mir, daß du mein sein willst!

Ich weiß von der Sehnsucht deiner Seele
Nach der dunklen göttlichen Mutter!
Alles Leben kommt von der Mutter,
Alles Leben kehrt zu ihr heim!

Ich habe dich zu der Mutter geführt.
Gedenke nur, wie es dir erging,
Seit du dich meiner Minne verschrieben:
Du fandest die Weisheit der göttlichen Mutter!

Die Mutter hat aber mich gesandt,
Dir deiner Einsamkeit Freundin zu sein!
Ich führe dich zur göttlichen Mutter,
Zu der dunklen verborgenen Gottheit!


DIE SCHÖPFERIN IM FRÜHLING

Liebe, die Knospen gehen auf,
Gekommen die Zeit der Nachtigall,
Zu hören ist das Gurren der Taube,
Der Lenz erneuert die göttliche Schöpfung!

So ist es wohl nicht umsonst geweissagt,
Daß Gott die Schöpfung im Frühling schuf?
Schon der Morgensterne Gesang
Im Weltenmorgen hat Ostern gesungen!

Der Vater ist nicht der Schöpfer der Schöpfung –
Wenn ihr nur verstehen wolltet!
Der Alte an Tagen thront jenseits der Welt,
Von allen Schöpfungen unberührt.

Die Mutter Weisheit aber gebar
Und wird gebären aus ihrem Füllhorn
Schöpfungen, immerjugendliche,
Und ihr Meisterwerk, die Menschheit!

Die Weisheit ordnete schön den Kosmos,
Erschuf im Kosmos den Liebling, den Menschen,
Ein Urmensch ward nach der Weisheit Bild,
Vor ihr zu stehen Antlitz zu Antlitz!

Emanation des Ewigen, Weisheit,
Allschöpferische, göttliche Mutter,
In deiner Schöpfung anhebt der Frühling,
Erwacht der Lenzjüngling deiner Liebe!

Es singt die Nachtigall dir den Lobpreis,
Die Turteltaube gurrt göttliches Wort,
Die Knospen gehn auf und die Menschenseelen,
Geschaffen, um dich zu lieben, o Mutter!


DIE HOCHZEIT

Es ist der Wille der göttlichen Mutter,
Der ewigen Tochter die Hochzeit zu richten!
Frau Weisheit ruft, die himmlische Braut,
Zur Hochzeit selbst die Hurenböcke,

Die Füchse selbst, die den Weinberg verderben,
Die Trunkenen, die vom Weine betrunken
Wie Noah aufdecken ihr Geschlecht
Und starrenden Gliedes im Zelte liegen.

Eher kommen die Hurenböcke
In das himmlische Paradies,
Als die Heuchler und Selbstgerechten
Und die Herrscher von Kirche und Staat!

Eines begehrt die Christo-Sophia:
Sie will die einzige Braut sein des Freiers!
Die anderen Bräute taugen nichts,
Nur Sie ist sein Weg, seine Wahrheit, sein Leben!

Er soll sich berauschen an Ihren Brüsten
Und schauen nicht scheel nach den fremden Frauen,
Den törichten Frauen, den honigsüßen,
Den wermutbitteren Götzenbildern!

Aber wer von den Brüsten Sophias
Die Muttermilch des Trostes trinkt,
Den fließenden Honig des Paradieses,
Den mystischen Wein der Vereinigungen,

Der wird trunken von göttlicher Liebe
Und in Ewigkeit nicht mehr dürsten!
So lege an dein Hochzeitsgewand
Und tanze und küsse in Hochzeitsnächten!


BRÄUTLICHE WEISHEIT

Schwester Geliebte in meiner Verbannung,
Du hast sehr hübsche niedliche Brüste,
Aber die himmlische obere Mutter
Weisheit hat Brüste wie Rundtürme mächtig!

Weisheit, nicht wall ich auf meinen Wegen,
Wir wallen auf unseren Wegen gemeinsam!
Wo nicht der Mann mit dem Weiblichen ist,
Da ist nicht Offenbarung der Gottheit!

Also die Würde der Frauen im Hause
Hat beim Weisen die göttliche Herrin,
Wenn er sich scheidet vom irdischen Weibe,
Allein mit der göttlichen Weisheit zu wohnen!

Darum pries ich dich reine Lilie,
Wandelte unter dem Zepter der Lilie,
Als ich um dich warb, o Jungfrau,
Du meine ferne erhabene Herrin!

Darum preis ich dich mystische Rose,
Seit du mir geschenkt deine Minne,
Nenne dich die Rose der Tiefe,
Weil du in meinen Nächten erglühst!

Drum, meine Taube, meine Reine,
Heiligt mich einzig deine Liebe!
Aber deiner Hingabe Wundern
Gebührt des Weisen mystisches Schweigen. –




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